Bundesverwaltungsgericht
Beamtenrecht
Aufstiegsverfahren, rechtswidrige Nichtauswahl zum –; Beförderung, entgangene – wegen rechtswidriger Nichtauswahl zum Aufstiegsverfahren, Schadenersatzanspruch; Rechtsbehelfe, kein Schadenersatzanspruch eines Beamten bei Nichtgebrauch von –; Schadenersatz, kein Anspruch auf – wegen rechtswidriger Nichtauswahl für Aufstiegsverfahren und dadurch entgangene Beförderung bei Nichtgebrauch von Rechtsbehelfen
BGB § 839 Abs. 3
Der in § 839 Abs. 3 BGB enthaltene Rechtsgedanke, wonach eine Ersatzpflicht für rechtswidriges staatliches Handeln nicht eintritt, wenn der Verletzte mögliche Rechtsbehelfe ohne hinreichenden Grund nicht in Anspruch genommen hat, gilt auch für die rechtswidrige Nichtauswahl für die Teilnahme am Verfahren zum Aufstieg in den höheren Dienst.
BVerwG, Urteil vom 9. 12. 1999 – 2 C 38.98; OVG Saarlouis; VG Saarlouis (lexetius.com/1999,483)
[1] In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 1999 durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franke und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele und Dr. Bayer für Recht erkannt:
[2] Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 24. Juli 1997 wird aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 22. September 1995 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
[3] Gründe: I. Der Kläger fordert vom Beklagten Schadenersatz, weil er nicht zum Aufstieg in den höheren Dienst zugelassen und deshalb auch nicht das Amt eines Regierungsoberrats erreichen konnte.
[4] Nach mehreren Verwendungen in Ämtern des gehobenen Dienstes wurde der Kläger im April 1985 zum Steueroberamtsrat befördert. Dieser Beförderung lag eine dienstliche Beurteilung vom März 1985 mit dem Gesamturteil "ausgezeichnet bewährt" zugrunde. Diese Bewertung hatte er bereits im Dezember 1984 erhalten.
[5] Im Oktober 1985 bewarb sich der Kläger auf eine Ausschreibung des Beklagten zusammen mit zehn anderen Beamten des gehobenen Dienstes um die Zulassung zum Aufstieg in den höheren Dienst. Zunächst wurden die Mitbewerber A und B ausgewählt und ab Juli 1987 in die Aufgaben der Laufbahn des höheren Dienstes eingeführt. Der Kläger erhielt mit Bescheid vom 11. August 1987 eine Absage. Im Juni 1988 wurde ein weiterer Bewerber, der Beamte C, zum Aufstieg zugelassen. Sämtliche zugelassenen Beamten wurden inzwischen in Ämter des höheren Dienstes befördert.
[6] Der Kläger erfuhr im August 1992 aus der Presse von dem Verdacht, daß bei den Auswahlentscheidungen des Beklagten parteipolitische Ämterpatronage im Spiel gewesen sei. Er fragte daraufhin den Beklagten, ob er rechtswidrig übergangen worden sei, und machte vorsorglich Schadenersatzansprüche geltend. Mit Bescheid vom November 1992 lehnte es der Beklagte im wesentlichen mit der Begründung ab, Schadenersatz zu leisten, daß der Kläger gegen den Bescheid vom 11. August 1987 keine Rechtsmittel eingelegt habe. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
[7] Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert, die Bescheide des Beklagten aufgehoben und diesen verurteilt, den Kläger dienst-, besoldungs- und versorgungsrechtlich so zu stellen, als ob er am 28. April 1987 zum Aufstieg in die Laufbahn des höheren Dienstes der saarländischen Steuerverwaltung zugelassen, am 20. Juni 1989 zum Regierungsrat ernannt und am 1. Oktober 1991 zum Regierungsoberrat befördert worden wäre. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
[8] Der Beklagte habe bei der Auswahl der zum Aufstieg zugelassenen Bewerber gegen die Grundsätze der Bestenauslese verstoßen. Dies stehe aufgrund Zeugenbeweises fest. Er habe die rechtswidrige Nichtzulassung des Klägers auch verschuldet. Der Schadenersatzanspruch des Klägers scheitere weder an § 839 Abs. 3 BGB noch aus sonstigen Gründen.
[9] Der Bewerber B sei nicht nach Eignung, Befähigung sowie fachlicher Leistung und aufgrund einer Prognose der speziellen Aufstiegseignung, sondern wegen seiner Bekanntschaft mit dem damaligen Finanzminister aufgrund gemeinsamer Mitgliedschaft in einer politischen Partei ausgewählt worden. Der Bewerber A sei zwar nicht aus parteipolitischen Überlegungen zugelassen worden, sondern wahrscheinlich aus der Erwägung des damaligen Finanzministers und seiner engsten Mitarbeiter, mit einem diesen Bewerber einbeziehenden Vorschlag den Widerstand der Personalvertretung leichter überwinden zu können. Die spätere Zulassung des Bewerbers C sei zwar am Leistungsprinzip orientiert gewesen, dennoch gegenüber dem Kläger rechtswidrig. Denn diesem sei keine Gelegenheit zur Darlegung seiner Aufstiegseignung in einem Personalgespräch gegeben worden. Die Zulassung des Klägers habe der Beklagte nie ernsthaft erwogen. Grund hierfür sei nicht nur die Mitgliedschaft des Klägers in einer anderen politischen Partei, sondern auch seine Beförderung als persönlicher Referent des damaligen Ministers gleicher Parteizugehörigkeit kurz vor der Landtagswahl zum Steueroberamtsrat.
[10] Diese Verstöße hätten den Schaden des Klägers adäquat kausal verursacht. Bei rechtmäßigem Gang der Dinge wäre dieser voraussichtlich am 1. Oktober 1991 zum Regierungsoberrat befördert worden.
[11] Die Voraussetzungen des § 839 Abs. 3 BGB seien nicht gegeben. Der Kläger habe ohne Verschulden darauf verzichtet, primären Rechtsschutz gegen die Nichtzulassungsentscheidung in Anspruch zu nehmen. Es sei auszuschließen, daß einer damals vom Kläger beantragten einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Zulassung der Beamten A und B zu blockieren, entsprochen worden wäre.
[12] Mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision beantragt der Beklagte, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 24. Juli 1997 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 22. September 1995 zurückzuweisen.
[13] Er macht die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend.
[14] Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[15] Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren.
[16] II. Die Revision des Beklagten ist begründet.
[17] Zu Recht hat das Berufungsgericht die Nichtauswahl des Klägers für die Teilnahme am Verfahren für den Aufstieg in den höheren Dienst als rechtswidrig beurteilt. Nach seinen tatsächlichen Feststellungen kam die Zulassung der Mitbewerber A und B zum Aufstiegsverfahren unter Verletzung der Auslesekriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung zustande. Dennoch hat der Kläger keinen Anspruch auf Schadenersatz gegen den Beklagten.
[18] Hinsichtlich der Auswahl der Bewerber A und B hat der Kläger diesen Anspruch schon deshalb nicht, weil er es in zurechenbarer Weise unterlassen hat, rechtzeitig gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, um seine Teilnahme am Aufstiegsverfahren durchzusetzen. Auch im Beamtenrecht tritt nach dem in § 839 Abs. 3 BGB enthaltenen Rechtsgedanken eine Ersatzpflicht für rechtswidriges staatliches Handeln dann nicht ein, wenn es der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels gegen das nunmehr als rechtswidrig beanstandete staatliche Verhalten abzuwenden, wenn also für den Nichtgebrauch eines Rechtsmittels kein hinreichender Grund bestand. Dieser Rechtsgedanke gilt nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats für Schadenersatzansprüche, die ein Beamter wegen der seiner Ansicht nach rechtswidrig unterbliebener Auswahl für einen Beförderungsdienstposten und Beförderung erhebt (BVerwGE 107, 29 sowie Urteil vom 3. Dezember 1998 BVerwG 2 C 22.97 [ZBR 1999, 199 = NVwZ 1999, 542] jeweils m. w. N.), aber auch für die Auswahl für die Zulassung zum Aufstieg in den höheren Dienst.
[19] Im Bescheid vom 11. August 1987, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, hat der Beklagte dem Kläger mitgeteilt, daß der Bewerbung um Zulassung zum Aufstieg trotz wohlwollender Prüfung nicht habe entsprochen werden können. Es hätten nur zwei Stellen zur Verfügung gestanden. Trotz dieser mit den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes im Einklang stehenden sehr kurzen Begründung hätte der Kläger Rechtsmittel einlegen können. Ihm standen Widerspruch und Verpflichtungsklage sowie der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur Verfügung. Auch zur Zeit des hier streitigen Vorgangs und wegen der in Betracht kommenden einjährigen Rechtsbehelfsfrist bis August 1988 waren die Möglichkeiten des Rechtsschutzes eines unterlegenen Bewerbers weitgehend geklärt (vgl. u. a. Urteile vom 7. Dezember 1965 BVerwG 2 C 226.62 [Buchholz 310 § 113 Nr. 23], vom 14. Juni 1966 BVerwG 2 C 89.64 [Buchholz 232 § 8 Nr. 4] und vom 16. Oktober 1967 BVerwG 6 C 11.66 sowie Beschlüsse vom 24. Juli 1984 BVerwG 2 B 77.83 und vom 29. Oktober 1986 BVerwG 2 B 101.86; vgl. auch BVerwGE 107, 29 [32]). Danach bestand unter den festgestellten Umständen für den Nichtgebrauch der zulässigen Rechtsbehelfe kein hinreichender Grund. Dies ist dem Kläger, der im August 1987 bereits ein Spitzenamt der Laufbahn des gehobenen Dienstes bekleidete und in rechtlichen Angelegenheiten nicht unerfahren war, als fahrlässig hier zu verstehen im Sinne eines zurechenbaren Verstoßes gegen sein eigenes Interesse zuzurechnen. Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts beruht auf einer Verkennung der Anforderungen an das Verschulden des Klägers. So vermag es diesen nicht zu entlasten, daß die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel möglicherweise nicht erfolgreich gewesen wären. Die Inanspruchnahme von Rechtsschutz mußte jedenfalls nicht von vornherein als aussichtslos erscheinen. Durch ein Auskunftsbegehren, jedenfalls aber durch Erhebung von Widerspruch und Klage bzw. eines Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hätte der Kläger den Beklagten zur Offenlegung der Tatsachen veranlassen können. Das gilt um so mehr, als der Bezirkspersonalrat der Auswahl des Beamten B zunächst nicht zugestimmt hatte.
[20] Hinsichtlich des im Juni 1988 zum Aufstieg zugelassenen weiteren Bewerbers C scheidet ein Schadenersatzanspruch ebenfalls aus. Im Vergleich zum Kläger war dieser Bewerber nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts bei einer Gesamtschau der dienstlichen Beurteilungen, des beruflichen Werdegangs, der gezeigten Flexibilität, des Lebensalters, des Dienstalters, des Schulabschlusses und des Ergebnisses der Laufbahnprüfung besser als der Kläger qualifiziert. Auf den vom Berufungsgericht vorgenommenen Vergleich des Klägers auch mit den früheren Konkurrenten A, B und D darf nicht abgestellt werden. Entweder war deren Auswahlverfahren bereits unanfechtbar abgeschlossen oder es endete ebenfalls mit der Nichtzulassung zum Aufstieg. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ergibt ferner, daß Staatssekretär Dr. F. den Beamten C als "Überflieger" eingestuft und deshalb für die Zulassung zum Aufstieg vorgeschlagen hat. Aus dem nach Ansicht des Klägers fehlerhaft unterbliebenen Vorstellungsgespräch kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht geschlossen werden, daß der Kläger im Vergleich zu dem Mitbewerber C als besser qualifiziert angesehen und an dessen Stelle ausgewählt worden wäre. Die den erkennenden Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen können die rechtliche Bewertung der adäquaten Kausalität durch das Berufungsgericht, die der Feststellung bedürfte, daß der Kläger mit einer fehlerfreien Auswahlentscheidung dem Beamten C. voraussichtlich vorgezogen worden wäre, nicht tragen (vgl. Beschluß vom 16. Oktober 1991 BVerwG 2 B 115.91 [Buchholz 237. 4 § 7 Nr. 1] m. w. N.).