Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 13. 10. 2016 – 3 StR 351/16 (lexetius.com/2016,3712)

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 13. Oktober 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 27. Mai 2016 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
[1] Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
[2] Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen beging der mehrfach vorbestrafte Angeklagte in der Zeit vom 25. März 2015 bis zum 13. Februar 2016 mehrere Straftaten. Mehrfach beschimpfte, beleidigte und bedrohte er Nachbarn. In einem Fall reagierte er auf die Ansprache von Polizeibeamten verbal und körperlich aggressiv. Außerdem bewarf er den Inhaber eines Schuhgeschäfts mit einem Herrenslipper, ohne ihn zu treffen. Kurze Zeit später schleuderte er einen Aluminiumstuhl mit erheblicher Wucht in Richtung des Kopfes eines Passanten. Dieser konnte den Stuhl mit seinem Arm abwehren und verletzte sich dabei. In zwei weiteren Fällen verhielt sich der Angeklagte ebenfalls verbal und körperlich übergriffig.
[3] Die Strafkammer hat dem gehörten psychiatrischen Sachverständigen folgend weiter festgestellt, der Angeklagte leide an einer als krankhafte seelische Störung einzuordnenden paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Diese sei akut dekompensiert gewesen. Deshalb sei im gesamten Tatzeitraum die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sicher erheblich vermindert gewesen; daneben könne die Aufhebung der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden.
[4] 1. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[5] a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn u. a. zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Das Tatgericht muss die die Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 2014 – 3 StR 113/14, juris Rn. 5; vom 24. Oktober 2013 – 3 StR 349/13, juris Rn. 5). Das Tatgericht ist insbesondere gehalten, konkrete Feststellungen zu den handlungsleitenden Auswirkungen der Störung zu den jeweiligen Tatzeitpunkten zu treffen (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135; vom 2. August 2016 – 2 StR 574/15, juris Rn. 6).
[6] b) Hieran gemessen bestehen mit Blick auf die bisherigen, insgesamt zur Schuldfähigkeit des Angeklagten und zur Unterbringung nach § 63 StGB eher knappen Ausführungen des Landgerichts durchgreifende Bedenken. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war. Sie beschreiben lediglich in allgemeiner Form das vom Sachverständigen diagnostizierte und von der Strafkammer angenommene Störungsbild, setzen sich aber mit dem konkreten Zustand des Angeklagten zu den Tatzeitpunkten und den Auswirkungen der Erkrankung in den konkreten Tatsituationen nicht auseinander. Dies ist jedoch gerade in den Fällen der Schizophrenie unabdingbar; denn diese führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98). Allein die pauschale, nicht näher begründete Aussage zu dem Zustand des Angeklagten während des gesamten Tatzeitraumes von immerhin fast einem Jahr genügt deshalb insoweit nicht. Nicht näher dargelegt wird auch, wieso die Erkrankung des Angeklagten sich einerseits derart auf seine Steuerungsfähigkeit auswirkte, dass diese erheblich vermindert war, andererseits zugleich nicht ausschließbar zu einem Ausschluss der Einsichtsfähigkeit geführt haben soll.
[7] Regelmäßig darf nicht offen bleiben, ob die psychische Störung die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten vermindert oder aufgehoben hat; für die Feststellung der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB muss deshalb grundsätzlich zwischen Einschränkungen der Einsichts- und solchen der Steuerungsfähigkeit unterschieden werden. Insbesondere die – nach den Feststellungen hier nicht ausgeschlossene – Anwendung des § 21 StGB kann nicht zugleich auf beide Alternativen gestützt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 181/15, NStZ-RR 2015, 273; vgl. zum Ganzen auch Fischer, StGB, 63. Aufl., § 20 Rn. 3, 44a; § 63 Rn. 11a jew. mwN). Ohne nähere Erläuterung ist es deshalb nicht möglich nachzuvollziehen, ob hier einer derjenigen Fälle vorliegt, bei denen die Krankheit des Angeklagten sich ausnahmsweise sowohl auf die Einsichts- als auch auf die Steuerungsfähigkeit auswirken kann.
[8] 2. Die aufgezeigten Rechtsfehler bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung durch das Landgericht betreffen auch den freisprechenden Teil des Urteils. Die Aufhebung des Freispruchs wird nicht dadurch gehindert, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2014 – 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1). Von der Aufhebung ausgenommen sind allerdings die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den äußeren Geschehensabläufen (s. § 353 Abs. 2 StPO).