Bundesverwaltungsgericht

BVerwG, Beschluss vom 5. 7. 2002 – 7 AV 2.02 (lexetius.com/2002,2116)

[1] In der Verwaltungsstreitsache I. VG Stuttgart – 19 K 1099/02 – II. VG Potsdam – 1 K 893/02 – III. VG Schwerin – 8 A 821/02 – IV. VG Hannover – 11 A 1245/02 – V. VG Arnsberg – 7 K 1834/02 – VI. VG Gelsenkirchen – 8 K 2292/02 – VII. VG Düsseldorf – 17 K 1907/02 – VIII. VG Düsseldorf – 17 L 1916/02 – IX. VG Köln – 13 K 4232/02 – X. VG Schleswig – 12 A 46/02 – hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 5. Juli 2002 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franßen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel und Kley beschlossen:
[2] Die Anträge der Antragsteller auf Bestimmung des zuständigen Gerichts werden abgelehnt.
[3] Gründe: I. Die Anträge sind unbegründet, weil die Voraussetzungen, unter denen das zuständige Gericht zu bestimmen ist, nicht vorliegen.
[4] Eine solche Zuständigkeitsbestimmung ist geboten, wenn die in § 53 VwGO geregelten Anforderungen erfüllt sind. Einschlägig sind hier nur die Fälle des § 53 Abs. 1 Nr. 3 oder – wie die Antragsteller meinen – des § 53 Abs. 2 VwGO. Dazu müssten für die jeweiligen Klagen nach § 52 VwGO entweder verschiedene Gerichte in Betracht kommen oder keine örtlichen Zuständigkeiten gegeben sein. Beides trifft nicht zu.
[5] Die Antragsgegnerinnen – zahlreiche in verschiedenen Bundesländern ansässige Brauereien oder Getränkehersteller – sehen in der Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 der Verpackungsverordnung – VerpackV –, wonach unter den Voraussetzungen des Halbsatzes 1 die von den zuständigen Landesbehörden getroffenen Feststellungen nach § 6 Abs. 3 VerpackV als widerrufen gelten, unmittelbar kraft Gesetzes erlassene so genannte fingierte Verwaltungsakte, gegen die sie sich mit ihren Anfechtungsklagen wenden; hilfsweise haben sie diese Klagen mit Anträgen verbunden, die im Ergebnis auf die Feststellung zielen, dass die genannte Entscheidung nicht als widerrufen gilt. Die Verwaltungsgerichtsordnung trifft für derartige Klagen, deren Streitgegenstand von den Klägern bindend vorgegeben wird, unzweideutige örtliche Zuständigkeitsregelungen in § 52 Nr. 3 und Nr. 5 VwGO. Angesichts dessen ist kein Raum für die beantragte Bestimmung des zuständigen Gerichts, insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte für eine notwendige Streitgenossenschaft zwischen den Beteiligten der verschiedenen Verfahren, woraus sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Erfordernis für eine Entscheidung nach § 53 VwGO ergeben kann (vgl. Beschluss vom 22. November 1999 – BVerwG 11 AV 2.99 – Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 27 m. w. N.). Vielmehr handelt es sich um parallele Rechtsstreitigkeit, für deren Zusammenfassung vor einem Gericht ausschließlich die Prozessökonomie streitet. Dieser Grund kann jedoch für sich allein eine Abweichung von den gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen nicht rechtfertigen; denn die Verfahrensgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gilt nicht nach Maßgabe prozessualer Zweckmäßigkeitserwägungen.
[6] Unabhängig davon ist der Rückgriff auf den Gesichtspunkt der Prozessökonomie im vorliegenden Falle auch noch aus einem anderen Grunde verfehlt. Das Begehren der Antragsteller auf Bestimmung des zuständigen Gerichts geht ersichtlich von der den Klagen zugrunde liegenden Auffassung der Antragsgegnerinnen aus, dass die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV den sechzehn für die Abfallwirtschaft zuständigen Landesbehörden kraft Gesetzes den Widerruf ihrer Feststellungen nach § 6 Abs. 3 VerpackV zuordnet. Davon kann aber, wie die Antragsteller selbst vortragen, keine Rede sein. Die in den Klageschriften herangezogene Rechtsfigur des fingierten Verwaltungsakts trifft den Regelungsgehalt der in Rede stehenden Vorschrift nicht. Ein fingierter Verwaltungsakt liegt nur dann vor, wenn eine an sich gebotene Regelung durch die Behörde innerhalb einer bestimmten Frist nicht vorgenommen und dieses Unterlassen dem Erlass der Regelung durch die Behörde gleichgesetzt wird. Davon zu unterscheiden sind solche Fiktionen, die im Wege des Kurzausdrucks auf die Gesamtheit der für den "fingierten Tatbestand" gültigen Rechtsregeln verweisen. Eine derartige Verweisung enthält § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV. Die Bestimmung besagt, dass mit der Feststellung über den Mehrweganteil im Bundesgebiet nach § 9 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 VerpackV die mit den jeweiligen Festsetzungen nach § 6 Abs. 3 Satz 1 VerpackV verbundenen Rechtswirkungen in derselben Weise entfallen sollen, wie dies bei einem Widerruf der Fall gewesen wäre. Für irgendwelche zusätzlichen Regelungen durch die obersten Landesbehörden ist damit kein Raum mehr. Hersteller und Vertreiber sind vielmehr nach Ablauf der in § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV genannten Frist wieder mit den Pflichten nach § 6 Abs. 1 und Abs. 2 sowie nach § 8 i. V. m. § 9 Abs. 1 VerpackV belastet, ohne dass es über die Bekanntgabe des Mehrweganteils gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 VerpackV hinaus irgendeines zusätzlichen Rechtsakts bedürfte. Mit ihrem Antrag wollen die Antragsteller also in der Sache eine Konsequenz prozessual korrigieren, die sich aus dem den einzelnen Klagen zugrunde liegenden Gesetzesverständnis und der damit verbundenen Prozessstrategie ergibt. Für eine solche Korrektur bieten jedoch die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung zur Bestimmung des zuständigen Gerichts keinerlei Handhabe.
[7] Für eine Kostenentscheidung ist kein Raum, weil das Verfahren nach § 53 VwGO unselbständiger Teil des Hauptsacheverfahrens ist. Da es zudem gerichtsgebührenfrei ist, kommt auch eine Streitwertfestsetzung nicht in Betracht. Ebenso wenig besteht Anlass, einen Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit festzusetzen, weil diese nach § 37 Nr. 3 BRAGO mit der Prozessgebühr abgegolten ist.