Europäischer Gerichtshof
"Vorabentscheidungsersuchen – Erledigung"
Das mit Entscheidung vom 27. Juni 2008 vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Deutschland) ist erledigt.

EuGH, Beschluss vom 14. 10. 2010 – C-336/08 (lexetius.com/2010,4650)

[1] In der Rechtssache C-336/08 betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. Juni 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Juli 2008, in dem Verfahren Christel Reinke gegen AOK Berlin erlässt DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer) unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis, J. Malenovský (Berichterstatter) und T. von Danwitz, Generalanwalt: N. Jääskinen, Kanzler: A. Calot Escobar, nach Anhörung des Generalanwalts folgenden Beschluss (*):
[2] 1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 31 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und von Art. 34 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. L 74, S. 1), in ihren durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassungen (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71 und Verordnung Nr. 574/72) sowie der Art. 18 EG, 49 EG und 50 EG.
[3] 2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Reinke und der AOK Berlin, einer Krankenversicherung, in dem es um die Erstattung der Kosten geht, die Frau Reinke aufgrund einer Behandlung in der Intensivstation eines Privatkrankenhauses in Spanien entstanden sind.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
[4] 3 Im August 2003 hielt sich Frau Reinke in Spanien auf, wobei sie den Krankenversicherungsschein E 111 mitführte.
[5] 4 Am. 2. August 2003 erkrankte sie mit Übelkeit, Erbrechen und Verschwommensehen. Am folgenden Tag wurde sie im Krankenwagen zur Notfallstation in das öffentliche Costa-del-Sol-Krankenhaus in Marbella (Spanien) gefahren. Dort schickte man sie nach zehn Stunden Wartezeit wegen des in diesem Krankenhaus herrschenden Bettenmangels wieder nach Hause.
[6] 5 Am 6. August 2003 vermutete ein Notarzt, der in die Wohnung von Frau Reinke gerufen worden war, einen Schlaganfall bei ihr und wies sie deshalb erneut in das Costa-del-Sol-Krankenhaus ein. Die Notfallaufnahme des Krankenhauses wies sie ab, weil kein Bett frei sei, und leitete sie an das private USP-Hospital-de-Marbella weiter, wo sie aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung auf der Intensivstation aufgenommen wurde.
[7] 6 Erst am 19. August 2003 konnte Frau Reinke schließlich in das Costa-del-Sol-Krankenhaus verlegt werden.
[8] 7 Am 19. August 2003 stellte das USP-Hospital Frau Reinke 21 954,18 Euro Behandlungskosten in Rechnung. Von diesem Betrag erstattete die AOK Berlin Frau Reinke nach und nach insgesamt 12 883,84 Euro im Rahmen des Verwaltungsverfahrens, wobei sie den durchschnittlichen im August 2003 geltenden Pflegesatz der Intensivstationen der Krankenhäuser in Berlin (Deutschland) zugrunde legte.
[9] 8 Angesichts der nur teilweisen Erstattung ihrer Behandlungskosten durch die AOK Berlin erhob Frau Reinke vor dem Sozialgericht Berlin Klage auf Übernahme der gesamten Kosten.
[10] 9 Nach Abweisung ihrer Klage durch das Sozialgericht Berlin legte Frau Reinke Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ein. Sie machte vor diesem Gericht geltend, dass sie aus Art. 31 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 einen Anspruch auf Sachleistungen nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften habe. Daher habe sie einen Anspruch auf Erstattung der gesamten Kosten ihrer Notfallbehandlung.
[11] 10 Unter diesen Umständen hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Umfasst der Anspruch auf Kostenerstattung nach Art. 34 Abs. 4 und 5 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 auch Kosten, die durch eine Notfallbehandlung einer zur Inanspruchnahme der Leistungen nach Art. 31 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 berechtigten Rentnerin in einer Privatklinik des Aufenthaltsortes veranlasst wurden, wenn das zuständige Krankenhaus die Behandlung als Sachleistung wegen Überlastung abgelehnt hat?
2. Kann eine Beschränkung der Kostenerstattung auf Erstattungssätze nach Art. 34 Abs. 4 der Verordnung Nr. 574/72 erfolgen, wenn die Bezahlung der Sachleistung der Krankenhäuser durch den zuständigen Träger nicht abstrakt-generell nach Sätzen erfolgt, sondern individuell einzeln vertraglich geregelt ist und zudem nach nationalem Recht auch keine Beschränkung der Sachleistung auf Behandlung in bestimmten Krankenhäusern besteht?
3. Ist eine nationale Vorschrift, nach der eine Erstattung der Kosten einer Behandlung in einem Privatkrankenhaus im EU-Ausland auch im Falle einer Notfallbehandlung ausgeschlossen ist, mit Art. 49 EG und 50 EG sowie Art. 18 EG vereinbar?
Verfahren vor dem Gerichtshof
[12] 11 Mit Schreiben vom 4. Dezember 2008 hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof mitgeteilt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt habe, da die AOK Berlin den Anspruch auf Erstattung der Kosten, die Frau Reinke entstanden sind, anerkannt habe.
[13] 12 Dieses Gericht führt jedoch aus, dass es das Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten wolle, um über die Kosten des Verfahrens entscheiden zu können, da das Anerkenntnis der AOK Berlin bezüglich der Ansprüche von Frau Reinke die Kosten von Frau Reinke nicht mit umfasse. Falls die Parteien aber keine außergerichtliche Einigung erzielen sollten, habe das vorlegende Gericht darüber zu entscheiden, ob die Kosten der Beklagten oder der Klägerin aufzuerlegen seien, wobei das für eine solche Entscheidung maßgebliche Kriterium regelmäßig der voraussichtliche Erfolg der Klage sei.
Zum Vorabentscheidungsersuchen
[14] 13 Nach ständiger Rechtsprechung ist das in Art. 267 AEUV vorgesehene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mittels dessen der Gerichtshof den Gerichten Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gibt, die sie zur Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten benötigen (vgl. u. a. Urteile vom 8. November 1990, Gmurzynska-Bscher, C-231/89, Slg. 1990, I-4003, Randnr. 18, vom 12. März 1998, Djabali, C-314/96, Slg. 1998, I-1149, Randnr. 17, und vom 21. Januar 2003, Bacardi-Martini und Cellier des Dauphins, C-318/00, Slg. 2003, I-905, Randnr. 41).
[15] 14 In der vorliegenden Rechtssache hat die deutsche Regierung den Gerichtshof darauf hingewiesen, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt habe, da die AOK Berlin anerkannt habe, dass Frau Reinke Anspruch auf Erstattung der ihr entstanden Kosten habe.
[16] 15 Auf Anfrage des Gerichtshofs hat das vorlegende Gericht in seinem Schreiben vom 4. Dezember 2008 bestätigt, dass sich der Rechtsstreit aus diesem Grund in der Hauptsache erledigt habe; es hat jedoch dargelegt, dass es das Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten wolle, um über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Insoweit hat es erläutert, dass das für eine Entscheidung über die Kosten maßgebliche Kriterium regelmäßig der voraussichtliche Erfolg der Klage sei.
[17] 16 In Anbetracht dieser Besonderheiten des vorliegenden Falles ist festzustellen, dass die Entscheidung über die Kosten vom Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache abhängt, in dessen Rahmen die Vorlagefragen gestellt worden sind. Da dieser Rechtsstreit jedoch erledigt ist, brauchen die Vorlagefragen nicht mehr beantwortet zu werden.
[18] 17 Unter diesen Umständen ist das Vorabentscheidungsersuchen des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg erledigt.
Kosten
[19] 18 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
* Verfahrenssprache: Deutsch.