Bundesgerichtshof
BtMG 1981 § 30 a Abs. 2 Nr. 1

BGH, Urteil vom 20. 1. 2000 – 4 StR 400/99; Landgericht Neubrandenburg (lexetius.com/2000,311)

[1] Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Januar 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Meyer-Goßner, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, Athing, die Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanoviæ, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter, Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
[2] Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 19. März 1999 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
[3] Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen und wegen Bestimmens einer Person unter achtzehn Jahren zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Weiterhin hat es den Verfall zweier Bankguthaben und sichergestellten Bargeldes angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
[4] Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Der Erörterung bedarf nur folgendes:
[5] 1. Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3 StPO (Antrag auf Vernehmung des Zeugen Jan N.) ist unbegründet, da es sich bei dem gestellten Antrag nicht um einen Beweisantrag, sondern um einen Beweisermittlungsantrag handelt, auf den die Bestimmung des § 244 Abs. 3 StPO keine Anwendung findet. Die Vernehmung des Zeugen wurde von der Verteidigung im Hinblick auf den erheblichen Wertpapierbesitz des seit 1995 arbeitslosen Angeklagten zum Beweis dafür beantragt, daß der Zeuge "durch seine Eltern Monika und Hans N. in den letzten Jahren Geldbeträge schenkungsweise erhalten hatte, die einen Umfang von mehr als 40.000 DM ausmachten und daß seine Eltern nicht nur ihn finanziell versorgen wollten, sondern gleichermaßen seinem Bruder Jens N. [dem Angeklagten] Geldbeträge in ähnlicher Höhe zukommen ließen". Dem Antrag fehlt es danach – soweit er nicht die offensichtlich bedeutungslosen Zuwendungen an den Bruder des Angeklagten betrifft – an einer konkreten Tatsachenbehauptung. Er läßt weder erkennen, zu welchen Zeitpunkten, noch in welcher Höhe an den Angeklagten Geldzuwendungen erfolgt sein sollen. Er diente vielmehr ersichtlich nur dem Ziel, derartige Zahlungen, die aus der Sicht des Angeklagten möglicherweise geeignet sein könnten, seine Einlassung über die Herkunft der bei ihm festgestellten erheblichen Geldbeträge zu belegen, erst zu ermitteln. Entgegen der Auffassung der Revision hat sich das Landgericht bei dieser Sachlage auch zu Recht nicht veranlaßt gesehen, gemäß § 244 Abs. 2 StPO dem Antragsbegehren nachzugehen. Denn für die Entscheidung von Bedeutung war nur, woher die Bargeldbeträge stammten, die der Angeklagte im September 1998 innerhalb eines kurzen Zeitraums von weniger als zwei Wochen bei zwei Banken einzahlte und anschließend zum Ankauf von Wertpapieren im Gesamtwert von über 60.000 DM verwendete.
[6] 2. Das Landgericht hat die Voraussetzungen einer Strafbarkeit des Angeklagten nach § 30 a Abs. 2 Nr. 1 BtMG zutreffend bejaht.
[7] a) Nach den Feststellungen betrieb der Angeklagte einen Drogenhandel, wobei er überwiegend in einem Jugendclub Haschisch verkaufte. Im ersten der zwei abgeurteilten Fälle suchte ihn der damals 13-jährige Matthias F. auf, um von ihm – wie bereits bei früheren Gelegenheiten – Haschisch zum Eigenkonsum zu erwerben. Da F. "Probleme [hatte], seinen Eigenbedarf zu finanzieren", fragte er den Angeklagten, ob er für ihn Haschisch verkaufen könne. Der Angeklagte war damit einverstanden und übergab F. 24 Portionen Haschisch zu je 1 Gramm. Er wies F. an, 20 Portionen zu je 10. – DM zu verkaufen; die restlichen vier Portionen erhielt F. zur Deckung seines Eigenkonsums. F. verkaufte die 20 Gramm-Portionen in seinem Bekanntenkreis und übergab dem Angeklagten den Erlös von 200. – DM. Im zweiten Fall – kurze Zeit danach – übergab der Angeklagte F. eine Platte Cannabisharz mit einem Gewicht von ca. 150 Gramm und wies ihn an, die Platte in Einzelportionen zu einem Preis von mindestens 950. – DM zu verkaufen. Den darüber hinaus gehenden Erlös sollte er für sich behalten dürfen. Eine Teilmenge des Rauschgifts von ca. 40 Gramm verkaufte F. weisungsgemäß, der Rest kam ihm abhanden bzw. wurde von ihm selbst konsumiert.
[8] b) Auf der Grundlage dieser Feststellungen erfüllt das Verhalten des Angeklagten die Tathandlung des "Bestimmens" im Sinne des § 30 a Abs. 2 Nr. 1 BtMG.
[9] aa) Nach den allgemeinen, zu § 26 StGB entwickelten Grundsätzen ist unter "Bestimmen" die Einflußnahme auf den Willen eines anderen zu verstehen, die diesen zu dem im Gesetz beschriebenen Verhalten bringt (BGH NJW 1985, 924). In welcher Form und durch welches Mittel die Einflußnahme erfolgt, ist gleich (BGH aaO). Die Willensbeeinflussung muß auch nicht die alleinige Ursache für das Verhalten des anderen sein, vielmehr genügt bloße Mitursächlichkeit (BGH NStZ 1994, 29, 30; vgl. auch Cramer in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl § 26 Rdn. 4; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 26 Rdn. 3 jew. m. w. N.).
[10] Indem der Angeklagte dem zur Tatzeit 13-jährigen Matthias F. Haschisch übergab und ihn anwies, dieses zu ganz bestimmten Bedingungen für ihn zu verkaufen, hat er ihn danach zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln bestimmt. Dem steht nicht entgegen, daß die Initiative von F. ausging und er von sich aus die Bereitschaft erklärt hatte, für den Angeklagten Haschisch zu verkaufen. Zwar kann der zu einer konkreten Tat bereits fest Entschlossene nicht mehr zu ihr "bestimmt" werden (Fall des sog. "omnimodo facturus"; vgl. BGHR StGB § 26 Bestimmen 1 und 3). So verhält es sich hier jedoch nicht: Erst durch die Übergabe des Rauschgiftes mit der Anweisung, dieses zu bestimmten Bedingungen zu verkaufen, ist F. zu den konkreten Taten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, die Gegenstand der Verurteilung sind, veranlaßt worden. Daß er – wie sein Anerbieten zeigt – bereits allgemein zu derartigen Taten bereit war, ist demgegenüber unschädlich (vgl. BGH NStZ 1994, 29, 30).
[11] bb) Nichts anderes kann für den Begriff des "Bestimmens" in § 30 a Abs. 2 Nr. 1 BtMG gelten (vgl. auch F. e/Wienroeder BtMG § 30 a Rdn. 7; Weber BtMG § 30 a Rdn. 45 f.; Körner BtMG 4. Aufl. § 29 a Rdn. 20). Zwar hat der Bundesgerichtshof zu den §§ 174, 176 StGB ausgeführt, daß dort der Begriff des "Bestimmens" nicht ohne weiteres demselben Begriff in § 26 StGB gleichgestellt werden könne; er hat dabei aber entscheidend darauf abgestellt, daß diese Vorschriften auch Klein- und Kleinstkinder betreffen, bei denen eine der Anstiftung im Sinne des § 26 StGB gleichzusetzende Beeinflussung des Willens offensichtlich nicht in Betracht kommt (BGHSt 41, 242, 245). Dieser Gesichtspunkt trifft jedoch auf die Vorschrift des § 30 a Abs. 2 Nr. 1 BtMG ersichtlich nicht zu, so daß es einer von der Bedeutung des Begriffs in § 26 StGB abweichenden – ausdehnenden oder einschränkenden – Auslegung des "Bestimmens" hier nicht bedarf. Im Anwendungsbereich des § 30 a Abs. 2 Nr. 1 BtMG wird es sich häufig gerade so verhalten, daß der Minderjährige bereits der Drogenszene verhaftet ist und daher der Gefahr einer Beeinflussung seines Willens in Richtung auf ein Verhalten, wie es in § 30 a Abs. 2 Nr. 1 BtMG umschrieben wird, in besonders starkem Maße ausgesetzt ist. Der Tatbestand des § 30 a Abs. 2 Nr. 1 BtMG (zur Entstehungsgeschichte vgl. F. e/Wienroeder BtMG § 30 a Rdn. 5 und Weber BtMG § 30 a Rdn. 1) ist nach den Gesetzesmaterialien aus der Überlegung heraus eingeführt worden, daß die Benutzung Minderjähriger zur Durchführung des Betäubungsmittelverkehrs in besonderem Maße verabscheuungs- und strafwürdig ist (BTDrucks. 12/989 S. 54/55 und 12/6853 S. 41). Mit dieser Regelung sollte auch dem Art. 3 Abs. 5 Buchst. f des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (BGBl. 1993 II S. 1137) entsprochen werden, wonach der Umstand, daß Minderjährige in Mitleidenschaft gezogen oder benutzt werden, bei der Bewertung der Straftat als besonders schwerwiegend anzusehen ist. Zwar wird das regelmäßig nicht schon dann der Fall sein, wenn der Täter durch das bloße Überlassen von Betäubungsmitteln dem Minderjährigen nur die Möglichkeit zum unerlaubten Handeltreiben verschafft. Nimmt er jedoch – wie hier – auf den Willen des Minderjährigen in der Weise Einfluß, daß er ihn anweist, nach von ihm vorgegebenen Bedingungen und für seine Rechnung Betäubungsmittel zu verkaufen, so "benutzt" er den Minderjährigen zum Betäubungsmittelverkehr auch dann, wenn dieser hierzu von vornherein (allgemein) bereit war und diese Bereitschaft dem Täter gegenüber auch aufgezeigt hat. Geht die Initiative von dem Minderjährigen aus, so mag dieser Umstand gegebenenfalls einen minder schweren Fall im Sinne des § 30 a Abs. 3 BtMG begründen. Einen solchen hat das Landgericht jedoch rechtsfehlerfrei verneint.