Bundesarbeitsgericht
Keine Kostentragungspflicht des Arbeitgebers ohne Betriebsratsbeschluß
1. Der Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber auf Übernahme von Kosten nach § 40 Abs 1 BetrVG, die einem Betriebsratsmitglied anläßlich des Besuchs einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs 6 BetrVG entstanden sind, setzt einen Beschluß des Betriebsrats zur Teilnahme an der vom Betriebsratsmitglied besuchten Veranstaltung voraus. Ein vorangehender Beschluß über die Teilnahme an einem anderen Seminar genügt nicht.
2. Ein Beschluß des Betriebsrats, der nach dem Besuch der Schulung gefaßt wird und in dem die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds gebilligt wird, begründet keinen Anspruch des Betriebsrats nach § 40 Abs 1 BetrVG auf Kostentragung (Aufgabe von BAG 28. Oktober 1992 – 7 ABR 14/92 – AP BetrVG 1972 § 29 Nr 4 = EzA BetrVG 1972 § 29 Nr 2).

BAG, Beschluss vom 8. 3. 2000 – 7 ABR 11/98 (lexetius.com/2000,4603)

[1] Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 22. Oktober 1997 – 2 TaBV 3/97 – wird zurückgewiesen.
[2] Gründe: A. Die Beteiligten streiten über Kosten, die einem Betriebsratsmitglied anläßlich des Besuchs einer Schulungsveranstaltung entstanden sind.
[3] Antragsteller ist der im Betrieb der Arbeitgeberin bestehende Betriebsrat. Die Beteiligte zu 3) ist die freigestellte Betriebsratsvorsitzende. Der Betriebsrat beschloß in seiner Sitzung vom 23. Januar 1995, die Betriebsratsvorsitzende zu dem von der IG Metall vom 23. April bis 5. Mai 1995 in L veranstalteten Seminar "Betriebsräte II" zu entsenden. Da in diesem Seminar kein Teilnehmerplatz mehr frei war, nahm die Betriebsratsvorsitzende an dem ebenfalls von der IG Metall vom 19. bis 30. Juni 1995 in A veranstalteten regionalen Seminar "Betriebsräte II" teil. Der Betriebsrat hatte darüber keinen erneuten Beschluß gefaßt. Die Arbeitgeberin weigerte sich, den ihr hierfür zuletzt von der IG Metall in Rechnung gestellten Betrag von 1.643,99 DM zu zahlen.
[4] Der Betriebsrat hat beantragt, der Arbeitgeberin aufzugeben, die Beteiligte Marina Cee gegenüber der IG Metall, Verwaltungsstelle Ludwigsburg, von den Lehrgangskosten für die Teilnahme am Seminar "Betriebsräte II" in Höhe von 1.643,99 DM freizustellen.
[5] Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
[6] Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Teilnahme der Beteiligten zu 3) an der Schulung im Juni 1995 sei vom Betriebsrat nicht beschlossen worden. Zur Betriebsratssitzung vom 23. Januar 1995 sei nicht ordnungsgemäß eingeladen worden. Außerdem sei die Aufschlüsselung der Kostenrechnung der IG Metall durch den Betriebsrat unzureichend.
[7] Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses. Die Arbeitgeberin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
[8] Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Betriebsrat in seiner Sitzung vom 6. April 1998 die Seminarteilnahme der Beteiligten zu 3) genehmigt.
[9] B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
[10] Der Betriebsrat hat gegen die Arbeitgeberin keinen Anspruch nach § 40 Abs. 1 iVm. § 37 Abs. 6 BetrVG, seine Betriebsratsvorsitzende von der Verpflichtung gegenüber der IG Metall zur Zahlung der Schulungskosten freizustellen. Dem Besuch des Seminars vom 19. bis 30. Juni 1995 lag kein die Freistellungsverpflichtung begründender Beschluß des Betriebsrats über die Erforderlichkeit der Teilnahme an der von der Betriebsratsvorsitzenden besuchten Veranstaltung zugrunde. Soweit der Betriebsrat den fehlenden Beschluß nach dem Besuch der Schulung nachgeholt hat, kommt dem keine anspruchsbegründende Wirkung zu.
[11] 1. Gem. § 40 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu tragen. Dazu gehören die Beträge, die einem Betriebsratsmitglied anläßlich der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG entstanden sind, sofern das dort vermittelte Wissen für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist. Die Pflicht zur Kostentragung setzt einen wirksamen Entsendebeschluß des Betriebsrats voraus (BAG 7. Juni 1989 – 7 ABR 26/88BAGE 62, 74 zu I 1 der Gründe mwN).
[12] 2. Der Betriebsrat hat für das Seminar vom 19. bis 30. Juni 1995 zuvor keinen Beschluß über eine Teilnahme der Betriebsratsvorsitzenden gefaßt. Der Betriebsratsbeschluß vom 23. Januar 1995 betraf eine Schulungsveranstaltung vom 23. April bis zum 5. Mai 1995 und konnte die Teilnahme an einem Seminar in der Zeit vom 19. bis 30. Juni 1995 nicht rechtfertigen. Das hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.
[13] Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats hat der Betriebsrat zu entscheiden, ob ein Betriebsratsmitglied zu einer Schulungsveranstaltung entsandt werden soll. Dabei hat er zu prüfen, ob die Teilnahme erforderlich iSd. § 37 Abs. 6 BetrVG ist oder nicht. Diese Entscheidung kann er nicht nach seinen subjektiven Vorstellungen treffen. Vielmehr ist die Erforderlichkeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls anhand der konkreten Verhältnisse des Betriebs und der sich stellenden Betriebsratsaufgaben zu bestimmen. Dazu hat er die Interessen der Belegschaft an einer sachgerechten Ausübung der Betriebsratstätigkeit einerseits und berechtigte Interessen des Arbeitgebers andererseits gegeneinander abzuwägen. Zu diesen Umständen gehören nicht nur zB das Thema der Schulung sowie deren voraussichtliche Kosten, sondern auch der Zeitpunkt der Veranstaltung. Das folgt aus den Regelungen in § 37 Abs. 6 Satz 2 bis 4 BetrVG. Insbesondere bei der Entsendung des Betriebsratsvorsitzenden muß der Betriebsrat abwägen, ob er und/oder der Arbeitgeber in dem vorgesehenen Zeitraum auf die Anwesenheit des Vorsitzenden verzichten kann. Denn es können wichtige mitbestimmungspflichtige Entscheidungen anstehen, die dessen Anwesenheit angebracht erscheinen lassen und eine Verschiebung der Schulungsteilnahme gebieten. Der Schulungszeitpunkt ist auch bei freigestellten Betriebsratsmitgliedern von Bedeutung. Sie stehen für die Dauer der Schulungsteilnahme nicht für die Erledigung von Betriebsratsaufgaben zur Verfügung. Ihre Aufgaben müssen von den übrigen Mitgliedern und ggf. von Ersatzmitgliedern wahrgenommen werden. Die damit verbundenen Arbeitsausfälle muß der Arbeitgeber überbrücken können. Deshalb folgt aus einer einmal getroffenen Entscheidung des Betriebsrats keine Teilnahmeberechtigung zu einer anderen Veranstaltung gleichen Inhalts. Er muß vielmehr einen erneuten Beschluß sowohl hinsichtlich des Zeitpunkts als auch über die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme zu dieser Zeit fassen.
[14] 3. Der während des Rechtsbeschwerdeverfahrens herbeigeführte Beschluß des Betriebsrats zur nachträglichen Genehmigung der Schulungsteilnahme ist rechtlich unbeachtlich. Es handelt sich um eine neue, im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr zu berücksichtigende Tatsache. Im übrigen ist ein nachträglicher Beschluß auch in einem früheren Verfahrensstadium ohne Bedeutung für die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers. Nach § 40 Abs. 1, § 37 Abs. 6 BetrVG hat der Betriebsrat das Alleinbeurteilungsrecht über die Erforderlichkeit der Teilnahme eines seiner Mitglieder an einer bestimmten Schulungsveranstaltung. Dabei hat er auch die konkret betroffenen Interessen des Arbeitgebers gerade hinsichtlich der zeitlichen Lage zu berücksichtigen. Das gebietet eine Beschlußfassung vor dem Besuch der Veranstaltung. Eine Entscheidung nach einem Zeitpunkt, von dem an Freistellungen tatsächlich in Anspruch genommen und Kosten entstanden sind, ist rechtlich nicht möglich. Deshalb ist die Tatsache, daß der Betriebsrat das vorliegende Verfahren betreibt, selbst dann ohne Bedeutung, wenn mit dem Beschluß über die Einleitung dieses Beschlußverfahrens eine nachträgliche Beschlußfassung über die Teilnahme der Betriebsratsvorsitzenden verbunden gewesen sein sollte. Soweit der Senat in seinem Beschluß vom 28. Oktober 1992 (- 7 ABR 14/92AP BetrVG 1972 § 29 Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 29 Nr. 2 zu II 3 der Gründe) angenommen hat, ein fehlender oder fehlerhafter Beschluß könne nachträglich ausdrücklich oder konkludent gebilligt werden, hält der Senat daran nicht fest.
[15] 4. Auf die weiteren Einwände der Arbeitgeberin zur ordnungsgemäßen Ladung der Betriebsratsmitglieder vor der Beschlußfassung vom 23. Januar 1995 und zur Aufschlüsselungspflicht des Betriebsrats kommt es nicht an.