Bundesverwaltungsgericht
Eigenmächtige Abwesenheit von der Truppe; eigenmächtige Abwesenheit von der Fachausbildung; eigenmächtige Abwesenheit als Schüler im Rahmen der Berufsförderung; Dienstaufsicht; Übergangsbeihilfe.
SG § 7, 17 Abs. 2 Satz 1; WDO § 38 Abs. 1, § 58 Abs. 7, § 67 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2; ZDv 14/5 F 511 Nr. 3 Abs. 2, Nr. 24 Abs. 2, Nr. 3 Abs. 1 Satz 1; ZDv 10/1 Nr. 355
Die Eigenschaft eines Soldaten als Schüler im Rahmen der Berufsförderung rechtfertigt eine mildere Beurteilung seiner eigenmächtigen Abwesenheit in Anlehnung an die Grundsätze der Senatsrechtsprechung zur eigenmächtigen Abwesenheit von der Fachausbildung.
BVerwG, Urteil vom 26. 1. 2006 – 2 WD 2.05; TDG Süd (lexetius.com/2006,874)
[1] Der frühere Soldat, ein Oberfeldwebel der Reserve, war zu seiner Einheit nur wegen anstehender Berufsförderungsmaßnahmen versetzt worden. Tatsächlich stand er seiner Einheit lediglich sporadisch zur Dienstleistung zur Verfügung und befand sich größtenteils auf Schulungen im Rahmen der Berufsförderung. Er blieb über einen Zeitraum von 15 Tagen seiner Einheit unerlaubt fern. Das Truppendienstgericht setzte den früheren Soldaten wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers der Reserve der Besoldungsgruppe A 6 herab. Auf die Berufung des früheren Soldaten hob der Senat das Urteil des Truppendienstgerichts auf und kürzte dem früheren Soldaten wegen eines Dienstvergehens die Übergangsbeihilfe um 1.000 €.
[2] Aus den Gründen: … Das unerlaubte, eigenmächtige Fernbleiben eines Soldaten von der Truppe stellt dienst- und disziplinarrechtlich ein sehr schwerwiegendes Dienstvergehen dar, gleichgültig, ob es strafrechtlich als Fahnenflucht oder als eigenmächtige Abwesenheit zu beurteilen ist. Durch ein derartiges Fehlverhalten versagt der Soldat im Kernbereich seiner Dienstpflichten. Gerade bei einem auf Grund freiwilliger Verpflichtung berufenen Soldaten gehören Anwesenheit und Dienstleistung zu den zentralen Pflichten. Die Vorschrift des § 7 SG gebietet einem Soldaten, im Dienst und außerhalb des Dienstes zur Erhaltung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr als eines militärischen Verbandes beizutragen und alles zu unterlassen, was sie in ihrem verfassungsmäßig festgelegten Aufgabenbereich einschränken könnte. Die Bundeswehr kann den ihr erteilten Verfassungsauftrag nur dann hinreichend erfüllen, wenn nicht nur das innere Gefüge der Streitkräfte so gestaltet ist, dass sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen ist, sondern auch ihre Angehörigen im erforderlichen Maße jederzeit präsent und einsatzbereit sind. Der Dienstherr muss sich darauf verlassen können, dass jeder Soldat seinen Pflichten zur Verwirklichung des Verfassungsauftrages der Bundeswehr nachkommt und alles unterlässt, was dessen konkreter Wahrnehmung zuwiderläuft (Urteile vom 31. Juli 1996 – BVerwG 2 WD 21.96 – [BVerwGE 103, 361 [f.] = Buchholz 236. 1 § 7 SG Nr. 9 = NZWehrr 1997, 117 = NJW 1997, 536 = DVBl 1997, 356] m. w. N. und vom 2. Juli 2003 – BVerwG 2 WD 47.02 – [Buchholz 235. 01 § 38 WDO 2002 Nr. 8 = NZWehrr 2004, 80 = NVwZ-RR 2004, 191]). Dazu gehören die Pflichten zur Anwesenheit und gewissenhaften Dienstleistung. Verstößt ein freiwillig längerdienender Soldat, der die Stellung eines Vorgesetzten wahrnimmt und deshalb gemäß § 10 Abs. 1 SG in seiner Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben soll, gegen diese Pflichten, so büßt er in erheblichem Umfang an Achtung und Vertrauen bei seinen Vorgesetzten ein und beeinträchtigt nicht minder sein dienstliches Ansehen sowie seine Autorität bei Untergebenen, denen er ein denkbar schlechtes Beispiel gibt. Dies gilt auch dann, wenn durch Organisationsmängel oder durch Nachlässigkeit von Vorgesetzten das Fernbleiben vom Dienst nicht sofort auffällt.
[3] Aus diesen Gründen hat der Senat in ständiger Rechtsprechung bei kürzerer eigenmächtiger Abwesenheit auf eine Dienstgradherabsetzung, unter Umständen in einen Mannschaftsdienstgrad, bei Fahnenflucht, längerdauernder oder wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit regelmäßig auf Entfernung aus dem Dienstverhältnis erkannt (Urteile vom 28. April 1978 – BVerwG 2 WD 6.78 – [BVerwGE 63, 66], vom 16. Mai 1984 – BVerwG 2 WD 51.83 – m. w. N., vom 6. März 1990 – BVerwG 2 WD 36.89 – [BVerwGE 86, 258 [f.]] und vom 24. Oktober 1990 – BVerwG 2 WD 11.90 -).
[4] Der Senat hat allerdings das Unterlassen der Rückkehr zur Truppe nach Abbruch oder Unterbrechung einer Fachausbildung stets milder beurteilt als die eigenmächtige Abwesenheit eines aktiven Soldaten. Die hierfür maßgeblichen Gründe liegen auf der Hand. Denn ein Soldat, der sich – meist schon längere Zeit – in der Fachausbildung befindet, ist nicht mehr im gleichen Maße in die militärische Organisation eingegliedert. Bei dem Entschluss, nach Abbruch der Fachausbildung der Truppe fernzubleiben, ist daher eine weit geringere Hemmschwelle zu überwinden als bei demjenigen Soldaten, der sich aus dem Dienst in der militärischen Gemeinschaft löst. Auch die dienstlichen Folgen der Abwesenheit sind in beiden Fällen nicht identisch. Das eigenmächtige Fernbleiben eines Soldaten, der seinen Dienst in einer militärischen Einheit verrichtet, bringt Unruhe in die Truppe, gefährdet die Disziplin und schafft unter Umständen sogar Anreiz zur Nachahmung, während ein Unterlassen der Rückkehr im Rahmen der Fachausbildung bei der Mehrzahl der Angehörigen der Einheit mitunter zunächst unbemerkt bleibt und den Dienstbetrieb nicht unmittelbar gefährdet oder belastet. Der Dienstposten eines zur Fachausbildung vom Dienst freigestellten Soldaten ist ohnehin in der Zwischenzeit in der Regel anderweitig wieder besetzt worden; und selbst wenn dies noch nicht geschehen sein sollte, kann der zurückgekehrte Soldat nicht in der gleichen Weise wie ein anderer Soldat wieder für den regulären Dienst eingeplant werden, weil er zumeist die weitere Bewilligung von berufsfördernden Maßnahmen beanspruchen wird. Der Nachteil, der der Truppe dadurch entsteht, dass ein Soldat im Rahmen oder nach seiner Fachausbildung nicht zur Truppe zurückkehrt, ist mithin geringer als derjenige, der in der Truppe durch das eigenmächtige Fernbleiben eines in der aktiven Dienstleistung in der militärischen Einheit stehenden Soldaten eintritt. Aus diesen Gründen hat es der Senat in solchen Fällen in der Regel bei der nächstniedrigeren disziplinargerichtlichen Maßnahme bewenden lassen (Urteile vom 29. Januar 1988 – BVerwG 2 WD 61.87 – m. w. N. und vom 6. März 1990 – BVerwG 2 WD 36.89 – [a. a. O.]).
[5] Im vorliegenden Fall rechtfertigen die Gesamtumstände, wie die Truppendienstkammer zutreffend feststellt, in Anlehnung an die Grundsätze der Rechtsprechung des Senats zur eigenmächtigen Abwesenheit von der Fachausbildung, eine mildere Beurteilung des Unrechtsgehalts des Fehlverhaltens des früheren Soldaten.
[6] Denn der frühere Soldat, der über einen Zeitraum von 15 Tagen eigenmächtig abwesend war, war zwar Angehöriger des Stabszuges; seine Versetzung in diesen Bereich zum 1. Juli 2002 war jedoch nur wegen der anstehenden Berufsförderungsmaßnahmen erfolgt. Tatsächlich stand der frühere Soldat dem Stabszug nur sporadisch zur Dienstleistung zur Verfügung und befand sich größtenteils auf Schulungen im Rahmen der Berufsförderung. Hinzu kommt, dass die Abwesenheit des früheren Soldaten im Stabszug nach Ablauf seines Urlaubs am 7. Februar 2003 über Monate hinweg gar nicht bemerkt worden war, was dafür spricht, dass die Einheit ihn nicht vermisste.
[7] Den früheren Soldaten belastet, dass er im angeschuldigten Zeitraum 15 Tage seiner Dienststelle unerlaubt fernblieb und damit in dieser Zeit Dienstbezüge erhielt, obwohl er keine Dienstleistung erbrachte. Andererseits kann in diesem Zusammenhang nicht außer Betracht bleiben, dass die Dienststelle ihrerseits sein Fernbleiben nicht feststellte und ihn erst am 4. Juli 2003 aufforderte, den Dienst wieder anzutreten. Dies zeigt, dass die Einheit zumindest in diesem ca. fünf Monate umfassenden Zeitraum der aktiven Dienstleistung des früheren Soldaten im Stabszug keine allzu große Bedeutung beigemessen haben kann und durch sein Ausbleiben dienstliche Belange der Truppe offenkundig nicht beeinträchtigt wurden. …
[8] Das Maß der Schuld des früheren Soldaten wird im Hinblick auf die Umstände der Tat vorliegend dadurch erheblich gemindert, dass im Tatzeitraum und danach erhebliche Defizite bei der Wahrnehmung der Dienstaufsicht durch seine Vorgesetzten ihm gegenüber bestanden (vgl. zu diesem Tatmilderungsgrund u. a. Urteile vom 19. September 2001 – BVerwG 2 WD 9.01 – [Buchholz 236. 1 § 10 SG Nr. 48 = NVwZ-RR 2002, 514 [insoweit nicht veröffentlicht]], vom 17. Oktober 2002 – BVerwG 2 WD 14.02 – [Buchholz 236. 1 § 12 SG Nr. 19 = NZWehrr 2003, 127 = NVwZ-RR 2003, 366], vom 27. November 2003 – BVerwG 2 WD 6.03 – vom 27. Januar 2004 – BVerwG 2 WD 2.04 – [Buchholz 236. 1 § 10 SG Nr. 52 = NZWehrr 2005, 79 = ZBR 2005, 257] und vom 26. Oktober 2005 – BVerwG 2 WD 33.04 -). Mangelnde Dienstaufsicht kann als Ursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme dann mildernd berücksichtigt werden, wenn Kontrollmaßnahmen durch Vorgesetzte aufgrund besonderer Umstände unerlässlich waren und pflichtwidrig unterlassen wurden. In einem solchen Fall kann dem Soldaten eine Minderung der Eigenverantwortung zugebilligt werden (vgl. Urteile vom 19. September 1985 – BVerwGE 2 WD 63.84 – [BVerwGE 83, 52 [57]], vom 21. Mai 1996 – BVerwG 2 WD 22.95 – [BVerwGE 103, 321 [327] = Buchholz 235. 0 § 34 WDO Nr. 14 = NZWehrr 1997, 205], vom 19. September 2001 – BVerwG 2 WD 9.01 – [a. a. O.], vom 17. Oktober 2002 – BVerwG 2 WD 14.02 – [a. a. O.] und vom 27. Januar 2004 – BVerwG 2 WD 2.04 – [a. a. O.]. Die Dienstaufsicht ist dabei nicht nur Kontrolle, sondern "vor allem Hilfe in Form von Erklärung, Anleitung und Unterstützung" (Nr. 355 ZDv 10/1). …