Bundesarbeitsgericht
Wahlberechtigung von Beschäftigten in einer Arbeitsgelegenheit nach § 19 Abs 1 BSHG bei der Wahl des Betriebsrats
1. Beschäftigte, die aufgrund einer vom Sozialhilfeträger geschaffenen Arbeitsgelegenheit nach § 19 Abs 1 BSHG bei einem Dritten in einem befristeten Arbeitsverhältnis beschäftigt werden, sind nicht nach § 5 Abs 2 Nr 4 BetrVG von der Wahl eines Betriebsrats ausgeschlossen.
2. Sie sind aber im Betrieb des Arbeitgebers nur wahlberechtigt, wenn sie nach der konkreten Ausgestaltung ihrer Tätigkeit dem arbeitstechnischen Zweck des Betriebes dienen und nicht selbst Gegenstand des Betriebszwecks sind.
BAG, Beschluss vom 5. 4. 2000 – 7 ABR 20/99 (lexetius.com/2000,4605)
[1] Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 13. April 1999 – 7 TaBV 52/98 – wird zurückgewiesen.
[2] Gründe: A. Die Beteiligten streiten über die Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl.
[3] Der zu 1) beteiligte Arbeitgeber ist ein Bildungswerk in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Sein satzungsmäßiger Zweck ist die Durchführung von Bildungsveranstaltungen, die Unterstützung der Volkshochschularbeit sowie von Initiativen und Programmprojekten des Landesverbandes der Volkshochschulen. Zu den Bildungseinrichtungen des Arbeitgebers gehört auch die Aus- und Weiterbildungsstätte., deren Betriebsrat der Beteiligte zu 2) ist. In diesem Betrieb werden Auszubildende im Bereich der überbetrieblichen Erstausbildung ausgebildet und Umschüler weiterqualifiziert. Ende 1997 waren dort insgesamt 16 Arbeitnehmer als Ausbilder, Lehrer, Verwaltungsmitarbeiter, Hausmeister und Reinigungskraft tätig. Außerdem wurden 21 Personen in einer Arbeitsgelegenheit nach § 19 Abs. 1 BSHG aufgrund von Arbeitsverträgen befristet für ein Jahr beschäftigt. Es handelte sich um Personen, die trotz einer weitgehend vorhandenen beruflichen Qualifikation aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Aussiedlung bzw. Anerkennung als Asylberechtigte keine Arbeit gefunden und Sozialhilfe bezogen hatten. Sie wurden gemeinsam vom Landkreis. als örtlichen Träger der Sozialhilfe und dem Arbeitgeber für die Teilnahme an der Maßnahme nach § 19 Abs. 1 BSHG ausgewählt. Ihre Beschäftigung wurde vom Sozialhilfeträger finanziert. Der Arbeitgeber wies die BSHG – Beschäftigten in Praktikumsplätze, überwiegend bei einer vom Landkreis. gegründeten Beschäftigungsgesellschaft, ein. Die BSHG-Beschäftigten wurden bei ihrer Tätigkeit von einem beim Arbeitgeber beschäftigten Meister begleitet, der berechtigt war, ihnen Arbeitsanweisungen zu erteilen.
[4] Am 3. Dezember 1997 wurde in der Aus- und Weiterbildungsstätte. ein aus drei Personen bestehender Betriebsrat gewählt. An der Wahl beteiligten sich 29 Beschäftigte. Das Wahlergebnis wurde am 10. Dezember 1997 bekannt gegeben.
[5] Mit seinem am 23. Dezember 1997 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat der Arbeitgeber die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die BSHG-Beschäftigten seien nicht wahlberechtigt. Sie seien nicht im Rahmen der arbeitstechnischen Zwecksetzung seines Betriebs tätig.
[6] Der Arbeitgeber hat beantragt, die Betriebsratswahl vom 3. Dezember 1997 für unwirksam zu erklären.
[7] Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
[8] Er hat die Auffassung vertreten, durch die Übernahme der BSHG-Beschäftigten sei der Betriebszweck des Betriebs. erweitert worden. Die BSHG-Beschäftigten bildeten eine eigene innerbetriebliche Abteilung. Es handle sich um eine Form gemeinnütziger Arbeit, die von den übrigen Beschäftigten des Arbeitgebers organisiert werde. Im übrigen sei bei der Beurteilung der Wahlberechtigung nicht ausschließlich auf den Betriebszweck, sondern auch darauf abzustellen, ob die BSHG-Beschäftigten auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags tätig seien.
[9] Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat weiterhin die Abweisung des Antrags. Der Arbeitgeber beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
[10] B. Die Vorinstanzen haben die Wahl zur Recht als anfechtbar angesehen. Sie war für unwirksam zu erklären.
[11] I. Die formellen Voraussetzungen der Wahlanfechtung sind erfüllt. Der nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG anfechtungsberechtigte Arbeitgeber hat die am 3. Dezember 1997 durchgeführte Betriebsratswahl, deren Ergebnis am 10. Dezember 1997 bekannt gegeben wurde, am 23. Dezember 1997 und damit innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG angefochten.
[12] II. Zu Recht haben die Vorinstanzen angenommen, daß die 21 Beschäftigten, mit denen der Beteiligte zu 1) auf der Grundlage einer nach § 19 Abs. 1 BSHG geschaffenen Arbeitsgelegenheit Verträge abgeschlossen hatte, nicht wahlberechtigt waren.
[13] 1. Nach § 7 BetrVG sind alle Arbeitnehmer mit Vollendung des 18. Lebensjahres wahlberechtigt. Arbeitnehmer sind Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten (§ 5 Abs. 1 BetrVG), die nicht nach § 5 Abs. 2 bis Abs. 4 BetrVG vom Wahlrecht ausgenommen sind.
[14] 2. Beschäftigte, die aufgrund einer vom Sozialhilfeträger geschaffenen Arbeitsgelegenheit nach § 19 BSHG in einem befristeten Arbeitsverhältnis beschäftigt werden (vgl. BAG 7. Juli 1999 – 7 AZR 661/97 – und vom 22. März 2000 – 7 AZR 824/98 – beide zur Veröffentlichung vorgesehen) sind nicht bereits nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG von der Wahl eines Betriebsrats ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift gelten nicht als Arbeitnehmer diejenigen Personen, die vorwiegend zu ihrer Heilung, Wiedereingewöhnung, sittlichen Besserung oder Erziehung beschäftigt werden. Das betrifft einen Personenkreis, bei dem die Beschäftigung als Mittel zur Behebung individueller, personenbezogener Schwierigkeiten eingesetzt wird und vorwiegend der Rehabilitation bzw. der Resozialisierung dient (BAG 25. Oktober 1989 – 7 ABR 1/88 – BAGE 63, 188, 199 = AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 40, zu II 1 der Gründe). Die nach § 19 Abs. 1 BSHG aufgrund eines befristeten Arbeitsverhältnisses Beschäftigten werden im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses nicht zu ihrer Wiedereingewöhnung mit dem Ziel der Rehabilitation oder Resozialisierung tätig, sondern um eine Wiedereingliederung in den normalen Arbeitsmarkt nach einer längeren Zeit der Beschäftigungslosigkeit erreichen zu können.
[15] 3. Zu Recht sind die Vorinstanzen jedoch davon ausgegangen, daß nach § 7 BetrVG iVm. § 5 Abs. 1 BetrVG nur diejenigen Arbeitnehmer wahlberechtigt sind, die in einem Arbeitsverhältnis zu dem Betriebsinhaber stehen und innerhalb seiner Betriebsorganisation abhängige Arbeit erbringen (BAG 18. Januar 1989 – 7 ABR 21/88 – BAGE 61, 7 ff. = AP BetrVG 1972 § 9 Nr. 1, zu B II 1 b der Gründe; BAG 29. Januar 1992 – 7 ABR 27/91 – BAGE 69, 286 = AP BetrVG 1972 § 7 Nr. 1, zu B III 1 a der Gründe, zuletzt BAG 22. März 2000 – 7 ABR 34/98 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 2 a aa der Gründe). Das Wahlrecht setzt demnach nicht nur das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zu dem jeweiligen Betriebsinhaber voraus, sondern auch die tatsächliche Eingliederung des Arbeitnehmers in die jeweilige Betriebsorganisation. Für die Eingliederung ist entscheidend, ob der Arbeitgeber mit Hilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck seines Betriebs verfolgt. Ob eine solche Tätigkeit innerhalb der Betriebsorganisation oder außerhalb der Betriebsstätte verrichtet wird, ist unerheblich (BAG 29. Januar 1992 – 7 ABR 27/91 – BAGE 69, 286, 296 = AP BetrVG 1972 § 7 Nr. 1, zu III 1 a bb der Gründe).
[16] a) Im Streitfall mag es fraglich sein, ob die BSHG-Beschäftigten mit dem Arbeitgeber überhaupt einen Arbeitsvertrag geschlossen haben. Denn nach dem im Verfahren vorgelegten Vertrag werden die Betroffenen als Teilnehmer in der Maßnahme "Integrationsseminar für Sozialhilfeempfänger" beschäftigt. Sie sind gehalten, die durch die Maßnahme gebotene Chance zur Qualifizierung und zur Eingliederung in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis aktiv zu nutzen. Der Vertrag beschränkt sich im weiteren auf Regelungen zur Arbeitszeit und zum Entgelt, ohne wechselseitige Hauptpflichten zu beschreiben, wie sie für ein Arbeitsverhältnis kennzeichnend sind.
[17] b) Unabhängig davon fehlt es bei den nach dem BSHG Beschäftigten aufgrund der tatsächlichen Ausgestaltung ihrer Tätigkeit an dem Merkmal der betrieblichen Eingliederung. Die betriebliche Eingliederung setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts voraus, daß der Arbeitnehmer zur Erfüllung der jeweiligen arbeitstechnischen Zwecksetzung des Betriebes tätig wird (BAG 20. März 1996 – 7 ABR 34/95 – AP BetrVG 1972 § 5 Ausbildung Nr. 10 = EzA BetrVG 1972 § 5 Nr. 60, zu B II 2 und 3 der Gründe; 12. September 1996 – 7 ABR 61/95 – AP BetrVG 1972 § 5 Ausbildung Nr. 11 = EzA BetrVG 1972 § 5 Nr. 61, zu B III 1 und 2 a der Gründe jeweils mwN). Daran fehlt es, weil die BSHG-Beschäftigten nach der konkreten Ausgestaltung ihrer Tätigkeit nicht dem arbeitstechnischen Zweck des Betriebs dienen, sondern selbst Gegenstand des Betriebszwecks sind.
[18] aa) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist arbeitstechnischer Zweck des. Betriebs die Durchführung von Bildungsmaßnahmen. Dazu gehört auch das Ziel, den vom örtlichen Träger der Sozialhilfe zugewiesenen Personen die Möglichkeit zu geben, ihre berufliche und persönliche Qualifizierung zu verbessern. Das folgt aus § 2 der Satzung des Arbeitgebers. Dieser Betriebszweck wird durch eine Beschäftigung der Maßnahmeteilnehmer in anderen Praktikumsbetrieben nicht gefördert. Anders als die sozialpädagogischen Betreuer und die sonstigen Arbeitnehmer im. Betrieb tragen die BSHG-Beschäftigten nicht zur Erfüllung des Betriebszwecks bei, sondern unterstützen allenfalls den arbeitstechnischen Zweck der Praktikumsbetriebe, in denen sie eingesetzt werden. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht deshalb ihre betriebsverfassungsrechtliche Stellung ebenso wie die von beruflichen Rehabilitanten oder der zur Berufsausbildung Beschäftigten in reinen Ausbildungsbetrieben beurteilt. Auch diese sind nach der Senatsrechtsprechung in ihrem Ausbildungsbetrieb nicht wahlberechtigt, da sie nicht ausgebildet werden, um zum Betriebszweck beizutragen, sondern selbst Gegenstand des auf die Durchführung von Ausbildung gerichteten Betriebszwecks sind (vgl. BAG 20. März 1996 – 7 ABR 34/95 – AP BetrVG 1972 § 5 Ausbildung Nr. 10 = EzA BetrVG 1972 § 5 Nr. 60, zu II der Gründe; 12. September 1996 – 7 ABR 61/95 – AP BetrVG 1972 § 5 Ausbildung Nr. 11 = EzA BetrVG 1972 § 5 Nr. 61, zu I der Gründe).
[19] bb) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht auch angenommen, daß der konkrete Einsatz der BSHG-Beschäftigten bei anderen Arbeitgebern kein eigenständiger Betriebszweck im Betrieb des Arbeitgebers ist. Nach den vom Beschwerdegericht getroffenen und von der Rechtsbeschwerde nicht gerügten Feststellungen ist der Betrieb des Arbeitgebers neben der Förderung der beruflichen Fähigkeiten der Maßnahmeteilnehmer nicht auch noch auf die Vermittlung oder Überlassung von Arbeitskräften gerichtet. Das stünde im Widerspruch zu dem satzungsgemäßen Zweck und folgt auch nicht aus einer tatsächlichen Handhabung. Die Satzung des Arbeitgebers sieht ausschließlich Bildungszwecke vor. § 3 Abs. 3 Satz 1 der Satzung hindert zudem eine faktische Erweiterung des Tätigkeitsfeldes durch eine finanzielle Schranke. Danach dürfen die Mittel des Vereins nur für satzungsgemäße Zwecke verwendet werden. Im übrigen erfolgt die Finanzierung der Maßnahme durch den Landkreis als örtlichen Träger der Sozialhilfe nach Maßgabe des BSHG. Damit ist vorgegeben, daß die Maßnahme insgesamt nicht einen etwa vorhandenen Bedarf der örtlichen Betriebe an Praktikanten abdeckt. Vielmehr wählen umgekehrt der Arbeitgeber und das Sozialamt die Maßnahmeteilnehmer aus und versuchen diese in geeignete Praktikumsbetriebe zu vermitteln. Die Tätigkeit des Arbeitgebers zielt also nicht darauf ab, den Praktikumsbetrieben eine Arbeitskraft zu verschaffen, sondern darauf, die BSHG-Beschäftigten zur Verbesserung ihrer Qualifikation dort unterzubringen. Das macht das Vermitteln dieser Personengruppe in Praktikumsplätze nicht zu einem weiteren arbeitstechnischen Zweck.
[20] cc) Die in den Praktikumsbetrieben verfolgten arbeitstechnischen Zwecksetzungen werden vom Arbeitgeber auch nicht als eigene arbeitstechnische Zwecksetzungen verfolgt. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats werden sie nicht dadurch zu eigenen Zwecken, daß ein beim Arbeitgeber beschäftigter Meister die BSHG-Beschäftigten begleitet und in dem Betrieb anleitet. Der Einsatz der zur Betreuung eingesetzten Arbeitnehmer erfolgt nicht mit dem Ziel, ein Arbeitsergebnis zu erstellen oder zu verbessern, sondern um die Weiterbildung der BSHG-Beschäftigten zu fördern. Ein damit einhergehender Beitrag zum arbeitstechnischen Zweck des Praktikumsbetriebs ist nicht Zweck ihres Einsatzes, sondern positive Folge.