Bundesarbeitsgericht
Außerordentliche Kündigung – Personalratsbeteiligung
§ 21 Abs 5 SchwbG 1986 ist analog anzuwenden, wenn vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ein personalvertretungsrechtliches Mitbestimmungsverfahren wie das in §§ 79 ff PersVG Berlin geregelte Verfahren durchzuführen ist (Bestätigung von BAG 21. Oktober 1983 – 7 AZR 281/82 – BAGE 43, 368).
Hat der Arbeitgeber innerhalb der Frist des § 626 Abs 2 BGB sowohl die erforderliche Zustimmung des Personalrats beantragt als auch bei verweigerter Zustimmung das weitere Mitbestimmungsverfahren eingeleitet, so kann demgemäß die Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs 2 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird.
Es reicht nicht aus, daß der Arbeitgeber lediglich kurz vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist beim Personalrat die Zustimmung zur Kündigung beantragt und nach Ablauf der Frist bei verweigerter Zustimmung das weitere Mitbestimmungsverfahren einleitet.
BAG, Urteil vom 8. 6. 2000 – 2 AZR 375/99 (lexetius.com/2000,4594)
[1] Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 15. Dezember 1998 – 5 Sa 97/98 – wird auf Kosten des beklagten Landes zurückgewiesen.
[2] Tatbestand: Der 1937 geborene Kläger war bei dem beklagten Land seit dem 18. Mai 1981 als Gebäudereiniger, zuletzt in dem Pflegewohnheim L beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden gemäß arbeitsvertraglicher Vereinbarung die Bestimmungen des BMT-G II Anwendung.
[3] Der Kläger hatte ca. 200 Stangen unverzollter Zigaretten erworben und diese in den Diensträumen des Pflegewohnheimes L gelagert, wo diese von Mitarbeitern des Zollfahndungsamtes anläßlich einer durchgeführten Hausdurchsuchung am 7. Oktober 1997 vorgefunden wurden. Am selben Tag wurde die Leiterin des Pflegewohnheimes von dem Ergebnis der Hausdurchsuchung informiert, woraufhin diese den Kläger mit einem Schreiben vom 8. Oktober 1997 vom Dienst suspendierte und ihm ein Hausverbot erteilte. Am 8. Oktober 1997 gab die Leiterin des Pflegewohnheimes die Information über die Lagerung der Zigaretten in den Diensträumen an den zuständigen Personalleiter weiter. Am 10. Oktober 1997 wurde der Kläger ua. im Beisein des Personalratsvorsitzenden zu dem Sachverhalt angehört. Am 23. Oktober 1997 hörte das beklagte Land den Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers an und bat um dessen Zustimmung. Der Personalrat beschloß am 24. Oktober 1997 die Zustimmung zur Kündigung zu verweigern und teilte dies dem beklagten Land am 27. Oktober 1997 mit. Am 28. Oktober 1997 wandte sich das beklagte Land an den Hauptpersonalrat und bat diesen das Einigungsverfahren einzuleiten. Am 31. Oktober 1997 fand eine Erörterung vor dem Hauptpersonalrat statt, in der sich die Beteiligten dahingehend einigten, den Personalrat erneut anzuhören. Diese Anhörung erfolgte am 3. November 1997, woraufhin der Personalrat nunmehr der beabsichtigen Kündigung am 4. November 1997 zustimmte. Mit Schreiben vom selben Tag kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos.
[4] Mit der am 10. November 1997 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt und ua. die Auffassung vertreten, die Kündigung sei schon wegen Nichteinhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam.
[5] Der Kläger hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung des beklagten Landes vom 4. November 1997 nicht aufgelöst wurde.
[6] Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die zweiwöchige Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt worden, da dafür ausreichend sei, daß der Personalrat noch vor Ablauf dieser Frist informiert worden sei.
[7] Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des beklagten Landes blieb erfolglos. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter.
[8] Entscheidungsgründe: Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zutreffend mit der Begründung stattgegeben, daß das beklagte Land bei Ausspruch der Kündigung die Frist des § 626 Abs. 2 BGB bzw. des § 53 Abs. 2 BMT-G II nicht eingehalten hat und die Kündigung deshalb unwirksam ist.
[9] I. Das Landesarbeitsgericht hat – kurz zusammengefaßt – angenommen, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB werde durch die Wochenfrist, innerhalb derer der Personalrat nach § 79 Abs. 2 Satz 3 PersVG Berlin die Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern habe, weder unterbrochen noch gehemmt. Verweigere der Personalrat seine Zustimmung, so sei innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB das Einigungsverfahren nach § 80 PersVG Berlin einzuleiten. Dies sei hier nicht geschehen. Das beklagte Land habe vielmehr erst einen Tag vor Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB beim Personalrat die Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung beantragt.
[10] II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und auch in wesentlichen Teilen der Begründung.
[11] 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (21. Oktober 1983 – 7 AZR 281/82 – BAGE 43, 368) ist § 18 Abs. 6 SchwbG (jetzt § 21 Abs. 5 SchwbG 1986) analog anzuwenden, wenn vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ein personalvertretungsrechtliches Mitbestimmungsverfahren wie das in §§ 79 ff. PersVG Berlin geregelte Verfahren durchzuführen ist. Hat der Arbeitgeber rechtzeitig innerhalb der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB beim Personalrat die erforderliche Zustimmung zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung beantragt und bei verweigerter Zustimmung noch innerhalb der 2-Wochen-Frist das nach den personalvertretungsrechtlichen Vorschriften dann durchzuführende Mitbestimmungsverfahren eingeleitet, so ist die Kündigung nicht wegen Versäumung der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam, wenn das Mitbestimmungsverfahren bei Ablauf der 2-Wochen-Frist noch nicht abgeschlossen ist. Es besteht eine vergleichbare Interessenlage wie bei der Erforderlichkeit eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG. Auch hier wendet die Rechtsprechung § 21 Abs. 5 SchwbG entsprechend an, wenn der Arbeitgeber im Falle der Zustimmungsverweigerung durch den Betriebsrat das Ersetzungsverfahren innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingeleitet hat (BAG 18. August 1977 – 2 ABR 19/77 – BAGE 29, 270). Da das Ersetzungsverfahren bis zum Ablauf der 2-Wochen-Frist regelmäßig nicht abgeschlossen ist, ist es dem Arbeitgeber nicht möglich, die Kündigung noch innerhalb der Ausschlußfrist auszusprechen. Dieser im Anwendungsbereich des § 103 BetrVG vom Gesetzgeber nicht bedachten Situation hat er für den Fall der außerordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten, für die die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle erforderlich ist, ausdrücklich dadurch Rechnung getragen, daß eine außerordentliche Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgen kann, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird (§ 21 Abs. 5 SchwbG). Da im Anwendungsbereich des § 103 BetrVG eine vergleichbare Sach- und Interessenlage gegeben ist, hat das Bundesarbeitsgericht in entsprechender Anwendung der Regelung im Schwerbehindertengesetz es für zulässig angesehen, die außerordentliche Kündigung unverzüglich nach rechtskräftiger Entscheidung über die Ersetzung der Zustimmung auszusprechen (BAG aaO). Die gleiche Interessenlage besteht bei dem Mitbestimmungsverfahren nach §§ 79 ff. PersVG Berlin. Hier hat der Arbeitgeber, wenn er rechtzeitig innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB bei verweigerter Zustimmung des Personalrats zu der beabsichtigten Kündigung das weitere Mitbestimmungsverfahren eingeleitet hat, keinen Einfluß auf dessen weiteren Verlauf. Da das Mitbestimmungsverfahren regelmäßig innerhalb der 2-Wochen-Frist nicht abgeschlossen werden kann, ist es auch hier in entsprechender Anwendung des § 21 Abs. 5 SchwbG für zulässig anzusehen, die außerordentliche Kündigung unverzüglich nach Abschluß des Mitbestimmungsverfahrens auszusprechen (BAG 21. Oktober 1983 aaO).
[12] 2. An dieser Rechtsprechung, die breite Zustimmung gefunden hat (Germelmann/Binkert PersVG Berlin § 87 Rn 103; RGRK/Corts BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 226; KR-Fischermeier 5. Aufl. § 626 Rn. 332; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 7. Aufl. Rn. 483, 1012; Schaub Arbeitsrechts-Handbuch 9. Aufl. § 125 Rn. 37; Schmidt Anm. zu AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 16), ist festzuhalten.
[13] a) Zu Unrecht meint die Revision im Anschluß an Gamillscheg (JuS 1985, 853, 858), es müsse ausreichen, wenn der Personalrat innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 PersVG Berlin überhaupt mit der Sache befaßt werde. § 626 Abs. 2 BGB fordert von dem Kündigenden, daß die Kündigung innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von dem Kündigungssachverhalt zu erfolgen hat. Damit wird dem Arbeitgeber grundsätzlich zugemutet, alles zu unternehmen, um das erforderliche Verfahren zur Beteiligung des Betriebsrats bzw. Personalrats noch während der 2-Wochen-Frist zum Abschluß zu bringen. Eine Kündigung nach Ablauf der 2-Wochen-Frist hat die Rechtsprechung nur, da vom Arbeitgeber nichts Unmögliches verlangt werden kann, zugelassen, wenn die Verzögerung für den Arbeitgeber unvermeidbar war. Insoweit gilt für das Mitbestimmungsverfahren nach §§ 79 ff. PersVG Berlin nichts anderes als bei der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG, dem Zustimmungserfordernis nach § 103 BetrVG und den in anderen Personalvertretungsgesetzen geregelten Beteiligungsverfahren. Die Kündigung ist in allen diesen Fällen stets wegen Fristversäumnis unwirksam, wenn der Arbeitgeber den Betriebs-/Personalrat so spät beteiligt, daß d e s h a l b das Verfahren innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von dem Kündigungssachverhalt nicht mehr abgeschlossen werden kann.
[14] b) Es wird auch nicht, wie die Revision weiter geltend macht, die ohnehin kurze Frist des § 626 Abs. 2 BGB in unzumutbarer Weise verkürzt, wenn die dem Personalrat zur Entscheidung über den Zustimmungsantrag gewährte Wochenfrist eingehalten und bei abgelehnter Zustimmung innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des Kündigungssachverhalts auch noch das weitere Mitbestimmungsverfahren eingeleitet werden muß. Bei jeder Form der Beteiligung des Betriebsrats bzw. des Personalrats an einer Kündigung wird, wenn man die Durchführung des Beteiligungsverfahrens grundsätzlich noch während der Frist des § 626 Abs. 2 BGB fordert, die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehende Frist durch die dem Betriebs-/Personalrat einzuräumende Überlegungsfrist verkürzt. Auch bei einer Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG muß der Arbeitgeber den Betriebsrat regelmäßig schon am zehnten Tag nach Kenntniserlangung vom Kündigungssachverhalt zu der beabsichtigten Kündigung anhören, wenn er die dem Betriebsrat nach § 102 Abs. 2 Satz 3 zu gewährende Frist von drei Tagen zur Stellungnahme einhalten will. Hält der Arbeitgeber es zu diesem Zeitpunkt noch für möglich, daß er selbst bis zum Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB von seiner Kündigungsabsicht abrückt, so muß er den Betriebsrat vorsorglich anhören. Die §§ 79 ff. PersVG Berlin enthalten insoweit nichts anderes, es wird nur die Frist zur Stellungnahme auf eine Woche verlängert. Die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehende Frist, seinen Kündigungsentschluß zu fassen, ist zwar dadurch weiter verkürzt und die Revision legt zutreffend dar, daß der Arbeitgeber schon am sechsten Tag nach Kenntnis von dem Kündigungssachverhalt die Zustimmung zur Kündigung beim Personalrat beantragen muß, um sicherzustellen, daß er bei abgelehnter Zustimmung noch rechtzeitig vor Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB das weitere Mitbestimmungsverfahren einleiten kann. Diese Besonderheit des einschlägigen Landespersonalvertretungsgesetzes ist jedoch, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, hinzunehmen. Wenn der Landesgesetzgeber den kollektivrechtlichen Kündigungsschutz des Arbeitnehmers dadurch verstärkt, daß er die dem Personalrat zur Verfügung stehende Überlegungsfrist etwa gleichlang gestaltet wie die in Abhängigkeit davon dem Arbeitgeber zur Verfügung stehende Frist, seinen Kündigungsentschluß zu fassen, so verstößt dies nicht gegen Bundesrecht (vgl. BAG 21. Oktober 1983 aaO). Eine solche Verlängerung der Überlegungsfrist für den Personalrat mag die Anzahl der Fälle vermehren, in denen der Arbeitgeber nach vorsorglicher Einleitung des Mitbestimmungsverfahrens nach §§ 79 ff. PersVG Berlin sich innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB doch noch entschließt, von seiner ursprünglichen Kündigungsabsicht abzusehen. Dies ist jedoch unter dem Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes, dem sowohl § 626 Abs. 2 BGB, als auch §§ 79 ff. PersVG Berlin zumindest auch dienen, unbedenklich.
[15] c) Soweit die Revision geltend macht, dem öffentlichen Arbeitgeber müsse bei der Erforderlichkeit eines Mitbestimmungsverfahrens nach §§ 79 ff. PersVG Berlin zumindest dieselbe Frist zur Verfügung stehen, seinen Kündigungsentschluß zu fassen, wie dem privaten Arbeitgeber bei Erforderlichkeit der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG, so kommt es im übrigen darauf nicht an. Hätte ein privater Arbeitgeber das erforderliche Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG so verzögerlich behandelt wie das beklagte Land das Mitbestimmungsverfahren nach §§ 79 ff. PersVG Berlin, so wäre dessen Kündigung ebenfalls wegen Versäumung der Ausschlußfrist nach § 626 Abs. 2 BGB rechtsunwirksam. Das beklagte Land hat hier den Personalrat nicht spätestens am zehnten Tag nach Kenntniserlangung von dem Kündigungssachverhalt beteiligt, sondern den Zustimmungsantrag erst 13 Tage nach Anhörung des Klägers beim Personalrat gestellt. Selbst eine Einschaltung des Personalrats am zehnten Tag der Frist des § 626 Abs. 2 BGB wäre im vorliegenden Fall wahrscheinlich geeignet gewesen, nach der Zustimmungsverweigerung das weitere Mitbestimmungsverfahren noch rechtzeitig innerhalb der Ausschlußfrist einzuleiten. Der Personalrat hat immerhin schon am Tag nach Eingang des Zustimmungsantrags die Zustimmungsverweigerung beschlossen und bei entsprechendem Hinweis des beklagten Landes auf den Fristablauf hätte höchstwahrscheinlich vermieden werden können, daß allein die Information des beklagten Landes über den bereits gefaßten Beschluß weitere drei Tage in Anspruch nahm.