Anfechtung eines Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung über Schwerbehinderteneigenschaft

BAG, Mitteilung vom 5. 10. 1995 – 48/95 (lexetius.com/1995,471)

[1] Die Klägerin ist seit dem 20. Juni 1991 mit Wirkung ab 1. Januar 1991 als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Sie ist auf einem Auge blind. Im Dezember 1991 bewarb sie sich bei der Beklagten, die ein Rechenzentrum betreibt, um eine Stelle als Reinigungskraft. In einem ihr vorgelegten Personalbogen ließ sie die Frage nach ihrer Schwerbehinderteneigenschaft unbeantwortet. Auf eine ausdrückliche Rückfrage erklärte sie, sie sei nicht schwerbehindert. Der Personalbogen wurde entsprechend ergänzt und die Klägerin zum 15. Januar 1992 als Reinigungskraft eingestellt. Als die Klägerin der Beklagten ihre Schwerbehinderteneigenschaft offenbarte und den Ausweis vorlegte, focht die Beklagte mit Schreiben vom 30. November 1992 das Arbeitsverhältnis wegen arglistiger Täuschung an. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage und verlangt Weiterbeschäftigung. Die Klägerin meint, die Frage nach ihrer Schwerbehinderteneigenschaft bei dem Einstellungsgespräch sei unzulässig gewesen und habe deshalb von ihr falsch beantwortet werden dürfen. Die Erkrankung, die zu ihrer Anerkennung als Schwerbehinderte geführt habe, habe keinerlei Auswirkungen auf ihre Arbeitsleistung gehabt. Lasse man die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderteneigenschaft uneingeschränkt zu, so erhalte der Arbeitgeber die Möglichkeit, Schwerbehinderte sofort aus dem Kreis der Bewerber auszunehmen. Dies sei mit dem Schwerbehindertenschutz nicht vereinbar. Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos. Der Senat hat angenommen, auch in Fällen, in denen die Erkrankung des Arbeitnehmers nicht zu einer Minderung seiner Arbeitsleistung führe, dürfe der Arbeitgeber vor der Einstellung nach einer Schwerbehinderteneigenschaft fragen. Es sei zu unterscheiden zwischen der Frage nach vorliegenden Erkrankungen, die nur dann zulässig sei, wenn diese Erkrankungen für die Arbeitsleistung von Bedeutung seien, und der Frage nach dem Schwerbehindertenstatus. Habe der Arbeitnehmer, was seiner eigenen Entscheidung unterliege, seine Anerkennung als Schwerbehinderter erreicht, so habe dies rechtliche Auswirkungen für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses. Ein Fragerecht des Arbeitgebers sei gerechtfertigt, schon damit dieser seine Verpflichtungen aus dem Schwerbehindertengesetz erfüllen könne. Das von der Klägerin geforderte "Recht zur Lüge" führe zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Bevorzugung der Schwerbehinderten, deren Behinderung nicht erkennbar sei und sich auf ihre Arbeitsleistung nicht auswirke.
BAG, Urteil vom 5. 10. 1995 – 2 AZR 923/94; LAG Baden-Württemberg