Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 2. 2. 2016 – II ZB 8/15; OLG Koblenz (lexetius.com/2016,348)

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Februar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, den Richter Prof. Dr. Strohn, die Richterinnen Caliebe und Dr. Reichart sowie den Richter Sunder beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 16. April 2015 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Wert des Beschwerdeverfahrens: 34.000 €
[1] Gründe: I. Das Landgericht hat durch Urteil vom 30. September 2014 festgestellt, dass eine von der Klägerin im Jahre 2006 vorgenommene Übertragung des Geschäftsanteils an einer GmbH in Höhe von 34.000 € unwirksam ist. Die Entscheidung ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 10. Oktober 2014 zugestellt worden. Mit am 10. November 2014 bei dem Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz haben die Beklagten Berufung eingelegt. Auf ihren Antrag hin hat das Oberlandesgericht am 10. Dezember 2014 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. Januar 2015 verlängert.
[2] Mit Schriftsatz vom 13. Januar 2015, der am selben Tag vorab per Fax eingegangen ist, haben die Beklagten eine Berufungsbegründung vom 12. Januar 2015 vorgelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung beantragt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, die am 12. Januar 2015 fertiggestellte und an das Oberlandesgericht Koblenz korrekt adressierte Berufungsbegründung sei von einer Mitarbeiterin in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten vorab per Telefax versehentlich an das Oberlandesgericht Köln versandt worden, was ihrem Prozessbevollmächtigten erst am 13. Januar 2015 aufgefallen sei. Ihr Prozessbevollmächtigter habe der sonst zuverlässigen Mitarbeiterin die Anweisung gegeben, die Telefaxnummer des Berufungsgerichts, des Oberlandesgerichts Koblenz, dessen Schreiben vom 13. November 2014 zu entnehmen und die Berufungsbegründung vorab per Telefax an das Oberlandesgericht Koblenz zu senden. Sodann sei die Mitarbeiterin angewiesen worden, den Fax-Sendebericht auszudrucken und auf das Ergebnis "OK" sowie die Vollständigkeit der insgesamt 27 übermittelten Seiten zu prüfen.
[3] Zur Glaubhaftmachung dieser Angaben haben sich die Beklagten auf die Ablichtung eines Fax-Sendeberichts vom 12. Januar 2015 und eine eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten sowie auf die Kopie eines Fax-Auftragsprotokolls des Oberlandesgerichts Köln und auf das Schreiben einer Mitarbeiterin des Oberlandesgerichts Köln vom 13. Februar 2015 berufen. Aus dem Fax-Sendebericht und dem hiermit korrespondierenden Exemplar der Berufungsbegründung vom 12. Januar 2015 ergibt sich, dass in deren Adressfeld unterhalb der Anschrift des Oberlandesgerichts Koblenz der durch Unterstreichung hervorgehobene Zusatz enthalten ist Vorab per Telefax: 0221—7711—600. Bei dieser Telefaxnummer handelt es sich um die Telefaxnummer des Oberlandesgerichts Köln; die Telefaxnummer des Berufungsgerichts, des Oberlandesgerichts Koblenz, lautet: 0261—102—2900.
[4] Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
[5] II. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss auch nicht den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch der Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. November 2014 – VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rn. 6 mwN).
[6] Dies ist hier nicht der Fall.
[7] 1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren, da die Fristversäumnis der Beklagten auf einem Kontroll- und Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe, das diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssten. Es sei dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten bereits als schuldhafte Verletzung seiner Kontrollpflicht anzulasten, dass er die offenkundig falsche Telefaxnummer auf der ihm zur Unterschrift vorgelegten Berufungsbegründung nicht als unrichtig erkannt habe. Darüber hinaus gereiche dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine mangelhafte Ausgangskontrolle für Telefaxschreiben zum Verschulden. Ein Rechtsanwalt genüge seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweise, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden sei. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass überhaupt eine Ausgangskontrolle im Hinblick darauf zu erfolgen gehabt habe, ob der Schriftsatz durch Wahl der zutreffenden Telefaxnummer an das richtige Gericht übermittelt worden sei.
[8] 2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach § 233 Satz 1 ZPO voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.
[9] a) Das Berufungsgericht ist entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass es dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten bereits als eigenes Kontrollverschulden anzulasten ist, dass er bei der ihm obliegenden Endkontrolle der Berufungsbegründung die auf dem Schriftsatz vermerkte fehlerhafte Telefaxnummer nicht erkannt hat.
[10] aa) Es entspricht zwar der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass sich ein Rechtsanwalt bei der Übermittlung eines fristgebundenen Antrags als Telefax hinsichtlich der Richtigkeit der Telefaxnummer des Gerichts auf sein zuverlässiges Personal verlassen kann, weil sich die anwaltliche Prüfungspflicht nur auf die Richtigkeit der Bezeichnung des Gerichts im Sinne des § 519 Abs. 1 ZPO bezieht, nicht dagegen auf die richtige postalische Anschrift oder die richtige Wahl der Telefaxnummer, bei der es sich um eine einfache büromäßige Aufgabe ohne jeden rechtlichen Bezug handelt, deren Erledigung der Rechtsanwalt seinem geschulten, zuverlässigen Personal überlassen darf (st. Rspr., siehe nur BGH, Beschluss vom 23. März 1995 – VII ZB 19/94, NJW 1995, 2105, 2106; Beschluss vom 3. Dezember 1996 – IX ZB 20/96, NJW 1997, 948). Ist jedoch für den Rechtsanwalt bei gehöriger Aufmerksamkeit und Sorgfalt erkennbar, dass seinem Büropersonal im Rahmen des ihm übertragenen Aufgabenkreises Fehler unterlaufen sind und es Anweisungen nicht beachtet hat, muss er selbst tätig werden und für die ordnungsgemäße Erfüllung der betreffenden Aufgabe Sorge tragen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2007 – NotZ 99/07, NJW 2008, 924 Rn. 12 mwN). So liegt der Fall hier.
[11] bb) Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hätte ohne Weiteres und rechtzeitig erkennen können, dass seine Mitarbeiterin nicht die richtige Telefax- Nummer des Berufungsgerichts herausgesucht bzw. sich nicht an seine Anweisungen bezüglich des Heraussuchens der Nummer gehalten hat. Unterhalb der Adresszeile der Berufungsbegründungsschrift vom 12. Januar 2015, die der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bei der ihm obliegenden Endkontrolle des Schriftsatzes auf die richtige Bezeichnung des Berufungsgerichts überprüfen musste (siehe nur BGH, Beschluss vom 23. März 1995 – VII ZB 19/94, NJW 1995, 2105, 2106; Beschluss vom 5. März 2009 – V ZB 153/08, NJW 2009, 1750 Rn. 8; BVerfG, NJW 2002, 3692, 3693 mwN), ist aufgrund der drucktechnischen Hervorhebung eindeutig und auf den ersten Blick erkennbar eine Telefaxnummer angegeben, die nicht diejenige des Oberlandesgerichts Koblenz sein konnte und die mithin ersichtlich falsch war. Dass eine Telefaxnummer, die mit der Vorwahl 0221 beginnt, für ein Telefax, das nach Koblenz gesendet werden soll, nicht zutreffen kann, konnte und musste dem in Bonn ansässigen Prozessbevollmächtigten bei der ihm obliegenden Endkontrolle des Schriftsatzes auch ohne Kenntnis der richtigen Telefaxnummer des Oberlandesgerichts Koblenz ohne Weiteres auffallen. Liegt ein dermaßen offensichtlicher Fehler an solch prominenter Stelle wie unmittelbar unter der Gerichtsbezeichnung, die der Rechtsanwalt ohnehin kontrollieren muss, vor, kann er sich nicht mehr darauf verlassen, dass seine Mitarbeiterin den Schriftsatz gleichwohl ordnungsgemäß an die richtige Telefaxnummer versendet (vgl. OLG Oldenburg, NJW 2007, 1698; OLG Köln, Beschluss vom 12. Juni 2012 – 19 U 189/11, juris Rn. 17; Musielak/Grandel, ZPO, 12. Aufl., § 233 Rn. 50; siehe hierzu auch BGH, Beschluss vom 26. Mai 1994 – III ZB 35/93, NJW 1994, 2300; Münch KommZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 233 Rn. 69).
[12] b) Ebenso rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagten nicht glaubhaft gemacht haben, dass ihr Prozessbevollmächtigter seiner Pflicht zur Organisation einer wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze genügt hat.
[13] aa) Ein Rechtsanwalt genügt seiner Pflicht zur Organisation einer wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Dabei darf sich die Kontrolle des Sendeberichts nicht darauf beschränken, die auf diesem ausgedruckte Telefaxnummer mit der zuvor aufgeschriebenen, z. B. bereits in den Schriftsatz eingefügten Nummer zu vergleichen. Vielmehr muss der Abgleich anhand einer zuverlässigen Quelle, etwa anhand eines geeigneten Verzeichnisses vorgenommen werden, um auch Fehler bei der Ermittlung aufdecken zu können (vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. November 2012 – IV ZB 20/12, NJW-RR 2013, 305 Rn. 9; Beschluss vom 27. März 2012 – VI ZB 49/11, NJW-RR 2012, 744 Rn. 7; Beschluss vom 12. Mai 2010 – IV ZB 18/08, NJW 2010, 2811 Rn. 11; Beschluss vom 4. November 2010 – I ZB 3/09, VersR 2011, 1543 Rn. 14 jew. mwN). Erst nach der Kontrolle des Sendeberichts darf die Frist im Kalender gelöscht werden (BGH, Beschluss vom 7. August 2013 – XII ZB 533/10, NJW 2013, 3183 Rn. 7; Beschluss vom 12. Juni 2012 – VI ZB 54/11, NJW-RR 2012, 1267 Rn. 7; Beschluss vom 22. September 2010 – XII ZB 117/10, NJW-RR 2011, 138 Rn. 11 jew. mwN).
[14] Dem Erfordernis, durch organisatorische Anweisungen nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bei der Ermittlung der Telefaxnummer zu erfassen, kann allerdings auch dann genügt werden, wenn die Anweisung besteht, die im Sendebericht ausgedruckte Telefaxnummer mit einer schriftlich niedergelegten zu vergleichen, die ihrerseits zuvor aus einer zuverlässigen Quelle ermittelt worden ist. Dies setzt jedoch voraus, dass darüber hinaus die generelle (oder Einzel-) Anordnung besteht, die so ermittelte Nummer vor der Versendung zu überprüfen. Der Sendebericht muss dann nicht mehr zusätzlich mit der zuverlässigen Ausgangsquelle verglichen werden (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010 – IV ZB 18/08, NJW 2010, 2811 Rn. 14). Infolge des vorangegangenen Abgleichs der auf den Schriftsatz übertragenen Telefaxnummer mit der zuverlässigen Ausgangsquelle ist die Nummer auf dem Schriftsatz nach diesem Abgleich bei wertender Betrachtung selbst als ausreichende zuverlässige Quelle anzusehen. Auch auf diese Weise ist sichergestellt, dass durch die angeordneten Kontrollmaßnahmen sowohl Ermittlungs- als auch Eingabefehler rechtzeitig aufgedeckt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – V ZB 154/12, WM 2014, 427 Rn. 8; Beschluss vom 9. Juni 2015 – VIII ZB 100/14, juris Rn. 10).
[15] bb) Zu der Einrichtung einer solchen wirksamen Ausgangskontrolle bei ihrem Prozessbevollmächtigten haben die Beklagten nichts vorgetragen.
[16] Die Beklagten haben lediglich behauptet und glaubhaft gemacht, dass die Mitarbeiterin ihres Prozessbevollmächtigten angewiesen worden sei, den Fax-Sendebericht auszudrucken und auf das Ergebnis "OK" sowie auf die Vollständigkeit der insgesamt 27 übermittelten Seiten zu prüfen. Zu generellen Anweisungen oder einer Einzelanweisung des Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der Kontrolle, ob der Schriftsatz an das richtige Gericht übersandt worden ist, findet sich in ihrem Vortrag nichts.
[17] Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde reichte es nicht aus, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Mitarbeiterin direkt angewiesen hat, die Telefaxnummer des Berufungsgerichts aus dem eigenen Schreiben des Berufungsgerichts vom 13. November 2014 zu entnehmen, weil nach Ansicht der Rechtsbeschwerde dieser Auftrag – ersichtlich – zugleich auch die Anweisung enthalten haben soll, bei der Ausgangskontrolle auf den richtigen Adressaten zu achten. Nichts anderes ergibt sich aus der insoweit von der Rechtsbeschwerde zur Stützung ihrer Ansicht zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 – XII ZB 572/10, NJW 2011, 2367). Eine konkrete Einzelanweisung des Rechtsanwalts an sein Büropersonal, einen fristwahrenden Schriftsatz per Telefax an das Berufungsgericht zu übersenden, macht die weitere Ausgangskontrolle auch dann nicht entbehrlich, wenn die Anweisung erteilt wurde, die Telefaxnummer aus einem Schriftsatz des Berufungsgerichts zu übernehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 – XII ZB 572/10, NJW 2011, 2367 Rn. 13; Beschluss vom 28. Februar 2013 – I ZB 75/12, NJW-RR 2013, 1008 Rn. 8 f.).