Europäischer Gerichtshof
1. Der für die Tätigkeit in einer gesetzlich geschaffenen Arbeitnehmervertretung wirtschaftlich dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin zufließende Ausgleich ist Arbeitsentgelt im Sinne des Artikels 119 EWG-Vertrag und der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen.
2. Das in Artikel 119 des Vertrages und in der Richtlinie 75/117 enthaltene Verbot der mittelbaren Diskriminierung beim Arbeitsentgelt steht, sofern der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten erheblich mehr Frauen als Männer angehören, einer nationalen Regelung entgegen, die, ohne zur Erreichung eines legitimen sozialpolitischen Ziels geeignet und erforderlich zu sein, dazu führt, daß der Ausgleich, den teilzeitbeschäftigte Personalratsmitglieder von ihrem Arbeitgeber bei Teilnahme an Schulungsveranstaltungen zu erhalten haben, die für die Personalratstätigkeit erforderliche Kenntnisse vermitteln und während der betrieblichen Vollarbeitszeit veranstaltet werden, deren Dauer aber über die individülle Arbeitszeit dieser Teilzeitbeschäftigten hinausgeht, auf deren individülle Arbeitszeit beschränkt ist, während vollzeitbeschäftigte Personalratsmitglieder bei Teilnahme an denselben Schulungsveranstaltungen einen Ausgleich nach Maßgabe ihrer Arbeitszeit erhalten.
EuGH, Urteil vom 7. 3. 1996 – C-278/93 (lexetius.com/1996,300)
[1] 1. Das Arbeitsgericht Bremen hat mit Beschluß vom 5. Mai 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Mai 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 119 EWG-Vertrag und der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19; nachstehend: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
[2] 2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Freers und Frau Speckmann (nachstehend: Klägerinnen) und der Deutschen Bundespost (nachstehend: Beklagte) über den Ausgleich für die Stunden, die die Klägerinnen im Rahmen eines Fortbildungsseminars, das für die Ausübung ihrer Tätigkeit im Personalrat erforderlich war, über ihre individülle Arbeitszeit hinaus aufwendeten.
[3] 3. Die Klägerinnen sind bei der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 18 Stunden teilzeitbeschäftigt. Als Mitglieder des Personalrats nahmen sie vom 9. bis zum 14. Februar 1992 an einem Fortbildungsseminar teil, das ungefähr 38, 5 Stunden dauerte und dessen Dauer damit der tariflichen Wochenarbeitszeit einer vollzeitbeschäftigten Kraft entsprach.
[4] 4. Die Beklagte zahlte den Klägerinnen für die Dauer des Seminars ihr normales, anhand der Teilzeittätigkeit errechnetes Einkommen weiter. Unter Berufung auf das deutsche Recht zahlte sie ihnen jedoch keine darüber hinausgehende Vergütung und gewährte ihnen auch keine bezahlte Freistellung von der Arbeit für die Seminarstunden, die über ihre normale Arbeitszeit hinausgingen.
[5] 5. Für die Personalräte der Bundesverwaltungen, zu denen die Beklagte gehört, gilt das Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) vom 15. März 1974 (BGBl. I S. 693) in der Fassung vom 16. Januar 1991 (BGBl. I S. 47).
[6] 6. § 46 Absätze 1, 2, 5 und 6 BPersVG bestimmt: (1) Die Mitglieder des Personalrates führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. (2) Versäumnis von Arbeitszeit, die zur ordnungsgemässen Durchführung der Aufgaben des Personalrates erforderlich ist, hat keine Minderung der Dienstbezuege oder des Arbeitsentgeltes zur Folge. Werden Personalratsmitglieder durch die Erfüllung ihrer Aufgaben über die regelmässige Arbeitszeit hinaus beansprucht, so ist ihnen Dienstbefreiung in entsprechendem Umfang zu gewähren. … (5) Die von ihrer dienstlichen Tätigkeit ganz freigestellten Personalratsmitglieder erhalten eine monatliche Aufwandsentschädigung. Nur teilweise, aber mindestens für die Hälfte der regelmässigen Arbeitszeit freigestellte Personalratsmitglieder erhalten die Hälfte der Aufwandsentschädigung nach Satz 1. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die Höhe der Aufwandsentschädigung. (6) Die Mitglieder des Personalrates sind unter Fortzahlung der Bezuege für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen vom Dienst freizustellen, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Tätigkeit im Personalrat erforderlich sind.
[7] 7. Dieser Bestimmung entspricht, was Betriebsräte betrifft, § 37 des Betriebsverfassungsgesetzes (nachstehend: BetrVG) vom 15. Januar 1972 (BGBl. S. 13) in der Fassung vom 23. Dezember 1988 (BGBl. 1989 S. 1, berichtigt S. 902), geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2386).
[8] 8. § 37 Absätze 1, 2, 3 und 6 bestimmt: (1) Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. (2) Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemässen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. (3) Zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen ausserhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Die Arbeitsbefreiung ist vor Ablauf eines Monats zu gewähren; ist dies aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich, so ist die aufgewendete Zeit wie Mehrarbeit zu vergüten. … (6) Absatz 2 gilt entsprechend für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Der Betriebsrat hat bei der Festlegung der zeitlichen Lage der Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen die betrieblichen Notwendigkeiten zu berücksichtigen. Er hat dem Arbeitgeber die Teilnahme und die zeitliche Lage der Schulungs- und Bildungsveranstaltungen rechtzeitig bekanntzugeben. Hält der Arbeitgeber die betrieblichen Notwendigkeiten für nicht ausreichend berücksichtigt, so kann er die Einigungsstelle anrufen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.
[9] 9. Aus dem Vorlagebeschluß geht hervor, daß die §§ 46 BPersVG und 37 BetrVG vom Bundesarbeitsgericht und vom Bundesverwaltungsgericht dahin ausgelegt worden sind, daß die Mitglieder von Personal- oder Betriebsräten bei Teilnahme an Schulungsveranstaltungen ausserhalb ihrer gewöhnlichen Arbeitszeit keinen Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich haben.
[10] 10. Im Urteil vom 4. Juni 1992 in der Rechtssache C-360/90 (Bötel, Slg. 1992, I-3589) hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß Artikel 119 EWG-Vertrag und die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für eine erheblich grössere Zahl von Frauen als von Männern gilt und die die Vergütung, die teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder von ihrem Arbeitgeber in Form von bezahlter Arbeitsfreistellung oder von Bezahlung von Überstunden bei Teilnahme an Schulungsveranstaltungen – die für die Betriebsratstätigkeit erforderliche Kenntnisse vermitteln und die während der betrieblichen Vollarbeitszeit veranstaltet werden, deren Dauer aber über die individülle Arbeitszeit dieser Teilzeitbeschäftigten hinausgeht – zu erhalten haben, auf ihre individülle Arbeitszeit beschränkt, während vollzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder bei Teilnahme an denselben Schulungsveranstaltungen eine Vergütung bis in Höhe der Vergütung für Vollarbeitszeit erhalten.
[11] 11. Der Gerichtshof stellte jedoch fest, daß es dem Mitgliedstaat unbenommen bleibt, nachzuweisen, daß diese Regelung durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
[12] 12. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts sind im Urteil Bötel die Besonderheiten der Stellung der Personalratsmitglieder nach deutschem Recht nicht berücksichtigt. Dieses Urteil stelle nämlich den Grundsatz der Ehrenamtlichkeit in Frage, der die Unabhängigkeit der Mitglieder dieser Arbeitnehmervertretungen sichern solle.
[13] 13. Unter diesen Umständen hat das Arbeitsgericht Bremen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
[14] 1. Ist der für die Tätigkeit in einer gesetzlich geschaffenen Arbeitnehmervertretung wirtschaftlich dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin zufließende Ausgleich Arbeitsentgelt im Sinne der europäischen Vorschriften über die Lohngleichheit von Mann und Frau (Artikel 119 EWG-Vertrag, Richtlinie des Rates 75/117/EWG vom 10. Februar 1975)?
[15] 2. Falls die Frage zu 1 bejaht wird: Ist es ein sachlicher Grund zur Ungleichbehandlung, der nichts mit der Diskriminierung von Frauen zu tun hat, daß nach nationalem Recht die Tätigkeit in einer Arbeitnehmervertretung nicht entlohnt wird, sondern grundsätzlich das Lohnausfallprinzip gilt?
[16] 3. Falls die Frage zu 2 verneint wird: Ist es ein solcher sachlicher Grund zur Ungleichbehandlung, daß zwar Teilzeitkräfte nur entsprechend der Teilzeitarbeit Lohnfortzahlung für die Teilnahme an einem ganztägigen Seminar erhalten, auf der anderen Seite aber solchen Arbeitnehmern, die normalerweise Überstunden leisten, diese fortgezahlt werden, auch wenn die Seminardauer zeitlich dem Normalarbeitstag angepasst ist?
Zur ersten Frage
[17] 14. Die deutsche Regierung ist der Auffassung, daß die Vergütung nach der fraglichen Regelung kein Arbeitsentgelt im Sinne des Artikels 119 EWG-Vertrag sein könne. Die Mitglieder des Personalrats führten ihr Amt als Ehrenamt, und die gezahlte Vergütung solle nur die Einkommensminderung ausgleichen, die sie erlitten, wenn ihre Tätigkeit als Personalvertreter oder die zu ihrer ordnungsgemässen Ausübung erforderlichen Schulungs- und Bildungsveranstaltungen während der Arbeitszeit stattfänden.
[18] 15. Ausserdem reiche die Tatsache, daß die Tätigkeit als Arbeitnehmervertreter im allgemeinen Interesse des Arbeitgebers liege, nicht aus, um der Vergütung für diese Tätigkeit den Charakter eines Arbeitsentgelts zu verleihen. Im übrigen liege der Schwerpunkt der Aufgabenstellung der Arbeitnehmervertretungen bei der Vertretung der Arbeitnehmer.
[19] 16. Zunächst ist daran zu erinnern, daß die rechtlichen Begriffe und Qualifizierungen des nationalen Rechts die Auslegung oder die Verbindlichkeit des Gemeinschaftsrechts und damit auch die Tragweite des in Artikel 119 des Vertrages und in der Richtlinie niedergelegten und durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes fortentwickelten Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen unberührt lassen (siehe zuletzt Urteil vom 6. Februar 1996 in der Rechtssache C-457/93, Lewark, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 20).
[20] 17. Sodann ist darauf hinzuweisen, daß der Begriff des Entgelts im Sinne von Artikel 119 des Vertrages nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes alle gegenwärtigen oder künftigen in bar oder in Sachleistungen gewährten Vergütungen umfasst, vorausgesetzt, daß der Arbeitgeber sie dem Arbeitnehmer wenigstens mittelbar aufgrund des Dienstverhältnisses gewährt, sei es aufgrund eines Arbeitsvertrags, aufgrund von Rechtsvorschriften oder freiwillig (Urteil Lewark, a. a. O., Randnr. 21, und Urteil vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C-262/88, Barber, Slg. 1990, I-1889, Randnr. 12).
[21] 18. Wie der Gerichtshof im Urteil Bötel (a. a. O., Randnr. 14) festgestellt hat, wird eine Vergütung wie die im Ausgangsverfahren streitige, auch wenn sie sich als solche nicht aus dem Arbeitsvertrag ergibt, vom Arbeitgeber doch aufgrund von Rechtsvorschriften und aufgrund des Vorliegens von Arbeitsverhältnissen gezahlt. Die Personalratsmitglieder müssen nämlich notwendigerweise Arbeitnehmer des Betriebes sein, um dessen Arbeitnehmervertretung angehören zu können.
[22] 19. Der Ausgleich für die Einkommenseinbusse, die bei der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen entsteht, bei denen für die Arbeit im Personalrat erforderliche Kenntnisse vermittelt werden, ist daher als Entgelt im Sinne von Artikel 119 und der Richtlinie anzusehen, da er eine vom Arbeitgeber mittelbar aufgrund des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses gewährte Vergütung darstellt.
[23] 20. Aus alledem ergibt sich, daß der für die Tätigkeit in einer gesetzlich geschaffenen Arbeitnehmervertretung wirtschaftlich dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin zufließende Ausgleich Arbeitsentgelt im Sinne des Artikels 119 EWG-Vertrag und der Richtlinie ist.
Zur zweiten und zur dritten Frage
[24] 21. Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 119 EWG-Vertrag und die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die den Ausgleich, den teilzeitbeschäftigte Personalratsmitglieder von ihrem Arbeitgeber bei Teilnahme an Schulungsveranstaltungen zu erhalten haben, die für die Personalratstätigkeit erforderliche Kenntnisse vermitteln und während der betrieblichen Vollarbeitszeit veranstaltet werden, deren Dauer aber über die individülle Arbeitszeit dieser Teilzeitbeschäftigten hinausgeht, auf deren individülle Arbeitszeit beschränkt, während vollzeitbeschäftigte Personalratsmitglieder bei Teilnahme an denselben Schulungsveranstaltungen einen Ausgleich nach Maßgabe ihrer Arbeitszeit erhalten.
[25] 22. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten von bestimmten Vergütungen grundsätzlich gegen Artikel 119 des Vertrages verstösst, wenn ein erheblich höherer Prozentsatz von Frauen als von Männern teilzeitbeschäftigt ist. Anders verhielte es sich nur, wenn die festgestellte Ungleichbehandlung durch objektive Faktoren gerechtfertigt wäre, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
[26] 23. Der Gerichtshof hat in den Urteilen Bötel und Lewark (a. a. O.) in bezug auf ähnliche wie die im Ausgangsverfahren streitigen nationalen Vorschriften zum einen für Recht erkannt, daß sie grundsätzlich zu einer gegen Artikel 119 des Vertrages und die Richtlinie verstossenden Diskriminierung der weiblichen Arbeitnehmer führen; zum anderen hat er festgestellt, daß es dem Mitgliedstaat unbenommen bleibt, nachzuweisen, daß die fragliche Regelung durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
[27] 24. Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zwar Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob solche objektive Faktoren in dem ihm unterbreiteten konkreten Fall vorliegen. Da der Gerichtshof jedoch die Fragen des vorlegenden Gerichts sachdienlich zu beantworten hat, kann er auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise geben, die dem vorlegenden Gericht die Entscheidung ermöglichen (Urteil vom 30. März 1993 in der Rechtssache C-328/91, Thomas u. a., Slg. 1993, I-1247, Randnr. 13).
[28] 25. Die deutsche Regierung führt aus, falls eine Ungleichbehandlung vorliegen sollte, sei sie durch das Prinzip der Unentgeltlichkeit des Personalratsamts gerechtfertigt, das die Unabhängigkeit der Personalratsmitglieder gewährleisten solle. Die Ausgestaltung der Personalratstätigkeit als unentgeltliches Amt und das Verbot jeder auf dieser Tätigkeit gründenden Begünstigung oder Benachteiligung sollten diese Unabhängigkeit sichern. Sie gewährleisteten, daß für die Entscheidung, für den Personalrat zu kandidieren, Erwägungen des Allgemeininteresses und nicht der Wunsch, finanzielle Vorteile zu erlangen, ausschlaggebend seien.
[29] 26. Wie ferner aus dem Urteil Lewark (a. a. O.) hervorgeht, ist das Bundesarbeitsgerichts in bezug auf ähnliche Vorschriften über die Betriebsräte der Auffassung, daß der Wille des deutschen Gesetzgebers, die Unabhängigkeit der Mitglieder der Betriebsräte höher zu bewerten als wirtschaftliche Anreize für die Ausübung des Betriebsratsamts, wie er in den fraglichen Bestimmungen zum Ausdruck kommt, ein sozialpolitisches Ziel darstellt.
[30] 27. Ein solches sozialpolitisches Ziel hat für sich genommen nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun. Es lässt sich nämlich nicht bestreiten, daß die Tätigkeit der Personalräte die Entwicklung harmonischer Arbeitsbeziehungen innerhalb der Betriebe fördert, indem durch sie insbesondere die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen gewährleistet wird. Das Bestreben, die Unabhängigkeit der Personalratsmitglieder sicherzustellen, dient daher ebenfalls einem legitimen sozialpolitischen Ziel.
[31] 28. Es ist daran zu erinnern, daß in dem blossen Umstand, daß eine Rechtsvorschrift eine wesentlich grössere Zahl weiblicher als männlicher Arbeitnehmer trifft, kein Verstoß gegen Artikel 119 und die Richtlinie gesehen werden kann, wenn der betreffende Mitgliedstaat dartun kann, daß die gewählten Mittel einem legitimen Ziel seiner Sozialpolitik dienen und zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels geeignet und erforderlich sind (Urteile vom 24. Februar 1994 in der Rechtssache C-343/92, Roks u. a., Slg. 1994, I-571, und vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-444/93, Megner und Scheffel, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).
[32] 29. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, anhand aller relevanten Gesichtspunkte und unter Berücksichtigung der Möglichkeit, das fragliche sozialpolitische Ziel mit anderen Mitteln zu erreichen, zu prüfen, ob die streitige Ungleichbehandlung zur Erreichung dieses Zieles geeignet und erforderlich ist.
[33] 30. Wie der Gerichtshof bereits im Urteil Bötel (a. a. O., Randnr. 25) ausgeführt hat, hat das vorlegende Gericht dabei jedoch zu berücksichtigen, daß eine Regelung der streitigen Art geeignet ist, die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten, bei der der Frauenanteil unstreitig überwiegt, davon abzuhalten, ein Personalratsamt auszuüben oder die für die Ausübung dieses Amtes erforderlichen Kenntnisse zu erwerben, und damit die Vertretung dieser Arbeitnehmergruppe durch qualifizierte Personalratsmitglieder erschwert.
[34] 31. Nach alledem steht das in Artikel 119 und in der Richtlinie enthaltene Verbot der mittelbaren Diskriminierung beim Arbeitsentgelt, sofern der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten erheblich mehr Frauen als Männer angehören, einer nationalen Regelung entgegen, die, ohne zur Erreichung eines legitimen sozialpolitischen Ziels geeignet und erforderlich zu sein, dazu führt, daß der Ausgleich, den teilzeitbeschäftigte Personalratsmitglieder von ihrem Arbeitgeber bei Teilnahme an Schulungsveranstaltungen zu erhalten haben, die für die Personalratstätigkeit erforderliche Kenntnisse vermitteln und während der betrieblichen Vollarbeitszeit veranstaltet werden, deren Dauer aber über die individülle Arbeitszeit dieser Teilzeitbeschäftigten hinausgeht, auf deren individülle Arbeitszeit beschränkt ist, während vollzeitbeschäftigte Personalratsmitglieder bei Teilnahme an denselben Schulungsveranstaltungen einen Ausgleich nach Maßgabe ihrer Arbeitszeit erhalten.
Kosten
[35] 32. Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.