Europäischer Gerichtshof
"Gleichbehandlung von Männern und Frauen – Entlassung einer Schwangeren – Fehlzeiten infolge einer durch die Schwangerschaft verursachten Krankheit"
Es läuft den Artikeln 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen zuwider, wenn eine Arbeitnehmerin zu irgendeinem Zeitpunkt während ihrer Schwangerschaft aufgrund von Fehlzeiten infolge einer durch diese Schwangerschaft verursachten Krankheit entlassen wird.
Ohne Belang ist insoweit, daß die Arbeitnehmerin gemäß einer Vertragsbestimmung entlassen wurde, nach der der Arbeitgeber berechtigt ist, Arbeitnehmer ungeachtet ihres Geschlechts nach einer vertraglich festgelegten Zahl von Wochen ununterbrochener Fehlzeiten zu entlassen.

EuGH, Urteil vom 30. 6. 1998 – C-394/96 (lexetius.com/1998,929)

[1] In der Rechtssache C-394/96 betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom House of Lords (Vereinigtes Königreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit Mary Brown gegen Rentokil Ltd vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) erläßt DER GERICHTSHOF unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten und der Fünften Kammer C. Gulmann in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten, der Kammerpräsidenten H. Ragnemalm, M. Wathelet und R. Schintgen sowie der Richter G. F. Mancini, P. J. G. Kapteyn (Berichterstatter), J. L. Murray, D. A. O. Edward, J.-P. Puissochet, P. Jann und L. Sevón, Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen -von Mary Brown, vertreten durch Colin McEachran, QC, und Rechtsanwalt Ian Truscott, beauftragt von Solicitor Simon Mackay, -der Rentokil Ltd, vertreten durch John Hand, QC, und Barrister Gerard F. McDermott, beauftragt von Solicitor Gareth T. Brown, -der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Stephanie Ridley, Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigte, Beistand: Barrister Dinah Rose, -der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater Pieter Jan Kuyper und Marie Wolfcarius, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Mary Brown, der Rentokil Ltd, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission in der Sitzung vom 16. Dezember 1997, nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. Februar 1998, folgendes Urteil (1):
[2] 1. Das House of Lords hat mit Beschluß vom 28. November 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Dezember 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen zur Vorabentscheidung vorgelegt (ABl. L 39, S. 40).
[3] 2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Mary Brown (im folgenden: Rechtsmittelführerin) und der Rentokil Ltd (im folgenden: Rentokil), in dem es um die Entlassung der Rechtsmittelführerin während einer Schwangerschaft geht.
[4] 3. Wie sich aus dem Vorlagebeschluß ergibt, war die Rechtsmittelführerin bei Rentokil als Fahrerin beschäftigt. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, "Sanitact" -Einheiten zu befördern und in Geschäften und anderen Zentren auszutauschen. Nach ihrer Auffassung handelte es sich dabei um eine schwere Arbeit.
[5] 4. Im August 1990 teilte die Rechtsmittelführerin Rentokil mit, daß sie schwanger sei. In der Folgezeit hatte sie Schwierigkeiten mit ihrer Schwangerschaft. Ab dem 16. August 1990 legte sie nacheinander jeweils für vier Wochen Atteste vor, in denen verschiedene Schwangerschaftsprobleme genannt wurden. Seit Mitte August 1990 arbeitet sie nicht mehr.
[6] 5. Rentokil hatte in die Arbeitsverträge ihrer Arbeitnehmer eine Klausel aufgenommen, wonach Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen entlassen würden, wenn sie der Arbeit aus Krankheitsgründen mehr als 26 Wochen lang ununterbrochen fernblieben.
[7] 6. Am 9. November 1990 wiesen Vertreter von Rentokil die Rechtsmittelführerin darauf hin, daß die Hälfte des Zeitraums von 26 Wochen abgelaufen sei, und erinnerten sie daran, daß ihr Beschäftigungsverhältnis am 8. Februar 1991 enden werde, falls sie nicht ihre Arbeit bis zu diesem Zeitpunkt im Anschluß an eine unabhängige ärztliche Untersuchung wiederaufnehme. Dies wurde ihr durch ein Schreiben vom selben Tage bestätigt.
[8] 7. Die Rechtsmittelführerin nahm auf dieses Schreiben hin ihre Arbeit nicht wieder auf. Unstreitig wurde zu keiner Zeit davon ausgegangen, daß sie vor Ablauf des Zeitraums von 26 Wochen ihre Arbeit würde wiederaufnehmen können. Folglich wurde die Rechtsmittelführerin durch Schreiben vom 30. Januar 1991 mit Wirkung vom 8. Februar 1991 während ihrer Schwangerschaft entlassen. Ihr Kind wurde am 22. März 1991 geboren.
[9] 8. Zum Zeitpunkt der Entlassung der Rechtsmittelführerin sah Section 33 des Employment Protection (Consolidation) Act 1978 vor, daß eine Arbeitnehmerin, die ihrer Arbeit aufgrund einer Schwangerschaft oder einer Niederkunft ganz oder teilweise ferngeblieben war, unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt war, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Dies setzte insbesondere ein seit mindestens zwei Jahren ohne Unterbrechung bestehendes Beschäftigungsverhältnis der Arbeitnehmerin bis unmittelbar vor Beginn der 11. Woche vor der voraussichtlichen Entbindung voraus.
[10] 9. Im Vorlagebeschluß wird ausgeführt, wenn man davon ausgehe, daß der Tag der Geburt des Kindes der Rechtsmittelführerin auch der erwartete Entbindungszeitpunkt gewesen sei, sei die Rechtsmittelführerin, da sie am 30. Dezember 1990 nicht seit zwei Jahren beschäftigt gewesen sei, nicht berechtigt gewesen, gemäß Section 33 des Employment Protection (Consolidation) Act ab dem Beginn der 11. Woche vor der Entbindung der Arbeit fernzubleiben und zu jedem beliebigen Zeitpunkt in den auf die Entbindung folgenden 29 Wochen die Arbeit wiederaufzunehmen. Allerdings habe sie gemäß Sections 46 bis 48 des Social Security Act 1986 Anspruch auf "Statutory Maternity Pay" (gesetzliches Mutterschaftsgeld) gehabt.
[11] 10. Das Industrial Tribunal wies die von der Rechtsmittelführerin gemäß dem Sex Discrimination Act 1975 erhobene Klage durch eine am 5. August 1991 registrierte Entscheidung ab. Zur Begründung führte es aus, in einem Fall, in dem krankheitsbedingte Fehlzeiten mit einer Schwangerschaft zusammenhingen, aber lange vor der Anwendbarkeit der gesetzlichen Mutterschutzvorschriften begonnen und danach ununterbrochen fortgedauert hätten, sei die danach ausgesprochene Entlassung nicht aus dem Grund, daß sie auf die Schwangerschaft zurückzuführen sei, automatisch als diskriminierend einzustufen.
[12] 11. Das Employment Appeal Tribunal wies die Berufung der Rechtsmittelführerin durch Beschluß vom 23. März 1992 ab.
[13] 12. Der Court of Session, Extra Division, gelangte in seiner Entscheidung vom 18. Januar 1995 zu der vorläufigen Schlußfolgerung, daß in dieser Rechtssache keine Diskriminierung im Sinne des Sex Discrimination Act 1975 gegeben sei. Da der Gerichtshof mit Urteil vom 8. November 1990 in der Rechtssache C-179/88 (Handels- og Kontorfunktionærernes Forbund, Slg. 1990, I-3979; im folgenden: Urteil Hertz) klar zwischen der Schwangerschaft und der durch die Schwangerschaft verursachten Krankheit unterschieden habe, könne die Rechtsmittelführerin, deren Fehlzeiten auf eine Krankheit zurückzuführen seien und die wegen dieser Krankheit im Februar 1991 entlassen worden sei, keinen Erfolg haben.
[14] 13. Die Rechtsmittelführerin legte beim House of Lords Rechtsmittel ein, das dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:
[15] 1. a) Widerspricht es den Artikeln 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Gleichbehandlungsrichtlinie), wenn eine Arbeitnehmerin zu irgendeinem Zeitpunkt während ihrer Schwangerschaft aufgrund von Fehlzeiten infolge einer durch diese Schwangerschaft verursachten Krankheit entlassen wird? b) Ist die Frage 1a anders zu beantworten, wenn die Arbeitnehmerin gemäß einer Vertragsbestimmung entlassen wurde, nach der der Arbeitgeber berechtigt ist, Arbeitnehmer ungeachtet ihres Geschlechts nach einer vertraglich festgelegten Zahl von Wochen ununterbrochener Fehlzeiten zu entlassen?
[16] 2. a) Widerspricht es den Artikeln 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Gleichbehandlungsrichtlinie, wenn eine Arbeitnehmerin, der das Recht, wegen Schwangerschaft oder Entbindung für den im nationalen Recht festgelegten Zeitraum der Arbeit fernzubleiben, nicht zusteht, weil sie die nach dem nationalen Recht hierfür erforderliche Beschäftigungszeit nicht zurückgelegt hat, während dieses Zeitraums aufgrund von Fehlzeiten infolge einer durch Schwangerschaft verursachten Krankheit entlassen wird? b) Ist die Frage 2a anders zu beantworten, wenn die Arbeitnehmerin gemäß einer Vertragsbestimmung entlassen wurde, nach der der Arbeitgeber berechtigt ist, Arbeitnehmer ungeachtet ihres Geschlechts nach einer vertraglich festgelegten Zahl von Wochen ununterbrochener Fehlzeiten zu entlassen?
Zum ersten Teil der ersten Frage
[17] 14. Die Richtlinie 76/207 hat gemäß Artikel 1 Absatz 1 zum Ziel, daß in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen verwirklicht wird.
[18] 15. Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt: "Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, daß keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf." Nach Artikel 5 Absatz 1 beinhaltet die "Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen …, daß Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung auf Grund des Geschlechts gewährt werden".
[19] 16. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes stellt eine Entlassung wegen Schwangerschaft oder aus einem im wesentlichen auf der Schwangerschaft beruhenden Grund eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, weil sie nur bei weiblichen Arbeitnehmern in Betracht kommt (vgl. Urteile vom 8. November 1990 in der Rechtssache C-177/88, Dekker, Slg. 1990, I-3941, Randnr. 12; Urteil Hertz vom selben Tag, Randnr. 13; vom 5. Mai 1994 in der Rechtssache C-421/92, Habermann-Beltermann, Slg. 1994, I-1657, Randnr. 15, und vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-32/93, Webb, Slg. 1994, I-3567, Randnr. 19).
[20] 17. Der Gerichtshof hat bereits im Urteil Webb (Randnr. 20) festgestellt, daß Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 76/207, der den Mitgliedstaaten das Recht vorbehält, Vorschriften zum Schutz der Frau "bei Schwangerschaft und Mutterschaft" beizubehalten oder einzuführen, anerkennt, daß es im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz legitim ist, zum einen die körperliche Verfassung der Frau während und nach der Schwangerschaft und zum anderen die besondere Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der Zeit, die an die Schwangerschaft und Entbindung anschließt, zu schützen.
[21] 18. In Anbetracht der Gefahr, die eine mögliche Entlassung für die physische und psychische Verfassung von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen darstellt, einschließlich des besonders schwerwiegenden Risikos, daß eine schwangere Arbeitnehmerin zum freiwilligen Abbruch ihrer Schwangerschaft veranlaßt wird, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber in Artikel 10 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (ABl. L 348, S. 1), der die Mitgliedstaaten spätestens zwei Jahre nach ihrem Erlaß nachzukommen hatten, später einen besonderen Schutz der Frau vorgesehen, indem er für die Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs ein Kündigungsverbot verfügt hat. Artikel 10 der Richtlinie 92/85 sieht keine Ausnahme von dem Verbot vor, einer schwangeren Frau in diesem Zeitraum zu kündigen. Davon ausgenommen sind die nicht mit dem Zustand der Betroffenen in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle (vgl. Urteil Webb, Randnrn. 21 und 22).
[22] 19. Der die Richtlinie 76/207 betreffende erste Teil der ersten Vorabentscheidungsfrage ist unter Berücksichtigung dieses allgemeinen Zusammenhangs zu beantworten.
[23] 20. Zunächst ergibt sich aus den Akten, daß sich diese Frage auf eine Arbeitnehmerin bezieht, die während ihrer Schwangerschaft aufgrund von Fehlzeiten entlassen wurde, die durch die Schwangerschaft bedingt waren. Wie Rentokil vorgetragen hat, wurde die Rechtsmittelführerin entlassen, weil sie während ihrer Schwangerschaft so krank war, daß sie 26 Wochen lang arbeitsunfähig war. Im übrigen ist unstreitig, daß diese Krankheit durch die Schwangerschaft hervorgerufen wurde.
[24] 21. Die Entlassung einer schwangeren Frau kann jedoch nicht damit begründet werden, daß diese wegen ihres Zustands unfähig ist, die Arbeitsleistung zu erbringen, zu der sie sich gegenüber ihrem Arbeitgeber verpflichtet hat. Andernfalls käme der der Frau während der Schwangerschaft vom Gemeinschaftsrecht gewährleistete Schutz nur denjenigen schwangeren Arbeitnehmerinnen zugute, die in der Lage sind, ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen einzuhalten, so daß die Richtlinie 76/207 ihre praktische Wirksamkeit verlöre (vgl. Urteil Webb, Randnr. 26).
[25] 22. Wenn nämlich der Zustand der Schwangerschaft auch keineswegs einem krankhaften Zustand gleichzustellen ist (Urteil Webb, Randnr. 25), so kann es doch während der Schwangerschaft – wie der Generalanwalt in Nummer 56 seiner Schlußanträge hervorgehoben hat – zu Problemen und Komplikationen kommen, die die Frau zwingen, sich einer strengen ärztlichen Überwachung zu unterziehen und sich gegebenenfalls während der gesamten Schwangerschaft oder während eines Teils derselben in jeder Hinsicht zu schonen. Diese Probleme und Komplikationen, die eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben können, gehören zu den mit einer Schwangerschaft verbundenen Risiken und damit zu dem, was das Spezifische dieses Zustands ausmacht.
[26] 23. Wie der Gerichtshof außerdem im Urteil Hertz (Randnr. 15) unter Hinweis auf Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 76/207 erklärt hat, läßt die Richtlinie nationale Rechtsvorschriften zu, die den Frauen besondere Rechte wegen Schwangerschaft und Mutterschaft sichern. Daraus folgt, daß die Frau während dieses ihr nach nationalem Recht zustehenden Mutterschaftsurlaubs dagegen gesichert sei, aufgrund ihres Fernbleibens von der Arbeit entlassen zu werden.
[27] 24. Wenn der Frau gemäß Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 76/207 während ihres Mutterschaftsurlaubs ein solcher Kündigungsschutz zusteht (Urteil Hertz, Randnr. 15), gebietet es das Diskriminierungsverbot, daß während der gesamten Schwangerschaft ein gleichartiger Schutz gewährt wird. Wird nämlich eine Arbeitnehmerin während ihrer Schwangerschaft aufgrund von Fehlzeiten entlassen, die sich aus ihrer durch die Schwangerschaft bedingten Arbeitsunfähigkeit ergeben, so hängt diese Entlassung – wie sich aus Randnummer 22 dieses Urteils ergibt – mit den Risiken zusammen, die mit einer Schwangerschaft verbunden sind, so daß die Schwangerschaft als der hauptsächliche Grund für die Entlassung anzusehen ist. Eine solche Entlassung kann nur Frauen treffen und ist daher als eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts anzusehen.
[28] 25. Daraus folgt, daß es den Artikeln 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 zuwiderläuft, wenn eine Arbeitnehmerin zu irgendeinem Zeitpunkt während ihrer Schwangerschaft aufgrund von Fehlzeiten infolge einer durch diese Schwangerschaft verursachten Krankheit entlassen wird.
[29] 26. Pathologische Zustände, die erst nach Ablauf des Mutterschaftsurlaubs auftreten und auf die Schwangerschaft oder die Niederkunft zurückzuführen sind, fallen demgegenüber unter die allgemeine Regelung für Krankheitsfälle (vgl. in diesem Sinne Urteil Hertz, Randnrn. 16 und 17). In einem solchen Fall stellt sich allein die Frage, ob nach dem Mutterschaftsurlaub eingetretene Fehlzeiten einer Arbeitnehmerin, die durch Arbeitsunfähigkeit infolge solcher Gesundheitsstörungen bedingt sind, genauso behandelt werden wie Fehlzeiten eines ebenso lange arbeitsunfähigen männlichen Arbeitnehmers; ist dies der Fall, so liegt keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor.
[30] 27. Aus alledem folgt auch, daß – entgegen der Entscheidung des Gerichtshofes im Urteil vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C-400/95 (Larsson, Slg. 1997, I-2757, Randnr. 23) – dann, wenn eine Arbeitnehmerin wegen einer durch die Schwangerschaft oder die Niederkunft bedingten Krankheit fehlt, die im Laufe der Schwangerschaft aufgetreten ist und während des Mutterschaftsurlaubs und danach fortbestanden hat, nicht nur die während des Mutterschaftsurlaubs, sondern auch die bereits vom Anfang der Schwangerschaft an bis zum Beginn des Mutterschaftsurlaubs eingetretene Fehlzeit nicht bei der Berechnung des Zeitraums berücksichtigt werden darf, der zu einer Entlassung nach nationalem Recht berechtigt. Die nach dem Mutterschaftsurlaub eingetretene Fehlzeit einer Arbeitnehmerin darf unter den gleichen Voraussetzungen berücksichtigt werden, wie die Fehlzeit eines Mannes wegen einer ebenso langen Arbeitsunfähigkeit.
[31] 28. Auf den ersten Teil der ersten Frage ist daher zu antworten, daß es den Artikeln 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 zuwiderläuft, wenn eine Arbeitnehmerin zu irgendeinem Zeitpunkt während ihrer Schwangerschaft aufgrund von Fehlzeiten infolge einer durch diese Schwangerschaft verursachten Krankheit entlassen wird.
Zum zweiten Teil der ersten Frage
[32] 29. Der zweite Teil der ersten Frage bezieht sich auf eine Vertragsbestimmung, nach der der Arbeitgeber berechtigt ist, Arbeitnehmer ungeachtet ihres Geschlechts nach einer vertraglich festgelegten Zahl von Wochen ununterbrochener Fehlzeiten zu entlassen.
[33] 30. Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Diskriminierung vor, wenn unterschiedliche Vorschriften auf gleiche Sachverhalte angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift auf ungleiche Sachverhalte angewandt wird (siehe insbesondere Urteil vom 13. Februar 1996 in der Rechtssache C-342/93, Gillespie u. a., Slg. 1996, I-475, Randnr. 16).
[34] 31. Wird die Vertragsbestimmung angewandt, um eine schwangere Arbeitnehmerin wegen Fehlzeiten zu entlassen, die durch Arbeitsunfähigkeit infolge einer Schwangerschaft bedingt sind, so wird die in ihr enthaltene Regelung, die für Männer wie für Frauen gilt, auf ungleiche Sachverhalte angewandt, denn wie sich aus der Antwort auf den ersten Teil der ersten Frage ergibt, kann die Situation einer schwangeren Arbeitnehmerin, die aufgrund von mit ihrer Schwangerschaft zusammenhängenden Gesundheitsstörungen arbeitsunfähig ist, nicht der eines erkrankten männlichen Arbeitnehmers gleichgestellt werden, der während desselben Zeitraums wegen Arbeitsunfähigkeit fehlt.
[35] 32. Wird die betreffende Vertragsbestimmung daher in einem Fall wie dem vorliegenden angewandt, ist dies als eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts anzusehen.
[36] 33. Auf den zweiten Teil der ersten Frage ist daher zu antworten, daß der Umstand, daß die Arbeitnehmerin gemäß einer Vertragsbestimmung entlassen wurde, nach der der Arbeitgeber berechtigt ist, Arbeitnehmer ungeachtet ihres Geschlechts nach einer vertraglich festgelegten Zahl von Wochen ununterbrochener Fehlzeiten zu entlassen, die Antwort auf den ersten Teil der ersten Frage unberührt läßt.
Zur zweiten Frage
[37] 34. In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.
Kosten
[38] 35. Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
1: Verfahrenssprache: Englisch