Bundesverwaltungsgericht
Sicherheitsrisiko; Dienstvergehen; Strafverfahren; Verfahrenseinstellung.
SÜG § 5 Abs. 1, § 14 Abs. 3; StPO § 153 Abs. 1
Der Gegenstand eines Strafverfahrens, welches nach § 153 Abs. 1 StPO von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden ist, darf bei der Sachverhaltsermittlung im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung berücksichtigt werden.

BVerwG, Beschluss vom 24. 1. 2006 – 1 WB 17.05 (lexetius.com/2006,309)

[1] Der Antragsteller ist Soldat auf Zeit im Dienstgrad eines Oberfeldwebels. Der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt schloss eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) mit der Feststellung eines Sicherheitsrisikos ab. Dabei berücksichtigte er neben einem rechtskräftig abgeschlossenen Disziplinarverfahren auch Erkenntnisse aus einem Strafverfahren gegen den Antragsteller wegen Tankbetrugs, welches die zuständige Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt hatte. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
[2] Aus den Gründen: Tatsächliche Anhaltspunkte, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG i. V. m. Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Teil C Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit und damit ein Sicherheitsrisiko begründen, können sich nach der Rechtsprechung des Senats daraus ergeben, dass der Betroffene ein Dienstvergehen begangen hat, welches ohne speziellen Bezug auf Geheimhaltungsbestimmungen ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung erkennen lässt (vgl. Beschlüsse vom 27. Januar 1998 – BVerwG 1 WB 34.97 –, vom 10. März 1998 – BVerwG 1 WB 42.97 – [Buchholz 402. 8 § 5 SÜG Nr. 4 = NZWehrr 1998, 249] und vom 9. November 2005 – BVerwG 1 WB 19.05 -). In Übereinstimmung hiermit hat der Bundesminister der Verteidigung aufgrund der Ermächtigung in § 35 Abs. 3 SÜG in dem Hinweis Nr. 9 zu Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Teil C (Anlage C 18) bestimmt, dass sich Anhaltspunkte für solche Zweifel unter anderem aus Verstößen gegen Dienstpflichten ergeben.
[3] In seinem – gemäß § 42 Satz 1 WDO i. V. m. § 18 Abs. 2 Satz 5 WBO unanfechtbaren – Beschluss vom 18. November 2003 hat das Truppendienstgericht Nord ausgesprochen, dass der Antragsteller ein Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG begangen hat. (wird ausgeführt)
[4] Tatsächliche Anhaltspunkte, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG i. V. m. Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Teil C Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit und damit ein Sicherheitsrisiko begründen, können sich überdies aus Strafverfahren ergeben, die sich auf den Betroffenen beziehen (vgl. Beschluss vom 20. August 2003 – BVerwG 1 WB 15.03 – [Buchholz 402. 8 § 5 SÜG Nr. 16 = NZWehrr 2004, 168]). Dementsprechend hat der BMVg in dem zitierten Hinweis Nr. 9 zu Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Teil C (Anlage C 18) ergänzend bestimmt, dass auch strafrechtliche Verfahren – neben Verstößen gegen Dienstpflichten – Anhaltspunkte für Zweifel an der Zuverlässigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG darstellen.
[5] Auch insoweit ist der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt nicht von einem unvollständigen oder unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Er hat die Verfügung der Staatsanwaltschaft M. vom 30. Mai 2001 über die Verfahrenseinstellung gemäß § 153 Abs. 1 StPO zum Tatvorwurf des Betruges in Abschnitten I und II seiner Entscheidungsgründe erörtert; er hat dabei insbesondere die Aussagen der StA M. festgehalten, dass diese das Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller eingestellt hatte, weil der von ihm angerichtete Schaden gering und anzunehmen sei, dass er durch die Unannehmlichkeiten des Ermittlungsverfahrens eindrucksvoll vor Wiederholungen gewarnt sei. Zusätzlich hat der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt die Äußerungen des Antragstellers gegenüber dem Militärischen Abschirmdienst, die Tankrechnung bezahlt zu haben, und die Darlegung des Zeugen der Staatsanwaltschaft in die Sachverhaltserfassung mit einbezogen.
[6] Zu Unrecht rügt der Antragsteller im Schreiben seines Bevollmächtigten vom 18. November 2004 (welches er ebenfalls zum Gegenstand seines Antrages auf gerichtliche Entscheidung gemacht hat), dass der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt hinsichtlich des streitbefangenen Tankbetruges den Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt und insbesondere unberücksichtigt gelassen habe, dass im Falle einer strafrechtlichen Gerichtsverhandlung drei vom Antragsteller benannte Zeugen hätten aussagen können, dieser habe den streitigen Betrag auch tatsächlich bezahlt. Mit diesem Vorbringen verkennt der Antragsteller die Bedeutung einer Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 1 StPO für die Sachverhaltsermittlung im Rahmen möglicher Zweifel an der Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG. Die Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 1 StPO setzt weder die Feststellung der schuldhaften Tatbegehung noch eine über den Anfangsverdacht hinausgehende Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung voraus. Der Sachverhalt ist nicht bis zur Anklagereife oder Sachentscheidung aufzuklären; vielmehr genügt eine Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung auf der Basis des bisherigen Ermittlungsstandes (Beulke in: Löwe/Rosenberg, StPO und GVG, 25. Aufl., Bd. 3, § 153 StPO, RNr. 35 m. w. N.). § 153 Abs. 1 StPO darf nicht angewendet werden, wenn feststeht, dass kein hinreichender Tatverdacht begründet werden kann oder ein Freispruch erfolgen muss; bei liquider Entscheidungslage haben die Einstellung nach § 170 Abs. 2 oder der Freispruch Vorrang (Beulke, a. a. O., m. w. N.). Daher ergibt die am 30. Mai 2001 verfügte Verfahrenseinstellung durch die StA M. nach § 153 Abs. 1 StPO den unmissverständlichen sachlichen Hinweis, dass zum damaligen Zeitpunkt für einen Tankbetrug durch den Antragsteller eine solche Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung bestand, die es ausschloss, eine Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO aus Mangel an Beweisen vorzunehmen. Zum damaligen Zeitpunkt hatte der Antragsteller im Übrigen weder in der polizeilichen Vernehmung noch gegenüber der StA von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die von ihm erstmals unter dem 18. November 2004 benannten drei Zeugen in das strafrechtliche Ermittlungsverfahren einzubeziehen und sich zu seiner Entlastung auf sie zu berufen. Da der Antragsteller diese drei Zeugen ausdrücklich nicht für das Sicherheitsüberprüfungsverfahren, sondern lediglich hypothetisch für den Fall einer damaligen strafgerichtlichen Gerichtsverhandlung nachträglich benannt hat, war der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt nicht gehalten, in seiner Sachverhaltsermittlung im Sicherheitsüberprüfungsverfahren diesem Beweisangebot jetzt noch nachzugehen.