Bundesverwaltungsgericht
Sonderurlaub zur Wahrnehmung einer hauptberuflichen Tätigkeit bei der DFS-Deutsche Flugsicherung GmbH; dienstliches Interesse; Widerruf der Beurteilung; zwingende dienstliche Gründe; Nichterreichbarkeit des mit der Beurteilung verfolgten dienstlichen Zwecks; Ablösung des Soldaten von seiner Funktion bei der DFS; Wegfall der Geschäftsgrundlage.
Der Bundesminister der Verteidigung ist berechtigt, den einem Soldaten im dienstlichen Interesse gewährten Sonderurlaub zu widerrufen, wenn der mit der Beurlaubung verfolgte dienstliche Zweck nicht mehr erreicht werden kann.
BVerwG, Beschluss vom 20. 2. 2002 – 1 WB 5.02 (lexetius.com/2002,3350)
[1] Der Antragsteller, ein Berufssoldat im Dienstgrad eines Oberstleutnants, war seit 1993 unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge zur Wahrnehmung einer hauptberuflichen Tätigkeit bei der DFS-Deutsche Flugsicherung GmbH im dienstlichen Interesse beurlaubt. Nachdem er mit Ablauf des 30. Juni 2001 von seiner Funktion als Leiter der Niederlassung Nord abgelöst wurde, widerrief das Personalamt der Bundeswehr (PersABw) zum 31. Dezember 2001 den ihm ursprünglich bis zum 31. August 2003 gewährten Sonderurlaub und versetzte ihn mit Wirkung vom 1. Januar 2002 zum Amt für Flugsicherung der Bundeswehr (AFSBw).
[2] Der Senat hat den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung gegen den Widerruf der Beurlaubung anzuordnen, als unbegründet zurückgewiesen.
[3] Gründe: Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers, gemäß § 21 i. V. m. § 17 Abs. 6 Satz 2 WBO die aufschiebende Wirkung seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung gegen den Widerruf des ihm gewährten Sonderurlaubs anzuordnen, kann in der Sache keinen Erfolg haben. …
[4] Der Gesetzgeber hat dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit truppendienstlicher Maßnahmen grundsätzlich den Vorrang vor privaten Belangen eingeräumt (§ 17 Abs. 6 Satz 1 WBO). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt deshalb nur in Betracht, wenn sich bereits bei summarischer Prüfung durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme ergeben oder dem Soldaten durch deren sofortige Vollziehung unzumutbare, insbesondere nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden (stRspr.: u. a. Beschlüsse vom 27. März 1979 – BVerwG 1 WB 193.78 – und vom 4. Dezember 1995 – BVerwG 1 WB 106.95 -). Das ist hier nicht der Fall. …
[5] Die Gewährung von Sonderurlaub unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge zur Wahrnehmung einer hauptberuflichen Tätigkeit nach § 9 der Verordnung über den Urlaub der Soldaten (Soldatenurlaubsverordnung – SUV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Mai 1997 (BGBl. I S. 1134), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes und anderer Vorschriften (SGÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1815), i. V. m. § 13 Abs. 1 der Verordnung über Sonderurlaub für Bundesbeamte und Richter im Bundesdienst (Sonderurlaubsverordnung – SUrlV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. April 1997 (BGBl. I S. 978), dem Nr. 83 Abs. 1 der Ausführungsbestimmungen zur SUV (AusfBest SUV) für Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit entspricht, kann gemäß § 15 Abs. 1 SUrlV und Nr. 88 Abs. 1 AusfBest SUV aus zwingenden dienstlichen Gründen widerrufen werden. Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der gerichtlich in vollem Umfang nachprüfbar ist (Beschluss vom 12. April 1978 – BVerwG 1 WB 159.76, 5. 77 -).
[6] Zwingende dienstliche Gründe liegen vor, wenn ohne den Widerruf der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen wären (vgl. Beschlüsse vom 12. April 1978 – BVerwG 1 WB 159.76, 5. 77 – und vom 19. November 1998 – BVerwG 1 WB 36.98 -). Hierzu zählen auch die Fälle, in denen – wie hier – die Geschäftsgrundlage für die Gewährung des Sonderurlaubs deshalb entfällt, weil der mit der Beurlaubung verfolgte Zweck nicht mehr erreicht werden kann.
[7] Die Beurlaubung des Antragstellers zur Wahrnehmung einer hauptberuflichen Tätigkeit bei der DFS lag im dienstlichen Interesse, da an der Besetzung von Stellen bei der DFS durch Soldaten nach der Privatisierung der Flugsicherung (Art. 87d Abs. 1 GG) ein erhebliches Interesse seitens des Bundesministers der Verteidigung (BMVg) besteht. Aufgrund der Ablösung des Antragstellers von seiner Funktion bei der DFS ohne gleichzeitige Zuweisung eines neuen Aufgabenbereichs ist jedoch der vom BMVg mit der Beurlaubung verfolgte Zweck entfallen (vgl. hierzu auch Urteil vom 15. Mai 1997 – BVerwG 2 C 32.96 -).
[8] Zusätzliches Gewicht erhalten die Widerrufsgründe durch die Tatsache, dass der Antragsteller auf dem beim AFSBw neu eingerichteten Dienstposten eines Planungs- und Flugsicherungsstabsoffiziers nach Darlegung des BMVg benötigt wird und hierfür auch besonders geeignet ist. Dies stellt auch er letztlich nicht in Abrede. Die Frage der persönlichen Eignung für die Wahrnehmung eines konkreten Dienstpostens ist im Übrigen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar, da die Bestimmung, welcher Personalbedarf in den verschiedenen Bereichen besteht und wie er im Einzelfall gedeckt werden soll, in erster Linie der Verwirklichung planerischer Ziele dient. Darauf gestützte Maßnahmen stehen daher grundsätzlich außerhalb der Kriterien von Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit. Es handelt sich dabei vielmehr um Zweckmäßigkeitsüberlegungen, die, wenn sie ein dienstliches Bedürfnis für eine bestimmte Verwendung des Soldaten begründen oder ausschließen, bei der richterlichen Kontrolle einzelner Personalmaßnahmen, außer bei Rechtsverstößen, als gegeben hinzunehmen sind (Beschlüsse vom 11. November 1975 – BVerwG 1 WB 24.75 –, vom 29. November 1988 – BVerwG 1 WB 7.88 –, vom 9. Dezember 1999 – BVerwG 1 WB 59.99 –, vom 3. Juli 2001 – BVerwG 1 WB 24.01 –, vom 30. August 2001 – BVerwG 1 WB 38, 39. 01 – und vom 19. Dezember 2001 – BVerwG 1 WB 59.01 -).
[9] Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Personalbedarf beim AFSBw erst durch die Schaffung eines zusätzlichen Dienstpostens entstanden ist, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dies nur aus dem Grunde geschehen ist, um den Sonderurlaub des Antragstellers widerrufen zu können.
[10] Insgesamt betrachtet sind damit die dienstlichen Gründe für den Widerruf, die sich sowohl aus dem Schreiben des AFSBw an den Antragsteller vom 29. Mai 2001 und den dem Schreiben beigefügten Anlagen als auch aus dem Bescheid des BMVg – PSZ III 5 – vom 20. Dezember 2001 ergeben, nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung als zwingend im Sinne des § 15 Abs. 1 SUrlV und der Nr. 88 Abs. 1 AusfBest SUV anzusehen.
[11] Auch die gemäß § 15 Abs. 1 SUrlV und Nr. 88 Abs. 1 AusfBest SUV vom BMVg angestellten Ermessenserwägungen, die dem Antragsteller bereits mit Schreiben vom 29. Mai 2001 mitgeteilt worden sind, lassen keine Rechtsfehler erkennen. Dieser muss zwar bei seiner Entscheidung auch die persönlichen Belange des Antragstellers in angemessener Weise berücksichtigen, ist aber insoweit nicht verpflichtet, den Ausgang eines (bisher noch gar nicht eingeleiteten) arbeitsgerichtlichen Verfahrens und damit die Klärung der Frage abzuwarten, ob der ursprünglich mit der Beurlaubung verbundene Zweck endgültig entfallen ist. Der Sinn der Regelung des § 15 Abs. 1 SUrlV besteht gerade darin, dem BMVg unter den dort festgelegten Voraussetzungen die Möglichkeit zu eröffnen, beurlaubte Soldaten vorzeitig wieder in seinem Dienstbereich zu verwenden.
[12] Der Antragsteller durfte angesichts des in dem Bewilligungsbescheid enthaltenen Widerrufsvorbehalts bei der Planung seiner finanziellen Belastungen auch nicht darauf vertrauen, noch bis Ende August 2003 in den Genuss der höheren Vergütung bei der DFS zu kommen. Dasselbe gilt für seine Erwartung, bis zum Ablauf seiner Beurlaubung in dem bisherigen Umfeld verbleiben zu können.
[13] Anhaltspunkte dafür, dass ihm durch die sofortige Vollziehung des Widerrufsbescheids unzumutbare, insbesondere nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere bliebe ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache ohne Einfluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen arbeitsrechtlicher Ansprüche gegen die DFS. Diese stehen mit dem vorliegenden Verfahren in keinerlei rechtlichem Zusammenhang und haben deshalb insoweit außer Betracht zu bleiben.