Bundesfinanzhof
EStG 2002 § 4 Abs. 3, § 10d Abs. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b, § 43 Abs. 1 Nr. 7c; GmbHG § 29 Abs. 1 Satz 1; KStG 2002 § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Sätze 1 und 3, § 27 Abs. 2; GemO Rheinland-Pfalz § 86 Abs. 1; GemHVO Rheinland-Pfalz § 22, § 14; EigAnVO Rheinland-Pfalz § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 7 Satz 2
1. Verluste, die ein als Regiebetrieb geführter Betrieb gewerblicher Art erzielt, gelten im Verlustjahr als durch die Trägerkörperschaft ausgeglichen und führen zu einem Zugang in entsprechender Höhe im steuerlichen Einlagekonto.
2. Der für einen Betrieb gewerblicher Art festgestellte steuerrechtliche Verlustvortrag ist nicht mit den Einkünften der Trägerkörperschaft aus Kapitalvermögen zu verrechnen.

BFH, Urteil vom 23. 1. 2008 – I R 18/07; FG Rheinland-Pfalz (lexetius.com/2008,1060)

[1] Gründe: I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die einen Betrieb gewerblicher Art "Messen und Märkte" (BgA) i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 2002) unterhält. Der BgA wird ohne eigene Rechtspersönlichkeit im städtischen Haushalt als sogenannter Regiebetrieb geführt. Für steuerliche Zwecke ermittelt der BgA seinen Gewinn bzw. Verlust durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002).
[2] Zum 31. Dezember 2001 wurde für den BgA ein verbleibender Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer in Höhe von 480 248 DM (245 547 €) gesondert festgestellt. Der Bestand des steuerlichen Einlagekontos gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 wurde zum 31. Dezember 2001 und zum 31. Dezember 2002 jeweils auf 0 € festgestellt.
[3] Im Körperschaftsteuerbescheid für das Jahr 2002 ermittelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA -) ausgehend von der Gewinnermittlung der Klägerin einen Gewinn in Höhe von 40 238 €. Für August 2003 (streitgegenständlicher Zeitraum) setzte er auf der Grundlage dieses Gewinns Kapitalertragsteuer und den Solidaritätszuschlag zur Kapitalertragsteuer fest. Zur Begründung führte das FA aus, eine Kürzung des Gewinns um Verluste aus Vorjahren sei nicht möglich, weil ein in den kommunalen Haushalt eingegliederter Regiebetrieb keine Verlustvorträge ausweisen könne. Die Verluste aus früheren Jahren seien von der Klägerin bereits getragen worden. Die Kapitalertragsteuerpflicht bestehe daher unabhängig von einem steuerlich festgestellten Verlustvortrag.
[4] Die Klage hiergegen wies das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 841 veröffentlichtem Urteil vom 20. Dezember 2006 1 K 1185/05 ab.
[5] Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das Urteil des FG und den Bescheid über die Festsetzung von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag zur Kapitalertragsteuer für August 2003 aufzuheben.
[6] Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[7] II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der festgestellte Verlustvortrag zum 31. Dezember 2001 die Einkünfte der Klägerin nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG nicht mindert.
[8] 1. Seit der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens sind die nicht den Rücklagen zugeführten Gewinne eines Betriebes gewerblicher Art ohne eigene Rechtspersönlichkeit unter bestimmten im Gesetz näher bezeichneten Voraussetzungen nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 2002 Einkünfte aus Kapitalvermögen. Diese Einkünfte unterliegen gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 7c EStG 2002 der Kapitalertragsteuer.
[9] Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es nicht auf den tatsächlichen Zufluss oder die Verwendung des Gewinns an. Vielmehr führt der Gewinn des Wirtschaftsjahres, sofern er nicht den Rücklagen zugeführt wird, zu Einkünften aus Kapitalvermögen. Die Vorschrift enthält eine Ausschüttungsfiktion, da aufgrund der fehlenden rechtlichen Selbständigkeit des BgA eine tatsächliche Ausschüttung an die Trägerkörperschaft nicht erfolgen kann (Senatsurteil vom 10. Januar 2007 I R 105/05, BStBl II 2007, 841, m. w. N.). Keine Einnahmen aus Kapitalvermögen liegen dagegen vor, wenn sie aus (fiktiven) Ausschüttungen stammen, für die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto i. S. des § 27 KStG 2002 als verwendet gelten (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 5 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 3 EStG 2002).
[10] 2. Die Festsetzung der Kapitalertragsteuer ist danach im Streitfall rechtmäßig.
[11] a) Der BgA hat im Wirtschaftsjahr 2002 einen Gewinn von 40 238 € erzielt und überschreitet daher die in § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 2002 genannte Gewinngrenze von 30 000 €. Für die vom Gesetz fingierte Ausschüttung des Gewinns gilt nicht das steuerliche Einlagekonto als verwendet. Denn gemäß § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 mindern Leistungen der Kapitalgesellschaft das steuerliche Einlagekonto nur, wenn sie den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigen. Als ausschüttbarer Gewinn gilt das um das gezeichnete Kapital geminderte in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital abzüglich des Bestandes des steuerlichen Einlagekontos. Da der BgA über kein gezeichnetes Kapital verfügt und das steuerliche Einlagekonto mit 0 € festgestellt war, betrug der ausschüttbare Gewinn für das Jahr 2002 mindestens 40 238 €. Da somit keine Beträge des Einlagekontos als verwendet gelten, liegen in Höhe des im Jahr 2002 erzielten Gewinns Einkünfte aus Kapitalvermögen vor.
[12] b) Die Einkünfte mindern sich nicht um den zum 31. Dezember 2001 gemäß § 8 Abs. 1 KStG 2002 i. V. m. § 10d Abs. 1 EStG 2002 festgestellten Verlustvortrag (gl. A. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen – BMF – vom 11. September 2002, BStBl I 2002, 935 Tz. 22; Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz 450. 2; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 Rz 298).
[13] aa) § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 2002 will die Gewinne, die der Trägerkörperschaft unter Geltung des Halbeinkünfteverfahrens tatsächlich zur Verwendung in ihrem hoheitlichen Bereich zur Verfügung stehen, aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit mit Kapitalertragsteuer belasten (BTDrucks 14/2683, S. 114). BgA und Trägerkörperschaft werden im Rahmen des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 2002 fiktiv wie jeweils selbständige Rechtssubjekte ähnlich einer Kapitalgesellschaft und deren Anteilseigner behandelt. Daher mindert der Verlustvortrag zwar das hinsichtlich des BgA "Messen und Märkte" zu versteuernde Einkommen (vgl. Senatsurteile vom 4. Dezember 1991 I R 74/89, BFHE 166, 342, BStBl II 1992, 432; vom 13. März 1974 I R 7/71, BFHE 112, 61, BStBl II 1974, 391), nicht aber die von der Klägerin erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen. Bezugsgröße für die Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 2002 ist der vom Betrieb gewerblicher Art erzielte Gewinn. Ebenso wenig wie ein steuerrechtlicher Verlustvortrag eine Kapitalgesellschaft hindert, den im Wirtschaftjahr erzielten Gewinn an die Gesellschafter auszuschütten, ändern die Verluste der Vorjahre etwas daran, dass der im Jahr 2002 erzielte Gewinn der Klägerin tatsächlich in ihrem hoheitlichen Bereich zur Verfügung stand.
[14] bb) Allerdings können die Anteilseigner einer GmbH die Ausschüttung des Jahresgewinns nicht verlangen, wenn handelsrechtlich ein Verlustvortrag besteht. Denn nach § 29 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung haben die Gesellschafter einer GmbH Anspruch auf den Jahresüberschuss zuzüglich eines Gewinnvortrages abzüglich eines Verlustvortrages. Eine ähnliche Regelung gilt für Eigenbetriebe, die nach den Eigenbetriebsverordnungen der Länder geführt werden. Diese sind finanzwirtschaftlich Sondervermögen der Gemeinde (vgl. § 86 Abs. 1 der Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz, § 10 Abs. 1 der Eigenbetriebs- und Anstaltsverordnung Rheinland-Pfalz – EigAnVO -). Ein Jahresverlust kann auf neue Rechnung vorgetragen werden, soweit zu erwarten ist, dass er durch Gewinne in den folgenden Jahren ausgeglichen wird (§ 11 Abs. 7 Satz 1 EigAnVO). Gewinne sind in diesem Fall zunächst zur Verlustdeckung zu verwenden (§ 11 Abs. 7 Satz 2 EigAnVO) und stehen daher der Gemeinde zur Verwendung im hoheitlichen Bereich nicht zur Verfügung. Dementsprechend geht die Finanzverwaltung in diesen Fällen davon aus, dass ein handelsrechtlicher Verlustvortrag, solange er nicht ausgeglichen ist, nicht zu Einkünften i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 2002 führt (BMF-Schreiben in BStBl I 2002, 935; Oberfinanzdirektion Frankfurt vom 17. Dezember 2003, Finanz-Rundschau 2004, 237; Bott in Ernst & Young, a. a. O., Rz 450. 2; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, a. a. O., § 4 Rz 298; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 26. Aufl., § 20 Rz 168).
[15] cc) Die Klägerin führt ihren BgA jedoch nicht als Eigenbetrieb, sondern als Regiebetrieb. Regiebetriebe sind rechtlich unselbständige Einheiten der Trägerkörperschaft, die finanzwirtschaftlich nicht Sondervermögen der Gemeinde darstellen. Demgemäß fließen Einnahmen der Regiebetriebe – anders als bei Eigenbetrieben – unmittelbar in den Haushalt und Ausgaben werden unmittelbar aus dem Haushalt der Trägerkörperschaft bestritten. Ein Verlustvortrag ist unter diesen Umständen nicht möglich. Vielmehr gilt der Verlust im Jahr der Entstehung des Verlustes als durch Einlagen der Gemeinde ausgeglichen und führt zu einem entsprechenden Zugang im Einlagekonto.
[16] Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt aus § 22 der Gemeindehaushaltsverordnung Rheinland-Pfalz (GemHVO) in der im Streitjahr gültigen Fassung nicht, dass der Verlust von Regiebetrieben wie bei Eigenbetrieben vorgetragen werden kann. Diese Vorschrift bezieht sich vielmehr auf den Gesamthaushalt der Gemeinde und bestimmt, dass ein Fehlbetrag unverzüglich gedeckt werden soll, jedoch spätestens im dritten dem Haushaltsjahr folgenden Jahr zu veranschlagen ist. Dies ändert aber nichts am Grundsatz der Gesamtdeckung (§ 16, jetzt: § 14 GemHVO) und daran, dass ein Verlustvortrag mangels finanzwirtschaftlicher Verselbständigung des Regiebetriebes nicht möglich ist.
[17] dd) Verluste aus Eigenbetrieben und Regiebetrieben werden daher im Rahmen des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 2002 unterschiedlich behandelt. In Eigenbetrieben entstandene Verluste kann die Trägerkörperschaft gemäß § 11 Abs. 7 Satz 1 EigAnVO vortragen oder im Jahr ihrer Entstehung durch Einlagen ausgleichen. Im ersten Fall erzielt sie solange keine Einkünfte aus Kapitalvermögen, bis der Verlust ausgeglichen ist. Bei Regiebetrieben kann der Verlust hingegen nicht vorgetragen werden. In Höhe des Verlustes liegen vielmehr Einlagen vor, die dem Einlagekonto gutzuschreiben sind. Diese Verluste wirken sich insoweit auf die Höhe der Kapitaleinkünfte aus, als sich hierdurch die Höhe des ausschüttbaren Gewinns mindert (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 5 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 3 EStG 2002).
[18] 3. Dem Hilfsantrag der Klägerin, den Anfangsbestand des Einlagekontos um den Verlustvortrag zu erhöhen, ist nicht zu entsprechen. Dies folgt schon daraus, dass die Bescheide, mit denen die Bestände des steuerlichen Einlagekontos zum 31. Dezember 2001 und zum 31. Dezember 2002 auf jeweils 0 € festgestellt wurden, nicht angefochten wurden, und daher bindend sind (§ 27 Abs. 2 KStG 2002). Im Übrigen verweist der Senat insoweit auf sein Urteil vom 21. August 2007 I R 78/06, BFH/NV 2008, 495).