Bundesarbeitsgericht
Mitbestimmung bei betrieblicher Lohngestaltung – Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung
1. Ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber leistet in mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht die gesamte Vergütung "freiwillig". Will er einzelne Vergütungsbestandteile beseitigen und verändert sich dadurch die Vergütungsstruktur, hat er den Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beteiligen.
2. Ändern sich durch die Kündigung einer Betriebsvereinbarung über einen Vergütungsbestandteil die Entlohnungsgrundsätze im Betrieb, wirkt die Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach.

BAG, Urteil vom 26. 8. 2008 – 1 AZR 354/07 (lexetius.com/2008,2943)

[1] I. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 15. November 2006 – 7 (13) Sa 815/06 – teilweise aufgehoben.
[2] II. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 8. Juni 2006 – 4 Ca 257/06 – teilweise abgeändert:
[3] Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.949,22 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. Januar 2006 zu zahlen.
[4] III. Die weitergehende Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.
[5] IV. Die Beklagte hat 4/5, die Klägerin 1/5 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
[6] Tatbestand: Die Parteien streiten über eine Weihnachtszuwendung für das Jahr 2005.
[7] Die Klägerin ist seit dem 1. Oktober 1994 in dem von der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin betriebenen Senioren- und Pflegezentrum beschäftigt. Feststellungen über eine Tarifbindung der Beklagten oder den Abschluss einschlägiger, den Betrieb der Beklagten erfassenden Tarifverträge sind nicht getroffen. Der mit der Klägerin am 13. Juli 1998 geschlossene schriftliche Arbeitsvertrag sieht eine "monatliche Vergütung der Gruppe BAT IX a der Stufe 9 in Höhe von 3.389,16 DM" sowie eine "Zulage in Höhe von 1.100,00 DM" vor. Ihr monatlicher Bruttoverdienst betrug zuletzt 2.448,61 Euro. Der Betrag setzt sich zusammen aus einem Grundgehalt von 1.283,22 Euro, einem Ortszuschlag von 575,03 Euro, einer allgemeinen Zulage von 90,97 Euro, einer anrechenbaren übertariflichen Zulage von 492,74 Euro und einem Arbeitgeberanteil zu vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von 6,65 Euro. Seit Beginn ihres Arbeitsverhältnisses erhielt die Klägerin ein Weihnachtsgeld. Für das Jahr 2005 leistete die Beklagte dieses erstmals nicht.
[8] Nach § 2 einer im September 1995 für den Beschäftigungsbetrieb der Klägerin geschlossenen "Betriebsvereinbarung zur Regelung der arbeitsrechtlichen Verhältnisse für die Angestellten, Arbeiter/-innen und Auszubildenden" (BV 1995) gelten für die Angestellten "analog die für die Angestellten des Bundes und der Länder vereinbarten Bestimmungen des Lohn- und Vergütungstarifvertrages – BAT – vom 11. Januar 1961". § 3 BV 1995 enthält vom BAT abweichende Bestimmungen über Krankenbezüge, Zuwendungen bei Heirat, Geburten und Ableben, Jubiläumszuwendungen, Urlaubsgeld und Zeitzuschläge. Nach § 3 Abs. i Satz 1 BV 1995 erhält ein Arbeitnehmer in jedem Jahr eine Zuwendung, wenn er am 1. Dezember im Arbeitsverhältnis steht und seit dem 1. Oktober ununterbrochen als Arbeitnehmer beschäftigt war. Nach § 3 Abs. i Satz 2 BV 1995 beträgt die Zuwendung "ein Monatsgehalt (Grundgehalt, Ortszuschlag, Stellenzulage und Schichtzulage, ohne Berücksichtigung von Zeitzuschlägen)". Die Beklagte kündigte die BV 1995 fristgerecht zum 31. Dezember 2001. Anschließend nahm sie Verhandlungen mit der Gewerkschaft ver. di über den Abschluss eines Haustarifvertrags auf, die sie im Herbst 2005 für gescheitert erklärte.
[9] Mit der Klage hat die Klägerin für das Jahr 2005 eine Weihnachtszuwendung in Höhe von 2.448,61 Euro brutto verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, ihr Anspruch folge aus der BV 1995, hilfsweise aus einer Gesamtzusage oder aus betrieblicher Übung. Die BV 1995 wirke nach. Die Beklagte habe den Anspruch auf die Weihnachtszuwendung ohne Zustimmung des Betriebsrats nicht beseitigen können.
[10] Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.448,61 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. Januar 2006 zu zahlen.
[11] Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die BV 1995 entfalte keine Nachwirkung. Die Weihnachtszuwendung sei eine freiwillige Leistung, die sie mitbestimmungsfrei habe einstellen können.
[12] Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.
[13] Entscheidungsgründe: Die Revision ist teilweise begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht insgesamt abgewiesen. Der Klägerin steht der Klageanspruch teilweise zu. Sie kann von der Beklagten für das Jahr 2005 eine Jahreszuwendung in Höhe von 1.949,22 Euro verlangen. In dem darüber hinausgehenden Umfang sind Klage und Revision unbegründet.
[14] I. Die zulässige Klage ist in Höhe von 1.949,22 Euro brutto nebst Zinsen begründet. Der Anspruch der Klägerin folgt aus der BV 1995. Die Betriebsvereinbarung ist zwar gekündigt, wirkt aber gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach.
[15] 1. Die BV 1995 ist wirksam. Sie verstößt nicht gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.
[16] a) Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte oder Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Eine gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung ist unwirksam. Arbeitsbedingungen sind dann durch Tarifvertrag geregelt, wenn über sie ein Tarifvertrag abgeschlossen worden ist und der Betrieb in den räumlichen, betrieblichen und fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt. Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG hängt nicht davon ab, dass der Arbeitgeber tarifgebunden ist (BAG 22. März 2005 – 1 ABR 64/03BAGE 114, 162, zu B II 2 c ee (1) der Gründe mwN). Wenn ein den betreffenden Gegenstand regelnder Tarifvertrag nicht (mehr) besteht, genügt es für die Sperrwirkung, dass die betreffende Angelegenheit "üblicherweise" tariflich geregelt wird. Maßgeblich ist die einschlägige Tarifpraxis. Tarifüblich ist eine Regelung regelmäßig, wenn Verhandlungen über einen den Regelungsgegenstand betreffenden Tarifvertrag geführt werden. Bloße zeitliche Geltungslücken zwischen einem abgelaufenen und einem zu erwartenden Tarifvertrag hindern die Sperrwirkung nicht (BAG 22. März 2005 – 1 ABR 64/03 – aaO mwN). Keine Tarifüblichkeit liegt vor, wenn es in der Vergangenheit noch keinen einschlägigen Tarifvertrag gab und die Tarifvertragsparteien lediglich beabsichtigen, die Angelegenheit künftig tariflich zu regeln. Dies gilt selbst dann, wenn sie bereits Tarifverhandlungen geführt haben (vgl. BAG 22. Mai 1979 – 1 ABR 100/77AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 13 = EzA BetrVG 1972 § 118 Nr. 22, zu B II 1 der Gründe; 23. Oktober 1985 – 4 AZR 119/84 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 33 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 21).
[17] b) Hiernach steht die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG der BV 1995 nicht entgegen. Die Betriebsvereinbarung regelt zwar Arbeitsentgelte und sonstige materielle Arbeitsbedingungen. Diese sind aber nicht Gegenstand eines einschlägigen Tarifvertrags. Es gibt keinen Tarifvertrag, in dessen räumlichen, betrieblichen und fachlichen Geltungsbereich der Betrieb der Beklagten fiele. Die Arbeitsentgelte in privaten Alten- und Pflegeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen sind auch nicht üblicherweise tarifvertraglich geregelt. Sie waren, soweit ersichtlich, nie Gegenstand eines den Betrieb der Beklagten erfassenden Tarifvertrags. Daher genügt es für die Tarifüblichkeit nicht, dass die Beklagte mit der Gewerkschaft ver. di nach Kündigung der BV 1995 zeitweilig und letztlich erfolglos Verhandlungen über einen Haustarifvertrag führte. Dadurch wurde die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht – nachträglich – ausgelöst.
[18] 2. Die BV 1995 wurde zwar von der Beklagten zum 31. Dezember 2001 gekündigt. Sie wirkt aber entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach.
[19] a) Nach § 77 Abs. 6 BetrVG gelten die Regelungen einer Betriebsvereinbarung in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Dies betrifft die Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung. Betriebsvereinbarungen über Gegenstände, die nicht der zwingenden Mitbestimmung unterliegen, entfalten kraft Gesetzes keine Nachwirkung. Betriebsvereinbarungen mit teils erzwingbaren, teils freiwilligen Regelungen wirken grundsätzlich nur hinsichtlich der Gegenstände nach, die der zwingenden Mitbestimmung unterfallen (BAG 23. Juni 1992 – 1 ABR 9/92BAGE 70, 356, zu B II 5 der Gründe). Dies setzt allerdings voraus, dass sich die Betriebsvereinbarung sinnvoll in einen nachwirkenden und einen nachwirkungslosen Teil aufspalten lässt. Andernfalls entfaltet zur Sicherung der Mitbestimmung die gesamte Betriebsvereinbarung Nachwirkung.
[20] aa) Betriebsvereinbarungen über finanzielle Leistungen des Arbeitgebers sind regelmäßig teilmitbestimmt. Während der Arbeitgeber den Dotierungsrahmen mitbestimmungsfrei vorgeben kann, bedarf er für die Ausgestaltung, also für den Verteilungs- und Leistungsplan nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, der Zustimmung des Betriebsrats. Die Nachwirkung derart teilmitbestimmter Betriebsvereinbarungen hängt im Falle ihrer Kündigung durch den Arbeitgeber davon ab, ob die gesamten freiwilligen Leistungen ersatzlos beseitigt oder lediglich reduziert werden sollen.
[21] (1) Will ein Arbeitgeber mit der Kündigung einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung seine finanziellen Leistungen vollständig und ersatzlos einstellen, tritt keine Nachwirkung ein (BAG 17. Januar 1995 – 1 ABR 29/94AP BetrVG 1972 § 77 Nachwirkung Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 54, zu II A 2 der Gründe). Im Falle einer vollständigen Einstellung der Leistungen verbleiben keine Mittel, bei deren Verteilung der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hätte. Sinn der Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG ist – zumindest auch – die kontinuierliche Wahrung betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmungsrechte (BAG 17. Januar 1995 – 1 ABR 29/94 – aaO). Sind solche nicht betroffen, bedarf es der Nachwirkung nicht.
[22] (2) Will der Arbeitgeber seine finanziellen Leistungen nicht völlig zum Erlöschen bringen, sondern mit der Kündigung einer Betriebsvereinbarung nur eine Verringerung des Volumens der insgesamt zur Verfügung gestellten Mittel und zugleich eine Veränderung des Verteilungsplans erreichen, wirkt die Betriebsvereinbarung nach (BAG 26. Oktober 1993 – 1 AZR 46/93BAGE 75, 16, zu 2 b der Gründe; 18. November 2003 – 1 AZR 604/02BAGE 108, 299, zu I 3 c cc der Gründe; Kreutz GK-BetrVG 8. Aufl. § 77 Rn. 409; Fitting BetrVG 24. Aufl. § 77 Rn. 191 mwN; offen gelassen für die betriebliche Altersversorgung von BAG 17. August 1999 – 3 ABR 55/98BAGE 92, 203, zu B I 5 a der Gründe und 18. September 2001 – 3 AZR 728/00BAGE 99, 75, zu II 2 b dd (2) der Gründe). Anders als bei der vollständigen Streichung der Leistungen verbleibt in diesem Fall ein Finanzvolumen, bei dessen Verteilung der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hat. Das vom Arbeitgeber einmal zur Verfügung gestellte Finanzvolumen wird dadurch nicht unabänderlich perpetuiert. Die erforderlichenfalls von ihm anzurufende Einigungsstelle muss vielmehr ihrem Spruch über den neuen Leistungsplan das vom Arbeitgeber noch zur Verfügung gestellte Finanzvolumen als mitbestimmungsfreie Vorgabe zugrunde legen (BAG 18. November 2003 – 1 AZR 604/02 – aaO mwN).
[23] (3) Will schließlich der Arbeitgeber mit der Kündigung einer Betriebsvereinbarung lediglich das bisher zur Verfügung gestellte Finanzvolumen verringern, ohne den Verteilungsplan zu ändern, ist die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht betroffen. Wenn der Arbeitgeber die Verteilungsgrundsätze beibehalten und lediglich die Höhe der finanziellen Leistungen gleichmäßig absenken will, bedarf es dementsprechend zur Sicherung der Mitbestimmung des Betriebsrats der Nachwirkung der Betriebsvereinbarung hinsichtlich der absoluten Höhe der Leistungen nicht. Hinsichtlich des Verteilungsplans wirkt die Betriebsvereinbarung jedoch nach. In einem solchen Fall lässt sich eine Betriebsvereinbarung aufspalten in einen nachwirkenden Teil über die Vergütungsstruktur und einen keine Nachwirkung entfaltenden Teil über die Vergütungshöhe.
[24] bb) Die Nachwirkung von teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen über finanzielle Leistungen stellt sich abhängig von einer Tarifbindung des Arbeitgebers unterschiedlich dar.
[25] (1) Ist ein Arbeitgeber tarifgebunden, beschränkt sich die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wegen § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG auf den nicht tariflich geregelten, freiwillig geleisteten übertariflichen Teil der Vergütung. Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG sind Betriebsvereinbarungen nur über diesen Teil des Entgelts zulässig. Dementsprechend kommt eine Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 6 BetrVG auch nur hinsichtlich der übertariflichen Vergütungsbestandteile in Betracht. Werden diese durch die Kündigung einer Betriebsvereinbarung vollständig beseitigt, ist weder für eine Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG noch für eine Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG Raum.
[26] (2) Ist ein Arbeitgeber nicht tarifgebunden, kann er – kollektivrechtlich – das gesamte Volumen der von ihm für die Vergütung der Arbeitnehmer bereitgestellten Mittel mitbestimmungsfrei festlegen und für die Zukunft ändern. Mangels Tarifbindung leistet er in diesem Fall sämtliche Vergütungsbestandteile "freiwillig", dh. ohne hierzu normativ verpflichtet zu sein. Solange er die Arbeit überhaupt vergütet, hat der nicht tarifgebundene Arbeitgeber die "freiwilligen" Leistungen nicht gänzlich eingestellt. Bei einer Absenkung der Vergütung hat er damit – weil keine tarifliche Vergütungsordnung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG ausschließt – die bisher geltenden Entlohnungsgrundsätze auch bezüglich des verbleibenden Vergütungsvolumens zu beachten und im Falle ihrer Änderung die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen (BAG 28. Februar 2006 – 1 ABR 4/05 – Rn. 22, BAGE 117, 130). Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber Teile der Vergütung den Arbeitnehmern individualvertraglich schuldet. Individualvertragliche Ansprüche sind zwar nach dem Günstigkeitsprinzip im Verhältnis zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber zu beachten. Anders als gesetzliche oder tarifliche Regelungen stehen sie aber der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht entgegen. Auch lässt sich regelmäßig die Gesamtvergütung nicht in mehrere voneinander unabhängige Bestandteile – wie etwa Grundvergütung, Zulagen, Jahresleistungen etc. – aufspalten. Vielmehr bildet ihre Gesamtheit die Vergütungsordnung, bei deren Aufstellung und Veränderung der Betriebsrat mitzubestimmen hat (vgl. BAG 15. April 2008 – 1 AZR 65/07 – Rn. 32, NZA 2008, 888). Die Vergütungsstruktur wird daher regelmäßig geändert, wenn nur einer der mehreren Bestandteile, aus denen sich die Gesamtvergütung zusammensetzt, gestrichen, erhöht oder vermindert wird. Die Vergütungsstruktur wird auch dann geändert, wenn sich durch die Streichung einer Jahreszuwendung zwar nicht der relative Abstand der jeweiligen Gesamtvergütungen zueinander verändert, aber Teile der Gesamtvergütung nicht mehr als zusätzliche Einmalzahlung zu einem bestimmten Datum geleistet werden, sondern die Gesamtvergütung auf monatlich gleichbleibende Beträge verteilt wird (BAG 28. Februar 2006 – 1 ABR 4/05 – Rn. 18 aaO; 15. April 2008 – 1 AZR 65/07 – Rn. 25 aaO).
[27] b) Hiernach wirken die Bestimmungen der BV 1995 gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG über die durch die Kündigung zum 31. Dezember 2001 eingetretene Beendigung hinaus nach. Die BV 1995 ist teilmitbestimmt. Soweit sie – teils durch Verweisung auf die Lohn- und Vergütungstarifverträge des Bundes und der Länder, teils durch eigenständige Bestimmungen – die Höhe der Vergütung regelt, unterliegt sie nicht der zwingenden Mitbestimmung. Soweit sie die betriebliche Vergütungsstruktur regelt, handelt es sich um eine nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtige Angelegenheit. Da die Beklagte nicht tarifgebunden ist, sind sämtliche in der Betriebsvereinbarung geregelten Vergütungsbestandteile – im mitbestimmungsrechtlichen Sinn – "freiwillige Leistungen". Die Beklagte hat nicht sämtliche Vergütungsbestandteile gestrichen. Sie hat ersichtlich nur die Jahreszuwendung eingestellt und erbringt weiterhin die übrigen Vergütungsbestandteile. Mit der Streichung der Weihnachtszuwendung war nicht lediglich eine gleichmäßige Absenkung des Vergütungsniveaus verbunden, durch welche die Vergütungsstruktur unberührt geblieben wäre. Es spricht vieles dafür, dass sich durch die Streichung der Weihnachtszuwendung die Relationen der Vergütungen der einzelnen Arbeitnehmer schon deshalb veränderten, weil die BV 1995 ua. auch absolute Beträge, wie das Urlaubsgeld, vorsieht. Dies kann jedoch dahinstehen. In jedem Fall erfolgte eine Änderung bestehender Entlohnungsgrundsätze dadurch, dass künftig Teile der Gesamtvergütung nicht mehr als zusätzliche Einmalzahlung zu einem bestimmten Datum geleistet werden, sondern die Gesamtvergütung auf monatlich gleichbleibende Beträge verteilt wird. Diese Änderung der Entlohnungsgrundsätze konnte die Beklagte wirksam nicht ohne den Betriebsrat vornehmen.
[28] 3. Die nachwirkende BV 1995 begründet einen Anspruch der Klägerin in Höhe von 1.949,22 Euro. Nach § 3 Abs. i Satz 2 BV 1995 beträgt die Zuwendung "ein Monatsgehalt". Was hierunter zu verstehen ist, ergibt sich aus der Erläuterung in der anschließenden Klammer. Danach setzt es sich zusammen aus "Grundgehalt, Ortszuschlag, Stellenzulage und Schichtzulage, ohne Berücksichtigung von Zeitzuschlägen". Das Grundgehalt der Klägerin betrug zuletzt 1.283,22 Euro, der Ortszuschlag 575,03 Euro und die "allgemeine Zulage" 90,97 Euro. Die "allgemeine Zulage" ist ersichtlich eine Stellenzulage im Sinne der BV 1995. Die drei Positionen ergeben zusammen den Betrag von 1.949,22 Euro. Nicht zu berücksichtigen sind dagegen die "anrechenbare übertarifliche Zulage" von 492,74 Euro und der Arbeitgeberanteil zu den vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von 6,65 Euro. Die Aufzählung der maßgeblichen Vergütungsbestandteile in § 3 Abs. i BV 1995 ist ersichtlich abschließend.
[29] II. In Höhe von 499,39 Euro brutto ist die Klage unbegründet. Ein Anspruch folgt insoweit weder aus der BV 1995 noch aus einer Gesamtzusage oder einer betrieblichen Übung. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Beklagte bezahlte das Weihnachtsgeld in der Vergangenheit ausschließlich im Hinblick auf die BV 1995 und zur Erfüllung der sich daraus ergebenden Verpflichtungen ohne zusätzlichen eigenständigen Verpflichtungswillen.