Bundesarbeitsgericht
Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG – Unzulässigkeit des Antrags
Der Antrag des Arbeitgebers nach § 103 Abs. 2 BetrVG auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Entlassung eines Betriebsratsmitglieds wird unzulässig, wenn während des laufenden Beschlußverfahrens das Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsratsmitglied beendet wird (Aufgabe von BAG 10. Februar 1977 – 2 ABR 80/76BAGE 29, 7).

BAG, Beschluss vom 27. 6. 2002 – 2 ABR 22/01 (lexetius.com/2002,1858)

[1] Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 8. Februar 2001 – 7 TaBV 2307/00 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Anträge als unzulässig abgewiesen werden.
[2] Gründe: I. Die Arbeitgeberin (Antragstellerin) begehrt im vorliegenden Beschlußverfahren die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats (Beteiligter zu 2) zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden (Beteiligter zu 3), hilfsweise den Ausschluß des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat. Der 1966 geborene, verheiratete Betriebsratsvorsitzende war seit 1. Mai 1994 bei der Arbeitgeberin als Kraftfahrer/Geldbote beschäftigt. Aufgrund eines Urteils des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 23. November 2001 – 8 Sa 1278/01 –, in dem die Arbeitgeberin zur Zahlung eines Nachteilsausgleichs gemäß § 113 BetrVG an den Betriebsratsvorsitzenden verurteilt worden ist, steht nach erfolgloser Nichtzulassungsbeschwerde der Arbeitgeberin inzwischen rechtskräftig fest, daß das Arbeitsverhältnis zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsratsvorsitzenden mit dem 31. Januar 2001 sein Ende gefunden hat. Trotzdem hält die Arbeitgeberin an ihren Anträgen auf Zustimmungsersetzung und Ausschluß des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat fest.
[3] Am Vormittag des 17. April 2000 kam es am Betriebsgelände der Arbeitgeberin in der Allee in Berlin zu einer Aktion einer größeren Anzahl von Mitarbeitern der Arbeitgeberin, die zu diesem Zeitpunkt bis auf eine Ausnahme nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet waren. Hintergrund der Aktion waren Befürchtungen des Betriebsrats und der Beschäftigten, die Arbeitgeberin werde 120 Arbeitsplätze zu tariflich schlechteren Bedingungen nach Brandenburg verlagern. Im Anschluß an den Vorfall vom 17. April 2000 wurde den beteiligten Arbeitnehmern außerordentlich gekündigt und, soweit es sich um Betriebsratsmitglieder handelte, erhielten sie Hausverbot. Mit Schreiben vom 19. April 2000 begehrte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden. Sie machte geltend, es sei über mehrere Stunden eine Betriebsbesetzung durchgeführt worden, die auf eine Blockierung des Geschäftsbetriebs gezielt habe. Der Betriebsrat nahm zu dem Antrag keine Stellung.
[4] Am 8. Mai 2000 erschien der Betriebsratsvorsitzende gemeinsam mit einem weiteren Betriebsratsmitglied, einem Ersatzmitglied und etwa 30 Mitarbeitern, denen zuvor außerordentlich gekündigt worden war, in den Räumlichkeiten der Firma A, die ua. für die Gehaltsabrechnungen der Arbeitgeberin zuständig ist. Dieser Vorfall führte zu einem weiteren Zustimmungsersetzungsantrag vom 17. Mai 2000. Die Arbeitgeberin warf dem Betriebsratsvorsitzenden ua. vor, er habe geäußert: "Wir werden alles unternehmen, damit die M.' s (Gesellschafter der Arbeitgeberin) in Berlin keinen Fuß mehr auf den Boden kriegen werden".
[5] Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, der Betriebsratsvorsitzende habe die Aktion vom 17. April 2000 federführend geleitet. Er habe zu einer Betriebsbesetzung angestiftet und sich daran beteiligt. Infolge der Besetzung seien ihr verschiedene Kundenaufträge gekündigt worden. Hinreichende Kenntnis von den Hintergründen der Betriebsbesetzung habe sie erst am 25. April 2000 erlangt. Am 8. Mai 2000 seien der Betriebsratsvorsitzende und die anderen Mitarbeiter rechtswidrig in die fremden Büroräume eingedrungen und hätten den Angestellten der Firma A bedrängt und bedroht. Den Antrag auf Ausschluß des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat stütze sie zusätzlich darauf, daß der Betriebsratsvorsitzende am 3. Mai 2000 Mitarbeitern der Geldbearbeitung vorgeworfen habe, sie hätten sich nicht am Betriebsboykott beteiligt.
[6] Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) zu ersetzen, hilfsweise: den Beteiligten zu 3) von seiner Betriebsratstätigkeit auszuschließen.
[7] Die Beteiligten zu 2) und 3) haben zu ihrem Antrag auf Zurückweisung der Anträge der Arbeitgeberin geltend gemacht, dem Begehren der Arbeitgeberin fehle es schon am Rechtsschutzinteresse, da das Arbeitsverhältnis inzwischen beendet sei. Einen Betriebsratsbeschluß über einen Boykott oder eine Besetzung des Betriebes gebe es nicht. Am 17. April 2000 habe vor Dienstbeginn der beteiligten Mitarbeiter auf öffentlichem Straßenland vor dem Betriebsgelände eine Demonstration unter Beteiligung des Betriebsrats stattgefunden, um auf Mißstände im Betrieb der Arbeitgeberin hinzuweisen. Am 8. Mai 2000 habe der Betriebsratsvorsitzende lediglich darüber gesprochen, daß die Gehaltszahlungen für März nicht an alle Mitarbeiter ordnungsgemäß erfolgt seien. Zu Beleidigungen oder Nötigungen sei es nicht gekommen.
[8] Das Arbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen. Die Beschwerde der Arbeitgeberin blieb erfolglos. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihre Anträge weiter.
[9] II. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Ihre Sachanträge können schon deshalb keinen Erfolg haben, weil sie nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses insgesamt unzulässig sind.
[10] 1. Der Antrag des Arbeitgebers nach § 103 Abs. 2 BetrVG auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Entlassung eines Betriebsratsmitglieds wird unzulässig, wenn während des laufenden Beschlußverfahrens das Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsratsmitglied beendet wird (vgl. BAG 10. Februar 1977 – 2 ABR 80/76BAGE 29, 7). Scheidet das Betriebsratsmitglied vor der Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer Kündigung aus dem Betrieb aus, so wird damit das auf Zustimmungsersetzung gerichtete Beschlußverfahren gegenstandslos. Einer außerordentlichen Arbeitgeberkündigung, die ohnehin nur ex nunc wirken könnte, bedarf es zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr. Erst recht bedarf es keiner Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer derartigen Kündigung, wenn weder ein Arbeitsverhältnis noch ein Betriebsratsmandat mehr besteht. Wenn der Senat angenommen hat, durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses werde der Zustimmungsersetzungsantrag unbegründet (10. Februar 1977 – 2 ABR 80/76 – aaO), so wird daran nicht mehr festgehalten. Wie der Senat in einer späteren Entscheidung zu dem vergleichbaren Fall einer Beendigung des Sonderkündigungsschutzes zutreffend entschieden hat (30. Mai 1978 – 2 AZR 637/76BAGE 30, 320), wird das Zustimmungsersetzungsverfahren gegenstandslos, wenn nunmehr eine Kündigung, sollte sie überhaupt noch möglich oder erforderlich sein, jedenfalls ohne Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 BetrVG erfolgen kann. Hält der Arbeitgeber trotz der Erledigung des Beschlußverfahrens durch den Wegfall des Sonderkündigungsschutzes bzw. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses seinen Antrag aufrecht, so ist dieser als unzulässig abzuweisen. Es fehlt das Rechtsschutzinteresse, das die Fortsetzung eines Beschlußverfahrens auf Ersetzung einer nicht mehr erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats rechtfertigen könnte. Das bloße Interesse des Arbeitgebers an einem Rechtsgutachten über die Frage, ob seine Kündigungsgründe zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ausgereicht hätten, reicht insoweit für einen Leistungsantrag auf Zustimmungsersetzung nicht aus.
[11] 2. Die gleichen Erwägungen gelten auch für den Hilfsantrag auf Ausschluß aus dem Betriebsrat. Ist das Betriebsratsamt nach § 24 Nr. 3 BetrVG durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses erloschen, so kann es nicht mehr durch ein späteres Ereignis, nämlich die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung über den Ausschluß aus dem Betriebsrat, zum Erlöschen gebracht werden. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird damit auch ein Antrag nach § 23 Abs. 1 BetrVG gegenstandslos und ist, wenn er trotz der Erledigung aufrechterhalten bleibt, als unzulässig abzuweisen.