Bundesarbeitsgericht
Eingruppierung eines Oberarztes
BAG, Urteil vom 9. 12. 2009 – 4 AZR 687/08 (lexetius.com/2009,4445)
[1] Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 30. Juli 2008 – 11 Sa 1131/07 – aufgehoben.
[2] Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Passau – Kammer Deggendorf – vom 21. September 2007 – 1 Ca 384/07 D – wird zurückgewiesen.
[3] Der Kläger hat auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
[4] Tatbestand: Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, den Kläger nach der Entgeltgruppe III des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom 17. August 2006 (TV-Ärzte/VKA), der von der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände und dem Marburger Bund abgeschlossen wurde, zu vergüten.
[5] Der Kläger ist approbierter Arzt, Facharzt für Urologie und Mitglied des Marburger Bundes. Er wurde zum 1. Mai 1982 vom Beklagten, der das Klinikum des Landkreises D als Eigenbetrieb unterhält und Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband B ist, eingestellt. Zunächst war er in der Urologischen Abteilung des Klinikums als Assistenzarzt, dann als Facharzt, anschließend als Oberarzt und schließlich als leitender Oberarzt und ständiger Vertreter des Chefarztes eingesetzt. Vom 1. August 2002 bis zum 14. Juni 2005 bekleidete der Kläger die Stabsstelle Medizincontrolling an der Eigenbetriebsleitung des Klinikums. Zum 15. Juni 2005 versetzte ihn der Beklagte mit Versetzungsschreiben der Werkleiterin vom 2. Juni 2005 mit je zur Hälfte seiner Arbeitszeit als Oberarzt im Hintergrunddienst in die Urologische Abteilung und in das sog. Patientenmanagement. Das Patientenmanagement besteht nach dem Organigramm des Klinikums aus verschiedenen Untergliederungen, ua. dem sog. Casemanagement, dem der Kläger personell zugeordnet ist und dem neben ihm und dem aus der Verwaltung stammenden Leiter noch zwölf aus dem Krankenpflegerbereich stammende sog. Casemanager angehören. Das Patientenmanagement stellt im Organigramm des Klinikums eine eigene Säule zwischen der kaufmännischen Abteilung und den medizinischen Kliniken dar. Der Kläger ist der einzige Arzt im Patientenmanagement.
[6] Nach der Stellenbeschreibung vom 20. April 2007 umfasst das diesbezügliche Aufgabengebiet des Klägers folgenden Inhalt:
"1. Selbstständig durchgeführte Leistungen:
- regelmäßige Schulungen der Casemanager und des ärztlichen Personals zum DRG-System, sozialrechtlichen Fragen (einschlägige Gesetze, G-AEP-Kriterien Ergebnisse MDK Fallprüfungen)
- Vorbereitung der MDK-Fallprüfungen im Hause mit den Casemanagern mit vollständiger Überprüfung der Kodierungen und Verweildauern
- medizinische und sozialrechtliche Begleitung der MDK-Fallprüfungen
- Erstellung von Widerspruchsgutachten bei strittigen MDK-Gutachten und Leistungsrechtlichen Krankenkassenentscheidungen (Gesetzliche- und Privatkassen)
- Beantwortung von Anfragen zu Kodierfragen und zum Fallmanagement (telefonisch, E-Mail)
- Regelmäßige Überwachung der externen Qualitätssicherung nach § 137 SGB V mit Erstellung Monatsstatistik, Durchführung der Exporte an die BAQ, Erstellen der jährlichen Soll-Ist-Statistik
Hilfestellung und primäre Bearbeitung bei Softwareproblemen
2. Beratung
- der Werkleitung in sozialmedizinischen Fragen
- der Leitung und Mitarbeiter Patientenverwaltung in medizinischen Fragen
- Beratung des Patientenmanagements in Regreßfragen
3. Teilnahme an regelmäßigen Jour-Fix-Terminen mit Werkleitung und Casemanagern".
[7] Nach Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA zahlte der Beklagte dem Kläger eine Vergütung nach der Entgeltgruppe II TV-Ärzte/VKA (Fachärztin/Facharzt mit entsprechender Tätigkeit). Mit Schreiben vom 1. März 2007 machte der Kläger erfolglos Vergütung nach der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA (Oberärztin/Oberarzt) seit dem 1. August 2006 geltend.
[8] Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er sei als Oberarzt in der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA eingruppiert. Es handele sich bei dem Patientenmanagement, in dem er zur Hälfte seiner Arbeitszeit beschäftigt sei, um einen selbständigen Teilbereich. In diesem bearbeite er sämtliche medizinischen Fragestellungen alleinverantwortlich. Für die Casemanagerinnen und -manager lege er die Form der Fallberechnungen mittels Kodierungen fest. Das erfordere ein breites medizinisches Wissen und sei wirtschaftlich von erheblicher Tragweite. Diese Tätigkeit sei ihm im Schreiben des Beklagten vom 2. Juni 2005 auch ausdrücklich als Oberarzt zugewiesen worden.
[9] Der Kläger hat zuletzt beantragt festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger seit dem 1. August 2006 Vergütung nach der Vergütungsgruppe III (Oberärztin/Oberarzt) gemäß § 16 Buchst. c) des Tarifvertrages für Ärztinnen/Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom 17. August 2006 zu zahlen.
[10] Der Beklagte hat die Klageabweisung beantragt. Er hat die Ansicht vertreten, der Kläger sei lediglich sog. Titular-Oberarzt. Das ihm zugewiesene Aufgabenspektrum im Patientenmanagement umfasse nur beratende, nicht aber letztverantwortliche Funktionen. Der Kläger habe sich dabei mit den DRG-Fallpauschalen auseinander zu setzen und die Rechnungstechnik der einzelnen Casemanager zu überwachen. Er unterliege dabei jedoch selbst wieder dem Weisungsrecht des Leiters des Case- und Patientenmanagements. Dies sei auch in Widerspruchsverfahren so, in denen der Kläger den Beklagten zwar vertrete, jedoch nicht über das "Ob" der Widerspruchsführung entscheiden könne, weil diese Entscheidung durch den Leiter getroffen werde.
[11] Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
[12] Entscheidungsgründe: Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Klägers gegen das klageabweisende arbeitsgerichtliche Urteil zu Unrecht stattgegeben.
[13] I. Das Landesarbeitsgericht hat die Voraussetzungen der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA als erfüllt angesehen. Aus dem Organigramm des Beklagten ergebe sich, dass das Patientenmanagement als eigener Aufgabenbereich mit Personal ausgestattet und der Werkleitung direkt unterstellt sei; damit sei es als Teilbereich der Klinik im tariflichen Sinne anzusehen. Der Kläger trage als einziger Arzt in diesem Teilbereich die medizinische Verantwortung. Diese sei ihm durch das Schreiben des Beklagten vom 2. Juni 2005 auch ausdrücklich übertragen worden.
[14] II. Die hiergegen gerichtete Revision des Beklagten ist begründet. Die als Eingruppierungsfeststellungsklage nach ständiger Senatsrechtsprechung ohne weiteres zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger erfüllt nicht das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA. Es mangelt jedenfalls an einer Übertragung der medizinischen Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich einer Klinik oder Abteilung.
[15] 1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der TV-Ärzte/VKA Anwendung. Dieser enthält folgende für die Eingruppierung maßgebende Bestimmungen:
"§ 15 Allgemeine Eingruppierungsregelungen
(1) Die Eingruppierung der Ärztinnen und Ärzte richtet sich nach den Tätigkeitsmerkmalen des § 16. Die Ärztin/der Arzt erhält Entgelt nach der Entgeltgruppe, in der sie/er eingruppiert ist.
(2) Die Ärztin/der Arzt ist in der Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihr/ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht.
Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Entgeltgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen. Kann die Erfüllung einer Anforderung in der Regel erst bei Betrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge festgestellt werden, sind dies Arbeitsvorgänge für die Feststellung, ob diese Anforderung erfüllt ist, insoweit zusammen zu beurteilen. Ist in einem Tätigkeitsmerkmal als Anforderung eine Voraussetzung in der Person des Angestellten bestimmt, muss auch diese Anforderung erfüllt sein. …
§ 16 Eingruppierung
Ärztinnen und Ärzte sind wie folgt eingruppiert:
a) Entgeltgruppe I:
Ärztin/Arzt mit entsprechender Tätigkeit.
b) Entgeltgruppe II:
Fachärztin/Facharzt mit entsprechender Tätigkeit
Protokollerklärung zu Buchst. b:
Fachärztin/Facharzt ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, die/der aufgrund abgeschlossener Facharztweiterbildung in ihrem/seinem Fachgebiet tätig ist.
c) Entgeltgruppe III:
Oberärztin/Oberarzt
Protokollerklärung zu Buchst. c:
Oberärztin/Oberarzt ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, der/dem die medizinische Verantwortung für selbständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.
d) Entgeltgruppe IV:
Leitende Oberärztin/Leitender Oberarzt, ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, der/dem die ständige Vertretung der leitenden Ärztin/des leitenden Arztes (Chefärztin/Chefarzt) vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.
Protokollerklärung Buchst. d:
Leitende Oberärztin/Leitender Oberarzt ist nur diejenige Ärztin/derjenige Arzt, die/der die leitende Ärztin/den leitenden Arzt in der Gesamtheit ihrer/seiner Dienstaufgaben vertritt. Das Tätigkeitsmerkmal kann daher innerhalb der Klinik in der Regel nur von einer Ärztin/einem Arzt erfüllt werden."
[16] 2. Das Landesarbeitsgericht hat für die Tätigkeit des Klägers keinen Arbeitsvorgang bestimmt. Der Senat kann eine solche Bestimmung nur dann selbst treffen, wenn die dazu erforderlichen Tatsachen festgestellt sind (BAG 28. Januar 2009 – 4 AZR 13/08 – Rn. 43 ff. mwN, ZTR 2009, 481). Er kann eine Bestimmung jedoch umgekehrt dahinstehen lassen, wenn dies für die Entscheidungsfindung nicht weiter notwendig ist. Davon ist vorliegend auszugehen. Denn selbst in dem für den Kläger günstigsten Fall, dass seine gesamte Tätigkeit im Bereich Patientenmanagement, auf die sich der Kläger allein beruft, als ein einziger Arbeitsvorgang anzusehen wäre und mithin die Hälfte seiner Arbeitszeit bestimmt, ergäbe sich für den Senat keine im Ergebnis abweichende Entscheidungsgrundlage. Auch dann wäre nämlich lediglich die im Patientenmanagement ausgeübte Tätigkeit des Klägers der revisionsgerichtlichen Prüfung unterworfen. Diese erfüllt das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA jedoch nicht.
[17] 3. Der Kläger ist bereits deshalb nicht in der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA eingruppiert, weil ihm nicht die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik/Abteilung im tariflichen Sinne übertragen worden ist. Deshalb kann sowohl dahinstehen, ob es sich bei seiner Tätigkeit im Patientenmanagement überhaupt um eine ärztliche Tätigkeit im Tarifsinne handelt, die allein eine Eingruppierung nach § 16 TV-Ärzte/VKA ermöglicht, als auch, ob das Patientenmanagement als Teil- oder Funktionsbereich einer Klinik oder Abteilung anzusehen ist.
[18] a) Die Eingruppierung eines Arztes (im Hinblick auf die klagende Partei wird im Folgenden stets die männliche Form gewählt) als Oberarzt iSd. Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA setzt nach der zugehörigen Protokollerklärung ua. voraus, dass dem Arzt die medizinische Verantwortung für selbstständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik beziehungsweise Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist. Die Tarifvertragsparteien haben dabei von einer ausdrücklichen Bestimmung dessen, was unter medizinischer Verantwortung im tariflichen Sinne zu verstehen ist, abgesehen. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich jedoch, dass dieses Tätigkeitsmerkmal der Protokollerklärung nur dann erfüllt werden kann, wenn dem Oberarzt ein Aufsichts- und – teilweise eingeschränktes – Weisungsrecht hinsichtlich des medizinischen Personals zugewiesen worden ist. Dabei genügt es nicht, dass in dem Teilbereich Ärzte der Entgeltgruppe I (Assistenzärzte und Ärzte in Weiterbildung) tätig sind. Ihm muss auch mindestens ein Facharzt der Entgeltgruppe II unterstellt sein. Ferner ist idR erforderlich, dass die Verantwortung für den Bereich ungeteilt bei ihm liegt.
[19] aa) Mit der Anforderung, dass sich die übertragene Verantwortung auf den medizinischen Bereich erstrecken muss, haben die Tarifvertragsparteien deutlich gemacht, dass es nicht ausreicht, wenn dem Arzt lediglich die organisatorische oder verwaltungstechnische Verantwortung für den Teil-/Funktionsbereich obliegt (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Stand Juli 2007 Teil IIa TV-Ärzte/VKA § 16 Rn. 51; Dassau/Wiesend-Rothbrust TV-Ärzte/VKA § 16 Rn. 15). Der Arzt muss noch als solcher tätig sein (Bruns/Biermann/Weis Anästhesiologie und Intensivmedizin Mai 2007, S. 1, 5), also mit dem Vorbeugen, dem Erkennen von Ursachen und Auswirkungen von Gesundheitsstörungen sowie ihrer Behandlung beschäftigt sein.
[20] bb) Das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA stellt hinsichtlich der übertragenen Verantwortung maßgebend auf deren Reichweite ab. Diese muss sich in personeller Hinsicht auch auf Fachärzte und in organisatorischer Hinsicht als Alleinverantwortung auf den gesamten betreffenden Bereich der Klinik oder Abteilung beziehen. Das ergibt sich aus der systematischen Stellung dieser Entgeltgruppe innerhalb der durch die Vergütungsordnung gestalteten Hierarchie der Entgeltgruppen.
[21] (1) Die Tätigkeit als Arzt ist grundsätzlich mit einer spezifischen Verantwortung verbunden, die nicht auf andere Personen übertragen werden kann und darf. Nach § 11 Abs. 1, § 2 Abs. 3 der Muster-Berufsordnung für deutsche Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä 1997 idF vom 24. November 2006) ist jeder Arzt im Rahmen der Berufsausübung verpflichtet, seine Patienten gewissenhaft mit geeigneten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu versorgen sowie bei der Übernahme und Ausführung der Behandlung die gebotenen medizinischen Maßnahmen nach den Regeln der ärztlichen Kunst gewissenhaft auszuführen (Teil C Nr. 2 der Grundsätze ärztlicher Berufsausübung). Aus der Freiheit ärztlichen Handelns und der damit verbundenen selbständigen Verantwortung eines jeden Arztes ergibt sich auch eine Begrenzung der Weisungsbefugnis, die sich selbst für einen Chefarzt in einer Klinik darauf beschränkt, den ihm unterstellten Ärzten bestimmte Tätigkeiten und Einzelaufgaben zur selbständigen Erledigung verbindlich zu übertragen (MünchArbR/Richardi 3. Aufl. § 339 Rn. 20).
[22] (2) Aus der Struktur der Regelung in § 16 TV-Ärzte/VKA folgt, dass die den Oberärzten im Tarifsinne obliegende "medizinische" Verantwortung über die allgemeine "ärztliche" Verantwortung eines Assistenzarztes und eines Facharztes deutlich hinausgeht. Dabei wird an die tatsächliche krankenhausinterne Organisations- und Verantwortungsstruktur angeknüpft. Kliniken sind arbeitsteilig organisiert und weisen zahlreiche spezialisierte und fragmentierte Diagnose-, Behandlungs- und Pflegeabläufe mit einer abgestuften Verantwortungsstruktur der handelnden Personen auf (vgl. Genzel in Laufs Handbuch des Arztrechts 3. Aufl. S. 281; Deutsch NJW 2000, 1745, 1746). Dem entspricht die tarifliche Einordnung der medizinischen Verantwortung von Oberärzten, die in § 16 TV-Ärzte/VKA innerhalb der Struktur der Entgeltgruppen nach "unten" und nach "oben" in ein von den Tarifvertragsparteien als angemessen angesehenes Verhältnis gesetzt wird.
[23] (a) Aus der Unterordnung unter den leitenden Arzt und seinen ständigen Vertreter, der in die Entgeltgruppe IV eingruppiert ist, ergibt sich, dass die von einem Oberarzt wahrzunehmende Verantwortung keine Allein- oder Letztverantwortung sein kann. Auch hier entspricht die tarifliche Regelung der krankenhausinternen Organisations- und Verantwortungsstruktur. Die medizinische Letztverantwortung liegt idR beim leitenden Arzt (Chefarzt) und seinem ständigen Vertreter, deren Weisungen der Oberarzt bei seiner Tätigkeit regelmäßig unterliegt (Wahlers PersV 2008, 204, 206; Bruns ArztRecht 2007, 60, 65). Wie sich aus der Systematik von § 16 TV-Ärzte/VKA ergibt, kann dieser Umstand einer Eingruppierung als Oberarzt nicht entgegenstehen. Oberärzte haben insofern eine demgegenüber beschränkte ärztliche Führungsverantwortung und weitgehend selbständige Handlungsverantwortung (Genzel in Laufs/Uhlenbruck Handbuch des Arztrechts 3. Aufl. § 90 Rn. 32).
[24] (b) Auf der anderen Seite muss sich die Reichweite der Verantwortung aus derjenigen, die den Ärzten der unteren Entgeltgruppen I und II TV-Ärzte/VKA übertragen worden ist, deutlich herausheben. Dem Oberarzt muss neben dem nichtärztlichen auch ärztliches Personal unterstellt sein. Nicht ausreichend ist dabei die Führungs- und Weisungsbefugnis gegenüber Assistenzärzten und Ärzten in der Weiterbildung. Die einem Oberarzt übertragene Verantwortung muss sich nach den Tätigkeitsmerkmalen der Entgeltgruppen II und III auch von der eines Facharztes qualitativ unterscheiden. Bezugspunkt dieser gesteigerten Verantwortung ist die mit der Übertragung verbundene organisatorische Kompetenz, die sich in einer gesteigerten Aufsichts- und Weisungsbefugnis niederschlägt. Ein in der Entgeltgruppe II eingruppierter Facharzt übt seine Aufsichts- und Weisungsbefugnis gegenüber den in seinem Bereich tätigen Assistenzärzten und Ärzten in der Weiterbildung aus. Eine Steigerung des quantitativen und qualitativen Maßes dieser Verantwortung ist nur dann gegeben, wenn sich die Verantwortung des Oberarztes nicht nur auf die Assistenzärzte, sondern auch auf mindestens einen Facharzt bezieht (Wahlers PersV 2008, 204, 206). Diese tarifliche Wertigkeit der Stellung und Tätigkeit eines Oberarztes findet in dem nicht unerheblichen Vergütungsabstand der Entgeltgruppe III zu der Entgeltgruppe II TV-Ärzte/VKA ihren Ausdruck. Die Tarifvertragsparteien haben für den ersten Tarifzeitraum mit der monatlichen Differenz von 1.146,00 Euro im Tarifgebiet Ost und 1.200,00 Euro im Tarifgebiet West deutlich gemacht, dass es sich bei dem für die Eingruppierung zentralen Merkmal der übertragenen medizinischen Verantwortung um eine gewichtige Höherbewertung der Verantwortung des Oberarztes nach Entgeltgruppe III gegenüber der Verantwortung des Facharztes nach Entgeltgruppe II handelt.
[25] (3) Die Verantwortung für den jeweiligen Teil-/Funktionsbereich muss darüber hinaus aber auch ungeteilt bestehen. Sie betrifft nicht lediglich einzelne zu erfüllende Aufgaben oder Aufgabenbereiche. Vielmehr geht es um eine auf einen arbeitsteilig organisierten Bereich bezogene Leitungs- und Verantwortungsstruktur. Die medizinische Verantwortung für einen Teilbereich im Tarifsinne kann daher nicht bei mehreren Ärzten liegen, ohne dass es hier auf eine Unterscheidung von Teil- oder Funktionsbereichen der Klinik oder der Abteilung ankommt. Das ergibt sich aus dem von den Tarifvertragsparteien gewählten bestimmten Artikel "die", mit dem eine einheitliche Verantwortung bezeichnet ist, die innerhalb des zugewiesenen Bereichs einheitlich und allein wahrzunehmen ist. Eine geteilte medizinische Verantwortung innerhalb der organisatorischen Einheit ist regelmäßig nicht ausreichend für eine Eingruppierung nach der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA. Etwas anderes mag in Betracht kommen, wenn es um eine echte Arbeitsplatzteilung (Jobsharing) geht. Eine solche liegt jedoch nicht vor, wenn in einer organisatorischen Einheit mehrere Titularoberärzte tätig sind, die nur teil- oder zeitweise, etwa bei den Hintergrunddiensten, jeweils allein verantwortlich sind.
[26] Aus der Protokollerklärung der Tarifvertragsparteien zur Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA, wonach dieses Tätigkeitsmerkmal eines ständigen Vertreters des Chefarztes innerhalb einer Klinik nur von einem Arzt erfüllt werden kann, ist nicht zu folgern, eine entsprechende Bestimmung für den Oberarzt nach der Entgeltgruppe III habe in Bezug auf den Teilbereich einer Klinik oder Abteilung damit ausgeschlossen werden sollen. In der Protokollerklärung zur Entgeltgruppe IV wird der dort verwendete Begriff der ständigen Vertretung erläutert und sodann aus dieser Erläuterung gefolgert, dass nur jeweils ein Arzt für eine Klinik ständiger Vertreter sein könne. Das schließt nicht aus, dass eine sinngemäß ähnliche Folgerung für die Oberärzte nach Entgeltgruppe III für den Teilbereich einer Klinik oder Abteilung im Wege der Tarifauslegung aus dem Wortlaut des dort von den Tarifvertragsparteien bestimmten Tätigkeitsmerkmals entnommen wird. Die sich aus der konkreten Formulierung des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe IV ergebende Unklarheit, der die Tarifvertragsparteien mit der Protokollerklärung abhelfen wollten, ist bei der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA nach dem oben Dargelegten nicht gegeben.
[27] b) Nach diesen Maßstäben ist dem Kläger keine medizinische Verantwortung im Tarifsinne übertragen worden. Dem Kläger ist kein Facharzt der Entgeltgruppe II und kein Arzt der Entgeltgruppe I TV-Ärzte/VKA unterstellt. Das Landesarbeitsgericht hat aus der Tatsache, dass der Kläger im Bereich des Patientenmanagements der einzige approbierte Arzt ist, gefolgert, dass die medizinische Verantwortung für diesen Teilbereich bei ihm liege. Da die vom Kläger ausgeübte Verantwortung sich jedoch unstreitig allenfalls auf nichtärztliches Personal erstreckt, liegt die von den Tarifvertragsparteien vorausgesetzte, gegenüber der Verantwortung von Ärzten nach der Entgeltgruppe I oder Fachärzten nach der Entgeltgruppe II deutlich höher bewertete Verantwortung eines Oberarztes nach der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA beim Kläger nicht vor.