Bundesverwaltungsgericht
Berichtigung der Urteilsformel; Vorlagefrist für schriftliches Urteil; Fristversäumung; Zurückverweisung; Verfahrensmangel; Anhörungsmangel; Heilung eines Anhörungsmangels; Einleitungsverfügung; Spindkontrolle; Durchsuchung; Tätlichkeit; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
WDO § 38 Abs. 1, § 93 Abs. 1 Satz 2, § 96 Abs. 1, 2 Satz 1, § 99 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 2; StPO §§ 268, 275; ZDv 10/5 Nr. 318 Satz 1, 2
1. Eine Berichtigung der Urteilsformel ist zulässig, solange die Urteilsverkündung noch nicht abgeschlossen ist.
2. Wird das schriftliche Urteil nicht innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist zu den Akten gebracht, liegt darin ein gravierender Verfahrensfehler, der das Berufungsgericht jedoch nicht zwingt, das Verfahren unter Aufhebung des Urteils an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
3. In der vor Ergehen der Einleitungsverfügung unterbliebenen Anhörung des Soldaten durch die Einleitungsbehörde liegt ein schwerer Verfahrensfehler, der nur noch bis zum Eingang der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht geheilt werden kann.
4. Zu den Voraussetzungen einer Spindkontrolle sowie zur Abgrenzung von einer Durchsuchung.
5. Bei einer Tätlichkeit eines Vorgesetzten gegen einen Untergebenen kann in leichteren Fällen von der Regelmaßnahme einer Dienstgradherabsetzung abgesehen werden.
BVerwG, Urteil vom 16. 3. 2004 – 2 WD 3.04; Truppendienstgericht Süd (lexetius.com/2004,1270)
[1] Gegen den Soldaten, einen Oberleutnant, war durch den Disziplinarvorgesetzten (Brigadekommandeur) eine Disziplinarbuße von 1.000 Euro mit der Begründung verhängt worden, er habe den Spind eines Untergebenen trotz Fehlens der notwendigen rechtlichen Voraussetzungen kontrolliert (Anschuldigungspunkt 1) und den Untergebenen sodann am Kragen der Feldbluse gepackt und diesem fünf- bis zehnmal auf die Wange getätschelt (Anschuldigungspunkt 2). Der Divisionskommandeur als zuständige Einleitungsbehörde hielt diese Dis-ziplinarmaßnahme für unzureichend und leitete – ohne zuvor erfolgte weitere Anhörung des Soldaten – ein gerichtliches Disziplinarverfahren ein. Die Truppendienstkammer verhängte gegen den Soldaten ein Beförderungsverbot für die Dauer von 18 Monaten verbunden mit einer Kürzung der Dienstbezüge; nach Verkündung des Tenors zog sich die Kammer erneut zur Beratung zurück und ergänzte den Urteilstenor dahingehend, dass die verhängte Disziplinarbuße aufgehoben wurde.
[2] Mit der in vollem Umfang eingelegten Berufung machte der Soldat geltend, das angefochtene Urteil leide an schwerwiegenden Verfahrensmängeln, da die Urteilsverkündung fehlerhaft erfolgt sei und die schriftlichen Urteilsgründe nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von fünf Wochen vorgelegt worden seien. Außerdem sei seine gesetzlich zwingend vorgeschriebene Anhörung vor Ergehen der Einleitungsverfügung nicht erfolgt.
[3] Das Bundesverwaltungsgericht hat das angefochtene Urteil aufgehoben und das Verfahren eingestellt.
[4] Gründe: Soweit der Soldat geltend macht, das erstinstanzliche Urteil sei bereits deshalb aufzuheben, weil die Truppendienstkammer nach der am 3. Juli 2003 um 21. 00 Uhr erfolgten Verkündung des Urteilstenors sich erneut zur Beratung zurückgezogen und anschließend eine Ergänzung des Urteilstenors verkündet hat, kann dem nicht gefolgt werden. Nach den gemäß § 91 Abs. 1 WDO ergänzend anzuwendenden Vorschriften der Strafprozessordnung ist eine Berichtigung der Urteilsformel möglich, solange die Urteilsverkündung noch nicht abgeschlossen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 1974 – 4 StR 633/73 –; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl. 2004, § 268 RNr. 9 m. w. N.). Abgeschlossen ist die Urteilsverkündung mit dem letzten Wort der mündlichen Bekanntgabe der Urteilsgründe (stRspr. des BGH, u. a. Beschluss vom 28. Mai 1974 – 4 StR 633/73 –; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner, a. a. O., § 268 RNr. 8). Wie sich dem Protokoll über die Hauptverhandlung vor der Truppendienstkammer entnehmen lässt, hat sich die Truppendienstkammer "nach Verkündung des Tenors" (über die Verhängung eines Beförderungsverbotes für die Dauer von 18 Monaten, verbunden mit einer Kürzung der Dienstbezüge um ein Zwanzigstel für die Dauer von sechs Monaten sowie die dazugehörige Kostenentscheidung) "erneut zur Beratung" zurückgezogen und nach der Beratungspause, die von 21. 05 Uhr bis 21. 10 Uhr gedauert hat, den Urteilstenor um eine Ziffer 3 ergänzt ("Die am 30. Juli 2002 vom Kommandeur der Brigade verhängte Disziplinarmaßnahme über 1.000 € wird aufgehoben"). Da sich die Truppendienstkammer mithin nach Verkündung des "Tenors" um 21. 05 Uhr erneut zur Beratung zurückgezogen hat und da diesem Protokoll die aus § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 274 StPO sich ergebende Beweiskraft zukommt, ist davon auszugehen, dass damit um 21. 05 Uhr die Urteilsgründe noch nicht bekannt gegeben waren und die Urteilsverkündung noch nicht abgeschlossen war.
[5] Selbst wenn das Verfahren vor dem Truppendienstgericht insoweit oder aus weiteren Gründen fehlerhaft gewesen sein sollte, wäre der Senat nicht gezwungen, das Urteil des Truppendienstgerichts aufzuheben und die Sache an eine andere Kammer desselben oder des anderen Truppendienstgerichts zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Namentlich ist das Urteil der Truppendienstkammer nicht deshalb aufzuheben, weil es nicht innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist von fünf Wochen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 275 Abs. 1 StPO) zu den Akten gebracht worden ist. Darin liegt zwar ein gravierender Verfahrensfehler. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat in seiner Stellungnahme jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass der erkennende Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung bei einer solchen Fristüberschreitung von einer Zurückverweisung in die erste Instanz stets abgesehen hat (Urteile vom 31. März 1978 – BVerwG 2 WD 50.77 – und vom 3. Juli 2001 – BVerwG 2 WD 24.01). Zwar handelt es sich vorliegend – anders als in den beiden genannten Entscheidungsfällen – um ein Berufungsverfahren, in dem volle Berufung eingelegt worden ist. Dies allein ist jedoch kein Gesichtspunkt, der den Senat zwänge, die Sache gemäß § 121 Abs. 2 WDO zurückzuverweisen. Der Senat würde jedenfalls im vorliegenden Verfahren selbst bei Vorliegen von Verfahrensmängeln von dem ihm durch § 121 Abs. 2 WDO eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch machen. Da der Soldat gegen die Entscheidung des Truppendienstgerichts Berufung im vollen Umfang eingelegt hat, ist die Sach und Rechtslage durch den Senat ohnehin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in vollem Umfange neu zu überprüfen; auf dieser Grundlage hat der Senat dann im Hinblick auf das festzusetzende gerichtliche Disziplinarmaß die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. An die tatsächlichen Feststellungen und die rechtliche Würdigung der Truppendienstkammer ist er nicht gebunden. Es würde dem im § 17 Abs. 1 WDO normierten Grundsatz, Disziplinarsachen beschleunigt zu behandeln, jedenfalls im vorliegenden Falle zuwiderlaufen, wollte der Senat unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung wegen schwerer Verfahrensmängel die Sache an das Truppendienstgericht zurückverweisen, obwohl er selbst die notwendigen Prüfungen und Entscheidungen im vorliegenden Verfahren zu treffen in der Lage ist.
[6] Auf die Berufung des Soldaten ist das angefochtene Urteil der Truppendienstkammer jedoch deshalb aufzuheben und das Verfahren ist nach § 123 Satz 3 i. V. m. § 96 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 WDO einzustellen, weil das angeschuldigte Dienstvergehen des Soldaten nicht die Verhängung einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme erfordert.
[7] Dabei kann letztlich offen bleiben, ob das gerichtliche Disziplinarverfahren über-haupt wirksam eingeleitet wurde.
[8] Bei Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens müssen alle Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach dem Gesetz die disziplinare Verfolgung des Soldaten und des Dienstvergehens zulässig ist. Zu den Voraussetzungen eines zulässigen gerichtlichen Disziplinarverfahrens gehört eine wirksame Einleitungsverfügung (vgl. Urteil vom 9. Juni 1970 – BVerwG II WD 37/70; Dau, WDO, 4. Aufl. 2002, § 93 RNr. 1), die als Prozesshandlung Bestandteil eines einheitlichen, gesetzlich geregelten Verfahrens ist (Beschluss vom 15. Oktober 1996 – BVerwG 1 WB 36.96). Sie bringt das gerichtliche Disziplinarverfahren in Gang und ist auf die Herbeiführung einer gerichtlichen Disziplinarentscheidung gerichtet. Darüber hinaus eröffnet ihr Ergehen der Einleitungsbehörde u. a. die Möglichkeit, den betreffenden Soldaten vorläufig des Dienstes zu entheben (§ 126 Abs. 1 Satz 1 WDO), ihm das Tragen der Uniform zu verbieten (§ 126 Abs. 1 Satz 2 WDO) sowie die teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge anzuordnen (§ 126 Abs. 2 Satz 1 WDO). Nach der Regelung des § 93 Abs. 1 Satz 3 WDO wird die Einleitung mit der Zustellung an den Soldaten wirksam. Allerdings ist der Soldat "vorher", also vor Ergehen der Einleitungsverfügung, zu hören (§ 93 Abs. 1 Satz 2 WDO). Diese durch das Zweite Gesetz zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts und zur Änderung anderer Vorschriften (2. WehrDiszNOG) vom 16. August 2001 (BGBl I S. 2093) in die Wehrdisziplinarordnung – neu – eingefügte Vorschrift stellt die Anhörung des Soldaten vor Ergehen der Einleitungsverfügung nicht in das Ermessen der Einleitungsbehörde, sondern schreibt sie ausdrücklich verbindlich vor. Dies folgt bereits aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Regelung ("ist vorher zu hören"). Die durch § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO vorgeschriebene Anhörung muss dabei gerade durch die Einleitungsbehörde erfolgen, und zwar ungeachtet einer bereits vorher erfolgten Anhörung des Soldaten im Rahmen der Ermittlungen durch den Disziplinarvorgesetzten nach § 32 Abs. 4 und 5 WDO und im Vorermittlungsverfahren (§ 92 Abs. 2 i. V. m. § 97 Abs. 3 Satz 1 WDO). Dies ergibt sich daraus, dass die Regelung des § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO durch das 2. WehrDiszNOG gerade ungeachtet der für die davor liegenden Verfahrensstadien bereits bestehenden Anhörungspflichten in das Gesetz eingefügt worden ist. Außerdem folgt dies aus dem Regelungszusammenhang, in dem die Vorschrift steht. Als Satz 2 schließt sie im Absatz 1 des § 93 WDO unmittelbar an den vorhergehenden Satz 1 an, der sich allein auf die durch die Verfügung der Einleitungsbehörde erfolgende Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens bezieht. Indem Satz 2 des § 93 Abs. 1 WDO regelt, dass die Anhörung des Soldaten "vorher" zu erfolgen hat, wird klargestellt, dass dies gerade durch die Einleitungsbehörde vor Ergehen der schriftlichen Einleitungsverfügung zu geschehen hat. Denn § 93 Abs. 1 WDO betrifft allein Verfahrenshandlungen der Einleitungsbehörde. Die in § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO normierte Verpflichtung, den Soldaten "vorher" zu hören, ist darauf gerichtet, ihm Gelegenheit zu geben, gerade zu der von der Einleitungsbehörde beabsichtigten Einleitungsentscheidung Stellung zu nehmen und hierauf einzuwirken. Der normative Zweck der Regelung liegt ersichtlich darin sicherzustellen, dass der Soldat in Kenntnis der drohenden Einleitungsentscheidung alles vortragen kann, was aus seiner Sicht für die Ermessensentscheidung der Einleitungsbehörde von Relevanz sein kann. Gibt der Soldat hierzu eine Stellungnahme ab, ist die Einleitungsbehörde bei ihrer Ermessensentscheidung gehalten, diese zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es reicht nicht aus, wenn die Einleitungsbehörde lediglich diejenigen Stellungnahmen des Soldaten berücksichtigt, die er zuvor im Rahmen der Ermittlungen des Disziplinarvorgesetzten oder im Vorermittlungsverfahren (§ 92 Abs. 2 i. V. m. § 97 Abs. 3 Satz 1 WDO) abgegeben hat. Die Pflicht, dem Soldaten vor Ergehen der Entscheidung über die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, besteht auch dann, wenn die Einleitungsbehörde ihre Entscheidung über die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens erst nachträglich, d. h. nach § 96 Abs. 1 WDO dann trifft, wenn ein Disziplinarvorgesetzter zuvor wegen der Tat bereits eine Disziplinarmaßnahme verhängt oder eine Disziplinarmaßnahme nicht für zulässig oder angebracht gehalten und seine Entscheidung dem Soldaten bekannt gegeben hat. Denn auch bei einer Entscheidung nach § 96 Abs. 1 WDO trifft die Einleitungsbehörde eine Ermessensentscheidung, die auf die gleiche Rechtsfolge, nämlich die Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens gerichtet ist. Dies kommt im Wortlaut des § 96 Abs. 1 Satz 1 WDO unmissverständlich zum Ausdruck, in dem es heißt, die Einleitungsbehörde könne das gerichtliche Disziplinarverfahren "auch" einleiten, wenn die im Gesetz normierten Voraussetzungen erfüllt sind. § 96 Abs. 1 WDO erweitert damit die sich aus § 93 Abs. 1 WDO ergebende Entscheidungsbefugnis der Einleitungsbehörde, reduziert jedoch nicht die in § 93 Abs. 1 WDO normierten Anforderungen an eine wirksame Einleitungsentscheidung. Damit ist sowohl im Regelfall des § 93 Abs. 1 WDO als auch im Falle einer vor dem Ergehen einer Einleitungsverfügung nach § 96 Abs. 1 WDO erfolgten Verhängung einer Disziplinarmaßnahme durch den Disziplinarvorgesetzten zwingend vorgeschrieben, dem Soldaten zur beabsichtigten Ermessensentscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Da nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift die Einleitungsbehörde von einer vorherigen Anhörung des Soldaten vor ihrer Ermessensentscheidung nicht absehen darf, ist eine – wie im vorliegenden Fall – unterbliebene Anhörung seit der mit Wirkung vom 1. Januar 2002 erfolgten gesetzlichen Neuregelung durch das 2. WehrDiszNOG ein – schwerer – Verfahrensfehler.
[9] Ob dieser schwere Verfahrensfehler zur Unwirksamkeit der Einleitungsverfügung führt oder bis zum Ergehen der Anschuldigungsschrift nachgeholt und geheilt werden kann, ist bislang nicht geklärt. Zwar kann nach der (bisherigen) Rechtsprechung des Senats eine fehlerhafte oder unterbliebene Anhörung der Vertrauensperson nachgeholt werden (Beschluss vom 8. Januar 1992 – BVerwG 2 WDB 17.91 und Urteil vom 26. April 2001 – BVerwG 2 WD 47.00). Diese Rechtsprechung betrifft allerdings nicht den Fall der unterbliebenen Anhörung des betroffenen Soldaten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber nunmehr in § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO mit Wirkung ab 1. Januar 2002 ausdrücklich und zwingend eine Anhörung des Soldaten durch die Einleitungsbehörde vor Ergehen der Einleitungsverfügung angeordnet hat.
[10] Dem Gesetzeswortlaut des § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO lässt sich zur Frage der Auswirkungen eines Anhörungsmangels auf die Wirksamkeit der Einleitungsverfügung keine unmittelbare Antwort entnehmen. Allerdings bezeichnet das Gesetz in § 93 Abs. 1 Satz 3 lediglich die Zustellung der Einleitungsverfügung ausdrücklich als Wirksamkeitsvoraussetzung, nicht jedoch die abschließende Anhörung des Soldaten.
[11] Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift ist insoweit unergiebig. In der Begründung des Regierungsentwurfs ist lediglich davon die Rede, die neue Regelung "konkretisiert den Anspruch des Soldaten auf rechtliches Gehör für den Fall der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens" (BTDrucks 14/4660, S. 34 zu Nummer 65). Auch der weitere Verlauf der Gesetzesberatungen vermittelt keine näheren Aufschlüsse.
[12] Nach dem Regelungszusammenhang und der erkennbaren normativen Zwecksetzung ist allerdings davon auszugehen, dass dann, wenn einem Soldaten entgegen § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO keine Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Einleitungsverfügung gegeben wird, der Einleitungsbehörde eine vom Gesetz zwingend vorgegebene Entscheidungsgrundlage fehlt, die ihr bei ihrer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung vorliegen muss und die sie zu berücksichtigen hat. Die Ermessensentscheidung der Einleitungsbehörde ist dann notwendigerweise planwidrig unvollständig. Der normative Zweck der Anhörungsvorschrift des § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO, dass die Behörde ihre Ermessensentscheidung auf der vom Gesetz vorausgesetzten vollständigen Entscheidungsgrundlage trifft, kann dann nicht erreicht werden. Eine fehlerfreie Ermessensentscheidung der Einleitungsbehörde kann allerdings so lange noch zustande kommen, wie die Einleitungsbehörde befugtermaßen ihr Ermessen hinsichtlich der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens oder dessen Einstellung noch ausüben und dabei das Ergebnis einer nachgeholten Anhörung zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen kann. Wie sich aus § 99 Abs. 1 Satz 1 WDO ergibt, kann die Einleitungsbehörde eine Einstellungsentscheidung noch so lange treffen, bis der Wehrdisziplinaranwalt eine Anschuldigungsschrift dem Truppendienstgericht vorlegt. Mit dem Eingang der Anschuldigungsschrift bei dem Truppendienstgericht werden dagegen die darin erhobenen Vorwürfe rechtshängig. Vom Beginn der Rechtshängigkeit an ist nicht mehr die Einleitungsbehörde, sondern allein das Wehrdienstgericht "Herr des Verfahrens". Die Einleitungsbehörde ist dann nicht mehr befugt, das Verfahren durch eine Ermessensentscheidung zu beeinflussen. Eine vor Ergehen der Einleitungsverfügung entgegen § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO unterbliebene Anhörung des Soldaten durch die Einleitungsbehörde kann mithin äußerstenfalls bis zur Vorlage der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 WDO nachgeholt werden. Geschieht dies nicht, wird also die Anhörung erst später oder gar überhaupt nicht nachgeholt, fehlt es an einer unverzichtbaren Voraussetzung eines zulässigen gerichtlichen Disziplinarverfahrens, sodass dieses dann gemäß § 123 Satz 3 i. V. m. § 108 Abs. 3 Satz 1 (1. Alternative) WDO wegen eines nicht mehr heilbaren Verfahrenshindernisses einzustellen ist (im Ergebnis ebenso: Dau, a. a. O., § 93 RNr. 3). Die Einleitungsbehörde kann dann nur noch prüfen, ob sie ein neues gerichtliches Disziplinarverfahren einleiten will, soweit nicht die Fristen nach § 17 Abs. 2 bis 5 WDO verstrichen sind.
[13] Eine Nachholung der nach § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO im vorliegenden Verfahren unterbliebenen Anhörung des Soldaten durch die Einleitungsbehörde ist hier nicht erfolgt. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat dies in der Berufungshauptverhandlung ausdrücklich bestätigt. Allerdings hatte der Soldat durch seinen Verteidiger vor der Vorlage der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht dem Wehrdisziplinaranwalt mitgeteilt, er verzichte "auf abschließendes Gehör" nach § 97 Abs. 3 Satz 1 WDO. Bereits zuvor hatte er nach erfolgter Einsichtnahme in die Ermittlungsakten auf die entsprechende Anfrage des Wehrdisziplinaranwalts erklärt, er verzichte "auf abschließende Vernehmung". Damit durfte der Wehrdisziplinaranwalt davon ausgehen, dass der Soldat in voller Kenntnis des bisherigen Verfahrensganges keine weiteren Gesichtspunkte zum Sach- und Streitstand, insbesondere zur erfolgten Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens und dessen Fortführung mehr vortragen wollte. Darin könnte der Sache nach ein Verzicht des Soldaten auf die nachträgliche Wahrnehmung seines ihm nach § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO zustehenden Rechts auf Anhörung durch die Einleitungsbehörde gelegen haben. Dies bedarf hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Denn die vorgenannten Erklärungen wurden der Einleitungsbehörde jedenfalls nicht zur Kenntnis gebracht. Ihr war damit die Möglichkeit genommen, unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens des Soldaten eine eigenständige fehlerfreie Ermessensentscheidung zu treffen und damit nachzuholen.
[14] Allerdings kann nach der Regelung des § 46 VwVfG die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nichtig ist, nicht allein wegen Verletzung von Vorschriften über das Verfahren beansprucht werden, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (vgl. für den Bereich von Personalverwendungsentscheidungen Beschluss vom 27. Februar 2003 – BVerwG 1 WB 57.02 -). Es bedarf hier keiner abschließenden Prüfung und Entscheidung der Frage, ob diese Regelung im Wege der Gesetzesanalogie auch auf das Verfahren bei der Einleitungsbehörde anzuwenden ist. Selbst wenn dies der Fall wäre und wenn zudem davon ausgegangen werden müsste, dass angesichts der schriftsätzlichen Erklärungen des – anwaltlich vertretenen – Soldaten (Verzicht auf "abschließende Vernehmung" und "abschließendes Gehör") die Verletzung der genannten Verfahrensvorschriften die Entscheidung der Einleitungsbehörde in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst hat, hat die Berufung des Soldaten aus den nachstehend dargelegten Gründen dennoch Erfolg. …
[15] Das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen den Soldaten ist gemäß § 123 Satz 3 i. V. m. § 96 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 WDO einzustellen und das Urteil der Truppendienstkammer aufzuheben, sodass es bei der durch den Brigadekommandeur gegen den Soldaten verhängten Disziplinarbuße von 1.000 € verbleibt, deren Vollstreckung auf die Dauer von fünf Monaten zur Bewährung ausgesetzt worden war. Eine über die verhängte Disziplinarbuße von 1.000 € hinausgehende gerichtliche Disziplinarmaßnahme ist nicht erforderlich. …
[17] Allerdings ist er von dem von Anschuldigungspunkt 1 erfassten Tatvorwurf freizustellen.
[18] Indem sich der Soldat im Einverständnis mit dem Zeugen F. in dessen Stube begab, den Spind des Zeugen ausräumen ließ und dessen Sachen kontrollierte, verstieß er weder gegen seine Pflicht zum Gehorsam nach § 11 Abs. 1 SG noch gegen seine Kameradschaftspflicht nach § 12 Satz 2 SG, seine Fürsorgepflicht nach § 10 Abs. 3 SG oder gegen seine Pflicht zum achtungs- und vertrauenswahrenden Verhalten nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG. Bei dem Vorgehen des Soldaten handelte es sich nach den vom Senat getroffenen Feststellungen um eine Spindkontrolle im Sinne der Nr. 317 der ZDv 10/5. Danach hat eine Spindkontrolle den Zweck, die Sauberkeit, Ordnung und Einsatzfähigkeit der Bekleidung und persönlichen Ausrüstung zu überprüfen. Eine Überprüfung der "Ordnung" kann sich – wie sich schon aus dem natürlichen Wortsinn der Regelung ergibt – auch darauf erstrecken, ob die im Spind befindlichen Gegenstände und Sachen vollständig und für dienstliche Zwecke hinreichend geordnet sind sowie ob sich darunter unter Umständen auch Gegenstände befinden, die dort aus dienstlichen Gründen nichts zu suchen haben. Keine Spindkontrolle sind gemäß Nr. 318 Satz 1 ZDv 10/5 jedoch eine Durchsuchung oder Beschlagnahme nach den Vorschriften der Wehrdisziplinarordnung und der Strafprozessordnung, die nach der Regelung in Nr. 318 Satz 2 ZDv 10/5 ausschließlich dafür vorgesehen sind, ein Dienstvergehen oder eine Straftat aufzuklären. Nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (§§ 102 ff. StPO) dient eine Durchsuchung der Auffindung von Gegenständen, die der Beschlagnahme unterliegen, sowie der Ergreifung des Beschuldigten für Zwecke der Strafverfolgung (vgl. dazu auch Meyer-Goßner, a. a. O., vor § 94 RNr. 4). Eine Beschlagnahme bedeutet die förmliche Sicherstellung eines Gegenstandes durch Überführung in amtlichen Gewahrsam oder auf andere Weise. Von diesen Begriffsinhalten geht auch die Wehrdisziplinarordnung aus (vgl. Dau, WDO, 4. Aufl. 2003, § 20 RNrn. 16 und 18 jeweils m. w. N.).
[19] Der Senat hat nicht feststellen können, dass das Vorgehen des Soldaten in der Stube des Zeugen F. auf eine Durchsuchung oder auf eine Beschlagnahme nach den Vorschriften der Wehrdisziplinarordnung oder der Strafprozessordnung gerichtet war. Denn dem Soldaten ist nicht nachzuweisen, dass er im Spind des Zeugen F. eine amtliche Suche nach beweglichen Sachen vornahm, die als Beweismittel bei Ermittlungen wegen des Verdachts auf ein Dienstvergehen oder einer Straftat von Bedeutung sein sollten. Eine Beschlagnahme scheidet schon deshalb aus, weil sein Vorgehen ersichtlich nicht darauf gerichtet war, einen Gegenstand wegzunehmen, um ihn in amtliche Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen. Die von ihm vorgenommene Spindkontrolle war darauf ausgerichtet, die Ordnung sowie in diesem Zusammenhang auch die Sauberkeit der Bekleidung und persönlichen Ausrüstungsgegenstände des Zeugen zu überprüfen. Schon deshalb war eine vorherige Anordnung des zuständigen Richters gemäß § 20 Abs. 1 WDO nicht erforderlich. Abgesehen davon hatte der Zeuge F., wie er in der Berufungshauptverhandlung glaubhaft bekundet hat, der Kontrolle seines Spindes ausdrücklich zugestimmt, sodass eine richterliche Anordnung der Durchsuchung auch im Hinblick auf Art. 13 Abs. 2 GG nicht erforderlich war (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 1987 – 1 BvR 1113/85 -).
[20] Es kann hier offen bleiben, ob der Soldat an dem in Rede stehenden Tag zu einer Spindkontrolle berechtigt war, obwohl er zu diesem Zeitpunkt nicht (mehr) Zugführer war. Nach Nr. 317 Satz 2 ZDv 10/5 entscheidet allein der Disziplinarvorgesetzte, wer zur Spindkontrolle berechtigt ist. Auch wenn der Soldat hier durch den zuständigen Disziplinarvorgesetzten zur Vornahme der Spindkontrolle nicht ermächtigt gewesen sein sollte, läge in diesem Verstoß gegen die Regelung in Nr. 317 Satz 2 ZDv 10/5 kein im vorliegenden Verfahren zu ahndendes Dienstvergehen. Denn zum Gegenstand der Urteilsfindung dürfen gemäß § 123 Satz 3 i. V. m. § 107 Abs. 1 WDO nur diejenigen Pflichtverletzungen gemacht werden, die in der Anschuldigungsschrift dem Soldaten als Dienstvergehen zur Last gelegt worden sind. Die Anschuldigungsschrift muss dabei gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO die Tatsachen, in denen ein – schuldhaftes – Dienstvergehen erblickt wird, und die Beweismittel geordnet darstellen. Der dem Soldaten gegenüber erhobene Vorwurf muss in der Anschuldigungsschrift so deutlich und klar sein, dass sich der Soldat mit seiner Verteidigung darauf einstellen kann (stRspr.: vgl. u. a. Urteile vom 14. April 1977 – BVerwG 2 WD 1.77 –, vom 19. Juli 1995 – BVerwG 2 WD 9.95 –, vom 6. Mai 2003 – BVerwG 2 WD 29.02 und vom 18. September 2003 – BVerwG 2 WD 3.03). Eine solche aus rechtsstaatlichen Gründen zwingend gebotene Konkretisierung des Tatvorwurfs ist hinsichtlich einer fehlenden Ermächtigung zur Vornahme der Spindkontrolle durch den zuständigen Disziplinarvorgesetzten in der Anschuldigungsschrift nicht erfolgt. Damit scheidet ein Ungehorsam des Soldaten (§ 11 Abs. 1 SG) schon deshalb aus, ohne dass die Frage näher zu prüfen ist, ob die Regelung in der genannten Dienstvorschrift einen – vom Soldaten missachteten – Befehl darstellt (e).
[21] In der vom Soldaten vorgenommenen Kontrolle des Spindes des Zeugen F. liegt auch kein Verstoß gegen die Pflicht des Vorgesetzten zur Fürsorge gegenüber seinen Untergebenen (§ 10 Abs. 3 SG). Aufgrund der in § 10 Abs. 3 SG normierten Fürsorgepflicht hat jeder Vorgesetzte den Untergebenen nach Recht und Gesetz zu behandeln. Die Vorschrift verpflichtet den Vorgesetzten darüber hinaus, von seinen Befugnissen unter angemessener Berücksichtigung der persönlichen Belange des Untergebenen Gebrauch zu machen. Er muss sich bei allen Handlungen vom Wohlwollen dem Untergebenen gegenüber leiten lassen und stets bemüht sein, den Soldaten vor Nachteilen und Schäden zu bewahren (stRspr.: vgl. u. a. Urteile vom 6. Juli 1976 – BVerwG 2 WD 11.76 –, vom 13. Februar 2003 – BVerwG 2 WD 33.02 und vom 27. Januar 2004 – BVerwG 2 WD 2.04 – m. w. N. sowie die Einzelnachweise bei Scherer/Alff, SG, 6. Aufl. 1998 sowie 7. Aufl. 2003, jeweils § 10 RNr. 21 m. w. N.).
[22] Da der Zeuge F. ausdrücklich mit der vorgenommenen Kontrolle seines Spindes einverstanden war, ist schon deshalb nicht ersichtlich, dass der Soldat die persönlichen Belange des Untergebenen nicht in angemessener Weise bei seinem Vorgehen berücksichtigt hätte.
[23] Die Kontrolle des Spindes des Zeugen F. verstieß auch nicht gegen die in § 12 Satz 2 SG normierte Pflicht zur Kameradschaft. Nach § 12 Satz 2 SG sind alle Soldaten verpflichtet, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und diesem in Not und Gefahr beizustehen. Eine Verletzung dieser Pflicht durch die Kontrolle des Spindes des Zeugen F. scheidet hier ebenfalls schon deshalb aus, weil der Zeuge F. sich damit ausdrücklich einverstanden erklärt hatte. Aus dem gleichen Grunde ist damit auch ein Verstoß gegen die Pflicht zur Achtungs- und Vertrauenswahrung (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) nicht erkennbar.
[24] Dagegen hat der Soldat ein Dienstvergehen begangen, soweit er – wie unter Nr. 2 der Anschuldigungsschrift angeschuldigt – den Gefreiten F. mit der rechten Hand am Kragen der Feldbluse packte, daran festhielt und mit der linken Hand mehrfach auf dessen Wange tätschelte. Er beging damit eine Tätlichkeit gegenüber dem Zeugen F. und verletzte so seine Pflichten zur Fürsorge gegenüber einem Untergebenen (§ 10 Abs. 3 SG) und zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG) sowie zu achtungs- und vertrauenswahrendem Verhalten im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). …
[25] Auch wenn der Soldat damit ein Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG begangen hat, ist das gerichtliche Disziplinarverfahren dennoch einzustellen. Nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO sind bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. (wird ausgeführt)
[26] Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist bei einer durch einen Vorgesetzten begangenen körperlichen Misshandlung oder ehrverletzenden oder entwürdigenden Behandlung von Untergebenen eine "reinigende Maßnahme", also im Regelfall die Dienstgradherabsetzung, in schweren Fällen sogar die Höchstmaßnahme verwirkt (vgl. u. a. Urteile vom 29. April 1981 – BVerwG 2 WD 17.81, vom 9. April 1986 – BVerwG 2 WD 52.85 –, vom 12. Juli 1990 – BVerwG 2 WD 4.90 –, vom 18. März 1997 – BVerwG 2 WD 29.95 –, vom 17. März 1999 – BVerwG 2 WD 28.98 und vom 19. Juli 2000 – BVerwG 2 WD 6.00 – jeweils m. w. N.).
[27] Im vorliegenden Falle handelt es sich nach den vom Senat getroffenen Feststellungen um eine Tätlichkeit von relativ kurzer Dauer, wobei keine Gesundheitsverletzungen oder sonstige nachhaltige Schäden beim Opfer verursacht wurden; zudem erfolgte die Tat ohne eine böswillige oder gar menschenverachtende Zielrichtung. Das Dienstvergehen hat daher schon nach seiner Schwere und Eigenart, nach den Auswirkungen und – im Hinblick auf die Beweggründe des Soldaten – nach dem Maß der Schuld ein gegenüber dem "Durchschnittsfall" geringeres Gewicht. Da das Gesetz bei der Maßnahmebemessung eine Differenzierung insbesondere nach der "Eigenart und Schwere" des Dienstvergehens verlangt, muss eine solche nicht nur nach "oben", sondern im Einzelfall gegebenenfalls auch nach "unten" erfolgen. Dies rechtfertigt es, gerade auch im Hinblick auf den auch im Disziplinarrecht geltenden verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. dazu auch die neuere Rechtsprechung des Senats für die Fälle eines Zugriffs auf Eigentum und Vermögen des Dienstherrn oder von Kameraden) in "unterdurchschnittlichen" Fällen schon im Ausgangspunkt ("Einstufung") der Zumessungserwägungen von einer bei körperlicher Misshandlung oder unwürdiger Behandlung im Regelfall gebotenen Dienstgradherabsetzung abzusehen. An seiner früheren – insbesondere nach dem spezifischen Unrechtsgehalt nach "unten" nicht hinreichend differenzierenden – Rechtsprechung hält der Senat insofern nicht mehr fest.
[28] Der Senat hat allerdings schon in seiner bisherigen Rechtsprechung dann, wenn der angeschuldigte Soldat, um Untergebene zu tadeln, diesem jeweils einen leichten Klaps in den Rücken und in das Genick versetzte, es für erforderlich, aber auch für ausreichend gehalten, "den erkennbar vorhandenen Willen des betreffenden Soldaten zu künftigem pflichtgemäßen Verhalten durch eine Kürzung der Dienstbezüge zu unterstützen" (vgl. u. a. Urteil vom 20. Mai 1981 – BVerwG 2 WD 9.80 -) und hat damit nicht eine Dienstgradherabsetzung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen genommen. Der Unrechtsgehalt des Fehlverhaltens des Soldaten hat vorliegend zudem noch ein relativ geringeres Gewicht als dasjenige des Angeschuldigten in jenem Falle, weil der Täter damals "in zwei Fällen", also wiederholt dem Betroffenen "jeweils einen leichten Klaps" versetzt und außerdem diesem gegenüber "in elf Fällen beleidigende Ausdrücke" gebraucht hatte.
[29] Angesichts dessen kommt als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ("Einstufung") vorliegend jedenfalls keine "reinigende Maßnahme", sondern eine Kürzung der Dienstbezüge in Betracht.
[30] Im Hinblick darauf, dass nach den Feststellungen des Senats im vorliegenden Falle jedoch ein Milderungsgrund in den Umständen der Tat eingreift und der Soldat sich zudem auch auf die dargelegten Milderungsgründe in seiner Person berufen kann, ist es nach der Überzeugung des Senats unter Berücksichtigung aller für und gegen den Soldaten sprechenden Gesichtspunkte gerechtfertigt, auch von einer Kürzung der Dienstbezüge und damit von einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme überhaupt abzusehen. Dabei hat der Senat bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme insbesondere auch berücksichtigt, dass der zuständige Disziplinarvorgesetzte in Wahrnehmung der ihm zustehenden Dis-ziplinarbefugnis und aus der unmittelbaren Kenntnis des Soldaten und des dienstlichen Umfeldes heraus die Verhängung einer Disziplinarbuße in Höhe von 1.000 € für angemessen und ausreichend gehalten hatte. Anhaltspunkte dafür, dass der Disziplinarvorgesetzte dabei von einem unzutreffenden Sachverhalt oder von sachfremden oder unvertretbaren Erwägungen ausgegangen ist, sind nicht ersichtlich.
[31] Hinzukommt, dass der Soldat das in ihn von seinem Disziplinarvorgesetzten gesetzte Vertrauen in der Folgezeit nach der Tat durch eine deutliche Steigerung seiner dienstlichen Leistungen sowie durch eine in jeder Hinsicht ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten gerechtfertigt hat. (wird ausgeführt) Zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Dienstbetriebes erscheint – auch unter Berücksichtigung generalpräventiver Zwecke – eine weitergehende Disziplinarmaßnahme als die mit dem Bescheid vom 30. Juli 2002 verhängte Disziplinarbuße nicht erforderlich.