Bundesfinanzhof
AO 1977 § 122 Abs. 5, § 179; VwZG § 3 Abs. 1 Satz 2, § 9
Bei der förmlichen Zustellung eines Bescheids über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen durch Postzustellungsurkunde müssen Zustellungsurkunde und Sendung einen Hinweis auf den Gegenstand der Feststellung enthalten.

BFH, Urteil vom 13. 10. 2005 – IV R 44/03; Hessisches FG (lexetius.com/2005,3022)

[1] Gründe: Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die in den Streitjahren (1993 und 1994) Verluste erzielte. Gesellschafter der Klägerin waren neben der Komplementär-GmbH nur die Ehegatten K (Beigeladener zu 1) und H (Beigeladene zu 2). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA -) hatte die Einkünfte zunächst erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gesondert und einheitlich festgestellt. Am 29. Dezember 1999 erließ das FA nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) einen Sammelbescheid über geänderte gesonderte und einheitliche Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen 1993 und 1994, in dem die Verluste in unveränderter Höhe, aber nach § 15a des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur als verrechenbar festgestellt wurden. Dem Bescheid war eine Anlage beigefügt, in der das FA ausführlich erläuterte, warum die Verlustausgleichsbeschränkung eingreife.
[2] Die Bescheide wurden mit Postzustellungsurkunde (PZU) bekannt gegeben; Bekanntgabeempfänger war K. Als Betreff waren auf der PZU im Feld 1. 1 die Steuernummer der Klägerin und im Feld 1. 2 "geänderter Feststellungsbescheid für 1993 + 1994" vermerkt. Die Zustellung erfolgte durch Niederlegung, nachdem die Zustellerin ausweislich der Vermerke in der PZU am 30. Dezember 1999 in der Wohnung des K niemanden angetroffen und eine Benachrichtigung über die Niederlegung in den Briefkasten geworfen hatte. Das Datum der Niederlegung ist durch Stempelaufdruck mit dem 30. Dezember 1999 bezeichnet. Die nebenstehende Unterschrift des betreffenden Postbediensteten ist nicht identisch mit der Unterschrift der Zustellerin. Der Brief wurde nach Auskunft der Deutschen Post am 5. Januar 2000 von H abgeholt.
[3] Mit Schreiben vom 20. März 2000, eingegangen beim FA am Folgetag, erhoben die steuerlichen Berater der Klägerin Einspruch gegen die Feststellungsbescheide 1993 und 1994 "vom 30. Dezember 1999". Die Klägerin habe weder die betreffenden Bescheide noch eine Mitteilung des Postboten über die Niederlegung erhalten. Die Bekanntgabe sei nicht erfolgt bzw. sei eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur inhaltlichen Begründung des Einspruchs wurde auf ein Einspruchsschreiben betreffend die Feststellungsbescheide 1995 bis 1997 Bezug genommen.
[4] Den Einspruch verwarf das FA als unzulässig. Es liege eine ordnungsgemäße Zustellung vor. Der Einspruch sei verspätet erhoben worden. Die im Hinblick auf den drohenden Verjährungseintritt unterbliebene Anhörung sei nicht für die Versäumung der Einspruchsfrist ursächlich gewesen.
[5] Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 614 veröffentlicht.
[6] Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 126, 110 AO 1977 und des § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Die angefochtenen Bescheide seien wegen Ablaufs der Feststellungsfrist rechtswidrig. Sie seien nicht bestandskräftig geworden, weil rechtzeitig Einspruch eingelegt worden sei. Zumindest sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Einspruchsfrist zu gewähren.
[7] Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Sammeländerungsbescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung 1993 und 1994 vom 29. Dezember 1999 ersatzlos aufzuheben, hilfsweise die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung vom 1. November 2000 aufzuheben.
[8] Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[9] Es macht geltend, bei lebensnaher Betrachtung sei davon auszugehen, dass der Briefumschlag mit dem Bescheid in den Machtbereich des Empfangsbevollmächtigten der Klägerin gelangt sei.
[10] Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -).
[11] 1. Der Senat kann sich nicht der Auffassung des FG und des FA anschließen, der Einspruch der Klägerin sei unzulässig. Mit dem Einspruch vom 21. März 2000 wurde die Einspruchsfrist gewahrt.
[12] a) Die Bekanntgabe der Bescheide durch Niederlegung am 30. Dezember 1999 war nicht wirksam.
[13] aa) Nachdem das FA von der Möglichkeit zur Bekanntgabe durch förmliche Zustellung Gebrauch gemacht hat, richten sich die Voraussetzungen für eine wirksame Bekanntgabe nach den Vorschriften des VwZG (§ 122 Abs. 5 AO 1977). Bei Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde ist die Sendung mit der Anschrift des Empfängers und mit der Bezeichnung der absendenden Dienststelle, einer Geschäftsnummer und einem Vordruck für die Zustellungsurkunde zu versehen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG).
[14] bb) Dem Formerfordernis des § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG wird nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht genügt, wenn die zuzustellende Sendung nicht mit einer ausreichenden, den Inhalt der Sendung einwandfrei identifizierenden Geschäftsnummer versehen ist. Denn eine PZU bezeugt nicht die Übergabe des – in einem verschlossenen Umschlag beförderten – Schriftstücks selbst, sondern nur die Übergabe einer mit einer Geschäftsnummer bezeichneten Sendung (§ 3 Abs. 3 VwZG i. V. m. § 195 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO – a. F.). Dabei stellt die Angabe der Geschäftsnummer auf der Sendung und auf der PZU die einzige urkundliche Beziehung zwischen dieser und dem zuzustellenden Schriftstück her (BFH-Urteil vom 12. Januar 1990 VI R 137/86, BFHE 160, 103, BStBl II 1990, 602). Wegen der gebotenen Gewähr für Nämlichkeit und den unveränderten Inhalt der Postsendung muss die Geschäftsnummer infolgedessen die Identifizierung der zugestellten Sendung ermöglichen (BFH-Urteil in BFHE 160, 103, BStBl II 1990, 602). Angesichts dieses Zwecks der Geschäftsnummer reicht es aus, wenn der fragliche Vorgang derart durch Zahlen und Buchstaben gekennzeichnet ist, dass der Empfänger die Sendung eindeutig dem betreffenden Vorgang zuordnen kann; weiter gehende Rechte hat der Empfänger im Hinblick auf die Art der Geschäftsnummer nicht (BFH-Urteil vom 19. Juni 1991 I R 77/89, BFHE 165, 5, BStBl II 1991, 826).
[15] cc) Insoweit genügt es für eine wirksame Zustellung nach § 3 VwZG nicht, wenn die PZU und die Sendung als Geschäftsnummer lediglich die Steuernummer ausweisen (BFH-Urteil vom 8. Februar 1972 VIII R 14/68, BFHE 105, 85, BStBl II 1972, 506). Nicht für ausreichend erachtet hat es der III. Senat des BFH im Urteil vom 16. März 2000 III R 19/99 (BFHE 191, 486, BStBl II 2000, 520), dass im Feld 1. 1 zwar die Steuernummer, neben dem Anschriftenfeld die Notiz "ESt 93, USt 94" und im Feld 1. 2 keine Angabe enthalten ist.
[16] Den Anforderungen des § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG genügt es demgegenüber, wenn neben der Steuernummer unter 1. 1 der PZU im Feld 1. 2 die Angabe "Vfg. v. 18. 12. 86 Kö + VEK 81" gemacht worden ist (BFH-Urteil in BFHE 165, 5, BStBl II 1991, 826). Nach dem Senatsurteil vom 11. August 1983 IV R 20/81 (juris) ist auch die Angabe "E/KiSt 77" verbunden mit der Steuernummer ausreichend. Der X. Senat des BFH hat mit Urteil vom 7. Juli 2004 X R 33/02 (BFH/NV 2005, 66) unter Aufhebung des von der Klägerin zitierten Urteils des FG Köln vom 20. August 2002 3 K 4644/02 (EFG 2003, 425) die Zustellung von zwei Einspruchsentscheidungen unter Angabe der Geschäftsnummer "die Steuernummer – RBBZ. 2", gefolgt von "wingf 1—28, 41—43 + 29—40" und "2 E. E.' en vom 13. 07. 2001" für ordnungsgemäß bewirkt gehalten. Ebenfalls für formgerecht hielt der BFH die Zustellung eines Umsatzsteuerbescheids mit der Angabe der Steuernummer im Feld 1. 1 der PZU und der Angabe "UStB 97" in dem daran anschließenden Feld unter der Gliederungsnummer 1. 2 (BFH-Urteil vom 18. März 2004 V R 11/02, BFHE 205, 501, BStBl II 2004, 540, unter Aufhebung des ebenfalls von der Klägerin zitierten Urteils des FG Köln vom 27. November 2000 1 K 2602/99, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst – DStRE – 2002, 1350).
[17] dd) Im Streitfall erachtet der Senat die Angabe der Steuernummer im Feld 1. 1 und den Vermerk "geänderter Feststellungsbescheid für 1993 + 1994" im Feld 1. 2 nicht für eine den Anforderungen des § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG genügende Kennzeichnung des Sendungsinhalts.
[18] Entscheidend dafür ist die Verwendung des Begriffs "Feststellungsbescheid", die keine eindeutige Bestimmung des übersandten Bescheids beinhaltet. Angesichts der Vielzahl der möglichen gesonderten Feststellungen (nach derzeitiger Rechtslage z. B. Feststellung der Einkünfte nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977, Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d Abs. 4 EStG, Feststellung der negativen Einkünfte aus der Beteiligung an Verlustzuweisungsgesellschaften nach § 2b i. V. m. § 10d Abs. 4 EStG, Feststellung der Verluste aus gewerblicher Tierhaltung, aus Termingeschäften sowie aus stillen Beteiligungen nach § 15 Abs. 4 i. V. m. § 10d Abs. 4 EStG, Feststellung der verrechenbaren Verluste nach § 15a Abs. 4 EStG, Feststellung der vortragsfähigen Fehlbeträge nach § 10a des Gewerbesteuergesetzes – GewStG -) kommt dem Begriff "Feststellungsbescheid" ein vergleichbarer Informationsgehalt wie dem Begriff "Steuerbescheid" zu. Beides ist zur Bezeichnung des Inhalts der zuzustellenden Sendung nicht ausreichend. Vielmehr bedarf es der Ergänzung um die Steuerart im Fall eines Steuerbescheids bzw. des Feststellungsgegenstands im Fall des Feststellungsbescheids.
[19] Entgegen der Auffassung des FA kann nicht auf die Aktenlage abgestellt werden, um Klarheit über den Gegenstand des konkret betroffenen Feststellungsbescheids zu gewinnen. Vielmehr erfordert der Zweck des § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG, nämlich eine urkundliche Beziehung zwischen dem verschlossenen Inhalt der Sendung und der PZU herzustellen, dass die Bezeichnung des Sendungsinhalts aus sich heraus und ohne Aktenkenntnis verständlich ist.
[20] b) Rechtsfolge einer nicht ausreichenden Individualisierung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG ist die Unwirksamkeit der Bekanntgabe. Nach § 9 Abs. 1 VwZG a. F. (jetzt § 9 VwZG) wird der Zustellungsmangel geheilt, wenn der Empfangsberechtigte das Schriftstück nachweislich erhalten hat. Dies gilt auch bei einer Verletzung des § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG (BFH-Urteil in BFHE 191, 486, BStBl II 2000, 520). Das Schriftstück erhält der Empfangsberechtigte im oben genannten Sinn selbst dann, wenn ihm nur eine Kopie des ursprünglich versandten Verwaltungsakts zugeht (BFH-Urteil vom 19. Mai 1976 I R 154/74, BFHE 119, 219, BStBl II 1976, 785, I. 2. b). Da § 9 Abs. 2 VwZG a. F. eine Heilung bei Ingangsetzen der Einspruchsfrist gemäß § 355 Abs. 1 AO 1977 nicht ausschließt, begann diese Frist von einem Monat im Zeitpunkt des unstreitigen Zugangs einer Kopie des Sammeländerungsbescheids bei K bzw. seinem Bevollmächtigten.
[21] Zwar hat das FG – von seinem Standpunkt aus zu Recht – keine Feststellungen dazu getroffen, wann es zu einer Übersendung einer Bescheidkopie gekommen ist. Den vorliegenden Akten kann der Senat jedoch entnehmen, dass das Vorbringen der Klägerin zutrifft, dem Bevollmächtigten seien mit Schreiben vom 3. März 2000 Kopien übersandt worden. Denn das FA bezieht sich in einem Schreiben vom 4. Mai 2000 auf diesen Vorgang. Danach steht fest, dass die Einspruchsfrist bei Eingang des Einspruchs am 21. März 2000 noch nicht abgelaufen war.
[22] 2. FA und FG sind mithin zu Unrecht von der Unzulässigkeit des Einspruchs ausgegangen. Eine isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung kommt nicht in Betracht, weil die Klägerin einen dahin gehend eingeschränkten Antrag nur hilfsweise gestellt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 26. September 2000 VII B 104/00, BFH/NV 2001, 459). Entsprechend dem Hauptantrag ist die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide vom Gericht zu prüfen. Da sich das FG damit noch nicht befasst und dementsprechend auch keinerlei diesbezügliche Feststellungen getroffen hat, ist die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.