Bundesverwaltungsgericht
Nichterscheinen; Hauptverhandlung; Anordnung des persönlichen Erscheinens; Aufhebung des Termins; Vertagung; Verlegung des Termins; Verhandlungsunfähigkeit; Verhinderung; Glaubhaftmachung; amtsärztliches Attest; privatärztliches Attest; außerdienstliches Fehlverhalten; früherer Soldat; unwürdiges Verhalten; Reserveoffizier; Aberkennung des Dienstgrades; Wiederverwendung.
WDO § 17 Abs. 1, § 62 Abs. 1, § 58 Abs. 3, § 84 Abs. 1, § 91 Abs. 1, § 104 Abs. 1 und 3, § 124; StPO § 213; SG § 23 Abs. 2
1. Die Vorschrift des § 124 WDO findet nicht nur bei aktiven Soldaten, sondern auch im Falle des Nichterscheinens eines früheren Soldaten zur Berufungshauptverhandlung Anwendung, sofern dieser zum Termin ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann.
2. Im Falle des Nichterscheinens des Soldaten steht die in der Ladungsverfügung erfolgte Anordnung seines persönlichen Erscheinens der Durchführung der Hauptverhandlung jedenfalls dann nicht entgegen, wenn diese Anordnung in der Hauptverhandlung wieder aufgehoben worden ist, nachdem die durch die Anordnung bezweckte Sachaufklärung zwischenzeitlich in anderer Weise stattgefunden oder sich nunmehr als entbehrlich erwiesen hatte.
3. Auf eine Verlegung oder eine Aufhebung eines anberaumten Verhandlungstermins besteht im Verfahren vor dem Wehrdienstgericht grundsätzlich kein Rechtsanspruch; hierüber entscheidet außerhalb der mündlichen Verhandlung der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der Terminsplanung des Gerichts.
4. Eine Aufhebung eines anberaumten Hauptverhandlungstermins kann ein Soldat im Verfahren vor dem Wehrdienstgericht selbst bei erfolgter Anordnung seines persönlichen Erscheinens im Übrigen nur dann beanspruchen, wenn er von seinem Recht auf Teilnahme erklärtermaßen Gebrauch machen will, daran aber vorübergehend wegen Verhandlungsunfähigkeit oder aus anderen zwingenden Gründen gehindert ist.
5. Zu den Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer vorübergehenden Verhandlungsunfähigkeit oder einer Verhinderung aus zwingenden Gründen
6. Die in § 84 Abs. 1 WDO normierte Bindung des Wehrdienstgerichts an die tatsächlichen Feststellungen eines sachgleichen rechtskräftigen Strafurteils besteht auch dann, wenn die Eintragung über diese strafgerichtliche Verurteilung im Strafregister zwischenzeitlich getilgt worden ist.
7. Zu den Voraussetzungen eines außerdienstlichen Fehlverhaltens eines früheren Soldaten nach § 17 Abs. 3 SG
8. Zu den Voraussetzungen eines unwürdigen Verhaltens eines früheren Soldaten nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG
9. Auch im Falle eines als Dienstvergehen geltenden schuldhaften Fehlverhaltens eines früheren Soldaten sind Art und Höhe einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme nach den allgemeinen Vorschriften (§ 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO) zu bemessen.
10. Bei einem außerdienstlich von einem Offizier begangenen Betrug ist in der Regel eine Dienstgradherabsetzung Ausgangspunkt der gerichtlichen Zumessungserwägungen.
11. Einem früheren Soldaten mit dem Dienstgrad eines Oberstleutnants der Reserve kann ein Dienstgrad nicht mehr belassen werden, wenn er aufgrund des Gewichts und des Ausmaßes seines schuldhaften Fehlverhaltens für eine Wiederverwendung als Vorgesetzter nicht mehr in Betracht kommt.

BVerwG, Urteil vom 28. 11. 2007 – 2 WD 28.06; TDG Nord (lexetius.com/2007,4294)

[1] Der frühere Soldat mit dem Dienstgrad eines Oberstleutnants der Reserve, der nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr Mitgesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts war, wurde strafgerichtlich rechtskräftig wegen eines zum Nachteil seines Mitgesellschafters begangenen Betruges zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 45 DM sowie in weiteren acht Fällen wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Untreue zu einer Geldstrafe von 85 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt. Die Eintragungen über beide Verurteilungen sind zwischenzeitlich im Zentralregister getilgt worden. Im sachgleichen gerichtlichen Disziplinarverfahren befand ihn das Truppendienstgericht für schuldig, vorsätzlich die ihm als Reserveoffizier obliegende nachwirkende Pflicht verletzt zu haben, auch nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die für eine Wiederverwendung in seinem Dienstgrad erforderlich sind (§ 17 Abs. 3 SG), und erkannte ihm gemäß § 58 Abs. 3 i. V. m. § 66 WDO den Dienstgrad ab. Das Bundesverwaltungsgericht hat die dagegen in vollem Umfang eingelegte Berufung des früheren Soldaten, der zur Berufungshauptverhandlung nicht erschienen ist, zurückgewiesen.
Aus den Gründen: …
[2] 20 Die Berufung des früheren Soldaten ist nicht begründet. Die Truppendienstkammer hat ihm mit dem angefochtenen Urteil zu Recht den Dienstgrad aberkannt.
[3] 21 a) Die Abwesenheit des früheren Soldaten in der Berufungshauptverhandlung steht deren Durchführung sowie der Entscheidung des Senats über die Berufung nicht entgegen.
[4] 22 Die Berufungshauptverhandlung findet gemäß § 124 WDO (außer in den Fällen des § 104 Abs. 1 WDO) auch dann ohne den Soldaten statt, wenn dieser zum Termin ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann.
[5] 23 Diese Vorschrift, die durch Art. 1 des 2. Wehrdisziplinarneuordnungsgesetzes vom 16. August 2001 (BGBl I S. 2093) in die Wehrdisziplinarordnung eingefügt worden ist, gilt nicht nur für Verfahren, in denen aktive Soldaten angeschuldigt sind, sondern auch für Verfahren gegen frühere Soldaten.
[6] 24 Der Wortlaut ist insoweit zwar nicht eindeutig, da die Wehrdisziplinarordnung in verschiedenen Regelungen – z. B. in § 58 WDO durchaus zwischen "Soldaten" und "früheren Soldaten" unterscheidet sowie dann an deren unterschiedlichen Rechtsstatus unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft. Er ist jedoch der Auslegung zugänglich, dass mit "Soldaten" im Sinne des § 124 WDO auch "frühere Soldaten" gemeint sind. Denn auch bei diesen geht es im Regelungsbereich der Vorschrift um Berufungsverfahren vor dem Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts, denen eine Anschuldigung wegen Verstoßes gegen soldatische Pflichten, also Pflichten von Angehörigen des Personenkreises zugrunde liegt, der von den Regelungen der Wehrdisziplinarordnung erfasst wird. Zu diesem Personenkreis gehören sowohl Soldaten als auch frühere Soldaten.
[7] 25 Für diese Auslegung spricht vor allem der Regelungszusammenhang. § 124 WDO ergänzt – wie sich bereits aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ("Außer in den Fällen des § 104 Abs. 1 …") ergibt – für das Berufungsverfahren die Regelung des § 104 Abs. 1 WDO. Sie ermöglicht es dem Wehrdienstsenat, die Berufungshauptverhandlung auch dann durchzuführen, wenn der Angeschuldigte nicht erscheint, ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann. Ebenso wie in der Überschrift der Vorschrift des § 104 WDO ("Teilnahme des Soldaten an der Hauptverhandlung") wird in der Überschrift der Regelung des § 124 WDO ("Ausbleiben des Soldaten") nicht zwischen "Soldaten" und "früheren Soldaten" unterschieden. Obwohl in der Überschrift von § 104 WDO nur von "Soldaten", nicht aber auch von "früheren Soldaten" die Rede ist, enthält § 104 WDO einerseits in seinem Absatz 1 unter den Nr. 1, 2 und 4 Regelungen für aktive Soldaten sowie andererseits in seinem Absatz 1 Nr. 3 und in seinem Absatz 3 Regelungen für frühere Soldaten; Absatz 2 des § 104 WDO ist sogar "in den Fällen", also in allen Fällen des Absatzes 1 der Vorschrift anwendbar, mithin sowohl bei aktiven (vgl. § 104 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 WDO) als auch bei früheren Soldaten (§ 104 Abs. 1 Nr. 3 WDO). Daraus wird deutlich, dass das Gesetz – wie die Überschriften von § 104 WDO und § 124 WDO ausweisen – jedenfalls im Hinblick auf das Ausbleiben eines Angeschuldigten in der Haupt- bzw. der Berufungshauptverhandlung – mit dem Begriff "Soldaten" offenkundig sowohl aktive als auch frühere Soldaten meint, und zwar ungeachtet dessen, dass in anderen Einzelregelungen der Wehrdisziplinarordnung hinsichtlich der Rechtsvoraussetzungen und der Rechtsfolgen deutlich zwischen aktiven Soldaten (Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten) und früheren Soldaten unterschieden wird.
[8] 26 Anderes ergibt sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift.
[9] 27 Vor der mit Wirkung ab 1. Januar 2002 erfolgten Einfügung der Regelung des § 124 WDO in die Wehrdisziplinarordnung wurde im Falle des Ausbleibens eines angeschuldigten früheren Soldaten in der Berufungshauptverhandlung die für die Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht geltende Vorschrift des § 100 Abs. 1 Nr. 3 WDO a. F., die wörtlich dem heute geltenden § 104 Abs. 1 Nr. 3 WDO entsprach, gemäß § 118 Satz 1 WDO a. F. sinngemäß angewandt (vgl. dazu u. a. Dau, WDO, 3. Aufl. 1998, § 118 Rn. 2). Für das Berufungsverfahren war damit im Fall des Nichterscheinens eines früheren Soldaten in der Berufungshauptverhandlung – trotz der gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 WDO a. F. grundsätzlich vorgesehenen ergänzenden Anwendung der Vorschriften der Strafprozessordnung ("soweit nicht die Eigenart des disziplinargerichtlichen Verfahrens entgegensteht") – wie auch im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Truppendienstgericht der Rückgriff auf § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO versperrt, wonach das Gericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen hat, wenn bei Beginn der Hauptverhandlung weder der Angeklagte noch in den Fällen, in denen dies zulässig ist, ein Vertreter des Angeklagten erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Ausdrückliche Regelungen zur Durchsetzung der Anwesenheitspflicht sowohl von aktiven als auch von früheren Soldaten in der Hauptverhandlung vor dem Wehrdienstgericht enthielt die Wehrdisziplinarordnung a. F. nicht. Im Fachschrifttum wurde die Zulässigkeit der Anwendung von Zwangsmitteln zur Durchsetzung der Anwesenheitspflicht von (aktiven und früheren) Soldaten unterschiedlich beantwortet. Erschien ein (aktiver) Soldat trotz gemäß § 82 Abs. 1 Sätze 1 und 2 WDO a. F. im Wege der Gestellung erfolgter ordnungsgemäßer Ladung nicht zur Hauptverhandlung bzw. zur Berufungshauptverhandlung, konnte der Gestellungsbefehl durch den Disziplinarvorgesetzten wegen Ungehorsams gemäß § 10 Abs. 5 Satz 2 SG mit den diesem zustehenden Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Da eine Verhaftung eines Soldaten (ebenso wie eines früheren Soldaten, vgl. dazu u. a. Dau, a. a. O. § 80 Rn. 1) gemäß § 87 WDO a. F. (ebenso wie seit dem 1. Januar 2002 nach § 84 WDO) im disziplinargerichtlichen Verfahren unzulässig war, stellte sich die Frage, ob das Wehrdienstgericht zur Durchsetzung der Anwesenheitspflicht gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 WDO a. F. i. V. m. § 230 Abs. 2 (bejahend: Tabel, NZWehrr 1982, 145 [148 ff.]) oder § 134 Abs. 2 StPO (so offenbar Dau, a. a. O. § 80 Rn. 2, § 82 Rn. 4, § 85 Rn. 12, § 100 Rn. 15; ablehnend: BDHE 4, 20 [23]) eine Vorführung anordnen durfte. Auch für frühere Soldaten wurde im Fachschrifttum die Möglichkeit der Durchsetzung der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung mittels eines Vorführungsbefehls nach §§ 85 WDO a. F., 216 Abs. 1, 230 Abs. 2, 236 StPO bejaht, wenn dieser trotz Anordnung seines persönlichen Erscheinens ohne hinreichende Entschuldigung nicht erschien (vgl. u. a. Lingens, NZWehrr 1988, 22 [23 f.]).
[10] 28 In der Begründung des Regierungsentwurfs zu Art. 1 Nr. 82 des Wehrdisziplinarneuordnungsgesetzes wird zu der dann zu § 124 WDO gewordenen Regelung (§ 118a) ausgeführt, die Bestimmung habe in den Fällen Bedeutung, in denen "ein – noch nicht entlassener – Soldat trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zum Hauptverhandlungstermin in der Berufungsinstanz" erscheint. Das Gericht könne nach der bisherigen Regelung "weder das Erscheinen des Soldaten durch Verhaftung oder zwangsweise Vorführung erzwingen", noch könne es "in Abwesenheit des Soldaten verhandeln". Durch die Änderung werde "dem Soldaten die Möglichkeit genommen, mit seiner Abwesenheit in der Berufungshauptverhandlung die Rechtskraft eines auf Dienstgradherabsetzung oder Entfernung aus dem Dienstverhältnis lautenden Urteils hinauszuzögern und dadurch Vergünstigungen aus seinem Dienstverhältnis, die ihm nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens nicht mehr oder nicht mehr in der bisherigen Höhe zustehen, weiterhin in Anspruch zu nehmen" (BTDrucks 14/4660 S. 37). Offenbar sollte durch die Einfügung des § 118a bzw. § 124 WDO jedenfalls klargestellt werden, dass auch in der Berufungshauptverhandlung im Falle des trotz ordnungsgemäßer Ladung erfolgten Ausbleibens des Angeschuldigten verhandelt und entschieden werden kann. Zur Frage, ob § 124 WDO nur im Falle des Ausbleibens von angeschuldigten aktiven Soldaten oder aber auch bei angeschuldigten früheren Soldaten eingreift, lässt sich weder aus der Begründung des Regierungsentwurfs noch aus anderen Materialien zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift näherer Aufschluss gewinnen. Offenbar war bei Einfügung des § 124 WDO lediglich die Fallgestaltung eines zur Berufungshauptverhandlung nicht erschienenen aktiven Soldaten, nicht jedoch das Nichterscheinen eines früheren Soldaten im Blick. Es ist aber auch nicht ersichtlich, dass § 124 WDO gerade nicht auf frühere Soldaten Anwendung finden sollte.
[11] 29 Für eine Einbeziehung auch von früheren Soldaten in den Anwendungsbereich des § 124 WDO spricht neben dem Regelungszusammenhang vor allem auch der Zweck der Vorschrift. Dieser liegt erkennbar darin, ausdrücklich klarzustellen, dass auch im Berufungsverfahren vor dem Wehrdienstsenat ein Ausbleiben des Angeschuldigten der Durchführung der (Berufungs-) Hauptverhandlung nicht entgegen steht, soweit die in der Regelung aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen im Übrigen erfüllt sind. Diese Prozesssituation ist sowohl bei Verfahren gegen aktive wie gegen frühere Soldaten gegeben. Aus welchem Grunde eine solche Regelung nur bei angeschuldigten aktiven Soldaten, nicht aber bei früheren Soldaten Anwendung finden sollte, ist nicht ersichtlich. Denn auch bei angeschuldigten früheren Soldaten gilt das Beschleunigungsgebot des § 17 Abs. 1 WDO. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör wird bei Anwendung der Vorschrift sowohl für aktive wie für frühere Soldaten hinreichend Rechnung getragen. Dem Angeschuldigten wird nicht die Möglichkeit genommen, schriftsätzlich all das vorzutragen, was er vortragen möchte und ggf. auch zur Berufungshauptverhandlung zu erscheinen und sich zu äußern oder sich dort durch einen Verteidiger vertreten zu lassen. Er muss bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des § 124 WDO "lediglich" die im Gesetz vorgesehene Rechtsfolge hinnehmen, dass auch in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann. Dies sieht im Übrigen auch § 104 Abs. 1 Nr. 3 WDO für die erstinstanzliche Hauptverhandlung in Verfahren gegen einen früheren Soldaten vor. Angesichts der in § 124 WDO erfolgten Regelung bedarf es für das Berufungsverfahren keiner sinngemäßen Anwendung des § 104 Abs. 1 Nr. 3 WDO über die Verweisungsnorm des § 123 Satz 3 WDO.
[12] 30 Aber auch dann, wenn man § 124 WDO nur auf aktive Soldaten, nicht aber auf frühere Soldaten anwendet, ergibt sich bei der dann nach § 123 Satz 3 WDO gebotenen sinngemäßen Anwendung des § 104 Abs. 1 Nr. 3 WDO die gleiche Rechtsfolge wie nach § 124 WDO. Danach findet die Hauptverhandlung auch "ohne Anwesenheit des Soldaten" statt, wenn der frühere Soldat zu dem Termin ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen ist, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann.
[13] 31 Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 124 bzw. des § 104 Abs. 1 Nr. 3 VwGO sind im vorliegenden Fall erfüllt. … (wird ausgeführt)
[14] 32 Der Durchführung der Berufungshauptverhandlung und einer Entscheidung des Senats in der Sache steht die Regelung des § 123 Satz 3 i. V. m. § 104 Abs. 3 Satz 2 WDO nicht entgegen.
[15] 33 Die Vorschrift des § 104 Abs. 3 Satz 2 WDO schließt nach Wortlaut und Systematik unmittelbar an den vorhergehenden Satz 1 an. Darin wird dem Vorsitzenden bei einem früheren Soldaten ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, das persönliche Erscheinen anzuordnen. Die nachfolgende Regelung in Satz 2 sieht – nur – für diesen Fall vor, dass dann, wenn der frühere Soldat vorübergehend verhandlungsunfähig oder aus zwingenden Gründen am Erscheinen verhindert ist, keine Hauptverhandlung stattfindet, solange diese Hinderungsgründe bestehen.
[16] 34 Im vorliegenden Verfahren war zwar durch den Vorsitzenden mit der Ladungsverfügung vom 23. Oktober 2007 das persönliche Erscheinen des früheren Soldaten angeordnet worden. Diese Anordnung steht einer Entscheidung des Senats jedoch nicht (mehr) entgegen. Jedenfalls nach ihrer in der Berufungshauptverhandlung erfolgten Aufhebung hindert sie den Senat nicht (mehr) – auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs auf rechtliches Gehör, in der Sache zu entscheiden. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens dient ohnehin lediglich der Sachaufklärung, nicht aber der Wahrung des rechtlichen Gehörs. Sie rechtfertigt bei den Verfahrensbeteiligten auch nicht die begründete Annahme oder Erwartung, dass unter keinen Umständen ohne die persönliche Anhörung des früheren Soldaten in der Sache entschieden werde. Das erkennende Gericht hat mangels entgegenstehender gesetzlicher Regelungen das Recht, die getroffene Anordnung wieder aufzuheben. Die Aufhebung der Anordnung kommt insbesondere in Betracht, wenn die durch die Anordnung bezweckte Sachaufklärung zwischenzeitlich in anderer Weise stattgefunden oder sich nunmehr als entbehrlich erwiesen hat.
[17] 35 Auf dieser Grundlage hat der Senat in der Berufungshauptverhandlung die in der Ladungsverfügung erfolgte Anordnung des persönlichen Erscheinens des früheren Soldaten wieder aufgehoben, nachdem der Senat nach zuvor erfolgter Beratung einen Lösungsbeschluss wegen Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO abgelehnt hatte und weil damit die tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Bonn vom 4. August 2000 – Az: 76 Cs 121/00 – (zu Anschuldigungspunkt 1) sowie des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Kiel vom 9. Juli 2002 – Az: 41 Ds 572 Js 4817/00 (108/01) – (zu Anschuldigungspunkt 2) für den Senat bindend sind. Angesichts dessen war eine persönliche Anhörung des früheren Soldaten zur Aufklärung des Sachverhalts nicht mehr erforderlich. Vor Aufhebung der Anordnung des persönlichen Erscheinens hat der Senat den Erschienenen in der Berufungshauptverhandlung auch Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern. Davon hat der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwaltes Gebrauch gemacht und sich angesichts der erfolgten Ablehnung eines Lösungsbeschlusses nach § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO ausdrücklich für eine Aufhebung der Anordnung des persönlichen Erscheinens des früheren Soldaten ausgesprochen. Dass weder der Verteidiger noch der frühere Soldat von dieser Möglichkeit der Äußerung Gebrauch gemacht haben, war ihrem Nichterscheinen geschuldet und fällt damit in ihren Verantwortungsbereich.
[18] 36 Der frühere Soldat und sein Verteidiger haben zwar schriftsätzlich vorgetragen, der frühere Soldat sei wegen einer erneut aufgetretenen Erkrankung "nicht arbeits- und reisefähig"; sie haben deshalb schriftsätzlich die Aufhebung des anberaumten Termins zur Berufungshauptverhandlung beantragt. Der Vorsitzende hat diesen am 27. November 2007 um 15. 22 Uhr beim Senat eingegangen Aufhebungsantrag des Verteidigers (und damit auch den sachgleichen des früheren Soldaten) noch am 27. November 2007 abgelehnt und dies dem Verteidiger mit Faxschreiben um 16. 16 Uhr desselben Tages mitgeteilt. Beschwerde dagegen (vgl. dazu u. a. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. 2007, § 213 Rn. 8 m. w. N.) ist nicht eingelegt worden.
[19] 37 Auf eine Verlegung oder Aufhebung des Termins haben die Verfahrensbeteiligten im Übrigen grundsätzlich keinen Rechtsanspruch. Der Vorsitzende entscheidet über solche Anträge gemäß den nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO entsprechend anwendbaren Regelungen der Strafprozessordnung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der Terminsplanung des Gerichts (vgl. dazu u. a. Meyer-Goßner, a. a. O. § 213 Rn. 7 m. w. N.).
[20] 38 Danach hatte der frühere Soldat vorliegend keinen Anspruch auf Aufhebung des anberaumten Termins zur Berufungshauptverhandlung. Die Ablehnung des Aufhebungsantrages ist angesichts des fehlenden Nachweises der vorübergehenden Verhandlungsunfähigkeit des früheren Soldaten oder sonstiger zwingender Gründe, die eine Vertagung erforderlich machten, im Hinblick auf die bereits zweimal erfolgte Aufhebung eines anberaumten Termins zur Berufungshauptverhandlung und das Beschleunigungsgebot des § 17 Abs. 1 WDO sachlich geboten.
[21] 39 Der Senat hat nach nochmaliger sorgfältiger Prüfung der vom früheren Soldaten und dessen Verteidiger zur Begründung des Aufhebungsantrages vorgebrachten Umstände und Erwägungen keine Veranlassung gesehen, den Termin aufzuheben und die Sache zu vertagen.
[22] 40 Eine Aufhebung eines anberaumten Hauptverhandlungstermin kann ein früherer Soldat – selbst im Falle des § 104 Abs. 3 Satz 2 WDO, also nach erfolgter Anordnung seines persönlichen Erscheinens, nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats nur dann beanspruchen, wenn er von dem Recht auf Teilnahme Gebrauch machen will, daran aber vorübergehend (wegen Verhandlungsfähigkeit oder aus anderen zwingenden Gründen) gehindert ist (vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 1983 BVerwG 2 WDB 3.83 § 100 Abs. 3 Satz 2 WDO a. F.] und vom 19. Februar 1990 BVerwG 2 WDB 1.90 BVerwGE 86, 255 [257]; ebenso Dau, WDO, 4. Aufl. 2002, § 104 Rn. 16 und Rn. 11).
[23] 41 Eine solche konkrete Absicht zur Teilnahme an der Berufungshauptverhandlung hat der frühere Soldat gegenüber dem Senat weder angekündigt noch einen diesbezüglichen Wunsch dem Senat sonst in geeigneter Weise übermittelt. … (wird ausgeführt)
[24] 42 Selbst wenn dem vorbezeichneten schriftsätzlichen Vorbringen des früheren Soldaten und seines Verteidigers jedoch – konkludent – der Wunsch auf Teilnahme an der Berufungshauptverhandlung zu entnehmen sein sollte, hat der Senat dennoch die Berufungshauptverhandlung gegen den früheren Soldaten durchführen und in der Sache entscheiden dürfen; auch dann war die Ablehnung des Aufhebungsantrages rechtlich nicht zu beanstanden. Denn der frühere Soldat hat bis zum Schluss der Berufungshauptverhandlung jedenfalls nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass er vorübergehend verhandlungsunfähig oder aus zwingenden Gründen am Erscheinen verhindert ist.
[25] 43 Bereits die spezifische Art und Weise der von ihm – ebenso wie schon einmal vor dem Termin der auf den 24. Oktober 2007 anberaumten Berufungshauptverhandlung – erst im unmittelbaren zeitlichen Vorfeld der Berufungshauptverhandlung praktizierten Vorlage privatärztlicher Bescheinigungen über seine geltend gemachte Verhandlungsunfähigkeit bzw. "Arbeits- und Reiseunfähigkeit" begründen erhebliche Zweifel an deren inhaltlicher Richtigkeit. Entscheidend ist freilich, dass er kein amtsärztliches Attest über die von ihm geltend gemachte fehlende Verhandlungs- und Reisefähigkeit vorgelegt hat, obwohl er durch das gerichtliche Ladungsschreiben vom 23. Oktober 2007 ausdrücklich für den Fall, dass er durch gesundheitliche Gründe am Erscheinen gehindert sein werde, auf dessen Erforderlichkeit hingewiesen worden ist. Gerade auch angesichts seines mehrfach bereits zuvor geäußerten Begehrens, das Verfahren gegen ihn einzustellen und dieses jedenfalls keiner Sachentscheidung zuzuführen, um eine Aberkennung des Dienstgrades zu vermeiden und diesen auch zu Erwerbszwecken weiterhin verwenden zu können, hält der Senat das Übersenden einer bloßen privatärztlichen "Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Vorlage bei der Krankenkasse" (Kopie) nicht für hinreichend, um das Vorliegen der Verhandlungsunfähigkeit oder anderer zwingender Gründe hinreichend glaubhaft zu machen. Ein amtsärztliches Attest bietet angesichts der öffentlich-rechtlichen Dienststellung eines Amtsarztes eine höhere Richtigkeitsgewähr als eine Kopie oder Durchschrift einer privatärztlichen "Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Vorlage bei der Krankenkasse". Der frühere Soldat hatte vor oder auch nach seiner am 21. November 2007 erfolgten Vorsprache bei dem Internisten Dr. G. hinreichend Gelegenheit, bei dem zuständigen oder einem anderweitig damit zu befassenden Amtsarzt das erforderliche Attest über eine zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung bestehende Reise- und Verhandlungsunfähigkeit zu erwirken. Soweit er sich – was ein aktenkundig gemachter Anruf aus dem Büro des Amtsarztes in der Geschäftsstelle des Senats vom 27. November 2007 nahelegt – erst unmittelbar am Tage vor der Berufungshauptverhandlung zum Amtsarzt begab und dort aus Zeit- und Termingründen kurzfristig keinen Untersuchungstermin und -befund mehr erhielt, muss er sich die aus dieser von ihm zu verantwortenden Termingestaltung resultierenden Folgen zurechnen lassen. … (wird ausgeführt)
[26] 44 Angesichts dessen hat der Senat im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot des § 17 Abs. 1 WDO von einer Aufhebung des Termins bzw. einer Vertagung abgesehen, zumal der frühere Soldat einen Verteidiger beauftragt hatte. Der Umstand, dass dieser nicht zur Berufungshauptverhandlung erschienen ist und über die Absicht seines Nichterscheinens den Senat auch nicht vorab in Kenntnis gesetzt hat, ändert daran nichts. Denn sowohl der frühere Soldat als auch der Verteidiger waren ordnungsgemäß zur Berufungshauptverhandlung geladen worden und hatten, die Ladung erhalten. Zudem hatte der Vorsitzende des Senats dem Verteidiger nach Eingang des vorerwähnten Schriftsatzes noch am 27. November 2007 durch das um 16. 16 Uhr abgesandte Faxschreiben nochmals ausdrücklich mitteilen lassen, dass der "Termin vom 28. November 2007" nicht aufgehoben worden ist. …
c) Disziplinarrechtliche Würdigung
[27] 52 In dem von Anschuldigungspunkt 1 erfassten Tatzeitraum von "Oktober 1997" bis "Anfang 1998" stand der frühere Soldat in keinem Wehrdienstverhältnis.
[28] 53 In diesem Tatzeitraum verstieß das – außerdienstliche – Fehlverhalten des früheren Soldaten gegen § 17 Abs. 3 SG. Die Vorschrift findet u. a. Anwendung auf Offiziere (und Unteroffiziere), die Angehörige der Reserve sind.
[29] 54 Ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 SG setzt voraus, dass der betreffende Offizier nach den für seine Wiederverwendung maßgeblichen Rechtsvorschriften erneut in ein Wehrdienstverhältnis berufen werden kann (vgl. dazu Beschluss vom 22. Mai 1995 BVerwG 2 WDB 4.95 BVerwGE 103, 237 = Buchholz 236. 1 § 53 Nr. 1; Scherer/Alff, SG, 7. Aufl. 2003, § 17 Rn. 39). …
[30] 56 Das Verhalten des früheren Soldaten verletzte seine in § 17 Abs. 3 SG normierte Pflicht, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die für seine Wiederverwendung in seinem Dienstgrad erforderlich sind.
[31] 57 Bei der Bewertung des Verhaltens eines ausgeschiedenen Offiziers kommt es dabei allein darauf an, ob dieses Verhalten objektiv geeignet ist, ihn für eine Wiederverwendung in seinem Dienstgrad zu disqualifizieren (vgl. Urteil vom 2. April 1974 BVerwG 2 WD 5.74 BVerwGE 46, 244 [249] = NZWehrr 1975, 69; Scherer/Alff, a. a. O. § 17 Rn. 40). Nach der Rechtsprechung des Senats disqualifiziert sich für eine Wiederverwendung in seinem Dienstgrad derjenige frühere Soldat, der als Offizier oder Unteroffizier nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst ein Verhalten an den Tag legt, das ihn zur Führung anderer Soldaten nicht mehr geeignet erscheinen lässt und das geeignet ist, ihn in seinem Ansehen als potenzieller Vorgesetzter bei Vorgesetzten, Gleichgestellten oder Untergebenen zu schädigen (vgl. u. a. Urteil vom 23. April 1985 BVerwG 2 WD 42.84 BVerwGE 83, 1 [10]). Bei der Prüfung kann nach der Rechtsprechung des Senats nicht darauf abgestellt werden, ob – in einer Parallelwertung – bei einem aktiven Offizier unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Tatmerkmale und der Zumessungsgesichtspunkte eine Dienstgradherabsetzung geboten wäre. Allenfalls kann der Vergleich dahin gehen zu prüfen, ob ein entsprechendes Verhalten eines aktiven Offiziers nach Eigenart und Schwere der Tat die Dienstgradherabsetzung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen machen würde (vgl. Urteil vom 2. April 1974 a. a. O.; Scherer/Alff, a. a. O. § 17 Rn. 40). Daran hält der Senat fest. Denn für einen Verstoß gegen § 17 Abs. 3 SG ist maßgeblich, ob das pflichtwidrige Verhalten objektiv geeignet ist, den Täter für eine Wiederverwendung in seinem Dienstgrad zu disqualifizieren. Das ist vorliegend der Fall. … (wird ausgeführt)
[32] 61 Der schuldhafte Pflichtenverstoß des früheren Soldaten gilt gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 2, Alt. 2 SG als Dienstvergehen, weil er durch sein unwürdiges Verhalten nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht geworden ist, die für seine Wiederverwendung als Vorgesetzter erforderlich sind. Das Erfordernis des unwürdigen Verhaltens, das zu der Pflichtverletzung nach § 17 Abs. 3 SG hinzutreten muss, um eine Handlungsweise als Dienstvergehen einstufen zu können, hebt auf die Fehlhaltung ab, die sich in dem Gesamtverhalten des früheren Soldaten offenbart hat (vgl. Urteile vom 2. April 1974 a. a. O., vom 23. April 1985 a. a. O. [14 f.], vom 7. März 1990 BVerwG 2 WD 33.89 BVerwGE 86, 262 = NZWehrr 1990, 169 und vom 25. Juli 1990 BVerwG 2 WD 16.89 BVerwGE 86, 309 [311] = NZWehrr 1991, 116).
[33] 62 Ob die im Gesetz gewählte Formulierung ("unwürdiges Verhalten") mit dem Bestimmtheitssatz des Grundgesetzes (Art. 103 Abs. 2 GG), der auch im Wehrdisziplinarrecht zu beachten ist, in jeder Hinsicht vereinbar ist, ist zwar zweifelhaft (so auch Walz, in: Walz/Eichen/Sohm, SG, 2006, § 23 Rn. 35 Fußnote 50). Eine Präzisierung ist allerdings durch die Rechtsprechung erfolgt. Unter einem "unwürdigen Verhalten" ist danach ein "Fehlverhalten von besonderer Intensität, ein Sichhinwegsetzen über die unter Soldaten und von der Gesellschaft anerkannten Mindestanforderungen an eine auf Anstand, Sitte und Ehre bedachte Verhaltensweise eines Reservisten mit Vorgesetztenrang" zu verstehen (vgl. Urteile vom 24. September 1969 BVerwG 1 WD 4.69 BVerwGE 43, 9 [19], vom 15. Juli 1982 BVerwG 2 WD 63.81 BVerwGE 76, 7 = NZWehrr 1983, 143 und vom 23. April 1985 a. a. O. [15]; Walz, a. a. O. § 23 Rn. 36). In diesem Tatbestandsmerkmal kommt eine starke Missbilligung und damit ein subjektives Unwerturteil zum Ausdruck. Unter einem "unwürdigen Verhalten" im Sinne der Bestimmung ist mithin ein aus den gesamten Umständen herzuleitendes Fehlverhalten von besonderer Intensität zu verstehen (vgl. Urteile vom 23. April 1985 a. a. O. [15], vom 7. März 1990 a. a. O., vom 17. Mai 1990 BVerwG 2 WD 21.89 BVerwGE 86, 288 und vom 25. Juli 1990 a. a. O.). Das ist insbesondere bei einem mehrfachen kriminellen, also gegen das Strafrecht verstoßenden Verhalten der Fall.
[34] 63 Anders als bei der Prüfung der Pflichtwidrigkeit nach § 17 Abs. 3 SG sind bei der Entscheidung darüber, ob der Vorwurf unwürdigen Verhaltens im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG berechtigt ist, sowohl die Motive des Täters als auch alle in der Tat selbst liegenden Milderungs- und Erschwerungsgründe zu berücksichtigen. (vgl. u. a Urteil vom 25. Juli 1990 a. a. O. [312] m. w. N.). Als Disziplinartatbestand zielt § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG nach der Rechtsprechung des Senats darauf ab, "einen geordneten und integren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten und zu sichern, indem er die Möglichkeit schafft, ein Korps von achtungs- und vertrauenswürdigen Reserveoffizieren und Reserveunteroffizieren zu erhalten, die zur Wiederverwendung in einem ihrer militärischen Vorbildung und ihrem militärischen Rang entsprechenden Dienstgrad geeignet sind, oder umgekehrt, untragbar gewordene Vorgesetzte ihrer Vorgesetztenstellung ganz oder teilweise zu entkleiden" (vgl. Urteile vom 7. März 1990 a. a. O. und vom 25. Juli 1990 a. a. O. [312]).
[35] 64 Ein Reserveoffizier mit dem Dienstgrad eines Oberstleutnants der Reserve, der – wie der frühere Soldat – in einer Vielzahl von Fällen kriminelles Unrecht im außerdienstlichen Bereich begangen hat, hat in diesem Sinne seine Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit in einem solchen Maß eingebüßt, dass er nicht nur zur Wiederverwendung in einem seiner militärischen Vorbildung und seinem militärischen Rang entsprechenden Dienstgrad, sondern generell als Vorgesetzter ungeeignet ist. Dies folgt nicht nur aus der großen Zahl der Straftaten, dem relativ langen Zeitraum des Fehlverhaltens, der Höhe der in betrügerischer Absicht erschlichenen Gelder sowie der hohen kriminellen Energie bei der Tatbegehung. Hinzu kommt, dass der frühere Soldat mit seinem kriminellen Fehlverhalten gerade auch das Vermögen seines früheren Dienstherrn, der Bundesrepublik Deutschland, in schwerwiegender Weise geschädigt hat. Denn die nach dem Unterhaltssicherungsgesetz zu leistenden Zahlungen werden aus dem Bundeshaushalt aufgebracht. An dieser Einschätzung des schwerwiegenden Fehlverhaltens des früheren Soldaten vermag auch dessen offenbar schwierige wirtschaftliche und persönliche Situation im Tatzeitraum nichts zu ändern. Denn diese lässt das Fehlverhalten nicht in einem günstigeren Licht erscheinen. Für eine Wiederverwendung eines früheren Soldaten nicht nur als Offizier, sondern auch als Vorgesetzter kommt niemand in Betracht, der sich in einem solchen Umfang kriminell betätigt und sein Ansehen in dieser Weise schwerwiegend und nachhaltig geschädigt hat. Er verfügt nicht mehr über die erforderliche persönliche Integrität und kann seine Vorbildfunktion als Vorgesetzter (§ 10 Abs. 1 SG) nicht mehr erfüllen.
[36] 65 Soweit dem früheren Soldaten neben seinem pflichtwidrigen Verhalten außerhalb des Wehrdienstes auch ein pflichtwidriges Verhalten während des Wehrdienstes nachgewiesen worden ist, ist insoweit eine getrennte disziplinare Beurteilung vorzunehmen (Urteil vom 2. April 1974 BVerwG 2 WD 5.74 BVerwGE 46, 244 [247]; Walz, a. a. O. § 17 Rn. 57). Es handelt sich dabei um eine Verletzung der in § 17 Abs. 2 Satz 2 SG normierten Achtungs- und Vertrauenswahrungspflicht im außerdienstlichen Bereich, die vorliegend ebenfalls mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung und damit vorsätzlich begangen wurde. Sie kommt zu seinem bereits festgestellten schwerwiegenden außerdienstlichen Fehlverhalten hinzu.
d) Bemessung der Disziplinarmaßnahme
[37] 66 Die von der Truppendienstkammer gegen den früheren Soldaten verhängte Maßnahme einer Aberkennung des (und damit jedes militärischen) Dienstgrades ist angemessen und geboten.
[38] 67 Gegen Angehörige der Reserve sowie gegen nicht wehrpflichtige frühere Soldaten, die noch zu Dienstleistungen herangezogen werden können, sind nach § 58 Abs. 3 WDO als gerichtliche Disziplinarmaßnahmen zum einen die Dienstgradherabsetzung und zum anderen die Aberkennung des Dienstgrades zulässig. Beide Maßnahmen sind gerichtliche Disziplinarmaßnahmen, für deren Bemessung die allgemein geltenden Grundsätze maßgeblich sind (vgl. Dau, WDO, 4. Aufl. 2002, § 58 Rn. 6 m. w. N.). Damit sind gemäß § 38 Abs. 1 i. V. m. § 58 Abs. 7 WDO bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
[39] 68 Die festgestellten Pflichtverletzungen des früheren Soldaten stellen zwar mit Ausnahme des von Anschuldigungspunkt 2 in der 7. Strichaufzählung erfassten Fehlverhaltens (im Zusammenhang mit seinem Antrag nach dem Unterhaltssicherungsgesetz vom 3. März 1998 während des Wehrübungszeitraums vom 2. bis 20. März 1998) kein unmittelbares Dienstvergehen im Sinne des § 23 Abs. 1 SG dar. Diese schuldhaften Pflichtverletzungen "gelten" jedoch nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG als Dienstvergehen, sodass auch insoweit keine Bedenken gegen die Heranziehung der in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungsvorgaben bestehen.
[40] 69 aa) Die "Eigenart und Schwere" eines Dienstvergehens bzw. hier eines als Dienstvergehen geltenden schuldhaften Fehlverhaltens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlung, mithin also nach der Bedeutung der verletzten Pflichten. …
[41] 71 Der Schwerpunkt des Fehlverhaltens liegt in den von den Anschuldigungspunkten 1 und 2 erfassten schuldhaften Pflichtverletzungen außerhalb seiner Wehrdienstzeiten. Es handelt sich dabei durchweg um schwerwiegendes kriminelles Unrecht und zwar in einer Vielzahl von Fällen. Wie oben in anderem Zusammenhang zu § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG bereits festgestellt sind diese schuldhaften Pflichtverletzungen als unwürdiges Verhalten zu qualifizieren, das der Achtung und dem Vertrauen nicht gerecht geworden ist, die für seine Wiederverwendung als Vorgesetzter erforderlich sind. Ist mithin bei dem früheren Soldaten eine Wiederverwendung als Vorgesetzter ausgeschlossen, ist schon deshalb eine Aberkennung des Dienstgrades nach § 58 Abs. 3 Nr. 2 WDO unausweichlich. Eine Dienstgradherabsetzung (nach § 58 Abs. 3 Nr. 1 WDO) um einen oder mehrere Dienstgrade ist gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 WDO bei Offizieren ohnehin lediglich bis zum niedrigsten Offiziersdienstgrad ihrer Laufbahn, mithin also bis zum Dienstgrad eines Leutnants, zulässig, darüber hinaus jedoch nicht. Diese Beschränkung gilt nach der ausdrücklichen Regelung in § 62 Abs. 1 Satz 2 WDO auch bei Offizieren, gegen die Disziplinarmaßnahmen nach § 58 Abs. 3 WDO verhängt werden dürfen.
[42] 72 bb) Die Auswirkungen des als Dienstvergehen geltenden Fehlverhaltens des früheren Soldaten waren schwerwiegend. … (wird ausgeführt)
[43] 75 c) Die des Weiteren bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigende Schuld des früheren Soldaten ist vor allem durch die vorsätzliche Begehungsweise gekennzeichnet. …
[44] 77 Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des früheren Soldaten mindern würden, sind ebenfalls nicht ersichtlich. … (wird ausgeführt)
[45] 88 ff) Bei der gebotenen Gesamtwürdigung des Dienstvergehens ist davon auszugehen, dass der Senat bei einem außerdienstlich von einem Offizier begangenen Betrug in der Regel eine Dienstgradherabsetzung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen nimmt (vgl. dazu u. a. Urteile vom 10. Juni 1987 BVerwG 2 WD 12.87 BVerwGE 83, 298 = NZWehrr 1988, 164, vom 21. Januar 1997 BVerwG 2 WD 38.96 BVerwGE 113, 45 = Buchholz 235. 0 § 34 WDO Nr. 24 = NZWehrr 1997, 167 und vom 25. Juli 1990 BVerwG 2 WD 16.89 BVerwGE 86, 309 = NZWehrr 1991, 116).
[46] 89 Eine Dienstgradherabsetzung reicht im vorliegenden Fall jedoch nicht aus. Dagegen sprechen vor allem die dargelegte Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie das Maß der Schuld des früheren Soldaten. Einem früheren Soldaten mit dem Dienstgrad eines Oberstleutnants der Reserve, der – wie oben in anderem Zusammenhang dargelegt – aufgrund des Gewichts und des Ausmaßes seines Fehlverhaltens für eine Wiederverwendung als Vorgesetzter nicht mehr in Betracht kommt, dem es aber ersichtlich darauf ankommt, trotz seiner schwerwiegenden kriminellen Verfehlungen auch künftig im außerdienstlichen Bereich weiterhin mit seinem Offiziersdienstgrad in Erscheinung zu treten und daraus ideelle oder auch wirtschaftliche Vorteile zu ziehen, kann ein Dienstgrad nicht mehr belassen werden. Es wäre dem Ansehen der Bundeswehr in höchstem Maße abträglich, in seinem Reserveoffiziers-Korps einen früheren Soldaten zu haben, dem zu Recht innerhalb und außerhalb der Bundeswehr nachgesagt werden darf, in der dargelegten schwerwiegenden Weise versagt und seine persönliche Integrität in einem solchen Maße beschädigt zu haben.