Bundesarbeitsgericht
Außerordentliche Verdachtskündigung

BAG, Urteil vom 6. 7. 2000 – 2 AZR 454/99 (lexetius.com/2000,4403)

[1] 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 10. Mai 1999 – 4 Sa 18/98 – aufgehoben.
[2] 2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
[3] Tatbestand: Der am 17. Februar 1956 geborene, seiner inzwischen geschiedenen Ehefrau und vier Kindern gegenüber unterhaltspflichtige Kläger wurde am 8. Oktober 1976 von der Beklagten eingestellt. Ihre Rechtsbeziehungen regelten die Parteien zuletzt durch den Arbeitsvertrag vom 31. August 1992, mit dem dem Kläger bestätigt wurde, daß er mit Wirkung vom 1. September 1992 als Restaurantleiter ICE weiterbeschäftigt werde, und in dem unter Ziffer 8 bestimmt wurde: "Verstöße gegen die für unseren Betrieb gültigen Bonierungsvorschriften sowie jede Form der Beihilfe können uns zur fristlosen Kündigung berechtigen."
[4] Gemäß § 3 Nr. 10 des nach Ziffer 3 des Arbeitsvertrages anwendbaren, zum 1. Juli 1996 in Kraft getretenen Tarifvertrages zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und Besitzstandswahrung Zusatzabkommen für die ArbeitnehmerInnen der Mitropa AG-West vom 6. November 1996 (im folgenden: TV Sicherung) ist gegenüber dem Kläger, von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen, nur noch eine Kündigung aus wichtigem Grund möglich.
[5] Am 27. September 1996 war der Kläger als Restaurantleiter im ICE zusammen mit dem Treff-Steward G. und der Küchenstewardeß E. eingesetzt. Jedes der im ICE-Bordrestaurant eingesetzten Teammitglieder kann Bestellungen entgegennehmen, servieren und kassieren. Das Bordrestaurant verfügt über eine Datenkasse, bezüglich deren Verwendung das Handbuch "Bordrestaurant" Vorschriften enthält; diese bestimmen ua., daß jeder Verkauf vor Ausgabe der Ware in die Datenkasse einzugeben ist, daß die Abgabe von Waren ohne vorheriges Bonieren nicht erlaubt ist und über sämtliche Artikel vor dem Kassieren aus der Datenkasse Rechnungen abzurufen und dem Gast auszuhändigen sind. Zum Zwecke der Erfassung in der Datenkasse sind die im ICE-Bordrestaurant an den Tischen vorhandenen Plätze in einem internen Platzspiegel von 1 bis 24 durchnumeriert.
[6] Auf dem Streckenabschnitt N. wurde durch den Revisor P. um 15. 45 Uhr eine Revision durchgeführt, nachdem sich zuvor die Revisorin L. von ca. 14. 00 Uhr bis gegen 15. 00 Uhr zwecks Beobachtung der Servicemitarbeiter im Bordrestaurant aufgehalten und dort Speisen und Getränke verzehrt hatte. Der Revisor P. ließ sich von der Datenkasse die Kontrollberichte ausdrucken. Über die Revision erstellte Herr P. einen Revisionsbericht.
[7] Nachdem die Niederlassung Hamburg der Beklagten per Telefax am 30. September 1996 von dem Inhalt des Revisionsberichts Kenntnis erhalten hatte, wurde der Kläger aufgrund des Verdachts des unredlichen Verhaltens vom Dienst suspendiert und für den 2. Oktober 1996 in die Personalabteilung bestellt. Dort wurden ihm Kopien des Revisionsberichtes sowie der Einzelbonierungsliste übergeben, und es wurde ihm Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 4. Oktober 1996 eingeräumt. Nach entsprechender Fristverlängerung gab der Kläger am 7. Oktober 1996 eine Stellungnahme ab.
[8] Mit "Betriebsratsvorlage" vom 8. Oktober 1996 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat von ihrer Absicht, dem Kläger fristlos zu kündigen, weil für die von Frau L. bestellten und bezahlten Getränke und Speisen sowie die einem weiteren Gast servierten Speisen eine Bonierung nicht habe ermittelt werden können. Der Verdacht des unredlichen Verhaltens des Klägers habe nach Auswertung der Einzelbonierungsliste, der Kontrollberichte und der Stellungnahme des Klägers nicht ausgeräumt werden können. Das Vertrauensverhältnis sei nachhaltig gestört.
[9] Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 11. Oktober 1996.
[10] Mit Schreiben vom 14. Oktober 1996 kündigte die Beklagte dem Kläger fristlos.
[11] Der Kläger hat sich mit seiner am 21. Oktober 1996 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegen die Kündigung gewandt und vorgetragen, er habe sich nichts zuschulden kommen lassen, sich vielmehr seit nunmehr 20 Jahren unbeanstandet, loyal und erfolgreich für die Belange der Beklagten eingesetzt. Selbst wenn der eine oder andere Bonierungsverstoß unterstellt würde, sei darauf die fristlose Kündigung nicht zu stützen. Ein einfacher Bonierungsverstoß könne einem Mitarbeiter an Tagen, an denen besonders viel zu tun sei, unterlaufen und sei in die Kategorie "Fahrlässigkeit" einzuordnen. Soweit die Beklagte meine, ihm, dem Kläger, sei Vorsatz und ein unredliches Verhalten zu unterstellen, fehle es insoweit an objektivierbaren Fakten. Er, der Kläger, habe trotz aller Hektik nach bestem Wissen und Gewissen versucht, alles ordnungsgemäß zu erfassen und zu bonieren. Bonierungsverstöße würden in aller Regel auch nur mit einer Ermahnung oder Abmahnung geahndet, so daß insoweit ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorliege. Die Beklagte habe ferner keine Interessenabwägung vorgenommen. Insgesamt habe sie ihm auch kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt. Darüber hinaus sei die Anhörung des Betriebsrats nicht ordnungsgemäß erfolgt.
[12] Der Kläger hat beantragt, 1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die mit Schreiben vom 14. Oktober 1996 erklärte fristlose Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst ist, 2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Restaurantleiter weiterzubeschäftigen.
[13] Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
[14] Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe während seines Einsatzes als Restaurantleiter am 27. September 1996 nachweislich gegen die von ihm zu beachtenden Bonierungsvorschriften verstoßen und es lägen Tatsachen vor, die den dringenden Verdacht begründeten, daß er sich dabei unredlich verhalten habe, indem er zumindest zwei Reisenden verschiedene Speisen und Getränke serviert und das Entgelt dafür kassiert habe, ohne diese Umsätze pflichtgemäß über die Datenkasse zu bonieren: Bei der Mitarbeiterin der Revision L. auf Platz 15 des Bordrestaurants habe der Kläger zwei Portionen Kaffee und eine Portion "Vitaler Salatteller" im Gesamtverkaufswert von 24,90 DM abkassiert, ohne einen Rechnungsbeleg auszuhändigen und ohne diese Umsätze zuvor pflichtgemäß über die Datenkasse zu bonieren; das Entgelt habe er für sich behalten, weil – was insoweit unstreitig ist – die Abrechnung der Servicekräfte nur aufgrund der bonierten Umsätze erfolge. Ein anderer Gast auf Platz 5 habe beim Kläger Speisen und Getränke zum Gesamtpreis von 24,80 DM bestellt; auch insoweit hätten entsprechende Bonierungen nicht ermittelt werden können. Der Kläger sei ebenso wie der Betriebsrat ausreichend angehört worden. Einer Abmahnung des Klägers habe es nicht bedurft.
[15] Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung der beiden Revisoren und des damaligen Treff-Stewards die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben.
[16] Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.
[17] Entscheidungsgründe: Die Revision der Beklagten ist begründet, weil die Anwendung des § 626 BGB durch das Landesarbeitsgericht nicht frei von Rechtsfehlern ist. Das angefochtene Urteil war gemäß § 564 ZPO aufzuheben und gemäß § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
[18] I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe sich, indem er die der Revisorin L. servierten Speisen und Getränke nicht boniert habe, dem Verdacht ausgesetzt, den Verkaufserlös von 24,90 DM für sich vereinnahmen zu wollen. Dagegen lasse sich ein entsprechender Verdacht hinsichtlich des Verkaufserlöses für die dem Gast auf Platz 5 servierten Speisen und Getränke entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht feststellen. Bei einer Gesamtbetrachtung stellten sich schon die Verdachtsmomente als nicht so dringend dar, daß das Vorliegen eines wichtigen Grundes an sich bejaht werden müsse. Selbst wenn aber ein kündigungsrechtlich erheblicher Sachverhalt vorliegen würde, ergebe die Interessenabwägung überwiegende Gesichtspunkte für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Zudem sei die Kündigung mangels Abmahnung unverhältnismäßig.
[19] II. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision rügt mit Recht, das Landesarbeitsgericht habe den Begriff des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB verkannt, die von ihm vorgenommene Interessenabwägung sei unvollständig, und es habe zu Unrecht eine vorherige Abmahnung für erforderlich gehalten.
[20] 1. Wenngleich sich das Berufungsgericht nicht damit auseinandergesetzt hat, ob die Anhörung des Betriebsrats den Erfordernissen des § 102 BetrVG entspricht, kann der Senat diese Frage in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht aufgrund der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen bejahen. Die Beklagte hat den Betriebsrat mit der Vorlage vom 8. Oktober 1996 und den beigefügten Anlagen entgegen der Ansicht des Klägers nicht nur pauschal und schlagwortartig, sondern hinreichend detailliert über die Gründe informiert, aus denen sie die Kündigung erklären wollte und auf die sie sich nun stützt. Der Vorlegung der handschriftlichen Aufzeichnungen der Revisorin L. bedurfte es schon deshalb nicht, weil diese keine weitergehenden kündigungserheblichen Informationen enthalten.
[21] 2. Soweit das Landesarbeitsgericht in Zweifel gezogen bzw. verneint hat, daß der von ihm festgestellte Sachverhalt einen wichtigen Grund im Sinne von § 3 Nr. 10 TV Sicherung, § 626 Abs. 1 BGB darstellt, sind seine Ausführungen nicht frei von Rechtsfehlern.
[22] a) Zutreffend hat das Berufungsgericht die streitige Kündigung allerdings ausschließlich unter dem Blickwinkel einer "Verdachtskündigung" und nicht unter dem einer "Tatkündigung" untersucht. Insoweit handelt es sich um zwei von einander abzugrenzende Kündigungssachverhalte. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines von ihm nicht für sicher gehaltenen oder erwiesenen strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nötige Vertrauen zerstört. Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluß im Unterschied dazu maßgebend, daß der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung bzw. Pflichtwidrigkeit tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortführung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 12. August 1999 – 2 AZR 923/98 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 28 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8 mwN). Ausweislich des Wortlauts des Kündigungsschreibens vom 14. Oktober 1996 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen des dringenden Verdachts des unredlichen Verhaltens. Entsprechend wurde auch laut Anhörungsbogen der Betriebsrat unterrichtet. Daß die Beklagte es eventuell für sicher hielt, daß der Kläger die fraglichen Verkaufserlöse für sich vereinnahmt hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
[23] Zwar ist der Hinweis der Revision zutreffend, daß das Landesarbeitsgericht, wenn es auf der Basis des dem Betriebsrat mitgeteilten und ohne Zusätze im Kündigungsschutzprozeß vorgetragenen Sachverhalts eine entsprechende Pflichtverletzung des Klägers für erwiesen erachtet hätte, erst recht einen entsprechenden Tatverdacht hätte bejahen dürfen (vgl. KR-Fischermeier 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Die ausschließliche Prüfung der Voraussetzungen einer Verdachtskündigung ist jedoch nicht rechtsfehlerhaft.
[24] b) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht aber darin, der auch von ihm unter Bezugnahme auf die Feststellungen und Wertungen des Arbeitsgerichts bejahte dringende Verdacht einer vorsätzlichen rechtswidrigen Zueignung des Verkaufserlöses von 24,90 DM für den Verzehr der Revisorin L. durch den Kläger sei schon objektiv nicht geeignet, den Begriff des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB auszufüllen.
[25] aa) Zwar kann die konkrete Anwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs im Revisionsverfahren allein darauf überprüft werden, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Tatsachen, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei beachtet hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 12. August 1999 aaO mwN). Schon auf der Stufe des wichtigen Grundes an sich hält die Berufungsentscheidung der genannten beschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle indessen nicht stand.
[26] bb) Eigentums- oder Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers sind grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu stützen. Solche Delikte stellen an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Das gilt auch dann, wenn es nur um geringe Vermögenswerte geht (BAG 12. August 1999 aaO mwN). Dem Arbeitnehmer muß in diesen Fällen die Widerrechtlichkeit seines Verhaltens in der Regel bewußt sein. Aufgrund der durch den Arbeitsvertrag begründeten Nebenpflicht zur Loyalität hat er auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Diese Verpflichtung beinhaltet zugleich das Verbot, den Arbeitgeber rechtswidrig und vorsätzlich durch eine Straftat zu schädigen (Oetker Anm. Senat 20. September 1984 – 2 AZR 633/82SAE 1985, 171, 175). Der Arbeitnehmer bricht in diesen Fällen regelmäßig unabhängig vom Schadensumfang in erheblicher Weise das Vertrauen des Arbeitgebers (Tschöpe NZA 1985, 588, 589). Weiter widerspricht es der der Rechtssicherheit dienenden systematischen Zweiteilung des § 626 Abs. 1 BGB in den wichtigen Grund an sich und die nachfolgende Zumutbarkeitsprüfung unter Abwägung der beiderseitigen Interessen, wenn rechtswidrigen und vorsätzlichen Verletzungen des Eigentums oder Vermögens des Arbeitgebers von vornherein die Eignung für eine außerordentliche Kündigung abgesprochen wird, weil die Schädigung des Arbeitgebers geringfügig ist. Um Geringfügigkeit zu bejahen, ist eine Wertung erforderlich, was dafür spricht, die Schadenshöhe der Zumutbarkeitsprüfung im Rahmen der Interessenabwägung zuzuordnen. Objektive Kriterien für eine allein an der Schadenshöhe ausgerichtete Abgrenzung in ein für eine außerordentliche Kündigung grundsätzlich geeignetes und ein nicht geeignetes Verhalten lassen sich nicht aufstellen (vgl. BAG 12. August 1999 aaO mwN). Die letztlich gegenteilige Wertung des Berufungsgerichts verkennt den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes und überschreitet daher den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum.
[27] cc) Erschwerend kommt hinzu, wenn die Straftat mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit des Arbeitnehmers zusammenhängt, der Arbeitnehmer namentlich eine sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Obhutspflicht verletzt und das Delikt nicht nur außerhalb seines konkreten Aufgabenbereichs bei Gelegenheit der Arbeitsleistung verübt (BAG 12. August 1999 aaO mwN). Eine solche Obhutspflicht oblag hier dem Kläger, da er als Restaurantleiter nicht nur die ihm anvertrauten Lebensmittel zu verkaufen, sondern den Erlös für die Beklagte zu vereinnahmen und an diese abzuführen hatte. Auf die strafrechtliche Einordnung seines Verhaltens kommt es dabei nicht entscheidend an (BAG aaO mwN).
[28] dd) Die Revision rügt zudem mit Recht, daß das Landesarbeitsgericht das Verhalten des Klägers hinsichtlich des Verzehrs des Gastes auf Platz 5 nicht isoliert vom Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der Bedienung der Revisorin L. betrachten und nicht entgegen der Wertung des Arbeitsgerichts einen entsprechenden dringenden Verdacht unredlichen Verhaltens allein deshalb verneinen durfte, weil die Revisorin das Abkassieren dieses Gastes nicht mehr beobachtet hat. Es bestehen weder Anhaltspunkte dafür, daß dieser Gast ohne Bezahlung das Restaurant verließ, noch dafür, daß der Treff-Steward oder die Küchenstewardeß bei dem Gast trotz der vom Kläger pflichtwidrig unterlassenen Bonierung des Verzehrs ohne Mithilfe des Klägers abkassieren konnten. Auch der Kläger hat dies nicht behauptet. Abgesehen davon wäre, wie oben zu bb) dargelegt, schon das Verhalten des Klägers beim Bedienen und Abkassieren der Zeugin L. für sich genommen geeignet, den dringenden Verdacht eines Vermögensdelikts zu Lasten der Beklagten zu begründen und damit objektiv einen wichtigen Grund im Sinne von § 3 Nr. 10 TV Sicherung, § 626 Abs. 1 BGB zu erfüllen. Es ist rechtsfehlerhaft, aus einer "Gesamtbetrachtung" zusammen mit dem eher verdachtsverstärkenden als verdachtsmindernden Verhalten des Klägers hinsichtlich der Bedienung des Gastes auf Platz 5 (Unterlassung der Bonierung der Bestellung) abzuleiten, die für ein Vermögensdelikt zu Lasten der Beklagten sprechenden Verdachtsmomente seien nicht dringend. Dies dürfte auch die nachfolgende Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts beeinflußt haben.
[29] c) Selbst wenn aber ein solcher Einfluß nicht bestünde, wäre die vom Landesarbeitsgericht für den Fall des dringenden Verdachts eines solchen Vermögensdelikts im Ergebnis zu Lasten der Beklagten vorgenommene Interessenabwägung revisionsrechtlich zu beanstanden.
[30] aa) Die Revision rügt mit Recht, daß das Berufungsgericht nicht zu Gunsten des Klägers von einem über lange Zeit völlig beanstandungsfreien Arbeitsverhältnis ausgehen durfte. Aus der Verpflichtung der Beklagten, gemäß der Betriebsvereinbarung vom 6. Juli 1995 Abmahnungen nach zwei Jahren aus der Personalakte zu entfernen, kann entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht geschlossen werden, daß solch entfernte Abmahnungen kündigungsrechtlich in jedem Fall bedeutungslos werden (vgl. für sachlich berechtigte Abmahnungen HK-KSchG/Dorndorf 3. Aufl. § 1 Rn. 682; weitergehend auch für sachlich unberechtigte Abmahnungen KR-Fischermeier aaO Rn. 270; Schunck NZA 1993, 828). Zudem läßt sich die Unverwertbarkeit der von der Beklagten behaupteten Ermahnung des Klägers vom 28. August 1996 wegen Bonierungsverstößen mit der Betriebsvereinbarung vom 6. Juli 1995 schon deshalb nicht begründen, weil diese zweite Ermahnung entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht außerhalb des Zweijahreszeitraums, sondern nur etwa eineinhalb Monate vor der streitigen Kündigung lag. Eine solche Ermahnung ist kündigungsrechtlich keineswegs völlig bedeutungslos (vgl. BAG 8. Dezember 1988 – 2 AZR 294/88 – RzK I 5 i Nr. 45 = EzAÜG § 10 AÜG Fiktion Nr. 60; KR-Fischermeier aaO Rn. 261). Sie mag hier zwar mangels Mitteilung an den Betriebsrat nicht zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden können, was die Beklagte im übrigen nie gefordert hat. Umgekehrt durfte das Landesarbeitsgericht aber auf der Basis seiner Feststellungen auch nicht von einem "völlig beanstandungsfreien Arbeitsverhältnis" als Entlastungsgesichtspunkt ausgehen.
[31] bb) Nicht zu beanstanden ist dagegen, daß das Landesarbeitsgericht die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers bei der Interessenabwägung zu seinen Gunsten berücksichtigt hat. Dies sieht auch die Revision nicht anders.
[32] cc) Daß das Landesarbeitsgericht ferner die Unterhaltspflichten zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat, ist zwar im Ansatz berechtigt, weil § 626 Abs. 1 BGB eine umfassende Interessenabwägung verlangt. Die Revision rügt allerdings mit Recht, das Landesarbeitsgericht habe verkannt, daß gegenüber dem dringenden Verdacht eines Vermögensdelikts diese aus der privaten Sphäre des Arbeitnehmers herrührenden Umstände nur eine untergeordnete Rolle spielen und allenfalls in Grenzfällen den Ausschlag geben können, soweit nicht eine durch die Unterhaltspflichten bedingte Notlage das Motiv für die Unredlichkeit des Arbeitnehmers war, wofür hier kein Anhaltspunkt besteht (BAG 2. März 1989 – 2 AZR 280/88 – AP BGB § 626 Nr. 101 = EzA BGB § 626 nF Nr. 118; KR-Fischermeier aaO Rn. 241).
[33] dd) Das Landesarbeitsgericht hätte ferner, wie die Revision zutreffend rügt, zu Lasten des Klägers berücksichtigen müssen, daß die Beklagte auf die Loyalität ihrer Fahrdienstmitarbeiter angewiesen ist, die sie wegen ihrer besonderen Betriebsstruktur nur schwer kontrollieren kann und die deshalb schon faktisch eine Vertrauensstellung innehaben.
[34] ee) Was schließlich die tarifliche "Unkündbarkeit" des Klägers angeht, so spricht diese zunächst deshalb für die Bejahung eines wichtigen Grundes für eine außerordentliche Kündigung, weil mangels der Beklagten zumutbarer Vorkehrungen für eine lückenlose Kontrolle (vgl. vorstehend dd) eine Wiederholungsgefahr nicht auszuschließen ist (vgl. BAG 14. November 1984 – 7 AZR 474/83 – AP BGB § 626 Nr. 83 = EzA BGB § 626 nF Nr. 93; KR-Fischermeier aaO Rn. 301). Fristlos kann allerdings einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer nach § 626 BGB allenfalls dann gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren kündbaren Arbeitnehmer dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre. Nur so kann der Wertungswiderspruch verhindert werden, daß sonst der tariflich unkündbare Arbeitnehmer allein wegen seines besonderen Schutzes benachteiligt würde (vgl. im einzelnen BAG 12. August 1999 aaO mwN).
[35] ff) Die genannten Rechtsfehler bei der Interessenabwägung gebieten die Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat. Der Senat konnte die grundsätzlich den Tatsacheninstanzen vorbehaltene Interessenabwägung nicht selbst vornehmen, zumal der Kläger in der Berufungsinstanz mit Recht moniert hat, daß auch das Arbeitsgericht keine umfassende Abwägung der Interessen beider Vertragsteile vorgenommen hat.
[36] d) Die Zurückverweisung wäre zwar auch dann vermeidbar, wenn jedenfalls der Ansicht des Berufungsgerichts zu folgen wäre, die streitige Kündigung verletze mangels Abmahnung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zutreffend ist, daß eine Kündigung wegen des Verdachts einer Pflichtverletzung dann unverhältnismäßig wäre, wenn auch die Wirksamkeit einer Tatkündigung wegen der erwiesenen Pflichtverletzung am Fehlen einer Abmahnung scheitern würde. Die Revision macht jedoch mit Recht geltend, daß es bei dem hier gegebenen dringenden Verdacht eines vorsätzlichen Vermögensdelikts zu Lasten des Arbeitgebers keiner vorherigen Abmahnung bedarf (vgl. im einzelnen BAG 12. August 1999 aaO mwN). Bei besonders schwerwiegenden Verstößen, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei denen es offensichtlich ausgeschlossen ist, daß sie der Arbeitgeber hinnimmt, ist eine Abmahnung nicht erforderlich. In solchen Fällen kann eine Wiederherstellung des für ein Arbeitsverhältnis notwendigen Vertrauens nicht erwartet werden. Im vorliegenden Fall konnte der Kläger mit vertretbaren Überlegungen nicht davon ausgehen, die Beklagte werde es dulden, daß er ihr zustehende Verkaufserlöse von fast 50,00 DM in seine eigene Tasche stecke, zumal er schon in Ziffer 8 des Arbeitsvertrages darauf hingewiesen worden war, daß die Beklagte nicht erst ein entsprechendes Vermögensdelikt, sondern gegebenenfalls schon den im Vorfeld liegenden Verstoß gegen die Bonierungsvorschriften zum Anlaß für eine fristlose Kündigung nehmen werde. Auf die von der Beklagten behaupteten Ermahnungen wegen der Verstöße gegen die Bonierungsvorschriften am 26. Dezember 1993 und am 28. August 1996 braucht deshalb insoweit gar nicht abgestellt zu werden. Dem Kläger in seiner Vertrauensstellung als Restaurantleiter, dem trotz geringer Überwachungsmöglichkeiten der Beklagten eine Vielzahl der in ihrem Eigentum stehenden Güter zum Verkauf und zur Obhut anvertraut waren und der die vereinnahmten Gelder an die Beklagte abzuführen hatte, mußte auch ohne Abmahnung klar sein, daß er mit dem Unterlassen der Bonierung der Bestellungen von Restaurantgästen und deren Abkassieren ohne Nachbonierung und ohne Ausdruck der Rechnung seinen Arbeitsplatz auf Spiel setzte.