Bundessozialgericht
Krankenversicherung – schwerhöriger Versicherter – Anspruch auf Versorgung mit einer Lichtsignalanlage – Bezuschussung durch Pflegeversicherung bei fester Verbindung der Lichtsignalanlage mit Gebäude

BSG, Urteil vom 29. 4. 2010 – B 3 KR 5/09 R (lexetius.com/2010,2459)

[1] Tatbestand: Streitig ist die Bewilligung einer Lichtsignalanlage als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für eine hochgradig schwerhörige Versicherte.
[2] Die 1963 geborene Klägerin leidet an einer hochgradigen, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Akustische Signale wie zB eine Türklingel kann sie auch mit Hörgeräten nicht wahrnehmen. Ende Dezember 2005 beantragte sie mit vertragsärztlicher Verordnung die Versorgung mit einer Lichtsignalanlage, die akustische Signale mittels Blitzlampen in optische Signale umwandelt. Nach dem beigefügten Kostenvoranschlag eines Hörgeräteakustikers vom 22. 12. 2005 sollte die Lichtsignalanlage aus folgenden Einzelteilen bestehen: 1 TAE-Dreifachadapter zu 13,50 Euro; 1 Türklingelkabel galvanisch, 10 Meter, zu 9,20 Euro; 1 Lisa time Universalwecker zu 212 Euro; 1 Kombisender galvanisch zu 156 Euro; 1 Telefonkabel galvanisch, 10 Meter, zu 7,30 Euro; 1 Vibrationskissen nebst 3 Mignon-Batterien zu 34 Euro sowie 3 Blitzlampen Standard zu 348 Euro. Insgesamt ergaben sich Kosten in Höhe von 780 Euro.
[3] Die beklagte Krankenkasse lehnte den Leistungsantrag ab (Bescheid vom 27. 1. 2006, Widerspruchsbescheid vom 22. 2. 2006). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 31. 5. 2007): Die Lichtsignalanlage könne von der Klägerin bei einem Wohnungswechsel nicht mitgenommen werden, weil nach der gewählten Ausführung eine Kabelverbindung zwischen Sender und Türklingel erforderlich sei. Bei der Lichtsignalanlage handele es sich also nicht um ein Hilfsmittel der GKV, sondern um eine – in die Zuständigkeit der Pflegekassen fallende – Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes (§ 40 Abs 4 SGB XI); nur wegen der individuellen Wohnsituation würden drei Blitzlampen benötigt. Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das erstinstanzliche Urteil geändert und die Beklagte verurteilt, die Kosten für die Lichtsignalanlage gemäß Kostenvoranschlag vom 22. 12. 2005 zu übernehmen (Urteil vom 25. 2. 2009): Die Lichtsignalanlage sei nicht fest mit dem Wohngebäude verbunden und könne in jeder anderen Wohnung mit im Wesentlichen unveränderter Ausführung eingesetzt werden, sodass die Anlage ein Hilfsmittel der GKV darstelle (§ 33 SGB V, § 31 SGB IX). Die Leistungspflicht der Beklagten sei auch nicht eingeschränkt, weil die Ausstattung mit drei Blitzlampen nicht unverhältnismäßig sei.
[4] Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 33 SGB V. Unter Berücksichtigung der vom LSG festgestellten Tatsachen müsse davon ausgegangen werden, dass die Lichtsignalanlage fest mit dem Gebäude verbunden sei; diese könne folglich kein Hilfsmittel der GKV sein. Eine Leistungspflicht nach § 33 SGB V scheide zudem deshalb aus, weil die Lichtsignalanlage als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen sei. Vergleichbare – aber deutlich preiswertere – Geräte würden in Arbeitsbereichen mit hohem Lärmpegel sowie in Tonstudios und Callcentern zum Einsatz kommen.
[5] Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 25. 2. 2009 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Aurich vom 31. 5. 2007 zurückzuweisen.
[6] Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[7] Entscheidungsgründe: Die Revision der Beklagten hat insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Zwar steht der Klägerin grundsätzlich ein Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit einer Lichtsignalanlage zu, weil es sich um ein Hilfsmittel der GKV iS des § 33 Abs 1 SGB V handelt, das seiner Art und Funktion nach im Fall der Klägerin zum Behinderungsausgleich auch geeignet und notwendig ist. Es lässt sich den bisher getroffenen Feststellungen des LSG aber nicht entnehmen, ob zum Behinderungsausgleich sämtliche Komponenten der Lichtsignalanlage erforderlich sind, die im Kostenvoranschlag vom 22. 12. 2005 aufgeführt sind. Das LSG hat die Beklagte zur Hilfsmittelversorgung gemäß diesem Kostenvoranschlag verurteilt, ohne auf die Erforderlichkeit der einzelnen Komponenten näher einzugehen. Außerdem ist zu klären, ob es zu den einzelnen Komponenten – deren Erforderlichkeit unterstellt – preisgünstigere, aber ebenso geeignete Alternativen gibt, wovon die Beklagte ausgeht. Diese Feststellungen hat das LSG im erneut durchzuführenden Berufungsverfahren nachzuholen.
[8] 1. Streitgegenstand ist der Anspruch auf Versorgung mit einer Lichtsignalanlage in Form sämtlicher Einzelbestandteile, wie sie im Kostenvoranschlag vom 22. 12. 2005 aufgeführt und in einem inhaltsgleichen Kostenvoranschlag vom 2. 1. 2006 wiederholt worden sind. Nicht zum Streitgegenstand gehören hingegen zwei "Bescheide" der Beklagten vom 27. 12. 2005, mit denen zum Einen die Versorgung der Klägerin mit einem Lichtwecker für 95 Euro bewilligt und zum Anderen die Versorgung mit den übrigen Komponenten der Lichtsignalanlage abgelehnt werden sollte. Diese "Bescheide" haben das Stadium eines Entwurfs nicht überschritten, sind der Klägerin nicht bekannt gegeben (§ 37 SGB X) und deshalb auch nicht wirksam geworden (§ 39 SGB X). Sie finden sich dementsprechend nur als Entwürfe in den Verwaltungsakten. Die Klägerin ist mit dem Lichtwecker auch nicht versorgt worden. Grund für die unterbliebene Bekanntgabe beider Bescheide war die Unklarheit der ersten von der Klägerin eingereichten vertragsärztlichen Verordnung vom 19. 12. 2005, in der lediglich von einer "Licht-Blitz-Anlage" die Rede ist, also nicht der für Hörgeräteakustiker feststehende Begriff der "Lichtsignalanlage" benutzt worden war. Im Hilfsmittelverzeichnis (HMV, § 139 SGB V) wird zur Kennzeichnung der betroffenen Untergruppe 16. 99. 09 der Produktgruppe 16 "Kommunikationshilfen" der Begriff der "Signalanlagen für Gehörlose" verwandt. Auf Veranlassung der Beklagten ist die unklare Verordnung vom 19. 12. 2005 vernichtet und durch die durch zweite vertragsärztliche Verordnung vom 29. 12. 2005 ersetzt worden, in der es – hilfsmittelrechtlich korrekt – "1 Lichtsignalanlage bei D: hochgradiger, an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit" heißt. Nur um diese zweite Verordnung, deren Umsetzung die Beklagte insgesamt abgelehnt hat, streiten die Beteiligten im vorliegenden Rechtsstreit. Mit ihrem Klageabweisungs- und Revisionsantrag hat die Beklagte zudem bekräftigt, dass sie dem entworfenen Teil-Bewilligungsbescheid hinsichtlich des Lichtweckers auch nicht nachträglich zur Wirksamkeit (§§ 37, 39 SGB X) verhelfen will.
[9] 2. Rechtsgrundlage des Versorgungsanspruchs ist § 33 SGB V in der ab 1. 4. 2007 geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26. 3. 2007 (BGBl I 378), weil bei Leistungsklagen, auch wenn sie – wie hier – mit einer Anfechtungsklage verbunden sind, grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr 34 mwN). Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 33 Abs 1 Satz 4 SGB V umfasst der Anspruch auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. Im vorliegenden Fall geht es um die Variante der Erstausstattung mit einem Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich. Deren Tatbestandsvoraussetzungen sind hier dem Grunde nach erfüllt.
[10] 3. Die Leistungsablehnung ist rechtswidrig, weil eine Lichtsignalanlage hier zum Behinderungsausgleich erforderlich ist. Dieser in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V als 3. Variante genannte Zweck (vgl jetzt auch § 31 Abs 1 Nr 3 SGB IX) eines von der GKV zu leistenden Hilfsmittels hat zweierlei Bedeutung:
[11] a) Im Vordergrund steht der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die gesonderte Prüfung, ob mit der vorgesehenen Verwendung ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung bzw Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis (vgl BSG SozR 4—2500 § 33 Nr 24 RdNr 18 ff zur Versorgung mit einer Badeprothese, die dem – von den normalen Beinprothesen nicht gewährleisteten – sicheren Gehen und Stehen in Nassbereichen dient und deshalb unabhängig davon beansprucht werden kann, dass das Schwimmen eine Freizeitbetätigung darstellt, die nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehört). Der Frage nach der Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens kommt beim unmittelbaren Behinderungsausgleich erst dann Bedeutung zu, wenn es nicht um die erstmalige Behebung eines Funktionsdefizits geht und auch nicht um die reine Ersatzbeschaffung (was bei der Versorgung mit einer Badeprothese in BSG SozR 4—2500 § 33 Nr 24 der Fall war und von Knispel SGb 2010, 359 ff übersehen worden ist), sondern um die Versorgung eines für den Behinderungsausgleich bereits ausreichend ausgestatteten Versicherten mit einem zweiten Hilfsmittel gleicher Art als bloße Zweitausstattung (Reservehaltung), für einen speziellen Zweck (zB Sportbrille für Schüler, BSG SozR 2200 § 182 Nr 73) oder mit einem technisch weiter entwickelten Hilfsmittel (zB computergestütztes statt mechanisches Kniegelenksystem). Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (BSGE 93, 183 = SozR 4—2500 § 33 Nr 8, RdNr 4 – C-leg-Prothese). Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen.
[12] b) Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Rahmen ist die GKV allerdings nur für den Basisausgleich der Folgen der Behinderung eintrittspflichtig. Es geht dabei nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl § 1 SGB V sowie § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSGE 93, 176, 180 = SozR 4—2500 § 33 Nr 7; BSGE 91, 60, 63 = SozR 4—2500 § 33 Nr 3; BSG SozR 3—3300 § 14 Nr 14; stRspr). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört ua die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw eines Schulwissens (BSG SozR 3—2500 § 33 Nr 29 und 46; BSG SozR 4—2500 § 33 Nr 11 RdNr 18). Zum körperlichen Freiraum gehört – im Sinne eines Basisausgleichs der eingeschränkten Bewegungsfreiheit – die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die – üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden – Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (zB Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post), nicht aber die Bewegung außerhalb dieses Nahbereichs. Soweit überhaupt die Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind schon immer zusätzliche qualitative Momente verlangt worden (vgl BSGE 93, 176, 180 = SozR 4—2500 § 33 Nr 7 – Erreichbarkeit ambulanter medizinischer Versorgung für Wachkomapatientin; BSG SozR 3—2500 § 33 Nr 27 – Rollstuhl-Bike für Jugendliche; BSG SozR 3—2500 § 33 Nr 46 – behindertengerechtes Dreirad; BSG SozR 2200 § 182b Nr 13 – Faltrollstuhl).
[13] c) Dem Gegenstand nach besteht für den unmittelbaren ebenso wie für den mittelbaren Behinderungsausgleich Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung. Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist (vgl BSG SozR 3—2500 § 33 Nr 26 S 153; stRspr); andernfalls sind die Mehrkosten gemäß § 33 Abs 1 Satz 5 SGB V (ebenso § 31 Abs 3 SGB IX) von dem Versicherten selbst zu tragen. Demgemäß haben die Krankenkassen nicht für solche "Innovationen" aufzukommen, die keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik beschränken (BSG SozR 3—2500 § 33 Nr 44; BSGE 93, 183, 188 = SozR 4—2500 § 33 Nr 8).
[14] 4. Nach Maßgabe dieser Grundsätze über die Hilfsmittelversorgung im Rahmen der GKV beim unmittelbaren und mittelbaren Behinderungsausgleich (3. Variante des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V und des § 31 Abs 1 Nr 3 SGB IX) geht es bei einer Lichtsignalanlage für Gehörlose und hochgradig Schwerhörige nicht um einen unmittelbaren Behinderungsausgleich, weil nicht das Hörvermögen wiederhergestellt oder gestärkt wird, wie es zB bei der Versorgung mit Hörgeräten der Fall ist. Nicht das Hören selbst wird ermöglicht oder erleichtert, sondern das fehlende Hörvermögen durch die Nutzung des nicht beeinträchtigten Sehvermögens kompensiert, indem akustische Signale, wie zB das Läuten der Türklingel oder des Telefons, in optische Signale (zB Lichtblitze) umgewandelt werden. Der gehörlose Versicherte hört nicht das Läuten der Türklingel, sondern sieht, dass die Türklingel bedient wird. Ebenso kann die Kompensation des fehlenden Hörvermögens durch die Umwandlung von akustischen in taktile Signale erfolgen, wie es zB beim Einsatz von Vibrationskissen der Fall ist. Der Ersatz eines ausgefallenen bzw beeinträchtigten Sinnes durch die Nutzung eines intakten anderen Sinnes stellt sich somit als mittelbarer Behinderungsausgleich dar, bei dem – wie ausgeführt – zu prüfen ist, ob ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist.
[15] Die Lichtsignalanlage ist erforderlich zur Verwirklichung eines solchen Grundbedürfnisses. Das selbstständige Wohnen sowie das Kommunizieren mit anderen Menschen gehört zu diesen Grundbedürfnissen. Es geht um die passive Erreichbarkeit durch Menschen aus dem Bereich der Außenwelt nicht nur für angemeldete, sondern gerade auch für spontane Besuche (BSG SozR 2200 § 182b Nr 33 zur Klingelleuchte). Die Verwirklichung dieses Grundbedürfnisses erfordert, dass das für Gesunde hörbare Türklingelgeräusch in ein für die Klägerin wahrnehmbares Signal umgewandelt wird.
[16] 5. Die Lichtsignalanlage ist auch nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens von der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgenommen (§ 33 Abs 1 Satz 1, letzter Halbs SGB V). Die Einordnung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens hängt davon ab, ob ein Gegenstand bereits seiner Konzeption nach den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern oder eine Behinderung ausgleichen soll oder – falls dies nicht so ist – den Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen jedenfalls besonders entgegenkommt und von gesunden, körperlich nicht beeinträchtigten Menschen praktisch nicht genutzt wird (BSG SozR 3—2500 § 33 Nr 22 zum Personalcomputer). Was regelmäßig auch von Gesunden benutzt wird, fällt nicht in die Leistungspflicht der Krankenkassen, wobei es auf einen bestimmten prozentual messbaren Verbreitungsgrad in der Bevölkerung oder einen Mindestpreis nicht ankommt (BSG SozR 3—2500 § 33 Nr 33 zum Luftreinhaltungsgerät II). Nicht ausschlaggebend ist, ob der Gegenstand aus Vermarktungsgründen als "medizinisches Hilfsmittel" beworben wird (BSG SozR 3—3300 § 40 Nr 7 zum elektrisch verstellbaren Sessel).
[17] Gegen die Einordnung der Lichtsignalanlage als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens spricht zunächst, dass derartige Geräte in der Produktgruppe 16 im HMV der GKV (§ 139 SGB V) als Kommunikationshilfe aufgeführt werden. Das HMV ist zwar nicht geeignet, Ansprüche der Versicherten im Sinne einer Positivliste auszuschließen (BSG SozR 3—2500 § 33 Nr 16, 20, 27; BSGE 99, 197 = SozR 4—2500 § 33 Nr 16, RdNr 20). Wenn aber ein Gegenstand im HMV gelistet ist, spricht dies im Sinne einer Orientierungshilfe zugunsten des Versicherten dafür, den Gegenstand nicht als allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen. Dem Anspruch der Klägerin steht auch nicht entgegen, dass Funktürklingeln mit optischem Signal auch von gesunden Menschen am Arbeitsplatz genutzt werden, um einen hohen Geräuschpegel zu umgehen oder die notwendige Stille zu gewährleisten (zB Werkshallen, Callcenter, Tonstudio). Bei beruflich veranlasster Verwendung von Klingeln mit optischem Signal handelt es sich gerade nicht um eine Nutzung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, da Grund für den Einsatz allein besondere äußere Umstände des Arbeitsplatzes sind, die für das normale tägliche Leben nicht prägend sind.
[18] 6. Die Lichtsignalanlage ist auch ein beweglicher Gegenstand iS von § 31 Abs 1 SGB IX. Von der Krankenkasse zu leistende Hilfsmittel zur medizinischen Rehabilitation iS von § 26 Abs 2 Nr 6 SGB IX – um solche handelt es sich, wenn wie hier mit dem Hilfsmittel ein Behinderungsausgleich bezweckt wird – müssen nach § 31 Abs 1 SGB IX getragen, mitgeführt oder zumindest bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können. Der Hilfsmittelbegriff des § 31 SGB IX gibt insoweit den Regelungsgehalt des § 33 SGB V wieder, wie er auch vor Inkrafttreten des SGB IX von der Rechtsprechung entwickelt worden ist (BSG SozR 4—2500 § 33 Nr 3 RdNr 14). Für das – hier entscheidende – Kriterium der Mitnahmemöglichkeit kommt es darauf an, ob das Gerät so in das Gebäude eingebaut ist, dass es nach der Verkehrsauffassung auch bei einem Umzug in der alten Wohnung verbleibt und der Einbau von Dauer ist. Kann das Gerät bei einem Wohnungswechsel ohne wesentliche verbleibenden Folgen, insbesondere ohne nennenswerte Substanzbeeinträchtigung an Wänden, Decken und Fußböden, ausgebaut und mit vertretbarem Aufwand in einer neuen Wohnung wieder eingebaut werden, liegt ein beweglicher Gegenstand iS von § 31 Abs 1 SGB IX vor (BSGE 101, 22 = SozR 4—3300 § 40 Nr 8, RdNr 21 – Deckenlifter). Insoweit hat die frühere Rechtsprechung des Senats, wonach keine Leistungspflicht der Krankenkassen nach § 33 SGB V besteht, wenn eine Klingel- oder Signalleuchte mit dem Gebäude fest verbunden ist (BSG SozR 3—2500 § 33 Nr 30 unter teilweiser Aufgabe von BSG SozR 2200 § 182b Nr 33, weil dort Klingelleuchten unabhängig von der Art ihres Einbaus immer als Hilfsmittel eingestuft wurden), eine Modifizierung erfahren.
[19] Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die begehrte Lichtsignalanlage nicht als fester Bestandteil der Wohnung anzusehen. Nach den gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG besteht die Lichtsignalanlage aus beweglichen Einzelteilen, wobei die Telefonanlage und die Türklingel mittels Kabel mit dem Sender der Lichtsignalanlage verbunden werden. Klingelkabel und Telefonkabel können ohne größeren Aufwand wieder gelöst werden. Die vom Sender aufgenommenen Signale werden in Funkimpulse umgewandelt und über das normale Stromnetz zum Empfänger, den Blitzlampen, übertragen. Ob für die Installation der Anlage ggf aus Sicherheitsgründen auf die fachmännische Hilfe eines Elektrikers zurückgegriffen werden sollte, wie die Bedienungsanleitung der Lichtsignalanlage jedenfalls bei Anschluss einer Gegensprechanlage empfiehlt, ist dabei ohne Belang. Angesichts einiger weniger Kabelverbindungen kann es sich nur um einen zeitlich geringfügigen Aufwand handeln, der zudem einen wesentlichen Eingriff in die Bausubstanz der Wohnung nicht erfordert. Anders wäre es beispielsweise, wenn das Verbindungskabel zwischen Türklingel und Sender unter Putz gelegt oder durch eine Wand geführt wurde oder die Halterungen der Blitzlampen in die Wände eingelassen wären. In einem solchen Fall wäre der Einbau der Lichtsignalanlage als Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes einzustufen, für deren Bezuschussung die Pflegekassen zuständig sind (§ 40 Abs 4 SGB XI).
[20] 7. Die Lichtsignalanlage ist auch nicht als sonstige Maßnahme zur Anpassung des individuellen Umfeldes an die Bedürfnisse des behinderten Menschen von der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgenommen. Über das Kriterium der Beweglichkeit iS von § 31 Abs 1 SGB IX hinaus hat der Senat aus dem Verhältnis von § 31 Abs 1 SGB IX zu § 33 SGB V sowie in Abgrenzung zu den von der Pflegekasse als Ermessensleitung zu erbringenden Leistungen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes nach § 40 Abs 4 SGB XI abgeleitet, dass ungeachtet ihrer Beweglichkeit diejenigen Mittel aus der Leistungspflicht der GKV ausgenommen sind, die "sonst der Anpassung des individuellen Umfeldes an die Bedürfnisse des behinderten Menschen dienen" (BSGE 101, 22 = SozR 4—3300 § 40 Nr 8, RdNr 13 mwN – Deckenlifter). Hilfen, die auf die individuelle Wohnsituation zugeschnitten sind und ggf gerade wegen dieser besonderen Wohnsituation benötigt werden, zählen daher ungeachtet ihrer Beweglichkeit nicht zu den von der Krankenkasse nach § 33 SGB V zu leistenden Hilfsmitteln (zB speziell auf die Bedürfnisse von kleinwüchsigen Menschen oder Rollstuhlfahrern zugeschnittene Möbel und Kücheneinrichtungen). Diese Eigenschaft hat die Lichtsignalanlage nicht, denn aufgrund der nahezu aufgehobenen Hörfähigkeit der Klägerin könnte diese auch in keiner anderen Wohnung eine Türklingel oder ein Telefon akustisch wahrnehmen.
[21] Die Lichtsignalanlage wird auch nicht deshalb zu einer Maßnahme zur Anpassung des Wohnumfeldes, weil aufgrund der individuellen Wohnsituation der Klägerin drei Blitzlampen angeschafft werden sollen. Denn die nach § 33 SGB V zu beanspruchenden Hilfsmittel umfassen auch die im Einzelfall individuell benötigten Zubehörteile (BT-Drucks 11/2237 S 18f, 174). Die Blitzlampen sind als funktionell unselbstständige Zubehörteile anzusehen, da sie ihren Zweck nur erfüllen können, wenn die eingehenden Signale über den Kombisender vermittelt werden. Als unselbstständiges Zubehörteil der Lichtsignalanlage (vgl allgemein zu unselbstständigen Teilen: BSG SozR 3—3300 § 40 Nr 6 S 31 – Gegensprechanlage) teilen die Lampen den Hilfsmittelcharakter der Anlage.
[22] 8. Ob die Klägerin Anspruch auf Versorgung im vom LSG tenorierten Umfang hat, lässt sich nach den bisherigen Feststellungen allerdings nicht abschließend beurteilen. Die Leistungspflicht nach § 33 Abs 1 SGB V beschränkt sich auf die kostengünstigste Hilfsmittelversorgung, also auf die Versorgung des Versicherten mit ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Hilfsmitteln (§ 12 Abs 1 Satz 1 SGB V). Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, wenn für den angestrebten Nachteilsausgleich eine funktionell ebenfalls geeignete, aber kostengünstigere Versorgung möglich ist. Es ist bereits ausgeführt worden, dass das LSG alle Komponenten der Lichtsignalanlage, wie sie im Kostenvoranschlag vom 22. 12. 2005 aufgeführt sind, auf ihre Notwendigkeit und Preisgünstigkeit hin zu prüfen hat. Zusätzlich ist aber zu beachten, dass mit der Verordnung einer Lichtsignalanlage grundsätzlich nur Anlagen mit optischen Signalen erfasst werden. Soweit akustische durch taktile Signale ersetzt werden, wie es zB bei den Vibrationskissen der Fall ist, handelt es sich zwar um "Signalanlagen für Gehörlose" im Sinne der Untergruppe 16. 99. 09 der Produktgruppe 16 ("Kommunikationshilfen") des HMV, nicht aber um "Lichtsignalanlagen" im eigentlichen Sinne. Das LSG wird deshalb ebenfalls zu prüfen haben, ob das im Kostenvoranschlag genannte Vibrationskissen, das zu den taktilen Signalgebern gehört, von der verordneten optischen Signalanlage überhaupt umfasst ist. Dies könnte zB der Fall sein, wenn ein Vibrationskissen üblicherweise als Zubehör zu einer Lichtsignalanlage angesehen wird (vgl zB die Produktart "Blitz- und Vibrationswecker" Nr 3000—3999 sowie die Produktart "Signalempfänger mit taktiler Ausgabe" Nr 1000—1999).
[23] 9. Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden.