Europäischer Gerichtshof
"Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 92/43/EWG – Erhaltung der natürlichen Lebensräume – Wild lebende Tiere und Pflanzen – Prüfung der Verträglichkeit bestimmter Projekte mit dem Schutzgebiet – Artenschutz"
1. – Die Bundesrepublik Deutschland hat, indem sie für bestimmte Projekte außerhalb besonderer Schutzgebiete im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen, die nach Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Richtlinie einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind, nicht die Pflicht zur Durchführung einer solchen Prüfung vorsieht, unabhängig davon, ob die Projekte ein besonderes Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnten,
- Emissionen in ein besonderes Schutzgebiet unabhängig davon zulässt, ob sie dieses erheblich beeinträchtigen könnten,
- bestimmte nicht absichtliche Beeinträchtigungen von geschützten Tieren aus dem Geltungsbereich der Artenschutzbestimmungen ausnimmt,
- bei bestimmten mit dem Gebietsschutz zu vereinbarenden Handlungen nicht die Einhaltung der Ausnahmetatbestände des Artikels 16 der Richtlinie 92/43 sicherstellt,
- Bestimmungen über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln besitzt, die den Artenschutz nicht ausreichend berücksichtigen, und
- nicht dafür Sorge getragen hat, dass die Fischereivorschriften ausreichende Fangverbote enthalten,
gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 Absatz 3 sowie den Artikeln 12, 13 und 16 der Richtlinie 92/43 verstoßen.
2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

EuGH, Urteil vom 10. 1. 2006 – C-98/03 (lexetius.com/2006,26)

[1] In der Rechtssache C-98/03 betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 28. Februar 2003, Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch U. Wölker als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg, Klägerin, gegen Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Lumma und C. Schulze-Bahr als Bevollmächtigte, Beklagte, erlässt DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer) unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, des Richters C. Gulmann (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter P. Ku-ris und G. Arestis, Generalanwalt: A. Tizzano, Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin, aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2005, nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. November 2005 folgendes Urteil (*):
[2] 1 Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland, indem sie
- für bestimmte Projekte außerhalb besonderer Schutzgebiete im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7, im Folgenden: Richtlinie), die nach Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Richtlinie einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind, nicht die Pflicht zur Durchführung einer solchen Prüfung vorsieht, unabhängig davon, ob die Projekte ein besonderes Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnten,
- Emissionen in ein besonderes Schutzgebiet unabhängig davon zulässt, ob sie dieses erheblich beeinträchtigen könnten,
- bestimmte nicht absichtliche Beeinträchtigungen von geschützten Tieren aus dem Geltungsbereich der Artenschutzbestimmungen ausnimmt,
- bei bestimmten mit dem Gebietsschutz zu vereinbarenden Handlungen nicht die Einhaltung der Ausnahmetatbestände des Artikels 16 der Richtlinie sicherstellt,
- Bestimmungen über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln besitzt, die den Artenschutz nicht ausreichend berücksichtigen,
- fischereirechtliche Fangvorschriften nicht notifiziert hat und/oder diese keine ausreichenden Fangverbote enthalten,
gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 Absätze 3 und 4 sowie den Artikeln 12, 13 und 16 der Richtlinie verstoßen hat.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
[3] 2 Die Richtlinie hat nach Artikel 2 Absatz 1 zum Ziel, "zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, beizutragen".
[4] 3 Artikel 4 der Richtlinie regelt ein Verfahren für die Bestimmung von Gebieten, in denen die durch die Richtlinie geschützten Arten und Lebensräume vorkommen, zu besonderen Schutzgebieten.
[5] 4 Nach der zehnten Begründungserwägung der Richtlinie sind "Pläne und Projekte, die sich auf die mit der Ausweisung eines Gebiets verfolgten Erhaltungsziele wesentlich auswirken könnten, … einer angemessenen Prüfung zu unterziehen". Diese Begründungserwägung findet ihren Ausdruck in Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie, der auf Absatz 4 verweist. Die beiden Absätze bestimmen:
"(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.
(4) Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.
Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden."
[6] 5 Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie lautet:
"Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchstabe a) genannten Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen; dieses verbietet:
a) alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten;
b) jede absichtliche Störung dieser Arten, insbesondere während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten;
c) jede absichtliche Zerstörung oder Entnahme von Eiern aus der Natur;
d) jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten."
[7] 6 Artikel 13 der Richtlinie bestimmt:
"(1) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um ein striktes Schutzsystem für die in Anhang IV Buchstabe b) angegebenen Pflanzenarten aufzubauen, das Folgendes verbietet:
a) absichtliches Pflücken, Sammeln, Abschneiden, Ausgraben oder Vernichten von Exemplaren solcher Pflanzen in deren Verbreitungsräumen in der Natur;
b) Besitz, Transport, Handel oder Austausch und Angebot zum Verkauf oder zum Austausch von aus der Natur entnommenen Exemplaren solcher Pflanzen; vor Beginn der Anwendbarkeit dieser Richtlinie rechtmäßig entnommene Exemplare sind hiervon ausgenommen
(2) Die Verbote nach Absatz 1 Buchstaben a) und b) gelten für alle Lebensstadien der Pflanzen im Sinne dieses Artikels."
[8] 7 Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie lautet:
"Sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und unter der Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, können die Mitgliedstaaten von den Bestimmungen der Artikel 12, 13 und 14 sowie des Artikels 15 Buchstaben a) und b) im folgenden Sinne abweichen:
a) zum Schutz der wild lebenden Tiere und Pflanzen und zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume;
b) zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum;
c) im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oder positiver Folgen für die Umwelt;
d) zu Zwecken der Forschung und des Unterrichts, der Bestandsauffüllung und Wiederansiedlung und der für diese Zwecke erforderlichen Aufzucht, einschließlich der künstlichen Vermehrung von Pflanzen;
e) um unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme oder Haltung einer begrenzten und von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden spezifizierten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tier- und Pflanzenarten des Anhangs IV zu erlauben."
Nationales Recht
[9] 8 Die Bundesrepublik Deutschland setzte die Richtlinie u. a. mit dem Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege vom 21. September 1998 (Bundesnaturschutzgesetz, BGBl. 1998 I S. 2995, im Folgenden: BNatSchG 1998) um.
[10] 9 Dieses Gesetz wurde später aufgehoben und durch das Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege vom 25. März 2002 (Bundesnaturschutzgesetz, BGBl. 2002 I S. 1193, im Folgenden: BNatSchG 2002) ersetzt.
[11] 10 Durch § 34 Absatz 1 BNatSchG 2002 wurde die in Artikel 6 Absatz 3 Satz 1 der Richtlinie festgelegte Verpflichtung umgesetzt, Projekte einer Prüfung auf Verträglichkeit mit den Schutzgebieten im Sinne der Richtlinie zu unterziehen.
[12] 11 Nach § 10 Absatz 1 Nummer 11 BNatSchG 2002 bedeuten "Projekte" "[i] m Sinne dieses Gesetzes":
"a) Vorhaben und Maßnahmen innerhalb eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebiets, sofern sie einer behördlichen Entscheidung oder einer Anzeige an eine Behörde bedürfen oder von einer Behörde durchgeführt werden,
b) Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne des § 18, sofern sie einer behördlichen Entscheidung oder einer Anzeige an eine Behörde bedürfen oder von einer Behörde durchgeführt werden und
c) nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Anlagen sowie Gewässerbenutzungen, die nach dem Wasserhaushaltsgesetz einer Erlaubnis oder Bewilligung bedürfen,
soweit sie, einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen, geeignet sind, ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen …"
[13] 12 § 18 BNatSchG 2002 bestimmt:
"(1) Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne dieses Gesetzes sind Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können.
(2) Die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung ist nicht als Eingriff anzusehen, soweit dabei die Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege berücksichtigt werden. Die den in § 5 Abs. 4 bis 6 genannten Anforderungen sowie den Regeln der guten fachlichen Praxis, die sich aus dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft und § 17 Abs. 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes ergeben, entsprechende land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung widerspricht in der Regel nicht den in Satz 1 genannten Zielen und Grundsätzen."
[14] 13 § 36 BNatSchG 2002 ("Stoffliche Belastungen") bestimmt:
"Ist zu erwarten, dass von einer nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftigen Anlage Emissionen ausgehen, die, auch im Zusammenwirken mit anderen Anlagen oder Maßnahmen, im Einwirkungsbereich dieser Anlage ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzgebiet in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen erheblich beeinträchtigen, und können die Beeinträchtigungen nicht entsprechend § 19 Abs. 2 ausgeglichen werden, steht dies der Genehmigung der Anlage entgegen, soweit nicht die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4 erfüllt sind. § 34 Abs. 1 und 5 gilt entsprechend. Die Entscheidungen ergehen im Benehmen mit den für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden."
[15] 14 § 39 Absatz 2 Satz 1 BNatSchG 2002, der das Verhältnis zu anderen Vorschriften regelt, lautet:
"Die Vorschriften des Pflanzenschutzrechts, des Tierschutzrechts, des Seuchenrechts sowie des Forst-, Jagd- und Fischereirechts bleiben von den Vorschriften dieses Abschnitts und den aufgrund und im Rahmen dieses Abschnitts erlassenen Rechtsvorschriften unberührt."
[16] 15 § 42 Absätze 1 und 2 BNatSchG 2002 dient der Umsetzung der in den Artikeln 12 und 13 der Richtlinie genannten Verbote.
[17] 16 § 43 BNatSchG 2002 ("Ausnahmen") bestimmt in Absatz 4, dass "[d] ie Verbote des § 42 Abs. 1 und 2 … nicht für den Fall [gelten], dass die Handlungen bei der guten fachlichen Praxis und den in § 5 Abs. 4 bis 6 genannten Anforderungen entsprechenden land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung und bei der Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse oder bei der Ausführung eines nach § 19 zugelassenen Eingriffs, bei der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder einer nach § 30 zugelassenen Maßnahme vorgenommen werden, soweit hierbei Tiere, einschließlich ihrer Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten und Pflanzen der besonders geschützten Arten nicht absichtlich beeinträchtigt werden …"
[18] 17 Die Richtlinie wurde in der Bundesrepublik Deutschland ferner durch eine Reihe sektorieller Gesetze umgesetzt, darunter das Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen vom 14. Mai 1998 (Pflanzenschutzgesetz, BGBl. 1998 I S. 971, im Folgenden: PflSchG), dessen § 6 Absatz 1 bestimmt:
"Bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist nach guter fachlicher Praxis zu verfahren. Pflanzenschutzmittel dürfen nicht angewandt werden, soweit der Anwender damit rechnen muss, dass ihre Anwendung im Einzelfall schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder auf Grundwasser oder sonstige erhebliche schädliche Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt, hat. Die zuständige Behörde kann Maßnahmen anordnen, die zur Erfüllung der in den Sätzen 1 und 2 genannten Anforderungen erforderlich sind."
Vorverfahren
[19] 18 Am 10. April 2000 sandte die Kommission der Bundesrepublik Deutschland ein Mahnschreiben, in dem sie sie aufforderte, sich zur Umsetzung des Artikels 6 Absätze 3 und 4 sowie der Artikel 12, 13 und 16 der Richtlinie zu äußern.
[20] 19 Nachdem die Kommission die Antwort der Bundesrepublik Deutschland vom 11. August 2000 zur Kenntnis genommen hatte, gab sie am 25. Juli 2001 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie diesen Mitgliedstaat aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der Stellungnahme binnen zwei Monaten nach Eingang nachzukommen.
[21] 20 In der mit Gründen versehenen Stellungnahme kam die Kommission insbesondere unter Bezugnahme auf das BNatSchG 1998 zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht die Maßnahmen ergriffen habe, die für die Umsetzung der genannten Bestimmungen der Richtlinie erforderlich seien.
[22] 21 Nach Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, wies die Bundesrepublik Deutschland die von der Kommission erhobenen Vorwürfe mit Schreiben vom 21. November 2001 zurück.
[23] 22 In der Folge trat das BNatSchG 2002 in Kraft.
[24] 23 Vor diesem Hintergrund hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.
Zur Zulässigkeit der Klage
[25] 24 Die deutsche Regierung macht zunächst geltend, dass die Klage unzulässig sei, weil die Kommission weder alle mit dem BNatSchG 2002 eingeführten neuen Vorschriften noch andere besondere nationale Vorschriften hinreichend berücksichtigt habe. Diese garantierten jedoch, dass die beanstandeten Vorschriften der deutschen Regelung im Einklang mit der Richtlinie angewandt würden.
[26] 25 Die Frage, ob die Kommission bei der Beurteilung der Vereinbarkeit der deutschen Regelung mit der Richtlinie bestimmte Gesetzesänderungen berücksichtigt hat, betrifft die Sache selbst und damit die Begründetheit der Klage und nicht deren Zulässigkeit.
[27] 26 Die Klage wird auch nicht dadurch unzulässig, dass die Kommission in ihrer Klageschrift die Klagegründe auf bestimmte Vorschriften des BNatSchG 2002 stützt und die entsprechenden Vorschriften des BNatSchG 1998 in Klammern angibt, während in der mit Gründen versehenen Stellungnahme nur die früheren Vorschriften genannt wurden.
[28] 27 Zwar wird der Gegenstand einer Klage nach Artikel 226 EG durch das Vorverfahren eingegrenzt, und die Klage kann daher nicht auf andere als die im Vorverfahren angeführten Vorschriften gestützt werden, doch kann dieses Erfordernis nicht so weit gehen, dass in jedem Fall eine völlige Übereinstimmung zwischen den nationalen Vorschriften, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme angeführt werden, und den Vorschriften zu verlangen ist, die in der Klageschrift genannt werden. Ist zwischen diesen beiden Phasen des Verfahrens eine Gesetzesänderung erfolgt, so genügt es, dass die Regelung, die mit den im vorprozessualen Verfahren beanstandeten Rechtsvorschriften eingeführt wurde, durch die neuen Maßnahmen, die der Mitgliedstaat nach der mit Gründen versehenen Stellungnahme erlassen hat und die mit der Klage angegriffen werden, insgesamt aufrechterhalten worden ist (Urteil vom 22. September 2005 in der Rechtssache C-221/03, Kommission/Belgien, Slg. 2005, I-0000, Randnrn. 38 und 39).
[29] 28 Im vorliegenden Fall stimmen die Vorschriften des BNatSchG 2002, auf die sich die Kommission in ihrer Klageschrift bezieht, im Wesentlichen mit den Vorschriften des BNatSchG 1998 überein, die sie in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme beanstandet hat.
[30] 29 Die Klage ist daher zulässig.
Zur Begründetheit
[31] 30 Die Kommission stützt ihre Klage auf sechs Rügen.
Zur ersten Rüge
Vorbringen der Parteien
[32] 31 Die Kommission wirft der Bundesrepublik Deutschland vor, sie habe Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Richtlinie nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt, weil die Definition des Begriffes "Projekte" in § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstaben b und c BNatSchG 2002, die für Projekte außerhalb besonderer Schutzgebiete gelte, zu eng sei und bestimmte Eingriffe und sonstige Tätigkeiten, die für die Schutzgebiete potenziell schädlich seien, von der Verpflichtung zur Verträglichkeitsprüfung ausnehme.
[33] 32 Die Projekte im Sinne von § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstabe b BNatSchG 2002 seien auf Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne von § 18 BNatSchG 2002 beschränkt, so dass bestimmte Projekte, die erhebliche Auswirkungen auf Schutzgebiete haben könnten, keiner vorherigen Verträglichkeitsprüfung gemäß Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Richtlinie unterlägen. § 18 Absatz 1 erfasse nämlich nur Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen; alle weiteren nicht auf die Grundfläche eines Schutzgebiets gerichteten sowie alle dort keine Veränderungen hervorrufenden Tätigkeiten oder Maßnahmen blieben unberücksichtigt, selbst wenn sie erhebliche Auswirkungen auf ein solches Gebiet haben könnten. In Wirklichkeit sei der Begriff "Projekte" in § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstabe b BNatSchG 2002, der Eingriffe außerhalb besonderer Schutzgebiete erfasse, enger als der Begriff "Projekte" in Buchstabe a dieser Vorschrift, der Vorhaben innerhalb eines besonderen Schutzgebiets betreffe. Die Richtlinie sehe jedoch keinen Unterschied in der Definition der einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehenden Maßnahmen danach vor, ob diese Maßnahmen innerhalb oder außerhalb eines Schutzgebiets vorgenommen würden.
[34] 33 Zudem nehme § 18 Absatz 2 BNatSchG 2002 die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung vom Begriff "Projekte" im Sinne von § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstabe b BNatSchG 2002 aus, soweit sie die Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege berücksichtige.
[35] 34 In Bezug auf § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstabe c BNatSchG 2002 beanstandet die Kommission, dass der Begriff "Projekte" auf nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (im Folgenden: BImSchG) genehmigungsbedürftige Anlagen sowie auf Gewässerbenutzungen beschränkt sei, die nach dem Wasserhaushaltsgesetz (im Folgenden: WHG) einer Erlaubnis oder Bewilligung bedürften. Damit seien nicht genehmigungsbedürftige Anlagen und nicht erlaubnis- oder bewilligungsbedürftige Gewässerbenutzungen von der in Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zur Verträglichkeitsprüfung ausgenommen, ohne dass es darauf ankomme, ob sie die Schutzgebiete erheblich beeinträchtigen könnten.
[36] 35 Die deutsche Regierung macht zunächst geltend, dass die Kommission den Begriff "Projekte" zu weit auslege, weil sie keinerlei Beschränkung der Verpflichtung zulasse, die von der deutschen Regelung erfassten Tätigkeiten auf ihre Verträglichkeit mit den Gebieten zu prüfen. Dieser Begriff sei unter Berücksichtigung der genauen Definition in der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175, S. 40) auszulegen.
[37] 36 Sodann setze der Begriff "Eingriffe" im Sinne von § 18 Absatz 1 BNatSchG 2002 eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung der Ziele der Richtlinie voraus. § 18 Absatz 1 schränke daher in der Praxis den Begriff "Projekte" im Sinne der Richtlinie nicht ein. Diese Vorschrift setze keine Veränderung der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen voraus, sondern gehe vom Vorliegen eines Eingriffs aus, wenn eine Tätigkeit einen Einfluss auf Grundflächen habe, der sich auf das Schutzgebiet auswirke.
[38] 37 Was die in § 18 Absatz 2 BNatSchG 2002 vorgesehene Ausnahme angehe, so sei nach dieser Vorschrift die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung nur dann nicht als ein auf seine Verträglichkeit zu prüfendes Projekt anzusehen, wenn die Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege berücksichtigt würden.
[39] 38 Was schließlich § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstabe c BNatSchG 2002 betreffe, so unterlägen auch Anlagen, die nicht nach dem BImSchG genehmigungsbedürftig seien, Anforderungen, die der Richtlinie Rechnung trügen. Nach dem BImSchG müsse nämlich insbesondere geprüft werden, ob schädliche Umwelteinwirkungen verhindert würden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar seien, und ob nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt würden. Bei den nicht nach dem WHG erlaubnis- oder bewilligungsbedürftigen Gewässerbenutzungen wiederum handele es sich um Nutzungen geringer Wassermengen, die mit der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (ABl. L 327, S. 1) vereinbar seien. Wenn Gewässerbenutzungen ohne signifikante Auswirkungen auf den Gewässerzustand nach der Richtlinie 2000/60 nicht berücksichtigt werden müssten und keine Genehmigung voraussetzten, könnten sie auch keine signifikanten Auswirkungen auf benachbarte Schutzgebiete haben.
Würdigung durch den Gerichtshof
[40] 39 Nach Artikel 6 Absatz 3 Satz 1 der Richtlinie erfordern Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen.
[41] 40 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, hängt das Erfordernis einer angemessenen Prüfung von Plänen oder Projekten auf ihre Verträglichkeit davon ab, dass die Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr besteht, dass sie das betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigen. Insbesondere unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips liegt eine solche Gefahr dann vor, wenn anhand objektiver Umstände nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Plan oder Projekt das fragliche Gebiet erheblich beeinträchtigt (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2005 in der Rechtssache C-6/04, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2005, I-0000, Randnr. 54).
[42] 41 Die Voraussetzung, von der die Prüfung von Plänen oder Projekten auf ihre Verträglichkeit mit einem bestimmten Gebiet abhängt und nach der bei Zweifeln hinsichtlich des Fehlens erheblicher Auswirkungen eine solche Prüfung zu erfolgen hat, verwehrt es, von dieser Prüfung, wie in § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstabe b BNatSchG 2002 in Verbindung mit § 18 BNatSchG 2002 sowie in § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstabe c BNatSchG 2002 geschehen, bestimmte Kategorien von Projekten anhand von Kriterien auszunehmen, die nicht geeignet sind, zu gewährleisten, dass die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Schutzgebiete durch die fraglichen Projekte ausgeschlossen ist.
[43] 42 § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstaben b und c BNatSchG 2002 nimmt von der Prüfungspflicht zum einen Projekte aus, die in Eingriffen in Natur und Landschaft bestehen, bei denen es sich nicht um Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels handelt, und zum anderen Projekte, die nicht genehmigungsbedürftige Anlagen sowie nicht erlaubnis- oder bewilligungsbedürftige Gewässerbenutzungen betreffen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass diese Kriterien für den Ausschluss von der Prüfungspflicht nicht gewährleisten können, dass die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Schutzgebiete durch die fraglichen Projekte systematisch ausgeschlossen ist.
[44] 43 Was die nicht nach dem BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlagen angeht, so kann der Umstand, dass nach diesem Gesetz zu prüfen ist, ob schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, und ob nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden, nicht genügen, um die Beachtung der in Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zu gewährleisten. Die im BImSchG vorgesehene Prüfungspflicht garantiert jedenfalls nicht, dass ein Projekt, das eine solche Anlage betrifft, das Schutzgebiet als solches nicht beeinträchtigt. Insbesondere wird durch die Verpflichtung, zu prüfen, ob nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden, nicht gewährleistet, dass ein solches Projekt nicht zu derartigen Beeinträchtigungen führt.
[45] 44 Was die nicht nach dem WHG erlaubnis- oder bewilligungsbedürftigen Gewässerbenutzungen angeht, so kann der Umstand, dass es sich um Nutzungen geringer Wassermengen handelt, als solcher nicht ausschließen, dass einige dieser Nutzungen ein Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnten. Selbst wenn derartige Gewässerbenutzungen keine erheblichen Auswirkungen auf den Gewässerzustand haben sollten, folgt daraus nicht, dass sie auch keine erheblichen Auswirkungen auf benachbarte Schutzgebiete haben können.
[46] 45 Nach alledem hat die Bundesrepublik Deutschland Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie bezüglich bestimmter Projekte außerhalb besonderer Schutzgebiete nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt.
Zur zweiten Rüge
Vorbringen der Parteien
[47] 46 Die Kommission macht geltend, dass § 36 BNatSchG 2002 Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Richtlinie nicht ordnungsgemäß umsetze, weil danach emittierende Anlagen nur dann nicht genehmigungsfähig seien, wenn zu erwarten sei, dass sie ein besonderes Schutzgebiet in ihrem Einwirkungsbereich besonders beeinträchtigten.
[48] 47 Stoffliche Belastungen außerhalb eines solchen Bereiches würden dagegen unter Verstoß gegen die genannten Bestimmungen der Richtlinie nicht berücksichtigt.
[49] 48 Die deutsche Regierung trägt vor, dass die Prüfung der stofflichen Belastungen durch Luftschadstoffe und Lärm im Einwirkungsbereich einer Anlage auf den Einzelfall bezogen unter Berücksichtigung aller lokalen Gegebenheiten und der jeweiligen aus der Anlage emittierten Schadstoffe zu erfolgen habe. In der Praxis könnten Projekte mit stofflichen Belastungen nur dann genehmigt werden, wenn sie nicht zu einer schädlichen Einwirkung auf Schutzgüter im Sinne der Richtlinie führten.
Würdigung durch den Gerichtshof
[50] 49 Da nach § 36 BNatSchG 2002 die Genehmigung emittierender Anlagen nur dann ausgeschlossen ist, wenn die Emissionen geeignet erscheinen, ein Schutzgebiet im Einwirkungsbereich dieser Anlagen besonders zu beeinträchtigen, könnten Anlagen, deren Emissionen ein Schutzgebiet außerhalb eines solchen Bereiches treffen, genehmigt werden, ohne dass die Auswirkungen dieser Emissionen auf das betreffende Gebiet berücksichtigt würden.
[51] 50 Insoweit ist festzustellen, dass das durch die deutsche Regelung eingeführte System, soweit es Emissionen innerhalb eines Einwirkungsbereichs erfasst, so wie dieser in Technischen Anleitungen vor allem anhand von allgemeinen anlagebezogenen Kriterien festgelegt ist, nicht geeignet erscheint, die Beachtung des Artikels 6 Absätze 3 und 4 der Richtlinie zu gewährleisten.
[52] 51 In Ermangelung wissenschaftlich erprobter Kriterien – solche sind von der deutschen Regierung nicht angeführt worden –, die es ermöglichen würden, von vornherein auszuschließen, dass Emissionen, die ein Schutzgebiet außerhalb des Einwirkungsbereichs der Anlage treffen, dieses Gebiet erheblich beeinträchtigen können, ist das durch das einschlägige nationale Recht eingeführte System jedenfalls nicht geeignet, zu gewährleisten, dass Projekte und Pläne für Anlagen, die Emissionen in Schutzgebieten außerhalb des Einwirkungsbereichs dieser Anlagen verursachen, nicht im Sinne von Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie die Gebiete als solche beeinträchtigen.
[53] 52 Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie ist somit nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden.
Zur dritten Rüge
[54] 53 Die Kommission wirft der Bundesrepublik Deutschland vor, sie habe die in Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie vorgesehene Verpflichtung nicht ordnungsgemäß umgesetzt, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um ein strenges Schutzsystem für bestimmte Tierarten einzuführen, indem jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten verboten werde. Nach dieser Bestimmung müssten die Mitgliedstaaten nicht nur absichtliche, sondern auch unabsichtliche Handlungen verbieten. § 43 Absatz 4 BNatSchG 2002 verstoße gegen Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie, weil er bestimmte Ausnahmen von den Vorschriften zum Schutz der Gebiete zulasse, "soweit hierbei Tiere, einschließlich ihrer Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten … nicht absichtlich beeinträchtigt werden".
[55] 54 Die deutsche Regierung trägt vor, dass die Umsetzung des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nur absichtliche Handlungen erfasse, was mit dieser Bestimmung im Einklang stehe, weil sie nicht verlange, dass die unabsichtliche Zerstörung oder Beschädigung der genannten Stätten in das von ihr vorgeschriebene Schutzsystem einbezogen werde. Eine Auslegung, nach der auch unabsichtliche Handlungen verboten seien, verstieße jedenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
[56] 55 Insoweit genügt die Feststellung, dass, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, Handlungen im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie nicht nur absichtliche, sondern auch unabsichtliche Handlungen sind (vgl. Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, Randnrn. 73 bis 79). Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat dadurch, dass er das Verbot nach Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie anders als die Verbote der in Artikel 12 Absatz 1 Buchstaben a bis c genannten Handlungen nicht auf absichtliche Handlungen beschränkt hat, deutlich gemacht, dass er die Fortpflanzungs- und Ruhestätten verstärkt vor Handlungen schützen will, die zu ihrer Beschädigung oder Vernichtung führen. Angesichts der Bedeutung des Zieles des Schutzes der biologischen Vielfalt, dessen Verwirklichung die Richtlinie dient, ist es keineswegs unverhältnismäßig, dass das Verbot nach Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe d nicht auf absichtliche Handlungen beschränkt ist.
[57] 56 Die Rüge der nicht ordnungsgemäßen Umsetzung des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie greift demnach durch.
Zur vierten Rüge
[58] 57 Die Kommission wirft der Bundesrepublik Deutschland vor, sie habe in § 43 Absatz 4 BNatSchG 2002 zwei Ausnahmen von den Verboten nach § 42 Absatz 1 BNatSchG 2002 vorgesehen, bei denen die Voraussetzungen, von denen die nach Artikel 16 der Richtlinie zulässigen Ausnahmen abhingen, nicht hinreichend beachtet würden. Die Kommission verweist im Einzelnen auf die im deutschen Recht vorgesehenen Ausnahmen von den Artenschutzregelungen zugunsten von Handlungen bei der Ausführung eines nach § 19 BNatSchG 2002 zugelassenen Eingriffs oder einer nach § 30 BNatSchG 2002 zugelassenen Maßnahme.
[59] 58 Die deutsche Regierung entgegnet, dass die Eingriffe und Maßnahmen, die Gegenstand der beiden in Artikel 43 Absatz 4 BNatSchG 2002 vorgesehenen Ausnahmen seien, eine Verwaltungsentscheidung voraussetzten, bei deren Erlass die zuständigen Behörden auf jeden Fall die Voraussetzungen des Artikels 16 der Richtlinie beachten müssten.
[60] 59 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wie aus der vierten und der elften Begründungserwägung der Richtlinie hervorgeht, die bedrohten Lebensräume und Arten Teil des Naturerbes der Gemeinschaft sind und dass die Bedrohung, der sie ausgesetzt sind, oft grenzübergreifend ist, so dass der Erlass von erhaltenden Maßnahmen eine gemeinsame Verantwortung aller Mitgliedstaaten bildet. Folglich kommt der Genauigkeit der Umsetzung in einem Fall wie dem vorliegenden insofern besondere Bedeutung zu, als die Verwaltung des gemeinsamen Erbes den Mitgliedstaaten für ihr jeweiliges Hoheitsgebiet anvertraut ist (vgl. Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, Randnr. 25).
[61] 60 Demgemäß müssen die Mitgliedstaaten im Rahmen der Richtlinie, die komplexe und technische Regelungen auf dem Gebiet des Umweltschutzrechts enthält, in besonderer Weise dafür Sorge tragen, dass ihre der Umsetzung der Richtlinie dienenden Rechtsvorschriften klar und bestimmt sind (vgl. Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, Randnr. 26).
[62] 61 Auch wenn also die beiden fraglichen Ausnahmen eine Verwaltungsentscheidung erfordern sollten, bei deren Erlass die zuständigen Behörden tatsächlich die Voraussetzungen beachten, von denen Artikel 16 der Richtlinie die Zulassung von Ausnahmen abhängig macht, so sieht doch § 43 Absatz 4 BNatSchG 2002 keinen rechtlichen Rahmen vor, der mit der durch Artikel 16 eingeführten Ausnahmeregelung im Einklang steht. Diese Vorschrift des nationalen Rechts macht die Zulassung der beiden Ausnahmen nämlich nicht von der Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen des Artikels 16 der Richtlinie abhängig. Als einzige Voraussetzung für die Zulassung der Ausnahmen sieht § 43 Absatz 4 BNatSchG 2002 vor, dass Tiere, einschließlich ihrer Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten, und Pflanzen der besonders geschützten Arten nicht absichtlich beeinträchtigt werden.
[63] 62 Die Rüge der nicht ordnungsgemäßen Umsetzung des Artikels 16 der Richtlinie in deutsches Recht greift folglich durch.
Zur fünften Rüge
[64] 63 Die Kommission bezieht sich auf § 6 Absatz 1 PflSchG, wonach Pflanzenschutzmittel nicht angewandt werden dürfen, soweit der Anwender damit rechnen muss, dass ihre Anwendung im Einzelfall schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder auf Grundwasser oder sonstige erhebliche schädliche Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt, hat, wobei der Begriff "Naturhaushalt" nach § 2 Nummer 6 PflSchG die Tier- und Pflanzenarten umfasst. Die Kommission macht geltend, dass die Bundesrepublik Deutschland mit diesem Verbot die Artikel 12, 13 und 16 der Richtlinie nicht hinreichend klar umgesetzt habe.
[65] 64 Die deutsche Regierung hält diese Rüge für unbegründet und trägt vor, dass die von der Kommission genannte Vorschrift ein allgemeines Verbot enthalte, das die Beachtung der in den Artikeln 12 und 13 der Richtlinie vorgesehenen Verbote ermögliche. Darüber hinaus sei gemäß § 6 Absatz 1 PflSchG bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln nach guter fachlicher Praxis zu verfahren, und die zuständige Behörde könne Maßnahmen anordnen, die zur Erfüllung der in dieser Vorschrift außerdem genannten Anforderungen erforderlich seien.
[66] 65 Wie in Randnummer 60 des vorliegenden Urteils festgestellt, müssen die Mitgliedstaaten im Rahmen der Richtlinie in besonderer Weise dafür Sorge tragen, dass ihre der Umsetzung der Richtlinie dienenden Rechtsvorschriften klar und bestimmt sind.
[67] 66 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes bilden die Artikel 12, 13 und 16 der Richtlinie einen zusammenhängenden Nomenkomplex (vgl. Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, Randnr. 112). Diese Artikel 12 und 13 schreiben den Mitgliedstaaten die Einführung eines strikten Schutzsystems für die Tier- und Pflanzenarten vor.
[68] 67 § 6 Absatz 1 PflSchG sieht bei der Nennung der Fälle, in denen die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln untersagt ist, nicht in klarer, spezifischer und strikter Weise die in den Artikeln 12 und 13 der Richtlinie enthaltenen Verbote der Schädigung der geschützten Arten vor.
[69] 68 Insbesondere erscheint das Verbot, Pflanzenschutzmittel anzuwenden, soweit der Anwender damit rechnen muss, dass ihre Anwendung im Einzelfall schädliche Auswirkungen auf den Naturhaushalt hat, nicht so klar, bestimmt und strikt wie das Verbot der Beschädigung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der geschützten Tierarten nach Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie oder das Verbot der absichtlichen Vernichtung der geschützten Pflanzenarten in der Natur nach Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie.
[70] 69 Die fünfte Rüge greift folglich durch, soweit sie sich auf die Artikel 12 und 13 der Richtlinie bezieht.
Zur sechsten Rüge
Vorbringen der Parteien
[71] 70 Die Kommission wirft der Bundesrepublik Deutschland vor, sie habe gegen die Artikel 12 und 16 der Richtlinie verstoßen, weil sie Fischereivorschriften nicht notifiziert habe oder nicht dafür Sorge getragen habe, dass diese Vorschriften ausreichende Fangverbote enthielten.
[72] 71 Die Fischereivorschriften in drei Bundesländern entsprächen nicht der Richtlinie. So sei in Bayern der unter dem wissenschaftlichen Namen Coregonus oxyrhynchus bekannte Fisch nicht unter den ganzjährig geschützten Arten aufgeführt. In Brandenburg seien der Coregonus oxyrhynchus und das Weichtier Unio crassus nicht geschützt. Das Landesrecht Bremens erwähne nicht die drei in diesem Bundesland zu schützenden Arten – Coregonus oxyrhynchus, Unio crassus und Acipenser sturio – in der Liste der Fangverbote. Darüber hinaus erlaube es ausdrücklich den Fang des Acipenser sturio, wenn er eine Länge von mindestens 100 cm aufweise, und des Coregonus oxyrhynchus, wenn er mindestens 30 cm lang sei. Keine Informationen seien verfügbar über eventuelle Fangverbote in den Ländern Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Es könne daher nicht angenommen werden, dass das Recht dieser Länder die notwendigen Fangverbote enthalte, um den Artikeln 12 und 16 der Richtlinie zu genügen.
[73] 72 Die deutsche Regierung trägt vor, sofern bundesrechtliche Vorschriften es den Ländern erlaubten, speziellere Vorschriften zum Fischereirecht zu erlassen, seien diese richtlinienkonform auszulegen. Sollten fischereirechtliche Regelungen der Länder gegen den gemeinschaftsrechtlich zwingend vorgeschriebenen Schutz der genannten Fisch- und Muschelarten verstoßen, seien sie wegen Verstoßes gegen das Bundesrecht nichtig. Insoweit sei das BNatSchG 2002 höherrangiges Recht gegenüber dem Landesrecht. Somit gelte das Fangverbot des § 42 Absatz 1 Nummer 1 BNatSchG 2002, das auch die in Anhang IV der Richtlinie genannten Arten erfasse. Auf eine Notifikation der entsprechenden Landesvorschriften komme es daher nicht an.
[74] 73 Die Regierung werde darauf hinwirken, dass die Fischereigesetze der Länder, soweit sie nicht den Vorgaben der Richtlinie und des Bundesrechts entsprächen, wie z. B. die von der Kommission beanstandete Regelung von Bremen, rasch geändert würden.
Würdigung durch den Gerichtshof
[75] 74 Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass der Coregonus oxyrhynchus, der Unio crassus und der Acipenser sturio, die in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie aufgeführt werden, Arten sind, die in Deutschland vorkommen.
[76] 75 Für diese Arten muss deshalb gemäß Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie ein strenges Schutzsystem eingeführt werden, das alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten verbietet.
[77] 76 Aus den Akten ergibt sich, dass bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist die Regelung des Landes Bayern u. a. den ganzjährigen Fang von Fischen erlaubt hat, solange keine Fangverbote erlassen worden waren. Für den Coregonus oxyrhynchus gab es kein Fangverbot. Im Land Brandenburg war der Fang des Coregonus oxyrhynchus und des Unio crassus ebenfalls nicht verboten. Was die Regelung des Landes Bremen angeht, so hat die deutsche Regierung eingeräumt, dass sie mit der Richtlinie nicht im Einklang steht.
[78] 77 Zwar verbietet § 42 Absatz 1 BNatSchG 2002, wie die deutsche Regierung vorträgt, insbesondere den Fang und die Tötung der von einem strengen Schutzsystem erfassten Tierarten wie der in Randnummer 74 des vorliegenden Urteils genannten Arten, doch bleiben nach § 39 Absatz 2 Satz 1 BNatSchG 2002 die Vorschriften des Tierschutzrechts sowie des Jagd- und Fischereirechts von den Vorschriften des betreffenden Abschnitts unberührt. Zu diesem Abschnitt gehört aber auch § 42 BNatSchG 2002.
[79] 78 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der in Deutschland geltende rechtliche Rahmen, in dem gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende Landesvorschriften und eine dem Gemeinschaftsrecht entsprechende Bundesvorschrift gleichzeitig bestehen, nicht geeignet ist, für die drei fraglichen Tierarten tatsächlich in klarer und bestimmter Weise den in Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie vorgesehenen strengen Schutz bezüglich des Verbotes aller absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten zu gewährleisten.
[80] 79 Es zeigt sich also, dass die deutsche Regelung nicht mit Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie im Einklang steht und nicht den in Artikel 16 der Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen für eine Ausnahme genügt.
[81] 80 Was die der Kommission nicht übermittelten Fischereiregelungen der übrigen Bundesländer angeht, so kann nicht festgestellt werden, dass sie nicht den Bestimmungen der Artikel 12 und 16 der Richtlinie genügen, weil keine Informationen über eventuelle Fangverbote in diesen Ländern verfügbar sind, zumal, wie in Randnummer 77 des vorliegenden Urteils festgestellt, § 42 Absatz 1 Nummer 1 BNatSchG 2002 den Fang und die Tötung von Exemplaren der Arten Coregonus oxyrhynchus, Unio crassus und Acipenser sturio verbietet.
[82] 81 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Artikel 23 Absatz 3 der Richtlinie die Mitgliedstaaten der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mitteilen müssen, die sie auf dem unter die Richtlinie fallenden Gebiet erlassen. Die Kommission hat ihre Klage jedoch nicht auf diese Vorschrift gestützt.
[83] 82 Die sechste Rüge greift daher mit den in den vorstehenden Randnummern des vorliegenden Urteils angegebenen Einschränkungen durch.
[84] 83 Folglich ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland, indem sie
- für bestimmte Projekte außerhalb besonderer Schutzgebiete im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie, die nach Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Richtlinie einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind, nicht die Pflicht zur Durchführung einer solchen Prüfung vorsieht, unabhängig davon, ob die Projekte ein besonderes Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnten,
- Emissionen in ein besonderes Schutzgebiet unabhängig davon zulässt, ob sie dieses erheblich beeinträchtigen könnten,
- bestimmte nicht absichtliche Beeinträchtigungen von geschützten Tieren aus dem Geltungsbereich der Artenschutzbestimmungen ausnimmt,
- bei bestimmten mit dem Gebietsschutz zu vereinbarenden Handlungen nicht die Einhaltung der Ausnahmetatbestände des Artikels 16 der Richtlinie sicherstellt,
- Bestimmungen über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln besitzt, die den Artenschutz nicht ausreichend berücksichtigen, und
- nicht dafür Sorge getragen hat, dass die Fischereivorschriften ausreichende Fangverbote enthalten,
gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 Absatz 3 sowie den Artikeln 12, 13 und 16 der Richtlinie verstoßen hat.
Kosten
[85] 84 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
* Verfahrenssprache: Deutsch.