Bundesfinanzhof
EStG § 9 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 Nr. 1, § 12, § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; BGB § 1629 Abs. 1 Satz 1, § 1795 Abs. 1 Nr. 1
Bei der steuerrechtlichen Anerkennung von Verträgen zwischen nahen Angehörigen ist der zivilrechtlichen Unwirksamkeit des Vertragsabschlusses nur indizielle Bedeutung beizumessen (Anschluss an BFH-Urteil vom 13. Juli 1999 VIII R 29/97, BFHE 191, 250, BStBl II 2000, 386).
BFH, Urteil vom 7. 6. 2006 – IX R 4/04; Niedersächsisches FG (lexetius.com/2006,2379)
[1] Gründe: I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) errichtete in den Jahren 1991 bis 1993 drei Mehrfamilienhäuser. Zur Finanzierung der Herstellungskosten schloss sie mit ihren drei minderjährigen Enkelkindern Ende August 1991 jeweils Darlehensverträge ab.
[2] Unterzeichnet wurden die Verträge durch den Vater als dem gesetzlichen Vertreter seiner Söhne; ein Ergänzungspfleger wurde nicht eingeschaltet.
[3] Im April 1992 erfolgte eine Vertragsänderung, welche auf Seiten der Darlehensgeber wiederum von deren Vater als Vertreter unterzeichnet wurde. Danach gewährten die Enkel der Klägerin weitere Kredite in variabler Höhe. In der Folgezeit erfolgten verschiedentlich Aufstockungen der Darlehenssummen.
[4] Mit notarieller Urkunde vom November 1998 genehmigte der jetzt eingeschaltete Ergänzungspfleger die Darlehensverträge; danach wurden Grundschulden zur Sicherung der Darlehen bestellt.
[5] Die Zinsen für den Zeitraum von Ende August bis 31. Dezember 1991 in Höhe von 6 980 DM hat die Klägerin am 15. Januar 1992, die Zinsen für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 1992 in Höhe von 21 385 DM hat sie am 30. Dezember 1992 an die Enkel gezahlt.
[6] Aufgrund einer Außenprüfung versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA -) die steuerliche Anerkennung der Darlehen und erhöhte für das Streitjahr 1992 die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung um die gezahlten Darlehenszinsen.
[7] Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem Urteil aus, die Darlehensverträge seien als Vereinbarung zwischen nahen Angehörigen steuerlich nicht zu berücksichtigen, da sie nicht formwirksam abgeschlossen worden seien.
[8] Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
[9] Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 1992 unter Berücksichtigung der Darlehenszinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung festzusetzen.
[10] Das FA beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
[11] II. Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass die Darlehensverträge bereits auf Grund ihrer Formunwirksamkeit steuerrechtlich nicht anzuerkennen seien.
[12] 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die steuerrechtliche Anerkennung von Vertragsverhältnissen zwischen nahen Angehörigen u. a. davon abhängig, dass die Verträge bürgerlich-rechtlich wirksam vereinbart worden sind und sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbartem dem zwischen Fremden Üblichen entspricht (vgl. BFH-Urteile vom 3. März 2004 X R 14/01, BFHE 205, 261, BStBl II 2004, 826; vom 19. Februar 2002 IX R 32/98, BFHE 198, 288, BStBl II 2002, 674; vom 13. Juli 1999 VIII R 29/97, BFHE 191, 250, BStBl II 2000, 386, jeweils m. w. N.). Zu nahen Angehörigen zählen auch Großeltern und Enkelkinder im Verhältnis zueinander (vgl. BFH-Urteile vom 18. Dezember 1990 VIII R 290/82, BFHE 163, 423, BStBl II 1991, 391, und vom 14. April 1983 IV R 198/80, BFHE 138, 359, BStBl II 1983, 555).
[13] a) Die Anforderungen der Rechtsprechung an die Anerkennung von Verträgen zwischen nahen Angehörigen gründen auf der Überlegung, dass es innerhalb eines Familienverbundes typischerweise an einem Interessensgegensatz ermangelt und somit zivilrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten steuerrechtlich missbraucht werden können (vgl. Bundesverfassungsgericht – BVerfG –, Beschluss vom 7. November 1995 2 BvR 802/90, BStBl II 1996, 34). Im Interesse einer effektiven Missbrauchsbekämpfung ist es daher geboten und zulässig, an den Beweis des Abschlusses und an den Nachweis der Ernstlichkeit von Vertragsgestaltungen zwischen nahen Angehörigen strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16. Juli 1991 2 BvR 769/90, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 1992, 23; vom 20. November 1984 1 BvR 1406/84, Deutsche Steuer-Zeitung/Eildienst – DStZ/E – 1985, 38, HFR 1985, 283; vom 22. Juli 1970 1 BvR 285/66, 445/67 und 192/69, BVerfGE 29, 104 ff., 118).
[14] b) Die Beachtung der zivilrechtlichen Formerfordernisse bei Vertragsabschluss und die Kriterien des Fremdvergleiches aber bilden lediglich Beweisanzeichen (Indizien) bei der im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu treffenden Entscheidung, ob die streitigen Aufwendungen in einem sachlichen Zusammenhang mit der Erzielung von Einkünften stehen oder dem nicht steuerbaren privaten Bereich (§ 12 des Einkommensteuergesetzes – EStG -) zugehörig sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 205, 261, BStBl II 2004, 826; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, S. 1312; Stadie, Allgemeines Steuerrecht, Rz. 236; Ruppe in Herrmann/Heuer/Raupach, Einf. ESt Anm. 459). Insbesondere die zivilrechtliche Wirksamkeit des Vertragsabschlusses darf nicht zu einem eigenen Tatbestandsmerkmal dergestalt verselbständigt werden, dass allein die Nichtbeachtung zivilrechtlicher Formvorschriften die steuerrechtliche Nichtanerkennung des Vertragsverhältnisses zur Folge hat (vgl. BVerfG, Beschluss in BStBl II 1996, 34). Diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben hat der BFH im Urteil in BFHE 191, 250, BStBl II 2000, 386 aufgenommen und entschieden, dass die zivilrechtliche Unwirksamkeit eines Vertragsabschlusses zwischen nahen Angehörigen nicht ausnahmslos zum Ausschluss der steuerlichen Anerkennung des Vertragsverhältnisses führen darf. Dem schließt sich der erkennende Senat für den Streitfall an.
[15] c) Danach sind die streitigen Darlehenszinsen nicht bereits deshalb vom Abzug als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 Nr. 1 EStG) bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ausgeschlossen, weil die zu Grunde liegenden Darlehensverträge gemäß § 1629 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 1795 Abs. 1 Nr. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zunächst schwebend unwirksam waren (MünchKomm BGB/Wagenitz, 4. Aufl., § 1795 RdNr. 38). Denn stellt die zivilrechtliche Unwirksamkeit nur ein Beweisanzeichen gegen die Ernsthaftigkeit der getroffenen Vereinbarung dar (vgl. BFH-Urteile vom 30. Januar 1980 I R 194/77, BFHE 130, 265, BStBl II 1980, 449; vom 19. September 1974 IV R 95/73, BFHE 113, 558, BStBl II 1975, 141), so ist angesichts der tatsächlichen Durchführung der Verträge indiziell auch zu würdigen, dass die Parteien nach Erkennen der Unwirksamkeit zeitnah auf eine Genehmigung durch den Ergänzungspfleger hinwirkten.
[16] 2. Diesen Maßstäben entspricht die Vorentscheidung nicht; sie ist daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird die Darlehensverträge der Klägerin mit ihren Enkelkindern insgesamt neu zu beurteilen haben.