Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 6. 11. 2014 – 4 StR 290/14 (lexetius.com/2014,4162)

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 6. November 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 18. Juli 2013, soweit es sie betrifft, im Ausspruch über das Absehen von Verfallsanordnungen nach § 111i Abs. 2 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
[1] Gründe: Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in zwei Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von sieben Jahren und drei Monaten (A.) sowie fünf Jahren (Ay.) verurteilt. Zudem hat es festgestellt, dass gegen den Angeklagten A. wegen eines Geldbetrages in Höhe von 279.823,97 € und gegen den Angeklagten Ay. wegen eines Geldbetrages in Höhe von 110.390,04 € nur deshalb nicht auf Verfall erkannt wird, weil Ansprüche Verletzter entgegenstehen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
[2] 1. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen gemäß § 111i Abs. 2 StPO halten materiell-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Annahme der Wirtschaftsstrafkammer, die von verschiedenen Bankkonten abgehobenen Beträge seien wertmäßig noch im Vermögen der Angeklagten vorhanden, erweist sich als rechtsfehlerhaft.
[3] a) Das Landgericht hat zwar nicht verkannt, dass § 73c Abs. 1 StGB im Rahmen der nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffenden Entscheidung zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 – 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39, 44; Beschluss vom 17. September 2013 – 5 StR 258/13, NStZ 2014, 32).
[4] Die Wirtschaftsstrafkammer ist aber davon ausgegangen, dass die vom Angeklagten A. in der Zeit vom 17. November 2009 bis zum 13. April 2010 von Konten der G. Ltd. abgehobenen Geldbeträge von insgesamt 279.823,97 € wertmäßig noch im Vermögen dieses Angeklagten vorhanden sind. Das hat es auch in Bezug auf den Angeklagten Ay. angenommen, soweit dieser in der Zeit vom 24. November 2009 bis zum 13. April 2010 102.698,65 € von seinem Konto abgehoben hatte.
[5] Die Annahme der Wirtschaftsstrafkammer, diese Geldbeträge seien noch im Vermögen der Angeklagten vorhanden, entbehrt einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Das Landgericht hat bei beiden Angeklagten hervorgehoben, dass der Verbleib dieser Bargeldbestände ungeklärt sei. Schon diese Feststellung schließt es aus, zu Lasten der Angeklagten davon auszugehen, dass die Geldbeträge wertmäßig noch im Vermögen der Angeklagten vorhanden sind.
[6] Hinzu kommt, worauf der Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften mit Recht hingewiesen hat, dass die Gelder mehr als drei Jahre vor der Verkündung des angefochtenen Urteils von den Konten abgehoben wurden. Einer dauerhaften Erwerbstätigkeit konnten beide Angeklagte in diesem Zeitraum infolge des Vollzugs von Untersuchungshaft nicht nachgehen. Der Angeklagte Ay. bezog nach seiner letzten Entlassung staatliche Leistungen nach ALG II; der Angeklagte A. ist Frau und Sohn unterhaltspflichtig. Über Geldanlagen oder den Erwerb von Vermögensgegenständen ist im Urteil nichts festgestellt.
[7] b) In den der Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO beim Angeklagten Ay. zu Grunde gelegten Geldbetrag von 110.390,04 € ist auch die auf dem Konto dieses Angeklagten sichergestellte Summe von 7.691,39 € eingeflossen.
[8] Zwar ist dieser Betrag unverändert dem Vermögen des Angeklagten zuzuordnen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2014 – 2 StR 20/14). Der Senat hat jedoch die Feststellung auch insoweit aufgehoben, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatrichter gegebenenfalls eine insgesamt einheitliche und widerspruchsfreie Ermessensausübung zu ermöglichen.
[9] 2. Im Übrigen erweisen sich die Revisionen als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen weiteren Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat.
[10] 3. Eine Erstreckung der Aufhebung der Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO auf die – nicht revidierende – Verfallsbeteiligte gemäß § 357 Satz 1 StPO ist nicht geboten. Zwar ist diese Vorschrift grundsätzlich auch auf Verfallsentscheidungen anzuwenden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2004 – 3 StR 501/03, und vom 22. Dezember 2004 – 2 StR 498/04). Dies gilt aber nicht, soweit der Rechtsfehler lediglich in der Nichtanwendung der Härtevorschrift des § 73c StGB besteht. Die Frage, ob wegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB oder – bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB – auf Grund tatrichterlichen Ermessens von einer Verfallsentscheidung abzusehen ist, beruht grundsätzlich auf individuellen Erwägungen, deren Beantwortung – wie hier – ganz wesentlich von den persönlichen Verhältnissen des jeweils Betroffenen abhängt (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2008 – 5 StR 365/07, NStZ 2008, 565, 567). Der dem Urteil des Senats vom 28. Oktober 2010 (4 StR 215/10, BGHSt 56, 39, 51) zu Grunde liegende Sonderfall, dass der Tatrichter von der Unanwendbarkeit des § 73c StGB im Rahmen der nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffenden Feststellung ausgegangen ist, liegt hier, wie ausgeführt, nicht vor.