Bundesarbeitsgericht
Anfechtung einer Betriebsratswahl – Betriebszugehörigkeit

BAG, Beschluss vom 10. 3. 2004 – 7 ABR 36/03 (lexetius.com/2004,513)

[1] Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. April 2003 – 10 TaBV 124/02 – wird zurückgewiesen.
[2] Gründe: A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer am 11. März 2002 durchgeführten Betriebsratswahl.
[3] Der antragstellende Arbeitgeber ist 1991 durch Verschmelzung aus dem Verband Westfälischer und Lippischer Wohnungsunternehmen mit dem Verband Rheinischer Wohnungsunternehmen hervorgegangen. Seine Tätigkeit erstreckt sich auf das Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen und der Regierungsbezirke Koblenz und Trier des Landes Rheinland-Pfalz. Er hat seinen Sitz in D und beschäftigt insgesamt 99 Arbeitnehmer. Seit der Verschmelzung unterhält er in M eine Geschäftsstelle, in der 15 Arbeitnehmer tätig sind. Der Arbeitgeber beschäftigt zahlreiche Verbandsprüfer im Außendienst, die möglichst wohnortnah eingesetzt werden. In der Geschäftsstelle M war bis 1995 ein Prüfungsdirektor des Arbeitgebers tätig, der auch das Direktionsrecht über die in Westfalen eingesetzten Prüfer ausübte. Nach dessen Ausscheiden wird die Leitungs- und Weisungsbefugnis einschließlich der Einsatzplanung für die 16 im Bereich Westfalen eingesetzten Prüfer von D aus durch den Prüfungsdirektor S vorgenommen. Ob bzw. inwieweit der in der Geschäftsstelle M ansässige Prüfungsleiter E hierauf Einfluss nimmt, ist zwischen den Beteiligten streitig.
[4] Zu Beginn einer im Bereich Westfalen angesetzten Prüfung holen die Verbandsprüfer die Unterlagen in der Geschäftsstelle in M ab. Eventuelle Rückfragen sowohl organisatorischer als auch fachlicher Art klären sie mit dem dort beschäftigten Prüfungsleiter E, dem insoweit die Fachaufsicht obliegt. Auch die Berichtskritik erfolgt in M.
[5] Anlässlich der in der Geschäftsstelle M am 11. März 2002 durchgeführten Betriebsratswahl waren auch die im Bereich Westfalen tätigen Verbandsprüfer in die Wählerliste aufgenommen. Sie nahmen an der Wahl teil. In den dreiköpfigen Betriebsrat wurden zwei der Außendienstmitarbeiter gewählt. Das Wahlergebnis wurde am 11. März 2002 bekannt gegeben. Bei der in D durchgeführten Betriebsratswahl waren die im Bereich Westfalen tätigen Verbandsprüfer ebenfalls in die Wählerliste aufgenommen. Einige im Wesentlichen in Westfalen eingesetzten Prüfer nahmen auch an der Betriebsratswahl in D teil.
[6] Mit einem am 22. März 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Arbeitgeber die Feststellung der Unwirksamkeit der Betriebsratswahl vom 11. März 2002 geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die im Außendienst tätigen Verbandsprüfer seien ausschließlich dem Betrieb in D zuzuordnen. In der Geschäftsstelle in M habe daher lediglich ein einköpfiger Betriebsrat gewählt werden dürfen. Zudem seien die Außendienstmitarbeiter dort weder wahlberechtigt noch wählbar gewesen.
[7] Der Arbeitgeber hat beantragt, die Betriebsratswahl vom 11. März 2002 für unwirksam zu erklären.
[8] Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hat gemeint, die im Bereich Westfalen eingesetzten Verbandsprüfer seien der Geschäftsstelle M zuzuordnen, weil sie überwiegend im Bereich Westfalen eingesetzt werden. Ihr Ansprechpartner sei der in M tätige Prüfungsleiter E. Dieser nehme auch Einfluss auf die in D erfolgende Zuteilung der Prüfungsmandate. Die konkrete zeitliche Abstimmung der Mandate und Prüfer erfolge sodann durch den Leiter der Stabsstelle "Organisation der Wirtschaftsprüfung" P. Bei kurzfristigen Änderungen frage der Prüfungsleiter E bei dem Mitarbeiter P ab, welche Prüfer verfügbar seien. Danach entscheide er über die personelle Besetzung der Prüfung. Der Mitarbeiter P nehme anschließend lediglich diese Änderung in seine Gesamtplanung auf.
[9] Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Arbeitgebers zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Begehren auf Zurückweisung des Antrags weiter. Der Arbeitgeber beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
[10] B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Die in der Geschäftsstelle M am 11. März 2002 durchgeführte Betriebsratswahl ist unwirksam, weil gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit und das Wahlverfahren verstoßen wurde, § 19 Abs. 1 BetrVG. Die im Bereich Westfalen eingesetzten Verbandsprüfer waren bei der am 11. März 2002 in der Geschäftsstelle M durchgeführten Betriebratswahl weder wahlberechtigt (§ 7 BetrVG) noch wählbar (§ 8 BetrVG) noch durften sie bei der Ermittlung der Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder nach § 9 BetrVG berücksichtigt werden.
[11] 1. Nach § 7 Satz 1 BetrVG sind alle betriebsangehörigen Arbeitnehmer wahlberechtigt, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Betriebsangehörig sind solche Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen und innerhalb der Betriebsorganisation des Arbeitgebers abhängige Arbeitsleistungen erbringen (BAG 22. März 2000 – 7 ABR 34/98BAGE 94, 144 = AP AÜG § 14 Nr. 8 = EzA AÜG § 14 Nr. 4, zu B II 2 a aa der Gründe; 19 Juni 2001 – 1 ABR 43/00BAGE 98, 60 = AP BetrVG 1972 § 87 Leiharbeitnehmer Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 63, zu B II 1 a der Gründe). Sofern sie sechs Monate dem Betrieb angehören, sind sie wahlberechtigt, § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Sie werden bei der Bestimmung der Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder mitgezählt, § 9 Satz 1 BetrVG. Arbeitnehmer, die nicht betriebsangehörig sind, sind damit weder wahlberechtigt noch wählbar noch führt ihre Tätigkeit zu einer Erhöhung der Zahl der Betriebsratsmitglieder.
[12] Die Eingliederung in die Betriebsorganisation setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeiten auf dem Betriebsgelände verrichtet. Der Betriebsbegriff ist nicht in dem Sinne räumlich zu verstehen, dass mit der Grenze des Betriebsgrundstücks oder der Betriebsräume der Betriebsbereich endet. Vielmehr sind betriebsangehörig auch die einem Betrieb zugeordneten Arbeitnehmer, die ihre Tätigkeit außerhalb der Betriebsräume verrichten. Entscheidend ist, ob der Arbeitgeber mit Hilfe der Arbeitnehmer den arbeitstechnischen Zweck seines Betriebs verfolgt. Daher gehören auch Außendienstmitarbeiter zum Betrieb. Ist der Vertragsarbeitgeber Inhaber mehrerer Betriebe, kommt es für die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung entscheidend darauf an, in welchem Betrieb der Arbeitnehmer tatsächlich eingegliedert ist (BAG 22. März 2000 – 7 ABR 34/98BAGE 94, 144 = AP AÜG § 14 Nr. 8 = EzA AÜG § 14 Nr. 4, zu B II 2 a bb der Gründe). Hierfür ist die organisatorische Einbindung in den Betrieb maßgebend. Die Außendienstmitarbeiter gehören daher zu dem Betrieb, von dem die Entscheidungen über ihren Einsatz ausgehen und in dem somit Leitungsmacht des Arbeitgebers ausgeübt wird. Hierbei kommt es insbesondere darauf an, von welchem Betrieb das Direktionsrecht ausgeübt wird und die auf das Arbeitsverhältnis bezogenen Anweisungen erteilt werden (Zuweisung von Kunden, Erstellen von Tourenplänen, Besuchsintensität, Arbeitszeit). Demgegenüber ist die Ausübung der Fachaufsicht nur von untergeordneter Bedeutung. Die Fachaufsicht betrifft lediglich die Kontrolle des Arbeitsergebnisses der Arbeitnehmer. Eine Konkretisierung der Leistungspflichten der Arbeitnehmer im Sinne der Ausübung des Direktionsrechts ist damit regelmäßig nicht verbunden, so dass allein aus der Ausübung der Fachaufsicht nicht auf eine Eingliederung in den die Aufsicht ausübenden Betrieb geschlossen werden kann. Aus diesem Grund kommt es auch nicht darauf an, ob bzw. wo eine "Anlaufstelle" besteht, an der die Außendienstmitarbeiter Unterlagen abholen und Berichte abgeben können. Hierdurch soll lediglich die Kommunikation vereinfacht werden. Solange von der "Anlaufstelle" aus keine auf das Arbeitsverhältnis der Außendienstmitarbeiter bezogenen Anweisungen erteilt werden, ist der Kontakt zu einer Anlaufstelle betriebsverfassungsrechtlich ohne Bedeutung.
[13] 2. Hiernach sind die im Bereich Westfalen eingesetzten Verbandsprüfer betriebsverfassungsrechtlich dem Betrieb in D zuzuordnen, weil von dort aus durch den Prüfungsdirektor S die auf ihr Arbeitsverhältnis bezogenen Anweisungen erteilt werden. Insbesondere obliegt diesem bzw. dem ihm nachgeordneten Leiter der Stabsstelle "Organisation der Wirtschaftsprüfung" P die Einsatzplanung. Selbst wenn der in M ansässige Prüfungsleiter E in der Weise Einfluss nehmen sollte, wie es der Betriebsrat behauptet hat, ändert dies nichts daran, dass die Entscheidung hierüber in D und nicht in M getroffen wird. Das gilt auch, soweit der Betriebsrat vorträgt, bei kurzfristigen Änderungen entscheide der Mitarbeiter E über die personelle Besetzung der Prüfung und teile dies dem Leiter der Stabsstelle P mit, der diese Änderung lediglich in seine Gesamtplanung aufnehme. Zum einen handelt es sich hierbei ersichtlich um Ausnahmefälle. Wie oft diese eintreten, ist weder ersichtlich noch vom Betriebsrat dargelegt. Zum anderen zeigt gerade der Umstand, dass der Mitarbeiter E seine "Entscheidung" dem Mitarbeiter P nach D meldet, dass die Steuerung des Einsatzes der im Bereich M eingesetzten Verbandsprüfer insgesamt von D aus erfolgt. Angesichts dessen kommt es nicht darauf an, dass die im Bereich Westfalen eingesetzten Verbandsprüfer räumlich näher bei der Geschäftsstelle als bei dem Hauptbetrieb in D arbeiten.
[14] Die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung der Außendienstmitarbeiter ist auch nicht deswegen anders zu beurteilen, weil für die im Innendienst der Geschäftsstelle M eingesetzten Mitarbeiter die maßgeblichen Entscheidungen über Einstellungen, Kündigungen, Arbeitszeitregelungen, Urlaub, Vergütung in D getroffen werden. Bei der Geschäftsstelle M handelt es sich um einen Betriebsteil iSv. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, dem die dort eingesetzten Innendienstmitarbeiter organisatorisch zuzuordnen sind. Auf die im Bereich Westfalen tätig werdenden Außendienstmitarbeiter trifft dies dagegen nicht zu, weil der Außendienst vom Arbeitgeber organisatorisch beim Hauptbetrieb in D eingeordnet wurde. Die Funktionen der Geschäftsstelle M erstrecken sich daher räumlich nur auf diese selbst, nicht aber umfassend auf einen Bereich Westfalen. Zur Geschäftsstelle M besteht ein Bezug der im Bereich Westfalen eingesetzten Verbandsprüfer nur insoweit, als dort die Fachaufsicht in Form der Berichtskritik angesiedelt ist sowie dadurch, dass diese "Anlaufstelle" dazu dient, dort Unterlagen abzuholen und Berichte abzugeben.
[15] 3. Die Verstöße gegen das Wahlrecht, die Wählbarkeit und das Wahlverfahren waren kausal für das Wahlergebnis, § 19 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz BetrVG. Wenn die Außendienstmitarbeiter nicht als wahlberechtigt angesehen worden wären und wenn sie nicht mitgewählt hätten, wäre nur ein einköpfiger Betriebsrat gewählt worden.