Bundesverwaltungsgericht
Öffentlich-rechtliche Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art; Zulässigkeit des Rechtswegs; Bund-Länder-Streitigkeit; Finanzverfassung des Grundgesetzes; verschuldensunabhängige Verwaltungshaftung; fehlerhafter Vollzug von unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht; innerstaatliche Zuständigkeit der Länder; Ausschluss von Fördermitteln aus der Gemeinschaftsfinanzierung (sog. Anlastung).
GG Art. 104 a Abs. 1 und 5; VwGO § 40 Abs. 1 Satz 1, § 50 Abs. 3
Eine Bund-Länder-Streitigkeit darüber, ob eine entsprechende Anwendung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG eine verschuldensunabhängige Haftung der Länder für eine durch Mängel des ihnen obliegenden Vollzugs von unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht ausgelöste finanzielle Belastung begründet, die gemeinschaftsrechtlich dem Bund auferlegt ist, ist eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

BVerwG, Beschluss vom 8. 5. 2002 – 3 A 1.01 (lexetius.com/2002,2026)

[1] In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Driehaus sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Borgs – Maciejewski, Kimmel und Dr. Brunn beschlossen:
[2] Die Sache wird dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
[3] Gründe: I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Bundesrepublik berechtigt ist, von dem klagenden Land Mecklenburg-Vorpommern die Erstattung des Betrages von umgerechnet ungefähr 15, 5 Mio. Euro zu verlangen, der ihr im Rahmen der Rechnungsabschlussentscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: Kommission) vom 28. Juli 1999 durch die Anlastung von Marktordnungsausgaben des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) auferlegt worden ist. Der Kläger, der einer entsprechenden Zahlungsaufforderung der Beklagten Ende 1999 nur unter dem ausdrücklichen Vorbehalt einer gerichtlichen Bestätigung des Bestehens seiner Erstattungspflicht nachgekommen ist, begehrt mit seiner Klage die Rückzahlung zunächst eines Teilbetrages in Höhe von etwa einer halben Million Euro.
[4] Mit Schreiben vom 3. Januar 1995 hat die Beklagte den Kläger im Rahmen einer vorläufigen Bewilligung für das Haushaltsjahr 1995 ermächtigt, zur Durchführung der – inzwischen aufgehobenen – Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 des Rates vom 30. Juni 1992 zur Einführung einer Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen (ABl. Nr. L 181, S. 12) – VO (EWG) Nr. 1765/92 – Zahlungen zulasten der Bundeskasse vorzunehmen. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 16. Oktober 1995 mitgeteilt hatte, er werde für das Haushaltsjahr 1995 für diesen Zweck voraussichtlich Mittel in Höhe von DM 675 021 400 benötigen, wies die Beklagte ihm mit Schreiben vom 29. November 1995 Mittel bis zur Höhe von DM 675 100 000 zu. In dem Schreiben ist der ausdrückliche Hinweis enthalten, dass die Mittel ausschließlich dazu bestimmt seien, die Ausgaben für die im Einzelnen bezeichneten Maßnahmen zu finanzieren, wobei namentlich die für die Durchführung der Maßnahmen erlassenen Rechtsakte des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften anzuwenden seien.
[5] Nach § 2 der Verordnung über eine Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen (Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung) vom 3. Dezember 1992 (BGBl I S. 1991) – KAV 1992 – sind für die Durchführung der Rechtsakte des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Einführung einer Stützungsregelung für die Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen sowie eines integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen die nach Landesrecht hierzu bestimmten Stellen (Landesstellen) zuständig. Im Bereich des Klägers waren dies zur fraglichen Zeit die Ämter für Landwirtschaft. Sie hatten die schriftlichen Anträge auf Ausgleichszahlungen nach der VO (EWG) Nr. 1765/92 entgegenzunehmen, zu prüfen und die Bewilligungsbescheide zu erteilen. Anschließend teilten sie die festgesetzten Ausgleichszahlungen der im Bereich des Klägers zuständigen Zahlstelle mit. Aufgabe der Zahlstelle war es, die Unterlagen zusammenzustellen, stichprobenweise ergänzende Prüfungen vorzunehmen und die Zahlung der Ausgleichsleistungen an den jeweiligen Zahlungsempfänger anzuordnen. Nach Angaben der Beklagten zahlte die Bundeskasse aufgrund der jeweiligen Auszahlungsanordnung ohne weitere eigene Prüfung die bewilligten Mittel an die Zahlungsempfänger aus. Die in Rede stehenden Mittel wurden nicht im Wege einer echten gemeinschaftlichen Vorfinanzierung zur Verfügung gestellt; vielmehr war eine Vorschussfinanzierung eingerichtet worden, die den Mitgliedstaaten faktisch eine Zwischenfinanzierung auferlegte. Von den Mitgliedstaaten wurden die Mittel entsprechend den Bedürfnissen der Zahlstellen bereitgestellt; die Kommission war verpflichtet, die von den Mitgliedstaaten getätigten Ausgaben innerhalb einer bestimmten Frist zu erstatten.
[6] Mit Schreiben vom 13. Februar 1996 übersandte die Kommission der Beklagten Prüfungsbemerkungen über die im Bereich des Klägers in der Zeit vom 23. bis 27. Oktober 1995 durchgeführte Kontrolle. Dabei vertrat die Kommission die Auffassung, die in den Bemerkungen aufgezeigten Kontroll- und Verwaltungsmängel gäben Anlass zur Besorgnis. Mit Schreiben vom 12. Juni 1998 teilte die Kommission der Beklagten förmlich mit, im Hinblick auf das Ergebnis der im Bereich des Klägers durchgeführten Prüfung sei beabsichtigt, von den im Sektor Kulturpflanzen für das Haushaltsjahr 1995 aufgeführten "Gesamtausgaben Ernte 1994" in Höhe von DM 607 833 306, 53 einen Betrag von 2 v. H. – gleich DM 12 157 646, 13 – von der Gemeinschaftsfinanzierung auszuschließen. In ihrem Nachtrag vom 27. Mai 1999 gelangte die Kommission zu der abschließenden Auffassung, dass (sogar) eine Anlastung von 5 v. H. gerechtfertigt sei, weil die gesamte Maßnahme "Vor-Ort-Kontrolle" mangelhaft sei und alle Mängel zusammengenommen zu einem beträchtlichen Verlustrisiko für den EAGFL geführt hätten. Dementsprechend schloss die Kommission mit Entscheidung vom 28. Juli 1999 gegenüber der Beklagten einen Betrag von DM 30 394 115, 33 aus. Gegen die ihr am 4. August 1999 zugestellte Entscheidung erhob die Beklagte am 7. Oktober 1999 insoweit Klage, als ihr hinsichtlich des Klägers für das Haushaltsjahr 1995 für den Sektor Kulturpflanzen statt einer finanziellen Berichtigung von 2 v. H. eine Berichtigung von 5 v. H. angelastet worden ist. Das Verfahren ist beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft noch anhängig.
[7] Mitte Oktober 1999 zahlte die Beklagte den ihr durch die Rechnungsabschlussentscheidung der Kommission vom 28. Juli 1999 für den Kläger angelasteten Betrag. Mit Schreiben vom 17. November 1999 forderte sie den Kläger auf, ihr die an die Kommission geleisteten DM 30 394 115, 33 bis zum 10. Dezember 1999 zu erstatten. Die zuvor auf politischer Ebene bereits mehrfach diskutierte Frage, wer die finanziellen Folgen derartiger Anlastungen innerstaatlich zu tragen habe, hatte bis zu diesem Zeitpunkt zwischen der Beklagten und den Bundesländern nicht einvernehmlich geklärt werden können. Vor diesem Hintergrund zahlte der Kläger am 15. Dezember 1999 die geforderte Summe, teilte der Beklagten jedoch mit Schreiben vom selben Tage mit, die Zahlung stehe unter dem Vorbehalt einer zukünftigen generellen Lösung der Anlastungsproblematik auf Bund-Länder-Ebene bzw., sofern bis Ende Juni 2000 keine Einigung erzielt werde, unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Bestätigung seiner Zahlungsverpflichtung.
[8] Nach einem weiteren Schriftwechsel hat der Kläger am 13. März 2001 Klage auf Rückzahlung eines Teils des von ihm geleisteten Betrages erhoben und zur Begründung ausgeführt, seine seinerzeitige Zahlung sei ohne Rechtsgrund erfolgt. Weder das europäische noch das nationale Recht sähen einen Anspruch der Beklagten auf Erstattung des ihr durch die Rechnungsabschlussentscheidung vom 28. Juli 1999 angelasteten Betrages vor. Die für den Ausschluss von der Gemeinschaftsfinanzierung maßgebliche Bestimmung des europäischen Rechts äußere sich nicht zu der Frage, wer innerhalb des innerstaatlichen Gefüges der Mitgliedstaaten dafür aufzukommen habe, dass Ausgaben nicht in Übereinstimmung mit den Gemeinschaftsvorschriften getätigt worden seien. Aus Art. 104 a Abs. 5, 1 oder 3 GG lasse sich ebenfalls kein Ausgleichsanspruch der Beklagten herleiten.
[9] Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 511 291, 88 nebst 4 v. H. Zinsen seit Zustellung der Klageschrift am 2. April 2001 zu zahlen.
[10] Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
[11] Sie ist der Ansicht, ihr stehe nach nationalem Recht ein Erstattungsanspruch zu. Mit seiner Zahlung habe der Kläger einen ihrerseits bestehenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, jedenfalls einen für sie gegebenen Aufwendungsersatzanspruch erfüllt. Ob ihr zusätzlich ein Regressanspruch nach Art. 104 a Abs. 5 GG wegen pflichtwidrigen Verhaltens des Klägers zustehe, könne hiernach ebenso offen bleiben wie die Frage, ob sich ein Rechtsgrund für die Einbehaltung der Zahlung unmittelbar aus Art. 104 a Abs. 1 GG ergebe. Von beidem sei allerdings auszugehen.
[12] II. Die Sache ist gemäß § 50 Abs. 3 VwGO dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Der beschließende Senat hält die bei ihm gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO anhängige Streitigkeit für verfassungsrechtlich.
[13] 1. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die erhobene Klage instanziell zuständig. Zwar ist das Bundesverwaltungsgericht nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO im ersten und letzten Rechtszug nur zuständig, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und einem Land handelt. Gleichwohl gelten diese Voraussetzungen trotz der verfassungsrechtlichen Natur des Rechtsstreits für die nach § 50 Abs. 3 VwGO zu treffende Entscheidung zugunsten des klagenden Landes als erfüllt.
[14] Die Beteiligten des Rechtsstreits sind der Bund und ein Land. Der Streit betrifft offenkundig eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Da der vom klagenden Land geltend gemachte Erstattungsanspruch als gleichsam umgekehrter Leistungsanspruch die Rechtsqualität des entsprechenden Leistungsanspruchs teilt (u. a. Urteil vom 23. August 1991 – BVerwG 8 C 61.90BVerwGE 89, 7), ist insoweit abzustellen auf den (vermeintlichen) Rechtsgrund für das Ausgleichsverlangen des beklagten Bundes. Sämtliche von ihm angeführten oder sonst in Betracht kommenden gesetzlichen Regelungen und Rechtsinstitute sind dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Fraglich ist in diesem Zusammenhang nur, ob die Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art ist. Diese Frage betrifft sowohl die Zulässigkeit des Rechtsweges als auch die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. In einem derartigen Fall ist die instanzielle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zugunsten des klagenden Beteiligten zu unterstellen. Denn ausschließlich das instanziell zuständige Gericht soll über die Frage des Rechtsweges entscheiden dürfen. Anderenfalls gäbe es kein zuständiges Gericht, welches die mit der Klage aufgeworfene Frage entscheiden könnte (vgl. Beschluss vom 6. Juni 1997 – BVerwG 4 A 21.96NVwZ 1998, 500). Wäre die Streitigkeit keine solche verfassungsrechtlicher Art, wäre das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug zuständig.
[15] Abgesehen von der Frage des Rechtsweges bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage.
[16] 2. Das Bundesverwaltungsgericht ist an einer Sachentscheidung gehindert. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist nicht gegeben. Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegen nicht vor. Die Klage, die auf eine teilweise Rückzahlung des vom klagenden Land dem Bund auf sein Ausgleichsverlangen hin unter Vorbehalt geleisteten Geldbetrages gerichtet ist, ist verfassungsrechtlicher Art.
[17] a) Ob eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art ist, richtet sich danach, ob das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsrecht geprägt wird (vgl. etwa Beschluss vom 13. August 1999 – BVerwG 2 VR 1.99BVerwGE 109, 258 m. w. N.). Das trifft in der Regel zu, wenn gestritten wird um föderale Ansprüche, Verbindlichkeiten oder Zuständigkeiten, welche auf Normen des Grundgesetzes gestützt werden, die gerade das verfassungsrechtlich geordnete Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern betreffen (vgl. u. a. Urteil vom 22. Mai 1990 – BVerfG 2 BvG 1/88BVerfGE 81, 310 m. w. N.). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Wurzel des vorliegenden Streits liegt in der grundgesetzlichen Verteilung der Finanzierungslast zwischen Bund und Ländern. Im Kern wird um einen Anspruch aus der Finanzverfassung des Grundgesetzes (Art. 104 a ff. GG) gestritten. Der Ausgang des Rechtsstreits ist letztlich allein davon abhängig, ob der Bund gegen ein Land einen Anspruch auf Erstattung einer von ihm infolge einer Anlastungsentscheidung der Kommission geleisteten Zahlung unabhängig davon hat, ob dieses Land für einen von der Kommission festgestellten Mangel bei der Bewirtschaftung von Mitteln nach Maßgabe der VO (EWG) Nr. 1765/92 ein Verschulden trifft. Als Anspruchsgrundlage kommt einzig eine entsprechende Anwendung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG in Betracht. Gestritten wird mithin im Kern um die Frage, ob über eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung eine verschuldensunabhängige (Verwaltungs-) Haftung der Länder für eine finanzielle Belastung begründet werden kann, die gemeinschaftsrechtlich dem Bund auferlegt ist. Ein derartiger Streit über die Finanzierungsverantwortung einer gemeinschaftsrechtlich begründeten Last ist eine verfassungsrechtliche Bund-Länder-Streitigkeit (vgl. ebenso u. a. Isensee, Der Bundesstaat – Bestand und Entwicklung, in: Badura/Dreier, Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, S. 719 ff., Hellermann in: von Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, 4. Aufl., Art. 104 a Rn. 219, und Stelkens DVBl 2000, 609).
[18] b) Auszugehen ist davon, dass die Mittel, die für die Erfüllung des mit der VO (EWG) Nr. 1765/92 verfolgten Zwecks erforderlich sind, voll von der Gemeinschaft finanziert werden (vgl. Art. 13 VO Nr. 1765/92 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 der VO Nr. 729/70) und folglich die Frage nach einer innerstaatlichen Finanzierungslast für über die eigentliche Durchführung dieser Zwecke hinausgehende Ausgaben sich ausschließlich stellt, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Kommission im Rechnungsabschlussverfahren einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht festgestellt und einen bestimmten Prozentsatz der von mitgliedstaatlichen Stellen den Zahlungsempfängern zur Verfügung gestellten Mittel nicht als erstattungsfähige Ausgaben anerkennt (sog. Anlastung). Für eine solche Anlastungsentscheidung ist maßgebend allein der Verstoß gegen (primäres) EG-Vertragsrecht oder (sekundäres) Verordnungsrecht der Gemeinschaft; auf den Vorwurf eines wie auch immer gearteten Verschuldens kommt es für die Nichtanerkennung von Ausgaben nicht an (vgl. EuGH, u. a. Urteil vom 7. Februar 1979 – Rs 11/76 Slg. 1979, 245). Adressat der Anlastungsentscheidung ist – soweit es Deutschland betrifft – einzig der Mitgliedstaat Bundesrepublik Deutschland. Der EG-Vertrag nimmt keine Rücksicht auf die jeweilige innerstaatliche Organisation; nach außen ist der Bund für eine nicht gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entsprechende und in diesem Sinne fehlerhafte Durchführung von Gemeinschaftsrecht verantwortlich, und zwar selbst dann, wenn der betreffende Fehler im Rahmen der Durchführung von Verwaltungsmaßnahmen begangen worden ist, die innerstaatlich von einem Land wahrzunehmen und wahrgenommen worden sind (vgl. zu diesen Anlastungen im Einzelnen Littwin DVBl 1997, 151). Der Bund muss – was er hier getan hat – selbst in diesem Fall kraft Gemeinschaftsrechts den Betrag, der von der Kommission im Rechnungsabschlussverfahren durch die Bestimmung eines Prozentsatzes der von den mitgliedstaatlichen Stellen den Zahlungsempfängern ausgezahlten Mittel festgesetzt worden ist, als finanzielle Sanktion an die Gemeinschaft erbringen (vgl. zum Rechnungsabschluss als Sanktionsinstrument Mögele, Die Behandlung fehlerhafter Ausgaben im Finanzierungssystem der gemeinsamen Agrarpolitik, 1997, S. 205 ff.). Bei dem durch eine im Sinne des Gemeinschaftsrechts nicht ordnungsgemäße Verwaltung ausgelösten Anlastungsbetrag handelt es sich (nicht – wie es für die unmittelbar zur Bewältigung der Unterstützungsmaßnahmen nach der VO Nr. 1765/92 den Zahlungsempfängern zur Verfügung gestellten Gemeinschaftsmittel zutrifft – um eine Zweckausgabe, sondern) um eine Verwaltungsausgabe (vgl. dazu Urteil vom 18. Mai 1994 – BVerwG 11 A 1.92BVerwGE 96, 45).
[19] Auszugehen ist ferner davon, dass die Durchführung der Unterstützungsmaßnahmen nach der VO (EWG) Nr. 1765/92, in deren Rahmen die Kommission den in Rede stehenden Anlastungsbetrag festgesetzt hat, innerstaatlich Aufgabe der Länder ist. Das ergibt sich aus Art. 30 GG, der für die Bestimmung der innerstaatlichen Zuständigkeit auch für die Ausführung des Gemeinschaftsrechts gilt (Urteil vom 17. Oktober 1996 – BVerwG 3 A 1.95BVerwGE 102, 119; ebenso u. a. Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, S. 105). Nach dieser Vorschrift ist die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung staatlicher Aufgaben Sache der Länder, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt (vgl. dazu, dass Organe des Bundes oder der Länder auch dann staatliche Aufgaben wahrnehmen, wenn sie Aufgaben aufgrund der EG-Rechtsordnung durchführen, u. a. Magiera, Bundesstaat und EG-Finanzordnung, in: Delbrück/Ipsen/Rauschning, Festschrift für Eberhard Menzel, S. 621). Mangels einer solchen anderen Regelung obliegt die Durchführung der Maßnahmen nach der VO (EWG) Nr. 1765/92 den Ländern. Das wird bestätigt durch § 2 KAV 1992, wonach für die Durchführung der Rechtsakte des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Einführung einer Stützungsregelung für die Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen sowie eines integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems für bestimmte gemeinschaftliche Leistungen die nach Landesrecht zuständigen Stellen (Landesstellen) zuständig sind.
[20] c) Vor dem damit bezeichneten Hintergrund hängt der Ausgang des Rechtsstreits davon ab, ob das klagende Land dem beklagten Bund den von diesem an die Gemeinschaft geleisteten Anlastungsbetrag mit Rechtsgrund geleistet hat oder genauer: davon, ob der Bund einen Anspruch auf Ersatz dieses von ihm an die Gemeinschaft geleisteten Betrages hat. Als Rechtsgrundlage für einen solchen Anspruch kommt – wie gesagt – allenfalls die Haftungsregelung in Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG in Betracht. Zwar sind Streitigkeiten über eine Ersatzpflicht nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG, obwohl sie in der Verfassung geregelt ist, im Allgemeinen solche des Verwaltungsrechts, also nicht des Verfassungsrechts im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. u. a. Urteil vom 18. April 1986 – BVerwG 8 A 1.83BayVBl 1987, 23). Doch ist hier nicht nur über die Voraussetzungen und Grenzen einer derartigen, sich sozusagen unmittelbar aus Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG ergebenden Ersatzpflicht im Einzelfall zu befinden, sondern darüber, ob die in dieser Bestimmung enthaltene Haftungsregelung überhaupt etwas hergibt für die Abwälzung einer gemeinschaftsrechtlich dem Bund auferlegten Last auf das Land, das die Anlastung ausgelöst hat.
[21] Entgegen der Annahme des beklagten Bundes steht ihm mit Blick auf den an die Gemeinschaft geleisteten Anlastungsbetrag kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zur Seite. Das gilt – abgesehen von sonstigen Erwägungen (vgl. etwa Urteil vom 30. November 1995 – BVerwG 7 C 56.93BVerwGE 100, 56) – schon deshalb, weil der Bund diesen Betrag nicht ohne, sondern mit Rechtsgrund, nämlich der entsprechenden Anlastungsentscheidung der Kommission, geleistet hat und es überdies insoweit an einer Bereicherung des Landes mangelt. Auch kann ein Ausgleichsanspruch des Bundes nicht auf eine Geschäftsführung ohne Auftrag gestützt werden, weil der Bund nach außen hin zur Zahlung des Anlastungsbetrages verpflichtet war, er also durch die Begleichung dieser Schuld kein fremdes, sondern ein eigenes Geschäft besorgt hat. Die Verpflichtung der Länder zur Bundestreue auferlegt ihnen gegenüber dem Bund beim Vollzug von Gemeinschaftsrecht lediglich die Pflicht, die Grundsätze des ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns zu beachten (vgl. Littwin, a. a. O., S. 156), bietet aber keine Handhabe, eine Haftung der Länder gegenüber dem Bund zu begründen (Urteil vom 25. Mai 1961 – BVerwG 1 A 10.59BVerwGE 12, 253). Art. 104 a Abs. 1 GG stützt einen Ersatzanspruch ebenfalls nicht, weil er in diesem Zusammenhang durch Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG verdrängt wird. Diese Bestimmung regelt die Verwaltungshaftung zwischen Bund und Ländern gerade in den Fällen, in denen ein Fehlverhalten (hier: nicht ordnungsgemäße Verwaltung durch das Land) und die finanziellen Folgen im Bund-Länder-Verhältnis auseinander fallen und geht hinsichtlich der durch eine fehlerhafte Verwaltung verursachten (Haftungs-) Ausgaben als speziellere Regelung dem Art. 104 a Abs. 1 GG vor (vgl. etwa Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., Art. 104 a Rn. 12, und Böhm JZ 2000, 382, siehe dazu auch Urteil vom 3. März 1994 – BVerwG 4 C 1.93BVerwGE 95, 188).
[22] Allerdings ist die Haftungsregelung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG ausgerichtet auf eine "ordnungsgemäße Verwaltung" nationaler Rechtsvorschriften im Verhältnis zwischen Bund und Ländern (vgl. Urteil vom 16. Januar 1997 – BVerwG 4 A 12.94BVerwGE 104, 29). Daran fehlt es hier. Die Verpflichtung der Länder, die ihnen im Rahmen ihrer Zuständigkeit zur Verfügung gestellten Gemeinschaftsmittel in Übereinstimmung mit dem unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrecht zu bewirtschaften, besteht nicht gegenüber dem Bund, sondern, da die bei der Bewirtschaftung von EG-Mitteln anzuwendenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft auch für die Länder unmittelbar verbindlich sind, im Verhältnis zur Gemeinschaft. Der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG ebenso wie der Anwendbarkeit anderer Bestimmungen der Finanzverfassung des Grundgesetzes auf die Durchführung von Gemeinschaftsrecht steht – mit anderen Worten – entgegen, dass die Art. 104 a ff. GG auf das Verhältnis von Bund und Ländern ohne Berücksichtigung der supranationalen Ebene zugeschnitten sind (a. A. offenbar Brockmeyer in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 9. Auflage, Art. 104 a Rn. 28 a). Mit Blick namentlich auf die Verwaltungshaftung besteht insoweit eine Regelungslücke, die allenfalls durch eine entsprechende Anwendung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG geschlossen werden kann (vgl. im Ergebnis eine analoge Anwendung bejahend u. a. Isensee, a. a. O., S. 761, dagegen verneinend u. a. Dederer NVwZ 2001, 258). Hinzu kommt, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. statt vieler Urteil vom 16. Januar 1997 – BVerwG 4 A 12.94BVerwGE 104, 29 m. w. N.) die Haftungsregelung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG vor Erlass eines Ausführungsgesetzes eine unmittelbar anwendbare Anspruchsgrundlage ausschließlich in ihrem Kernbereich ist, der lediglich vorsätzliche, allenfalls auch noch grob fahrlässige Pflichtverletzungen erfasst; nichts anderes könnte auf der Grundlage dieser Rechtsprechung für eine entsprechende Anwendung dieser Haftungsregelung gelten. Gleichwohl mag es einleuchtende Gründe geben, die im Rahmen des Vollzugs unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts selbst für eine verschuldensunabhängige Verwaltungshaftung der Länder zugunsten des Bundes sprechen. Ohne das Risiko eines Regresses nämlich besäßen die Länder gleichsam einen Freibrief zum "großzügigen" Umgang mit ihren europarechtlichen Pflichten; sie wären der Verantwortung für eigene Verstöße gegen gemeinschaftsrechtliche Regeln enthoben, wenn die finanziellen Folgen ausschließlich und endgültig beim Bund anfielen. Wie eine den Interessen des Bundes und der Länder entsprechende Verteilung der betreffenden, im vorliegenden Fall durch den in Rede stehenden Anlastungsbetrag zum Ausdruck kommenden Last zu erfolgen hat und ob Regeln für diese Verteilung dem geltenden Verfassungsrecht zu entnehmen sind, ist – wie gesagt – eine aus der Finanzverfassung des Grundgesetzes zu ermittelnde, gegebenenfalls erst noch vom Verfassungsgesetzgeber zu treffende Entscheidung; eine im Kern auf diese Frage ausgerichtete Streitigkeit ist mithin eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.