Änderungskündigung im Zusammenhang mit der Umsetzung einer tarifvertraglich nicht vorgesehenen Lage der Arbeitszeit
BAG, Mitteilung vom 18. 12. 1997 – 69/97 (lexetius.com/1997,452)
[1] Die Parteien sind Mitglieder der Tarifvertragsparteien des Manteltarifvertrages der Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie. Dieser Tarifvertrag sieht vor, daß die Arbeitszeit auf die Wochentage Montag bis Freitag zu legen ist. Davon kann durch Betriebsvereinbarung abgewichen werden.
[2] Ab September 1995 führte die Beklagte in der Spritzgußabteilung, in der auch der Kläger tätig war, Samstagsarbeit ein. Der Betriebsrat toleriert dies aufgrund einer sog. Regelungsabsprache; eine förmliche Betriebsvereinbarung gibt es nicht. Der Kläger war mit dieser Änderung der Arbeitszeit nicht einverstanden. Deshalb wurde er am 30. Oktober 1995 in eine andere Betriebsstätte der Beklagten in Falkensee versetzt, wo samstags nicht gearbeitet wird. Der Kläger nahm die Arbeit nicht auf, weshalb er von der Beklagten abgemahnt wurde. Ab dem 13. November 1995 stellte die Beklagte die Zahlung der Vergütung ein. Unter dem 27. November 1995 sprach sie eine vorsorgliche Änderungskündigung mit dem Angebot der Weiterbeschäftigung in Falkensee unter Beibehaltung der bisherigen Arbeitszeit aus. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter Vorbehalt an.
[3] Der Kläger wendet sich gegen diese Kündigung und seine Versetzung, verlangt die Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte und die Auszahlung rückständigen Lohnes. Er beruft sich darauf, daß die von der Beklagten eingeführte Arbeitszeitregelung gegen den Tarifvertrag verstoße. Die Beklagte ist der Auffassung, die Arbeitszeitregelung sei günstiger als der Tarifvertrag, weil sie den Arbeitnehmern Arbeitszeitsouveränität einräume. Außerdem dürfe sie als Arbeitgeberin darauf hinwirken, mit nichttarifgebundenen Arbeitnehmern auch samstags zu arbeiten. Deshalb sei die Versetzung von ihrem Direktionsrecht gedeckt, jedenfalls sei aber die Änderungskündigung wirksam.
[4] Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage im wesentlichen stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
[5] Der Senat ist davon ausgegangen, daß es im Bereich unternehmerischer Freiheit lag, im Rahmen des vorliegenden MTV auch Samstagsarbeit – unter Wahrung der Mitbestimmung des Betriebsrats – einzuführen; die Beklagte hat sich jedoch nicht an das nach dem Tarifvertrag vorgeschriebene Verfahren gehalten, so daß das eingeführte Arbeitszeitmodell tarifwidrig und die darauf beruhende Versetzung des Klägers, der nicht mehr in dieses Arbeitszeitmodell integrierbar war, ebenso wie die Änderungskündigung unwirksam sind. Zur Tarifwidrigkeit führt die Verletzung der betriebsverfassungsrechtlichen Norm des § 2 Ziff. 3 MTV, die hinsichtlich der Verteilung der Wochenarbeitszeit nach Maßgabe der einzelnen Regelungen des Tarifvertrages ausdrücklich eine hier nicht vorhandene Betriebsvereinbarung verlangt. Die Warn-, Beweissicherungs- und Publikationsfunktion, die § 77 Abs. 2 BetrVG für eine Betriebsvereinbarung vorsieht, die unmittelbar und zwingend im Betrieb gilt, kann nicht durch eine formlose Regelungsabrede ersetzt werden. Es brauchte daher nicht mehr geprüft zu werden, ob das eingeführte Arbeitszeitmodell außerdem wegen Überschreitung der tariflich auf 14. 00 Uhr begrenzten Samstagsarbeit unwirksam ist (§ 3 Abs. 2, § 4 Abs. 3 TVG). Angesichts des Verstoßes gegen die betriebsverfassungsrechtliche Tarifnorm des § 2 Ziff. 3 MTV kommt schließlich auch ein Günstigkeitsvergleich der Arbeitszeitregelungen nicht mehr zum Zuge.
BAG, Urteil vom 18. 12. 1997 – 2 AZR 709/96; LAG Berlin