Europäischer Gerichtshof
"Richtlinie 86/653/EWG – Selbständige Handelsvertreter – Nationale Regelung, nach der Handelsvertreterverträge, die von nicht in das Handelsvertreterregister eingetragenen Personen geschlossen worden sind, nichtig sind"
Die Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter steht einer nationalen Regelung entgegen, die die Gültigkeit eines Handelsvertretervertrags von der Eintragung des Handelsvertreters in ein dazu vorgesehenes Register abhängig macht.
EuGH, Urteil vom 30. 4. 1998 – C-215/97 (lexetius.com/1998,788)
[1] In der Rechtssache C-215/97 betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Tribunale Bologna (Italien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit Barbara Bellone gegen Yokohama SpA vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 382, S. 17) erläßt DER GERICHTSHOF (Erste Kammer) unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Wathelet sowie der Richter P. Jann (Berichterstatter) und L. Sevón, Generalanwalt: G. Cosmas Kanzler: R. Grass unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater Antonio Caeiro und Laura Pignataro, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, aufgrund des Berichts des Berichterstatters, nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. Januar 1998, folgendes Urteil (1):
[2] 1. Das Tribunale Bologna hat mit Beschluß vom 16. April 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juni 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 382, S. 17) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
[3] 2. Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Bellone und der Yokohama SpA (nachstehend: Yokohama).
[4] 3. Wie sich aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt, war Frau Bellone aufgrund eines zwischen ihr und Yokohama geschlossenen Handelsvertretervertrags für dieses Unternehmen als Handelsvertreterin tätig. Nach der Kündigung des Vertrages durch Yokohama verlangte Frau Bellone die Zahlung verschiedener Entschädigungsbeträge.
[5] 4. Der in erster Instanz angerufene Pretore Bologna wies die Anträge von Frau Bellone mit der Begründung zurück, der Handelsvertretervertrag sei nichtig, da Frau Bellone zum Zeitpunkt seines Abschlusses nicht, wie nach Artikel 2 des italienischen Gesetzes Nr. 204 vom 3. Mai 1985 (GURI Nr. 119 vom 22. Mai 1985, S. 3623) vorgeschrieben, in das Handelsvertreterregister eingetragen gewesen sei.
[6] 5. Nach dieser Bestimmung ist bei jeder Handelskammer ein Handelsvertreterregister zu führen, in das "sich eintragen lassen muß, wer die Tätigkeit eines Handelsvertreters ausübt oder ausüben möchte". Artikel 9 des Gesetzes Nr. 204 bestimmt: "Wer nicht in das nach diesem Gesetz vorgesehene Register eingetragen ist, darf nicht als Handelsvertreter tätig sein."
[7] 6. Wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, ist nach der italienischen Rechtsprechung ein Handelsvertretervertrag, der mit einer nicht in das betreffende Register eingetragenen Person geschlossen worden ist, wegen Verstoßes gegen die zwingende Bestimmung des Artikels 9 des Gesetzes Nr. 204 nichtig, und die betreffende Person kann nicht auf Zahlung der Provisionen und Entschädigungen bezüglich der von ihr ausgeübten Tätigkeit klagen.
[8] 7. Auf die Berufung von Frau Bellone ist das Tribunale Bologna zu dem Ergebnis gekommen, daß sich ein gemeinschaftsrechtliches Problem stelle, da die im Ausgangsverfahren streitigen nationalen Rechtsvorschriften, die die Rechte der Handelsvertreter von ihrer Eintragung in das dazu vorgesehene Register abhängig machten, sich als mit der Richtlinie unvereinbar erweisen könnten, die die Einführung eines solchen Registers nicht vorsehe. Das Gericht hat u. a. darauf hingewiesen, daß Artikel 1 der Richtlinie den "Handelsvertreter" anhand der ausgeübten Tätigkeit beschreibe, ohne die Erfüllung besonderer Verwaltungsformalitäten zu verlangen.
[9] 8. Das nationale Gericht hat aufgrund dessen beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
[10] Ist die Richtlinie 86/653/EWG mit den Artikeln 2 und 9 des italienischen Gesetzes Nr. 204 vom 3. Mai 1985 vereinbar, die die Gültigkeit von Handelsvertreterverträgen von der Eintragung der Handelsvertreter in ein dazu vorgesehenes Register abhängig machen?
[11] 9. Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Gültigkeit eines Handelsvertretervertrags von der Eintragung des Handelsvertreters in ein dazu vorgesehenes Register abhängig macht.
[12] 10. Die Richtlinie soll die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien eines Handelsvertretervertrages harmonisieren. Nach ihrem Artikel 22 mußten die Mitgliedstaaten der Richtlinie vor dem 1. Januar 1990 nachkommen. Die Italienische Republik war bis zum 1. Januar 1993 zu Übergangsmaßnahmen bezüglich der sich aus Artikel 17 der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen berechtigt.
[13] 11. Es steht fest, daß die Richtlinie die Frage der Eintragung des Handelsvertreters in ein Register nicht behandelt. Zwar hatte der Wirtschafts- und Sozialausschuß nach Aussage der Kommission bei den Vorarbeiten für den Erlaß der Richtlinie die allgemeine Einführung eines Handelsvertreterregisters aus Gründen der Rechtssicherheit vorgeschlagen, doch wurde bei der endgültigen Abfassung der Richtlinie daran nicht festgehalten. Es steht den Mitgliedstaaten somit frei, die Eintragung in ein dazu vorgesehenes Register vorzuschreiben, wenn sie dies für zweckmäßig halten, um bestimmten verwaltungsmäßigen Erfordernissen zu genügen. Wie der Generalanwalt in Nummer 32 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, sieht die Rechtsordnung einer Reihe von Mitgliedstaaten tatsächlich eine Eintragung der Handelsvertreter in ein Register vor.
[14] 12. Die im Ausgangsverfahren streitigen Gesetzesbestimmungen schreiben jedoch nicht nur die Eintragung eines jeden Handelsvertreters in dieses Register vor, sondern machen davon auch die Gültigkeit des Handelsvertretervertrages abhängig, so daß der nicht eingetragene Vertreter insbesondere bei Beendigung der Beziehungen zwischen den Parteien ohne vertraglichen Schutz ist. Somit ist zu prüfen, ob das für die Gültigkeit des Vertrages aufgestellte Erfordernis der Eintragung mit der Richtlinie vereinbar ist.
[15] 13. Die Richtlinie soll Personen schützen, die Handelsvertreter gemäß den Bestimmungen der Richtlinie sind. Nach ihrem Artikel 1 Absatz 2 ist als Handelsvertreter anzusehen, "wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person … den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen". Da die Eintragung in ein Register nicht als Voraussetzung aufgeführt ist, um in den Schutz der Richtlinie zu kommen, hängt dieser Schutz nicht von der Eintragung in ein Register ab.
[16] 14. Bezüglich der Form des Handelsvertretervertrages gestattet Artikel 13 Absatz 2 der Richtlinie in Kapitel IV mit der Überschrift "Abschluß und Beendigung des Handelsvertretervertrages" den Mitgliedstaaten, "vorzuschreiben, daß ein Vertretungsvertrag nur in schriftlicher Form gültig ist". Die Richtlinie geht somit von dem Grundsatz der Formfreiheit des Vertrages aus, läßt den Mitgliedstaaten aber die Möglichkeit, die Schriftform vorzuschreiben. Wie die Kommission vorgetragen und der Generalanwalt in Nummer 37 seiner Schlußanträge hervorgehoben hat, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber als Einschränkung der Gültigkeit des Vertrages nur das Erfordernis der Schriftform genannt und damit diese Frage abschließend geregelt. Außer der schriftlichen Abfassung des Vertrages können die Mitgliedstaaten daher keine weitere Bedingung aufstellen.
[17] 15. Für dieses Ergebnis spricht auch, daß die Richtlinie jedes Mal, wenn sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, von ihren Bestimmungen abzuweichen, dies ausdrücklich sagt (vgl. insbesondere die Artikel 2 Absatz 2, 7 Absatz 2 Unterabsatz 2, 12 Absatz 4, 15 Absatz 3, 16, 20 Absatz 4 und 21). Wenn Artikel 13 Absatz 2 der Richtlinie den Mitgliedstaaten also nur die Möglichkeit beläßt, die Schriftform vorzuschreiben, folgt daraus, daß andere Ausnahmen vom Grundsatz der Formfreiheit gegen die Richtlinie verstoßen. Die Eintragung des Handelsvertreters in ein Register kann daher keine Bedingung für die Gültigkeit des Vertrages sei.
[18] 16. Diese Auslegung der Richtlinie findet eine weitere Bestätigung in dem bereits genannten Umstand, daß die Frage der Eintragung des Handelsvertreters in ein Register bei den Vorarbeiten für die Richtlinie zwar behandelt, aber fallengelassen wurde, da die Eintragung nicht als notwendig angesehen wurde, damit der Vertreter Rechte aus der Richtlinie herleiten kann.
[19] 17. Im übrigen dient die Richtlinie nach ihrer ersten und zweiten Begründungserwägung u. a. der Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit. Auch wenn die italienische Praxis offensichtlich dahin geht, von ausländischen Handelsvertretern nicht die Eintragung in das Register zu verlangen, umfassen die im Ausgangsverfahren streitigen nationalen Bestimmungen, die allgemein formuliert sind, nichtsdestoweniger auch das Vertretungsverhältnis zwischen Parteien, die in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen sind. Diese Bestimmungen erschweren jedoch erheblich auch den Abschluß und die Durchführung von Handelsvertreterverträgen zwischen Parteien in verschiedenen Mitgliedstaaten und widersprechen insoweit ebenfalls den Zielen der Richtlinie.
[20] 18. Somit ist auf die Frage zu antworten, daß die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Gültigkeit eines Handelsvertretervertrags von der Eintragung des Handelsvertreters in ein dazu vorgesehenes Register abhängig macht.
Kosten
[21] 19. Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
1: Verfahrenssprache: Italienisch