Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Überflutung des "Schürmann-Baus"
BGH, Mitteilung vom 16. 10. 1997 – 73/97 (lexetius.com/1997,527)
[1] Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte in dem zweiten Rechtsstreit betreffend den Schürmann-Bau darüber zu befinden, ob die klagende Auftragnehmerin die Erstattung ihrer Auslagen für angeschaffte und nicht eingebaute Materialien und die ihr möglicherweise entstandenen Stillstandskosten als Schadensersatz verlangen kann.
[2] Die klagende Auftragnehmerin hatte auf der Grundlage eines VOB/B-Vertrages Elektroarbeiten für den "Schürmann-Bau" in Bonn erbracht. Außerdem hatte sie zur Vorbereitung der von ihr geschuldeten Vertragsleistung Materialien angeschafft, die sie nicht mehr eingebaut hat. Am 22./23. Dezember 1993 überstieg das Rheinhochwasser den Rand der Baugrube. Das einströmende Wasser hatte unter anderem zur Folge, daß die bis zu diesem Zeitpunkt erbrachten und nicht abgenommenen Leistungen der Klägerin zerstört wurden und sie an der Weiterführung ihrer Arbeiten gehindert wurde. Der von der Beklagten (Bundesrepublik Deutschland) geplante und von einem Rohbauunternehmer ausgeführte vorläufige Hochwasserschutz, der eine Überflutung der Baugrube verhindert hätte, war vor dem Hochwasser durch den Rohbauunternehmer teilweise entfernt und nicht durch den endgültigen Hochwasserschutz ersetzt worden. Die Klägerin hat neben der Vergütung aus ihrer 6. Teilrechnung für eingebaute und zerstörte Leistungen (764.167,48 DM) Vergütung für angeschaffte und noch nicht eingebaute Materialien (445.563,40 DM), Ersatz für zerstörtes und eingelagertes Material und Werkzeuge sowie Stillstandskosten in Höhe von insgesamt 133.543,33 DM nebst Mehrwertsteuer verlangt.
[3] Das Landgericht Bonn hat der Klage weitgehend stattgegeben. Die dagegen gerichtete Sprungrevision der Beklagten hatte teilweise Erfolg.
[4] Der Bundesgerichtshof hat das landgerichtliche Urteil hinsichtlich der Vergütungsforderung für erbrachte und zerstörte Leistungen mit derselben Begründung bestätigt wie in seinem Urteil vom 21. August 1997 (VII ZR 17/96). Hinsichtlich der übrigen Klageforderungen hat der Bundesgerichtshof das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
[5] Der Senat hat einen Auslagenerstattungsanspruch für erworbene und noch nicht eingebaute Materialien nach § 645 Abs. 1 S. 1 BGB unter der Voraussetzung bejaht, daß die Klägerin die Materialien für die Vorbereitung der ihr geschuldeten Leistung angeschafft hat und daß die ihr dadurch entstandenen Auslagen Teil der vereinbarten Vertragspreise sind. Eine abschließende Entscheidung war dem Senat nicht möglich, weil das Landgericht diesen Anspruch nicht unter dem Gesichtspunkt der Auslagenerstattung geprüft hat.
[6] Hinsichtlich der als Stillstandskosten nach § 6 Nr. 6 VOB/B verlangten Positionen war der Senat ebenfalls nicht in der Lage, in der Sache zu entscheiden. Er hat allerdings die Möglichkeit eines derartigen Anspruchs bejaht. Nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts sind Anhaltspunkte dafür gegeben, daß die Beklagte objektiv eine vertragliche Schutzpflicht verletzt hat, so daß ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihrer Stillstandskosten vorbehaltlich weiterer Feststellungen durch das Landgericht in Betracht kommt. Der Senat hat ausgeführt, daß die Beklagte durch die Errichtung des Hochwasserschutzes ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin darauf begründet haben kann, daß der Hochwasserschutz jedenfalls während der Zeit der Hochwassergefahr aufrechterhalten blieb. Zu den weiteren Voraussetzungen eines derartigen Anspruchs hat das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Es fehlen Feststellungen zu dem erforderlichen Verschulden der Beklagten und ihrer Erfüllungsgehilfen, zu dem Umfang des begründeten Vertrauens, einem etwaigen Verstoß der Klägerin gegen ihre Schadensminderungspflicht und zu den als Stillstandskosten verlangten Schadenspositionen.
BGH, Urteil vom 16. 10. 1997 – VII ZR 64/96