Bundesverwaltungsgericht
Ungenehmigte Nebentätigkeit; Vermittlung von Finanzdienstleistungsprodukten; Provision; Abschluss von Neugeschäften; Studierender der Universität der Bundeswehr; Befehl mit gesetzeswiederholendem Inhalt.
SG §§ 7, 11 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 2, § 20 Abs. 1, 2; WDO § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1, § 67 Abs. 1, 2; HGB § 86 Abs. 2
Zur Maßnahmebemessung bei Ausübung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit eines Studierenden (Oberleutnant) einer Universität der Bundeswehr für einen Finanzdienstleister.

BVerwG, Urteil vom 28. 4. 2004 – 2 WD 20.03; Truppendienstgericht Süd (lexetius.com/2004,2021)

[1] Der frühere Soldat, ein Oberleutnant der Reserve, übte als Studierender einer Universität der Bundeswehr eine nicht genehmigte Nebentätigkeit für eine Firma aus, indem er für diese aufgrund eines Vertrages Finanzdienstleistungen vermittelte, insbesondere Neugeschäfte mit Kunden abschloss und hierbei Provision in nicht unerheblichem Umfang bezog. In seiner Funktion als Repräsentanzleiter der Firma erhielt er nicht nur Eigenprovision, sondern partizipierte auch an den Provisionen, die sein Team erwirtschaftete.
[2] Die Truppendienstkammer stellte das gerichtliche Disziplinarverfahren unter Feststellung eines Dienstvergehens ein, da sie allenfalls eine einfache Disziplinarmaßnahme für angemessen hielt, deren Verhängung jedoch ausgeschlossen sei. Auf die Berufung des Wehrdisziplinaranwalts hob der Senat das Urteil der Truppendienstkammer auf und kürzte dem früheren Soldaten wegen eines Dienstvergehens die Übergangsbeihilfe um die Hälfte.
[3] Gründe: Der frühere Soldat bedurfte für seine Nebentätigkeit der vorherigen Genehmigung seines Disziplinarvorgesetzten (§ 20 Abs. 1 SG). Nebentätigkeit ist jede Tätigkeit innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes, die neben der Haupttätigkeit (Hauptverwendung) ausgeübt wird (Scherer/Alff, SG, 7. Aufl. 2003, § 20 RNr. 3). Dazu gehören jedenfalls auch alle gewerblichen und anderweitigen wirtschaftlichen Betätigungen. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Regelung, sondern auch aus ihrem Sinn und Zweck. Das Soldatenverhältnis als Dienstverhältnis wird charakterisiert durch die Dienstleistungspflicht des Soldaten. Aufgrund der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) ist der Soldat gehalten, seine volle Arbeitskraft dem Dienstherrn zur Verfügung zu stellen. Sinn und Zweck des § 20 Abs. 1 SG liegen darin, in einem Genehmigungsverfahren vorab zu prüfen, ob die Inanspruchnahme durch die Nebentätigkeit nach ihrer Art und ihrem Umfang mit der ordnungsgemäßen Erfüllung der dienstlichen Pflichten des Soldaten im Einklang steht und ob ferner eine Interessenkollision mit den dienstlichen Pflichten des Soldaten auszuschließen ist. Demgemäß ist die Genehmigung zu versagen, wenn zu besorgen ist, dass durch die Nebentätigkeit dienstliche Interessen beeinträchtigt werden (§ 20 Abs. 2 SG). …
[4] Der frühere Soldat hat sich dadurch, dass er sich ab März/April 2001 ohne vorherige Genehmigung – weiterhin – vertraglich an die Firma t. band, die damit verbundenen Rechte und Pflichten erfüllte, insbesondere im Zeitraum von März 2001 bis Januar 2002 auch Neugeschäfte abschloss bzw. vermittelte und Provision bezog – gemäß § 86 Abs. 2 HGB hatte er von den Neuabschlüssen der Firma t. Mitteilung gemacht, wirtschaftlich betätigt und damit die Dienstpflicht nach § 20 Abs. 1 SG verletzt. Von einer Kündigung oder einvernehmlichen Beendigung des abgeschlossenen Vertrages nahm er Abstand, um sich – wie er selbst vorgetragen hat – die weiteren wirtschaftlichen Vorteile aus dem Vertrag zu sichern. Dabei ging es nicht nur um die Erzielung von Provision für Neuabschlüsse (Neuprovision), sondern auch um Folgeprovisionen. Nicht entscheidend ist dabei, um welche Art von Provision es sich im Einzelnen gehandelt hat, z. B. Provision für Eigengeschäfte, Vermittlungsgeschäfte oder Teamprovision. Entscheidend ist, dass der frühere Soldat aufgrund einer von seinem Dienstherrn nicht genehmigten Nebentätigkeit, somit durch sein rechtswidriges Verhalten, finanzielle Vorteile erlangt, diese gesichert und sich damit wirtschaftlich betätigt hat. Die Frage, ob die angeschuldigte Nebentätigkeit den früheren Soldaten möglicherweise konkret in einen Widerstreit mit seinen dienstlichen Pflichten brachte, kann dabei offen bleiben, weil diesbezüglich ein konkreter Tatvorwurf in der Anschuldigungsschrift nicht erhoben wird. Im Hinblick darauf, dass für die Frage der Genehmigungspflicht der Umfang der Tätigkeit nicht maßgeblich ist, kann auch dahingestellt bleiben, ob der frühere Soldat als Repräsentanzleiter der Firma t. im Zeitraum ab März/April 2001 seine Teammitarbeiter geführt, betreut, geschult oder regelmäßig mit ihnen "Meetings" durchgeführt hat, was im Grunde zu seinen vertraglichen Aufgaben gehörte.
[5] Der frühere Soldat hat mit Wissen und Wollen und somit vorsätzlich gehandelt. …
[6] Er hat durch die nicht genehmigte Nebentätigkeit ferner vorsätzlich seine Verpflichtung zur Achtungs- und Vertrauenswahrung im außerdienstlichen Bereich (§ 17 Abs. 2 Satz 2 SG) verletzt, …
[7] Dem früheren Soldaten war dagegen nicht nachzuweisen, dass er die Pflicht zum Gehorsam (§ 11 Abs. 1 SG) verletzt hat. Insoweit fehlt es, wie das Truppendienstgericht zutreffend dargelegt hat, bereits an einer Befehlsgebung. Es ließ sich nämlich nicht feststellen, dass dem früheren Soldaten die Ausübung der nicht genehmigten Nebentätigkeit durch seinen Disziplinarvorgesetzten ausdrücklich verboten worden war. Der Zeuge Hauptmann d. R. B. gab vor dem Truppendienstgericht unwiderlegt an, er habe als damaliger Leiter einer Studentenfachbereichsgruppe der Universität der Bundeswehr und damit als nächster Disziplinarvorgesetzter des früheren Soldaten diesem zu keiner Zeit untersagt, eine ungenehmigte Nebentätigkeit auszuüben. Im Übrigen verstieße, selbst wenn sich ein entsprechender Befehl feststellen ließe, seine Nichtbefolgung nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht gegen die Gehorsamspflicht, da er nur gesetzeswiederholenden Inhalt hätte. Die Wiederholung einer Verpflichtung, die bereits aus einer anderen Gesetzesnorm, hier des § 20 Abs. 1 Satz 1 SG, folgt, ist kein Ungehorsam, sondern ein Verstoß gegen die andere Gesetzesnorm; handelt es sich hierbei um eine im Soldatengesetz festgelegte Dienstpflicht, geht diese insoweit speziellere Pflicht der Gehorsamspflicht vor (Scherer/Alff,, § 11 RNr. 2; vgl. auch Urteile vom 12. Juni 1974 – BVerwG 2 WD 45.73 und vom 13. Mai 1986 – BVerwG 2 WD 44.85). …
[8] Insgesamt hat der frühere Soldat ein Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG begangen. …
[9] Das Dienstvergehen wiegt nach seiner Eigenart und Schwere, seinen Auswir-kungen sowie dem Maß der Schuld nicht leicht.
[10] Eigenart und Schwere des Fehlverhaltens, die sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlung bestimmen, sind dadurch gekennzeichnet, dass sich der frühere Soldat, obwohl gegen ihn mit Urteil des Truppendienstgerichts, u. a. wegen Ausübung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit für die Firma t. ein Beförderungsverbot für die Dauer von zwei Jahren – verbunden mit Gehaltskürzung von 1/20 für die Dauer eines Jahres – verhängt worden war, weiterhin – ohne Genehmigung seines Disziplinarvorgesetzten – für die Firma t. entsprechend dem mit ihr abgeschlossenen Vertrag wirtschaftlich betätigte und damit Nebentätigkeiten ausübte, insbesondere auch Neugeschäfte mit Kunden abschloss bzw. vermittelte und hierbei Provision in nicht unerheblichem Umfang bezog. Hierbei fällt zu Lasten des früheren Soldaten ins Gewicht, dass er mehrfach an Abschlüssen von Neugeschäften beteiligt war, nämlich im März, April, Juni, Juli 2001 und Januar 2002, damit entsprechend auch nach außen in Erscheinung trat und sich somit durch sein rechtswidriges Verhalten weiterhin persönliche finanzielle Vorteile verschaffte und zudem keinen Anlass sah, seinen Vertrag mit der Firma t. zu kündigen. Im Zusammenhang mit dem Umfang seiner Inanspruchnahme durch die Nebentätigkeit ist auch seine Funktion als Repräsentanzleiter der Firma t. seit 1. Oktober 2000 von Bedeutung, in welcher er einem Team von vier bis fünf Personen vorsteht, die ebenfalls für die Firma t. Finanzdienstleistungen vermitteln. Mit dieser Funktion wuchs ihm nämlich die Aufgabe zu, seine Teamkollegen in ihre Tätigkeit einzuarbeiten, sie zu unterstützen und zu schulen. Als Repräsentanzleiter erhielt der frühere Soldat nicht nur eine "Eigenprovision", sondern partizipierte auch an den Provisionen, die sein Team erwirtschaftete. Dabei entsteht der Anspruch auf Provision nicht nur bei Neugeschäftsabschlüssen, die Vergütung wird als Folgeprovision auch aus vormaligen Geschäftsabschlüssen gewährt.
[11] Die Ausübung einer Nebentätigkeit ohne Einholung der erforderlichen Genehmigung wiegt für einen Soldaten, der in seiner Haupttätigkeit dem Dienstherrn die volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen hat und der durch die außerdienstliche Nebentätigkeit auch nicht in einen Interessenkonflikt zu seinen dienstlichen Interessen geraten darf, nicht leicht.
[12] Auch der Verletzung der Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen im außerdienstlichen Bereich (§ 17 Abs. 2 Satz 2 SG) kommt Gewicht zu. …
[13] Ferner ist erschwerend zu berücksichtigen, dass der frühere Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Oberleutnant eine Vorgesetztenstellung innehatte. …
[14] Im Hinblick auf die Auswirkungen des Dienstvergehens fällt zu Lasten des früheren Soldaten ins Gewicht, dass mit der nicht genehmigten Nebentätigkeit nicht unerhebliche Provisionszahlungen verbunden waren, ferner dass seine Pflichtverletzungen in der Universität der Bundeswehr bekannt geworden sind und Unruhe ausgelöst haben. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Ablösung des früheren Soldaten vom Studium wegen Nichtbestehens der Diplomhauptprüfung und seine Wegversetzung von der Universität zum 1. September 2001 gerade in den Zeitraum fiel, in welchem er für die Firma t. Neugeschäfte abschloss.
[15] Die Handlungsweise des früheren Soldaten beruhte auf eigennützigen Beweggründen. Sein Verhalten war ausschließlich darauf gerichtet, finanzielle Leistungen bzw. persönliche Vorteile zu erzielen und zu sichern. …
[16] Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des Soldaten mindern würden, liegen nicht vor. …
[17] Konkrete Anhaltspunkte für ein den Soldaten teilweise entlastendes Mitverschulden von Vorgesetzten – etwa im Hinblick auf eine nicht hinreichende Wahrnehmung der Dienstaufsicht (vgl. dazu Urteile vom 17. Oktober 2002 – BVerwG 2 WD 14.02 und vom 13. März 2003 – BVerwG 1 WD 4.03 – sind ebenfalls nicht erkennbar. …
[18] Für den früheren Soldaten sprechen in seiner Person und bisherigen Führung frühere teilweise überdurchschnittliche dienstliche Leistungen, die er vor seiner Versetzung an die Universität der Bundeswehr erbrachte und wie sie zuletzt in der Beurteilung vom Februar 1996 zum Ausdruck kamen. Auch ist er bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Gegen ihn spricht jedoch, dass er während seines Studiums zweimal, außerdem zeitlich kurz hintereinander, durch den Leiter eines Studentenfachbereichs disziplinar gemaßregelt werden musste. …
[19] Bei der Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände hielt der Senat das Dienstvergehen, was die Einstufung angeht, insbesondere im Hinblick auf seine Eigenart, die Auswirkungen, das Maß der Schuld und wegen Fehlens von Milderungsgründen in den Umständen der Tat, insgesamt für so gravierend, dass er – auch aus Gründen der Generalprävention – entgegen der Auffassung des Truppendienstgerichts von einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme nicht absehen konnte. …