Bundesarbeitsgericht
Entgeltfortzahlung – regelmäßige Arbeitszeit

BAG, Urteil vom 26. 6. 2002 – 5 AZR 5/01 (lexetius.com/2002,1497)

[1] 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. Mai 2000 – 3 Sa 112/00 – aufgehoben.
[2] 2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
[3] Tatbestand: Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
[4] Der Kläger ist bei der Beklagten, die einen Verkehrsbetrieb unterhält, seit dem 1. September 1994 als Busfahrer beschäftigt. In der Zeit vom 5. Januar 1999 bis zum 14. Februar 1999 war der Kläger arbeitsunfähig krank.
[5] Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer, Angestellte und Auszubildende im privaten Transport- und Verkehrsgewerbe Rheinland-Pfalz vom 7. September 1994 idF des 2. Änderungstarifvertrages vom 8. Juli 1997 (im folgenden MTV) Anwendung. Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 MTV iVm. Anlage 3 beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für Kraftfahrer im Personenbeförderungsgewerbe mit Kraftomnibussen im Linienverkehr 39 Stunden. Zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist im MTV folgendes bestimmt: "§ 18. Krankenbezüge. (1) Bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit gelten die Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Für die Bemessung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes gilt § 11 Bundesurlaubsgesetz. …"
[6] Der Kläger arbeitete im Oktober 1998 132, 5 Stunden. Für weitere 54 Stunden erhielt der Kläger Urlaubsentgelt sowie zusätzliches Urlaubsgeld. Im November 1998 erbrachte der Kläger 197, 25 Arbeitsstunden und im Dezember 203, 50 Stunden. Er bezog in dieser Zeit zusätzlich zu seinem Bruttostundenlohn von 17,00 DM ratenweise ausbezahltes Weihnachtsgeld, teils steuerfreies und teils steuerpflichtiges "Sonntagsgeld", Überstundenzuschläge sowie Spesen. Unter Berücksichtigung dieser Einzelpositionen erhielt der Kläger im Oktober 4.869,19 DM, im November 4.373,94 DM und im Dezember 4.223,02 DM brutto. Für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit im Januar 1999 leistete die Beklagte Entgeltfortzahlung für 156 Stunden zu je 17,00 DM, dh. insgesamt 2.652,00 DM brutto.
[7] Der Kläger hat geltend gemacht, er arbeite regelmäßig mindestens 200 Stunden im Monat. Mit regelmäßigen Überstundenzuschlägen und Zuschlägen für sonstige ungünstige Arbeitszeiten habe er einen Mindestentgeltanspruch von monatlich 4. 200, – DM brutto. Hieraus folge ein durchschnittliches kalendertägliches Einkommen von 140,00 DM, das die Beklagte während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit fortzuzahlen habe. Die Beklagte habe jedoch nur 96,05 DM geleistet. Für die 42 Tage der Arbeitsunfähigkeit stehe ihm daher ein kalendertäglicher Differenzbetrag von 43,95 DM zu.
[8] Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.845,90 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 10. August 1999 zu zahlen.
[9] Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung sei die tarifliche Arbeitszeit von 39 Wochenstunden zugrunde zu legen. Überstunden seien nicht zu berücksichtigen.
[10] Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.
[11] Entscheidungsgründe: Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Der Senat kann die für die Entgeltfortzahlung maßgebliche individuelle regelmäßige Arbeitszeit des Klägers mangels ausreichender Feststellungen nicht selbst abschließend beurteilen.
[12] I. Für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gelten nach § 18 Abs. 1 MTV die gesetzlichen Bestimmungen mit der Maßgabe, daß sich der durchschnittliche Arbeitsverdienst nach § 11 BUrlG bemißt.
[13] 1. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, ohne daß ihn ein Verschulden trifft. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger war vom 5. Januar 1999 bis zum 14. Februar 1999 wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit unverschuldet an seiner Arbeitsleistung verhindert. Die Parteien streiten allein über die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts.
[14] 2. Nach § 4 Abs. 1 EFZG ist dem Arbeitnehmer für den in § 3 Abs. 1 EFZG bezeichneten Zeitraum das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen.
[15] a) § 4 Abs. 1 EFZG legt der Entgeltfortzahlung ein modifiziertes Lohnausfallprinzip zugrunde. Maßgebend ist allein die individuelle Arbeitszeit des erkrankten Arbeitnehmers. Es kommt darauf an, welche Arbeitszeit auf Grund der Arbeitsunfähigkeit ausgefallen ist. Bei Schwankungen der individuellen Arbeitszeit ist zur Bestimmung der "regelmäßigen" Arbeitszeit eine vergangenheitsbezogene Betrachtung zulässig und geboten (Gesetzesbegründung BT-Drucks. 12/5263 S 13; Kasseler Handbuch/Vossen 2. Aufl. 2. 2 Rn. 366 f.; Schmitt EFZG 4. Aufl. § 4 Rn. 18 ff.; Hold in Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge 5. Aufl. § 4 EFZG Rn. 8, 54 f., 56 ff.; Marienhagen/Künzl EFZG Stand Mai 2000 § 4 Rn. 2 f.; MünchArbR/Boecken 2. Aufl. § 84 Rn. 8 f., 32 ff.; Feichtinger AR-Blattei SD Krankheit III Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Rn. 277 ff.; zum Lohnausfallprinzip bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit allgemein BAG 6. Dezember 1995 – 5 AZR 237/94BAGE 81, 357, 361).
[16] b) Die individuelle Arbeitszeit folgt in erster Linie aus dem Arbeitsvertrag. Auf die allgemein im Betrieb geltende Arbeitszeit kommt es nicht entscheidend an, wie sich aus den Worten "bei der für ihn maßgebenden … Arbeitszeit" ergibt (so bereits Senat 21. November 2001 – 5 AZR 296/00 – AP EntgeltFG § 4 Nr. 56, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Auch die kraft Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung im Betrieb geltende Arbeitszeit kann von der individuellen Arbeitszeit des Arbeitnehmers nach oben oder nach unten abweichen. Grundlage hierfür kann eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung oder etwa eine betriebliche Übung sein (vgl. nur Vossen aaO; ErfK/Dörner 2. Aufl. § 4 EFZG Rn. 9; Müller/Berenz EFZG 3. Aufl. § 4 Rn. 4 ff.; Schmitt aaO § 4 Rn. 22; Marienhagen/Künzl aaO § 4 Rn. 20 ff.; Feichtinger aaO Rn. 280 ff.; Brecht 2. Aufl. § 4 EFZG Rn. 6). Eine wirksame Vereinbarung über die Arbeitszeit ist nicht erforderlich. Das Gesetz stellt dem Grundsatz nach entscheidend darauf ab, welche Arbeitsleistung tatsächlich ausgefallen ist. Es kommt darauf an, in welchem Umfang der Arbeitnehmer gearbeitet hätte, wenn er arbeitsfähig gewesen wäre. Etwaige gesetzliche oder tarifliche Höchstarbeitszeiten dienen dem Schutz des Arbeitnehmers. Sie bewahren den Arbeitgeber nicht vor der Verpflichtung, die darüber hinausgehende Arbeitszeit zu vergüten.
[17] c) Zur Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts ist bei einer Stundenvergütung die Zahl der durch die Arbeitsunfähigkeit ausfallenden Arbeitsstunden (Zeitfaktor) mit dem hierfür jeweils geschuldeten Arbeitsentgelt (Geldfaktor) zu multiplizieren (Senat 21. November 2001 aaO; Dörner aaO Rn. 6; Staudinger/Oetker BGB 13. Aufl. § 616 Rn. 396 ff.; Vossen aaO Rn. 339; Boecken aaO § 84 Rn. 16 ff.). Bei einer verstetigten, also stets gleichbleibenden Arbeitszeit bereitet die Feststellung der maßgebenden Arbeitszeit keine Schwierigkeiten (Vossen aaO 2. 2 Rn. 368; Dörner aaO Rn. 8; Boecken aaO § 84 Rn. 35; Hold aaO § 4 Rn. 58; Gola EFZG § 4 Anm. 3. 3. 1 und 3. 3. 2). Ist ein festes Monatsentgelt vereinbart, ist dieses bei gewerblichen Arbeitnehmern ebenso wie bei Angestellten bis zur Dauer von sechs Wochen fortzuzahlen. Unterliegt die Arbeitszeit und damit die Entgelthöhe vereinbarungsgemäß unregelmäßigen Schwankungen und kann deshalb der Umfang der ausgefallenen Arbeit nicht exakt bestimmt werden, bedarf es der Festlegung eines Referenzzeitraums, dessen durchschnittliche Arbeitsmenge maßgebend ist.
[18] 3. Nach § 4 Abs. 1 a Satz 1 EFZG gehört nicht zum Arbeitsentgelt nach Abs. 1 das zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt. Dieses ist im Krankheitsfall nicht fortzuzahlen (Senat 21. November 2001 aaO).
[19] a) Zusätzlich für Überstunden gezahltes Entgelt stellen nicht nur die Überstundenzuschläge dar. Auch die Grundvergütung für die Überstunden wird zusätzlich zum "normalen" Entgelt, und zwar für die Überstunden, gezahlt. Hätte der Gesetzgeber nur die Überstundenzuschläge aus der Entgeltfortzahlung herausnehmen wollen, hätte er das mit dem eingeführten Begriff "Überstundenzuschläge" klar ausdrücken können. Er hätte zumindest das Wort "zusätzlich" zwischen die Worte "Überstunden" und "gezahlte" stellen und damit ausdrücken können, daß eine Zusatzvergütung (zur Grundvergütung) gemeint sei. Das Gesetz klammert demgegenüber sowohl die Grundvergütung als auch die Zuschläge für Überstunden aus (so ausdrücklich BT-Drucks. 14/45 S 24). Das kommt aus dem Wortlaut und dem Zusammenhang der Norm hinreichend zum Ausdruck (zustimmend Vossen aaO 2. 2 Rn. 345, 347, 371/372; Dörner aaO Rn. 11, 24; Boecken aaO Rn. 21, 27; Löwisch BB 1999, 102, 105; Müller/Berenz aaO § 4 Rn. 7; Hold aaO § 4 Rn. 33 f., 61; Schmitt aaO § 4 Rn. 94 f., 96; Marienhagen/Künzl aaO § 4 Rn. 17 a, 17 b; Brecht aaO § 4 Rn. 10; Feichtinger aaO Rn. 284; Däubler NJW 1999, 601, 605).
[20] b) Beim Begriff der Überstunden geht es entscheidend um die Frage, ob an eine generelle, vornehmlich tarifliche bzw. betriebsübliche Arbeitszeit oder an die individuelle regelmäßige Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers anzuknüpfen ist.
[21] aa) Der Wortlaut ist nicht eindeutig. "Überstunden" könnte zum einen die Mehrarbeit bezeichnen, die über die regelmäßige Arbeitszeit nach dem im Betrieb angewendeten Tarifvertrag oder nach der sonst im Betrieb gehandhabten Regelung hinausgeht (so, allerdings ohne nähere Begründung, Hold aaO § 4 Rn. 33; Kunz/Wedde EFZR § 4 Rn. 20, 29; Müller/Berenz aaO § 4 Rn. 7; Vossen aaO 2. 2 Rn. 347). Allerdings fragt sich, warum gerade die betriebsübliche Arbeitszeit und nicht etwa die Arbeitszeit im Unternehmen oder eine gesetzliche Arbeitszeit maßgebend sein soll. Überstunden können sich nach dem Wortlaut des Gesetzes aber ebensogut auf den Arbeitnehmer beziehen, dem das Gesetz einen Anspruch auf die Entgeltfortzahlung einräumt; maßgebend ist dann dessen individuelle regelmäßige Arbeitszeit (so im Ergebnis Boecken aaO Rn. 21, 27; Marienhagen/Künzl aaO § 4 Rn. 17 c; Schmitt aaO § 4 Rn. 97 mwN; Brecht aaO § 4 Rn. 9).
[22] bb) Der Zusammenhang des Gesetzes, insbesondere von § 4 Abs. 1 und Abs. 1 a EFZG, spricht für die Maßgeblichkeit der individuellen regelmäßigen Arbeitszeit. Die Einschränkung des Abs. 1 a bezieht sich auf den Arbeitnehmer, der auf Grund seiner in Abs. 1 zugrunde gelegten persönlichen regelmäßigen Arbeitszeit Ansprüche geltend macht. Es kann nur um seine Überstunden gehen. Diese richten sich nach seiner Arbeitszeit. Das Gesetz enthält keinen ausreichenden Anhaltspunkt, um an eine tarifliche Arbeitszeit anzuknüpfen. Tarifverträge gebrauchen auch nur zum Teil den Begriff der Überstunden. Der Gesetzgeber hätte den Zusammenhang der beiden ersten Absätze des § 4 EFZG auflösen können, wenn er statt "zusätzlich für Überstunden" formuliert hätte: "für über die betriebsübliche Arbeitszeit hinaus".
[23] cc) § 4 Abs. 1 a EFZG erfaßt nach seinem Wortlaut und nach Sinn und Zweck auch wiederholt geleistete Überstunden (Löwisch aaO; Marienhagen/Künzl aaO § 4 Rn. 17 b). Immer muß es sich aber um Überstunden handeln. Überstunden iSv. § 4 Abs. 1 a EFZG liegen vor, wenn die individuelle regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers überschritten wird. Überstunden werden wegen bestimmter besonderer Umstände vorübergehend zusätzlich geleistet. Damit fallen einerseits die bisher der regelmäßigen Arbeitszeit zugerechneten wiederholt anfallenden Überstunden (BAG 16. März 1988 – 5 AZR 40/87 – AP LohnFG § 1 Nr. 78 = EzA LohnFG § 1 Nr. 93; 3. Mai 1989 – 5 AZR 249/88AP LohnFG § 2 Nr. 19 = EzA LohnFG § 2 Nr. 21; zur bisherigen Rechtslage vgl. etwa noch Gola aaO § 4 Anm. 3. 3. 3) aus der Entgeltfortzahlung heraus. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß es Fälle einer individuellen regelmäßigen Arbeitszeit gibt, die von der betriebsüblichen oder tariflichen Arbeitszeit abweicht. Leistet der Arbeitnehmer ständig eine bestimmte Arbeitszeit, die mit der betriebsüblichen oder tariflichen Arbeitszeit nicht übereinstimmt, kann von Überstunden nicht gesprochen werden. Überstunden werden wegen bestimmter besonderer Umstände zusätzlich geleistet (Marienhagen/Künzl aaO § 4 Rn. 17 c). Die übliche Arbeitszeit wird vorübergehend verändert. Das ist für jeden Arbeitnehmer individuell zu beurteilen. Auch bei einer beständigen Arbeitszeit kommen (außerdem) Überstunden in Betracht, die für die Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigen sind. Nur die hierfür geleistete Vergütung stellt für den Arbeitnehmer zusätzliches Entgelt dar.
[24] dd) Allein diese Auslegung wird dem Grundsatz der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitnehmer gerecht, die einen festen Monatslohn oder ein festes Monatsgehalt für ihre ständig zu erbringende Arbeit erhalten. Die Entgeltfortzahlung für diese Arbeitnehmer richtet sich nach dem vereinbarten Entgelt auf der Basis der ständig geleisteten Arbeitszeit (siehe oben 2 c). Es würde eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung bedeuten, wenn die zu berücksichtigende Arbeitszeit und damit die Höhe der Entgeltfortzahlung nur aufgrund einer unterschiedlichen Art und Weise der Abrechnung grundlegend differieren würde.
[25] 4. Arbeitet der Arbeitnehmer mit einer gewissen Stetigkeit über die tarifliche oder betriebsübliche Arbeitszeit hinaus, ist jedoch die ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung einer bestimmten ständigen Arbeitszeit in diesem Umfang nicht ohne weiteres festzustellen, gilt für die Abgrenzung der individuellen regelmäßigen Arbeitszeit von den bei der Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigenden Überstunden folgendes:
[26] a) Eine ständig erbrachte Mindestarbeitsleistung (Arbeitszeitsockel) kann als konkludent vereinbart angesehen werden, wenn der Arbeitgeber die entsprechende Arbeitsleistung vom Arbeitnehmer erwartet und entgegennimmt. Sie ist Grundlage für einen Mindestumfang der Entgeltfortzahlung.
[27] b) Beruhen Schwankungen der Arbeitszeit darauf, daß der Arbeitnehmer vertragsgemäß bestimmte (wiederkehrende) Arbeitsleistungen erbringt, die je nach den Arbeitsumständen oder dem Arbeitsanfall kürzer oder länger dauern (zB bei einem Müllwerker oder einem Auslieferungsfahrer), geht die individuelle regelmäßige Arbeitszeit über den Arbeitszeitsockel hinaus; denn der Arbeitnehmer hat seine Arbeitsaufgabe stets vereinbarungsgemäß zu erledigen, ohne daß die Arbeitszeit von vornherein festliegt. Als geschuldete Arbeitszeit muß ein durchschnittlicher Wert angenommen werden. Das entspricht auch der gesetzlichen Wertung des § 4 Abs. 1 a Satz 2 EFZG für ergebnisabhängige Vergütungen. Der Durchschnittswert der Arbeitszeit läßt sich nur nach einem zurückliegenden Zeitraum bestimmen. Darüber hinausgehende Überstunden können wegen besonderer Umstände, etwa bei einem unvorhergesehenen oder ungewöhnlichen, zusätzlich auftretenden Arbeitsanfall (zB im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, bei vorübergehenden Zusatzaufträgen usw.) auftreten.
[28] c) Verändern sich die Arbeitsaufgaben des Arbeitnehmers vereinbarungsgemäß in mehr oder weniger großen Abständen mit Auswirkung auf die Arbeitszeitdauer (zB Einsatz auf wechselnden Baustellen, Saison bei Gastronomie- und Hotelbetrieben), kann die durch die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ausgefallene Arbeitszeit vielfach konkret bestimmt werden. In Saisonbetrieben wird je nach Saison eine unterschiedliche individuelle regelmäßige Arbeitszeit anzunehmen sein. Durch die Umsetzung auf andere Baustellen ändert sich demgegenüber die individuelle regelmäßige Arbeitszeit gewöhnlich nicht. Deshalb ist auch dann, wenn feststeht, daß der erkrankte Arbeitnehmer nicht oder – sofern überhaupt zulässig – eben doch auf eine andere Einsatzstelle umgesetzt worden wäre, die individuelle regelmäßige Arbeitszeit nach dem Durchschnitt eines zurückliegenden Zeitraums zu bestimmen.
[29] d) Der Vergleichszeitraum in diesem Sinne bezweckt die sichere Erfassung dessen, was die Arbeitsvertragsparteien als regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers gewollt haben. Er ist so zu bemessen, daß das Arbeitsverhältnis mit seinen Besonderheiten möglichst umfassend in den Blick kommt und Zufallsergebnisse vermieden werden. Es handelt sich nicht lediglich um einen Referenzzeitraum zur praktikablen Berechnung des Lohnausfalls, sondern um die rechtsgeschäftliche Bestimmung der beständigen Arbeitszeit. Deshalb genügt es nicht, einen Zeitraum von drei Monaten zugrunde zu legen (so noch Senat 8. Mai 1972 – 5 AZR 428/71 – AP LohnFG § 2 Nr. 3 = EzA LohnFG § 2 Nr. 3, zu 2 b der Gründe; 3. Mai 1989 – 5 AZR 249/88AP LohnFG § 2 Nr. 19 = EzA LohnFG § 2 Nr. 21, zu I der Gründe für die Einbeziehung von Mehrarbeit vor Inkrafttreten des § 4 Abs. 1 a Satz 1 EFZG). Wie sich gerade auch aus § 4 Abs. 1 a EFZG ergibt, muß die Beständigkeit der Arbeitsleistung – im Hinblick auf mögliche, eben nicht zu berücksichtigende Überstunden – für eine längere Dauer festgestellt werden. Nur dann läßt sich eine "Regelmäßigkeit" iSv. § 4 Abs. 1 EFZG annehmen. Das führt in Anlehnung an die frühere Rechtsprechung zu § 2 ArbKrankhG (BAG 5. November 1964 – 2 AZR 494/63 – AP ArbKrankhG § 2 Nr. 21 = EzA ArbKrankhG § 2 Nr. 3; vgl. auch schon BAG 24. Oktober 1963 – 2 AZR 444/62BAGE 15, 59, 61 f.) und zu § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG (Senat 7. November 1984 – 5 AZR 378/82BAGE 47, 160, 163 ff.) dazu, grundsätzlich einen Vergleichszeitraum von zwölf Monaten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit heranzuziehen. Dieser Zeitraum wird besonderen Eigenarten eines Arbeitsverhältnisses gerecht und vermeidet unbillige Zufallsergebnisse. Hat das Arbeitsverhältnis bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit weniger als ein Jahr gedauert, ist dessen gesamter Zeitraum maßgebend.
[30] e) Der Arbeitnehmer genügt seiner Darlegungslast zu der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit gemäß § 4 Abs. 1 EFZG im Normalfall dadurch, daß er den Arbeitszeitdurchschnitt der vergangenen zwölf Monate darlegt. Das Maß der zu fordernden Substantiierung richtet sich nach der Einlassung des Arbeitgebers. Überstunden hat der Arbeitgeber, wenn sie sich nicht bereits aus dem Vortrag des Arbeitnehmers ergeben, entsprechend der Fassung des § 4 Abs. 1 a EFZG einzuwenden. Der Arbeitgeber, der eine aus Überstunden resultierende Minderung der zu berücksichtigenden durchschnittlichen Arbeitszeit geltend macht, trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast.
[31] 5. Mit der Verweisung in § 18 Abs. 1 Satz 2 MTV auf § 11 BUrlG haben die Tarifvertragsparteien von der ihnen in § 4 Abs. 4 EFZG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine von den Absätzen 1, 1 a und 3 des § 4 EFZG abweichende Bemessungsgrundlage festzulegen. Der Geldfaktor zur Errechnung der Höhe des fortzuzahlenden Entgelts bestimmt sich nach § 11 BUrlG. Eine weitergehende Wirkung kommt dieser Verweisung auf § 11 BUrlG nicht zu, weil diese urlaubsrechtliche Bestimmung gerade nicht den Zeitfaktor, sondern lediglich den Geldfaktor bei der Bemessung des Urlaubsentgelts regelt (vgl. BAG 9. November 1999 – 9 AZR 771/98BAGE 92, 343, 347 f. mwN; BAG 22. Februar 2000 – 9 AZR 107/99BAGE 93, 376, 385).
[32] 6. In Anwendung dieser Grundsätze ist die Revision der Beklagten begründet. Das Landesarbeitsgericht hat das fortzuzahlende Entgelt fehlerhaft berechnet.
[33] a) Für die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers sind nicht die letzten drei abgerechneten Monate maßgebend. Sollte der Kläger schichtplanmäßig eingesetzt gewesen sein und während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit ein für ihn geltender Schichtplan bestanden haben, bestimmte sich der Zeitfaktor des fortzuzahlenden Entgelts nach den tatsächlich ausgefallenen Arbeitsstunden. Soweit die von der Beklagten pauschal behaupteten Liegezeiten Arbeitszeit darstellen, wofür die Vergütung und die Begriffsbestimmung in § 29 MTV sprechen, sind diese auch bei der Feststellung der tatsächlich ausgefallenen Arbeitszeit zu berücksichtigen.
[34] Ist eine konkrete Ermittlung der ausgefallenen Arbeitszeit nicht möglich, weil die Arbeit vereinbarungsgemäß unregelmäßigen Schwankungen unterliegt (vgl. die Begriffsbestimmung Linienverkehr in § 29 MTV), kann gleichwohl nicht von einer regelmäßigen durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit von mindestens 200 Stunden ausgegangen werden. Hiergegen spricht bereits, daß der Kläger lediglich die letzten drei Monate vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit seiner Berechnung des Zeitfaktors zugrunde gelegt hat. Es ist nicht auszuschließen, daß sich bei Beachtung eines zwölfmonatigen Vergleichszeitraums eine andere durchschnittliche Arbeitsstundenzahl ergibt. Das Landesarbeitsgericht wird auf entsprechenden Vortrag der Parteien hinzuwirken haben. Weiterhin wird aufzuklären sein, ob es sich bei der Arbeitszeit, die der Zahlung des "Sonntagsgeldes" zugrunde liegt, um regelmäßige Arbeitszeit oder um Überstunden handelt. Schließlich kann die Beklagte noch darlegen, ob Überstunden angefallen sind.
[35] b) Für die Bestimmung des Geldfaktors ist § 11 BUrlG maßgebend. In den Geldfaktor fließen daher weder die an den Kläger bezahlten Spesen ein, auch wenn sie pauschaliert werden, da diese einen tatsächlichen entstandenen Aufwand voraussetzen (Senat 12. Dezember 2001 – 5 AZR 257/00 – zVv.), noch das an den Kläger bezahlte Weihnachts- und Urlaubsgeld. Überstundenzuschläge bleiben unberücksichtigt (vgl. BAG 9. November 1999 – 9 AZR 771/98BAGE 92, 343, 347 f. mwN; BAG 22. Februar 2000 – 9 AZR 107/99BAGE 93, 376, 385). Ob es sich bei dem "Sonntagsgeld" um berücksichtigungsfähige Zulagen oder Zuschläge handelt, wird das Landesarbeitsgericht zu klären haben.