Bundesgerichtshof
BGH, Beschluss vom 9. 1. 1985 – IVb ZB 142/84 (lexetius.com/1985,37)
[1] Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 4. Zivilsenats – Familiensenat – des Oberlandesgerichts Köln vom 23. Oktober 1984 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
[2] Beschwerdewert: 1.512 DM.
[3] Gründe: I. Das Amtsgericht – Familiengericht – hat einen Prozeßvergleich über nachehelichen Unterhalt zum Nachteil der Beklagten abgeändert. Das Urteil ist ihr am 27. März (hier und im folgenden: 1984) zugestellt worden. Am 2. April hat sie Prozeßkostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung beantragt. Mit Verfügung vom 5. Juni ist ihr aufgegeben worden, zu dem von der Gegenseite behaupteten Anfall einer Erbschaft Stellung zu nehmen. Sodann hat das Berufungsgericht durch Beschluß vom 26. Juni Prozeßkostenhilfe verweigert und dies damit begründet, daß die Auflage nicht erfüllt worden sei; davon abgesehen habe die beabsichtigte Berufung – aus anderen, in dem Beschluß dargelegten Gründen – keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Beschluß ist der Beklagten am 6. Juli zugestellt worden. Am 16. Juli hat sie, nachdem sie die Auflage mit einem am 6. Juli bei Gericht eingegangenen Schriftsatz erfüllt hatte, die an dem Beschluß beteiligten Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Ablehnungsgesuch ist ohne Erfolg geblieben.
[4] In einem am 30. Juli bei Gericht eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte die Ansicht geäußert, über ihr Prozeßkostenhilfegesuch sei von Amts wegen erneut zu entscheiden; vorsorglich hat sie es wiederholt. In der mündlichen Verhandlung vom 3. August hat das Oberlandesgericht der Beklagten Prozeßkostenhilfe nur zur Rechtsverteidigung gegen eine Berufung des Klägers und für eine unselbständige Anschließung an das Rechtsmittel der Gegenseite gewährt. Den Antrag auf Prozeßkostenhilfe für eine selbständige Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen, weil dieses Rechtsmittel wegen der Versäumung der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 ZPO keine Aussicht auf Erfolg biete. Daraufhin hat der Kläger seine Berufung – mit der Rechtsfolge gemäß § 522 Abs. 1 ZPO – zurückgenommen.
[5] Die Beklagte hat am 16. August Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist und hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist beantragt sowie um Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren nachgesucht. Dazu hat sie im wesentlichen vorgetragen, ihre Mittellosigkeit als das der Fristwahrung entgegenstehende Hindernis sei nicht schon mit der Verweigerung von Prozeßkostenhilfe durch den Beschluß vom 26. Juni, sondern erst im Termin vom 3. August dadurch entfallen, daß ihr Prozeßbevollmächtigter sich nunmehr, nach der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die Rechtsverteidigung gegen die gegnerische Berufung und für eine unselbständige Anschließung, bereitgefunden habe, ohne Kostenvorschuß Berufung einzulegen. Der Fortbestand des Hindernisses sei auch weiter unverschuldet gewesen, und zwar insbesondere deshalb, weil die Ablehnung von Prozeßkostenhilfe in dem Beschluß vom 26. Juni auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht habe. In Anbetracht des Ablehnungsgesuchs und des jetzt vorliegenden Sachvortrags sei mit einer neuen Entscheidung über den Prozeßkostenhilfeantrag zu rechnen gewesen.
[6] Das Oberlandesgericht hat nach der Verweigerung von Prozeßkostenhilfe für die am 16. August eingelegte Berufung mit Beschluß vom 23. Oktober das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.
[7] II. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
[8] 1. Die Berufungsfrist des § 516 ZPO endete mit dem 27. April. Durch die erst am 16. August eingelegte Berufung wurde sie nicht gewahrt.
[9] 2. Das Berufungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren. Die Wiedereinsetzung (§ 233 ZPO) muß innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden; die Frist beginnt mit dem Tage, an dem das der Fristwahrung entgegenstehende Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 1 und 2 ZPO). Die Beklagte hat diese Frist nicht eingehalten.
[10] a) Eine Partei, die um Prozeßkostenhilfe für ein beabsichtigtes Rechtsmittel nachsucht, ist bei noch laufendem Prozeßkostenhilfeverfahren schuldlos verhindert, die Rechtsmittelfrist einzuhalten, wenn sie Anlaß hat, auf die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe zu vertrauen. Dieses Hindernis entfällt mit der Entscheidung über das Gesuch. Für den Fall, daß die beantragte Prozeßkostenhilfe nach dem Ablauf der Rechtsmittelfrist verweigert wird, bleibt der Partei nach der Bekanntgabe der Entscheidung noch eine Zeit von höchstens 3—4 Tagen für die Überlegung, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten durchführen will (BGH VersR 1977, 432; 1979, 444; Zöller/Stephan ZPO 14. Auflage § 234 Rdn. 8). Dann beginnt die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 ZPO für das Wiedereinsetzungsgesuch und die damit zu verbindende Einlegung des Rechtsmittels.
[11] b) Das gilt auch dann, wenn das Gericht nicht die Mittellosigkeit der Partei, sondern die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung verneint hat (BGH MDR 1953, 163; BGH NJW 1957, 263; BGH VersR 1977, 432). Soweit die sofortige Beschwerde dem entgegentritt, kann ihr nicht gefolgt werden. Allerdings bessern sich die finanziellen Möglichkeiten der Partei nicht dadurch, daß das Berufungsgericht ihr die beantragte Prozeßkostenhilfe versagt. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß sie nunmehr noch nach dem Ablauf der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 ZPO, begrenzt allein durch die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen könne. Diese Auffassung, die es in die Hand der mittellosen Partei legen würde, den Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung der Vorinstanz über ein Jahr hin in der Schwebe zu halten, verkennt den inneren Grund der Wiedereinsetzung bei Mittellosigkeit. Die arme Partei soll nicht schlechter stehen als eine zahlungsfähige. Deshalb wird ihr die Möglichkeit eines Prozeßkostenhilfe- (Armenrechts-) Gesuchs und bei verspäteter Beiordnung eines Rechtsanwalts die Wiedereinsetzung gewährt (vgl. BGH NJW 1957 aaO). Nicht die bloße Mittellosigkeit entschuldigt also die Versäumung der Rechtsmittelfrist, sondern Fristnachsicht wird nur dann und so lange gewährt, wie ein – in seinem Ausgang auch von den Aussichten der Rechtsverfolgung abhängendes – Verfahren auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe läuft und die Partei annehmen darf, es werde Erfolg haben. In der bereits genannten Entscheidung BGH MDR 1953, 163 ist das durch die Worte ausgedrückt, nachdem das Berufungsgericht dem Kläger das Armenrecht versagt habe, sei er an der alsbaldigen Einreichung der Berufung nicht mehr durch seine Armut als solche verhindert gewesen, sondern durch den Umstand, daß das Gericht aus seiner Armut nicht die begehrte Folgerung gezogen habe, ihm das Armenrecht zu gewähren. Das der Fristwahrung entgegenstehende Hindernis besteht demnach nicht schlechthin in der Mittellosigkeit der Partei, sondern in der noch fehlenden Entscheidung über das Gesuch (Wieczorek ZPO 2. Auflage § 233 Anm. C I c 3 und § 234 Anm. B I). Dieses Hindernis entfällt mit der Bekanntgabe der insoweit ergehenden Entscheidung des Gerichts (Wieczorek § 234 Anm. B I a) und dem Ablauf der für den Fall der Ablehnung dann sich noch anschließenden kurzen Überlegungsfrist (s. oben unter a). Die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO begann somit hier wenige Tage nach der am 6. Juli erfolgten Zustellung des Beschlusses vom 26. Juni.
[12] c) Daran ändert es nichts, daß die Beklagte am 16. Juli die an dem Beschluß vom 26. Juni beteiligten Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat. Selbst wenn sie innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist Gegenvorstellungen gegen die Versagung der Prozeßkostenhilfe erhoben oder ein neues Prozeßkostenhilfegesuch gestellt hätte – was hier jedoch erst am 30. Juli geschehen ist –, so wäre dadurch das der Wahrung der Berufungsfrist entgegenstehende Hindernis, das infolge der Ablehnung der beantragten Prozeßkostenhilfe weggefallen war, nicht wieder aufgerichtet worden (vgl. BGH NJW 1952, 743 – LS –; BGH MDR 1953 aaO; BGH VersR 1980, 86).
[13] d) Der Lauf der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist, der höchstens vier Tage nach dem 6. Juli begann, wurde durch die Gerichtsferien ab 15. Juli nicht gehemmt, weil es sich bei dem vorliegenden Rechtsstreit gemäß § 200 Abs. 2 Nr. 5 a GVG um eine Feriensache handelt (vgl. BGHZ 26, 99, 101). Bei Eingang des Wiedereinsetzungsgesuchs am 16. August war die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO mithin abgelaufen.
[14] e) Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist kann nicht gewährt werden. Die Beklagte hat keine besonderen Gründe vorgetragen, die die Versäumung dieser Frist entschuldigen könnten. Soweit sie geltend machen will, ihr Prozeßbevollmächtigter habe aus den bereits erörterten Gründen darauf vertrauen dürfen, daß die Wiedereinsetzungsfrist nicht zu laufen begonnen habe, könnte sie das nicht von dem Vorwurf entlasten, die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO schuldhaft versäumt zu haben. Denn ein Rechtsanwalt, dessen Verschulden sich die Partei wie eigenes anrechnen lassen muß (§ 85 Abs. 2 ZPO), muß bei auch nur zweifelhafter Rechtslage so handeln, daß die Interessen seiner Partei auf jeden Fall gewahrt werden (BGHZ 8, 47, 55; BGH VersR 1974, 751, 752).