Bundesarbeitsgericht
Staatenimmunität – Hoheitliche Tätigkeit – Rechtliches Gehör

BAG, Urteil vom 1. 7. 2010 – 2 AZR 270/09 (lexetius.com/2010,4693)

[1] 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Januar 2009 – 17 Sa 1719/08 – aufgehoben, soweit es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 2. Juli 2008 – 86 Ca 13143/07 – entsprochen hat.
[2] 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
[3] Tatbestand: Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Kündigung, über Annahmeverzugslohn und Weiterbeschäftigung. Dabei steht im Vordergrund die Frage, ob die Beklagte Staatenimmunität genießt.
[4] Der Kläger ist algerischer Herkunft. Er besitzt die algerische und die deutsche Staatsangehörigkeit, beherrscht neben der deutschen die arabische und die französische Sprache und wohnt in Berlin. Die Beklagte ist die Demokratische Volksrepublik Algerien. Sie beschäftigte den Kläger auf der Grundlage eines in französischer Sprache verfassten Arbeitsvertrags seit September 2002 als Kraftfahrer in ihrer Berliner Botschaft. Der Vertrag sieht für Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten die Zuständigkeit der algerischen Gerichte vor und weist den Kläger der deutschen Sozialversicherung zu.
[5] Dem Kläger obliegt es, Gäste und Mitarbeiter – vertretungsweise auch den Botschafter – zu fahren. Ferner hat er die Korrespondenz der Botschaft zu deutschen Stellen oder zur Post zu befördern. Diplomatenpost wird von einem weiteren Mitarbeiter der Botschaft entgegengenommen bzw. weitergeleitet, der seinerseits ua. vom Kläger gefahren wird. Ob der Kläger auch Dolmetscherdienste leistet, ist streitig.
[6] Ende August 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2007.
[7] Der Kläger hat die Kündigung für sozialwidrig gehalten. Als Kraftfahrer sei er nicht hoheitlich tätig geworden, weshalb die Beklagte auch als ausländischer Staat vor deutschen Gerichten verklagt werden könne. International zuständig seien die deutschen, nicht die algerischen Gerichte. Die anderslautende arbeitsvertragliche Vereinbarung stehe dem nicht entgegen. In der Sache sei der Fall nach deutschem Recht zu beurteilen.
[8] Der Kläger hat – soweit für die Revision von Bedeutung – beantragt
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung vom 29. August 2007 aufgelöst worden ist,
2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als Autofahrer der Berliner Botschaft weiterzubeschäftigen,
3. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungserklärung vom 29. August 2007 nicht zum 30. September 2007, sondern erst zum 31. Oktober 2007 geendet hat,
4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 25.459,56 Euro brutto abzüglich 10.781,40 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 1.818,54 Euro brutto abzüglich 770,10 Euro netto seit dem 1. Dezember 2007, 1. Januar, 1. Februar, 1. März, 1. April, 1. Mai, 1. Juni, 1. Juli, 1. August, 1. September, 1. Oktober, 1. November, 1. Dezember 2008 sowie 1. Januar 2009 zu zahlen.
[9] Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, sie sei nach den Grundsätzen der Staatenimmunität von der deutschen Gerichtsbarkeit ausgenommen, weil der Kläger hoheitliche Aufgaben erfüllt habe. Der Kläger sei in einer Vertrauensstellung beschäftigt worden. Er habe nicht nur vertrauliche Unterlagen befördert, sondern vor allem Kontakt zu den Gästen und Mitarbeitern ihrer Botschaft und damit Kenntnis von botschaftsinternen Vorgängen gehabt, die nicht Gegenstand einer Verhandlung vor deutschen Gerichten sein könnten. Bei sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten habe der Kläger auch den Gästen der Botschaft als Dolmetscher zur Verfügung gestanden. International zuständig seien ausschließlich die algerischen Gerichte. Es sei algerisches Recht anzuwenden. Dafür sprächen ua. die algerische Staatsangehörigkeit des Klägers und die Tatsache, dass der Arbeitsvertrag in französischer Sprache abgefasst sei. Die Kündigung sei auf der Grundlage algerischer Rechtsvorschriften gerechtfertigt.
[10] Das Arbeitsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Beklagte für den Streitfall Staatenimmunität genieße. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und im Wesentlichen nach den Klageanträgen erkannt. Mit der vom Landesarbeitsgericht nur für sie zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
[11] Entscheidungsgründe: Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Ob die Beklagte Staatenimmunität genießt, steht noch nicht fest (I.). Gegebenenfalls wird das Landesarbeitsgericht auch die Fragen der internationalen Zuständigkeit und der Anwendbarkeit deutschen oder algerischen Rechts neu zu würdigen haben (II.).
[12] I. Ob die Beklagte der deutschen Gerichtsbarkeit unterfällt, kann der Senat nicht abschließend beurteilen.
[13] 1. Nach § 20 Abs. 2 GVG erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit nicht auf Personen, die gemäß den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit sind. Nach dem als Bundesrecht iSv. Art. 25 GG geltenden allgemeinen Völkergewohnheitsrecht sind Staaten der Gerichtsbarkeit anderer Staaten nicht unterworfen, soweit ihre hoheitliche Tätigkeit von einem Rechtsstreit betroffen ist. Ihre diplomatischen und konsularischen Beziehungen dürfen nicht behindert werden (vgl. zur nach wie vor hohen Bedeutung der Staatenimmunität: BVerfG 6. Dezember 2006 – 2 BvM 9/03BVerfGE 117, 141; BAG 15. Februar 2005 – 9 AZR 116/04 – zu A I 2 a der Gründe mwN, BAGE 113, 327, 331; 23. November 2000 – 2 AZR 490/99 – zu II 3 b der Gründe, AP GVG § 20 Nr. 2 = EzA GVG § 20 Nr. 3). Andernfalls könnte die rechtliche Prüfung durch die Gerichte eine Beurteilung des hoheitlichen Handelns erfordern mit der Folge, dass die ungehinderte Erfüllung der Aufgaben der Botschaft bzw. des Konsulats beeinträchtigt wäre (Senat 16. Mai 2002 – 2 AZR 688/00 – zu II 1 der Gründe, AP GVG § 20 Nr. 3; Schack Internationales Zivilverfahrensrecht 5. Aufl. Rn. 172 ff.).
[14] a) Die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Staatstätigkeit richtet sich nicht nach deren Motiv oder Zweck. Maßgebend ist die Art der umstrittenen staatlichen Handlung oder des streitigen Rechtsverhältnisses (BVerfG 30. April 1963 – 2 BvM 1/62 – zu C II 2 der Gründe, BVerfGE 16, 27, 61 f.; BAG 15. Februar 2005 – 9 AZR 116/04BAGE 113, 327). Mangels völkerrechtlicher Unterscheidungsmerkmale ist die Abgrenzung grundsätzlich nach dem Recht des entscheidenden Gerichts zu beurteilen (BVerfG 30. April 1963 – 2 BvM 1/62 – zu C II 3 der Gründe, BVerfGE 16, 27, 62; BAG 15. Februar 2005 – 9 AZR 116/04 – aaO; 23. November 2000 – 2 AZR 490/99 – zu II 3 c cc der Gründe, AP GVG § 20 Nr. 2 = EzA GVG § 20 Nr. 3; Schack Internationales Zivilverfahrensrecht 5. Aufl. Rn. 176).
[15] b) Gesetzliche Regeln für die Einordnung als hoheitliches oder nichthoheitliches Handeln bestehen im Hinblick auf den Gegenstand arbeitsrechtlicher Streitigkeiten zwischen außereuropäischen Botschaften und ihrem Personal nicht (vgl. das noch nicht in Kraft getretene UN-Übereinkommen zur Staatenimmunität vom 2. Dezember 2004 – Resolution 59/38 – Art. 11; vgl. auch das hier nicht anwendbare Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität vom 16. Mai 1972 – Art. 5, BGBl. II 1990, 34 – EuStImm). Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegen arbeitsrechtliche Bestandsstreitigkeiten zwischen Botschaftsangestellten und dem betreffendem Staat der deutschen Gerichtsbarkeit nicht, wenn der Arbeitnehmer für den anderen Staat hoheitlich tätig war (23. November 2000 – 2 AZR 490/99 – AP GVG § 20 Nr. 2 = EzA GVG § 20 Nr. 3). Es kommt dabei nicht auf die rechtliche Form der Rechtsbeziehung (privatrechtlicher Vertrag oder öffentlich-rechtliches Verhältnis), sondern auf den Inhalt der ausgeübten Tätigkeit an. So ist etwa die Tätigkeit eines Aufzugsmonteurs (Senat 20. November 1997 – 2 AZR 631/96 – zu II 1 der Gründe, BAGE 87, 144, 149) oder Haustechnikers (BAG 15. Februar 2005 – 9 AZR 116/04 – zu A I 2 der Gründe, BAGE 113, 327, 331) nicht hoheitlich. Betrifft die geschuldete Leistung dagegen eine originär hoheitliche Aufgabe, ist Immunität gegeben (Senat 16. Mai 2002 – 2 AZR 688/00 – zu II 2 c der Gründe, AP GVG § 20 Nr. 3), zB bei Angestellten zur Visa-Bearbeitung (Senat 16. Mai 2002 – 2 AZR 688/00 – zu II 2 a aa der Gründe, aaO) oder bei einem Pressereferenten (Senat 23. November 2000 – 2 AZR 490/99 – zu II 3 c der Gründe, aaO). Entscheidend ist der funktionale Zusammenhang zwischen den diplomatischen Aufgaben und der zu beurteilenden Tätigkeit (vgl. Kissel/Mayer GVG 5. Aufl. § 20 Rn. 5).
[16] 2. Diesen Grundsätzen trägt die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe keine hoheitliche Tätigkeit ausgeübt und deshalb genieße die Beklagte im Streitfall keine Immunität, nicht ausreichend Rechnung. Das Landesarbeitsgericht hat erheblichen Tatsachenvortrag der Beklagten außer Acht gelassen. Sein Urteil war deshalb aufzuheben.
[17] a) Im Ansatz zutreffend nimmt das Landesarbeitsgericht an, dass die Tätigkeit eines Fahrers, der nicht in den diplomatischen Funktionszusammenhang eingebunden ist, keine hoheitliche Tätigkeit darstellt (vgl. BAG 30. Oktober 2007 – 3 AZB 17/07 – Rn. 22, IPRspr. 2007, 498, 501 f.).
[18] b) Indes hat das Landesarbeitsgericht den unter Zeugenbeweis gestellten Vortrag der Beklagten, der Kläger sei nicht nur als Fahrer, sondern auch als Dolmetscher eingesetzt worden, zu Unrecht außer Acht gelassen. Trifft die entsprechende Behauptung in einem nennenswerten Umfang zu, so kann der Tätigkeit des Klägers eine andere Funktionalität zukommen als die einer reinen Hilfstätigkeit nichthoheitlicher Prägung.
[19] c) Die Aufgaben einer diplomatischen Mission umfassen nach Art. 3 des Wiener Übereinkommens vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen (BGBl. II 1964, 957 ff.) die vielfältige Pflege politischer, kultureller, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Beziehungen. Dass hierbei ebenso offizielle wie auch informelle Gespräche die wichtigste Rolle spielen, liegt auf der Hand. Wenn dem Kläger aufgrund seiner Herkunft und seiner Sprachkenntnisse aufgegeben war, seine Tätigkeit als Chauffeur mit der des Dolmetschers zu verbinden, indem er zur Anbahnung und Pflege derartiger Gesprächskontakte in nennenswertem Umfang beitrug, so kann dies zu der Beurteilung führen, dass seine Tätigkeit in einem funktionellen Zusammenhang mit den diplomatischen Zielen der Botschaft stand. Auch die Beförderung von vertraulicher Post und der gelegentliche Einsatz als Fahrer des Botschafters könnten dann in einem anderen Licht erscheinen.
[20] d) Der Beweisantritt der Beklagten durfte nicht als Ausforschungsbeweis unbeachtet bleiben.
[21] aa) Eine Partei genügt ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen (vgl. BVerfG 10. Februar 2009 – 1 BvR 1232/07 – Rn. 26, NJW 2009, 1585; BGH 25. April 1995 – VI ZR 178/94 – AP ZPO § 286 Nr. 23; 4. März 1991 – II ZR 90/90 – EzA GG Art. 9 Nr. 51 mwN). Unerheblich ist dabei, wie wahrscheinlich die Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder einer Schlussfolgerung aus Indizien beruht (BGH 9. Februar 2009 – II ZR 77/08 – Rn. 4 mwN, NJW 2009, 2137). Es ist dann Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls Zeugen nach weiteren Einzelheiten zu befragen (BGH 21. Mai 2007 – II ZR 266/04 – Rn. 8, NJW-RR 2007, 1409; 2. April 2009 – I ZR 16/07TranspR 2009, 410).
[22] bb) Legt man diesen Maßstab zugrunde, hätte der Beweisantritt der Beklagten nur dann unbeachtet bleiben dürfen, wenn ihre Behauptung als gänzlich substanzlos, willkürlich, aus der Luft gegriffen oder ins Blaue hinein aufgestellt erschiene. Davon kann nicht die Rede sein. Es trifft zwar zu, dass die Beklagte ihrer Behauptung, der Kläger sei als Dolmetscher eingesetzt worden, weder zeitlich noch räumlich genauere Konturen verliehen hat. Indes hätte das Landesarbeitsgericht der Beklagten, wenn ihm deren Vortrag nicht hinreichend konkret erschien, einen Hinweis nach § 139 ZPO erteilen müssen. Dabei hätte es beachten müssen, dass die Staatenimmunität nicht auf prozessrechtlichem Wege eine Entwertung erfahren darf: Der Schutz der Staatenimmunität soll verhindern, dass ein Staat über den anderen im Kernbereich der staatlichen Souveränität zu Gericht sitzt (par in parem non habet imperium). Die Anforderungen an die Substantiierungslast im Prozess dürfen nicht dazu führen, dass der Staat, der sich auf Immunität beruft, auf prozessrechtlichem Wege zur Aufgabe des ihm eingeräumten Vorrechts gezwungen wird, indem er nun Einzelheiten über die vom Kläger möglicherweise entfaltete Dolmetschertätigkeit, zB Namen von Personen, Gesprächsinhalte usf. preisgeben müsste.
[23] II. Sollte das Landesarbeitsgericht nach einer Beweisaufnahme zu dem Ergebnis kommen, die Beklagte sei nach den Grundsätzen der Staatenimmunität nicht von der deutschen Gerichtsbarkeit ausgenommen, wird es auch die Frage der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte und, falls es diese bejaht, die Anwendbarkeit deutschen oder algerischen Rechts erneut prüfen müssen.
[24] 1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kann, wovon auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist, nach Art. 19 Nr. 1, Art. 18 Abs. 2 der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO – ABl. EG L 12 vom 16. Januar 2001 S. 1, ber. ABl. EG L 307 vom 24. November 2001 S. 28) begründet sein.
[25] a) Die EuGVVO ist seit ihrem Inkrafttreten am 1. März 2002 in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der EU. Die Verordnung geht nationalem Recht im Rang vor. Soweit ihr nationale Bestimmungen widersprechen, werden sie durch die EuGVVO verdrängt (BAG 24. September 2009 – 8 AZR 306/08AP EuGVVO Art. 18 Nr. 1 = EzA EG-Vertrag 1999 Verordnung 44/2001 Nr. 4 mwN; vgl. Schack Internationales Zivilverfahrensrecht 5. Aufl. Rn. 218, 326).
[26] b) Sind – wofür Vieles sprechen wird – die Vorschriften der Art. 18 ff. EuGVVO anwendbar, so wird zu beachten sein, dass nach Art. 18 Abs. 2 EuGVVO ein Arbeitgeber, mit dem der Arbeitnehmer einen individuellen Arbeitsvertrag geschlossen hat und der im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats keinen Wohnsitz hat (Arbeitgeber mit Wohnsitz in einem Drittstaat), so behandelt wird, als habe er einen Wohnsitz, vorausgesetzt, er unterhält in einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung.
[27] c) Die vom Landesarbeitsgericht bejahte Frage, ob als sonstige Niederlassung iSd. Art. 18 Abs. 2 EuGVVO auch die Botschaft eines Drittstaates angesehen werden kann, ist bisher von dem zur Auslegung der EuGVVO vorrangig zuständigen Gerichtshof der Europäischen Union nicht entschieden. Ob den Entscheidungen des Gerichtshofs in anderen Zusammenhängen ohne Weiteres mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnommen werden kann, die Botschaft der Beklagten sei als "sonstige Niederlassung" anzusehen, erscheint zweifelhaft. Dagegen mag immerhin Artikel 7 EuStImm sprechen. Die Norm sieht vor, dass eine "andere Niederlassung" die Staatenimmunität nur dann aufhebt, wenn der betreffende Staat von dieser anderen Niederlassung aus "auf die gleiche Weise wie eine Privatperson eine gewerbliche, kaufmännische oder finanzielle Tätigkeit ausübt". Jedenfalls ist, soweit es die Auslegung von Art. 18 EuGVVO betrifft, Art. 267 AEUV zu beachten.
[28] 2. Außerhalb des Geltungsbereichs der EuGVVO richtet sich die internationale Zuständigkeit nach den Regeln über die örtliche Zuständigkeit. Da die Beklagte keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, kann die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung der Zuständigkeit der algerischen Gerichte nach § 38 Abs. 2 ZPO wirksam sein.
[29] 3. Sollte es auf die Frage ankommen, ob auf den Streitfall deutsches oder algerisches Recht anzuwenden ist, wird das Landesarbeitsgericht die folgenden Erwägungen beachten müssen.
[30] a) Nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EGBGB unterliegt ein Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl muss nicht ausdrücklich erfolgen. Sie kann sich aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben. Die Voraussetzungen einer stillschweigenden (konkludenten) Rechtswahl bestimmen sich nicht nach dem gewählten Recht. Vielmehr bestimmt Art. 27 Abs. 1 EGBGB selbst, unter welchen Voraussetzungen von einer stillschweigenden Rechtswahl auszugehen ist (BAG 13. November 2007 – 9 AZR 134/07BAGE 125, 24 mwN). Obgleich es keinen abschließenden Katalog einschlägiger Indizien gibt, sind bei Schuldverträgen aus Gerichtsstandsklauseln, Schiedsklauseln, vertraglichen Bezugnahmen auf ein bestimmtes Recht sowie aus der Vereinbarung eines für beide Parteien gemeinsamen Erfüllungsorts typische Hinweise auf eine stillschweigende Rechtswahl zu entnehmen. Bei Arbeitsverträgen stellt die Bezugnahme auf Tarifverträge und sonstige Regelungen am Sitz des Arbeitgebers ein gewichtiges Indiz für eine stillschweigende Rechtswahl dar (vgl. BAG 13. November 2007 – 9 AZR 134/07 – aaO; 12. Dezember 2001 – 5 AZR 255/00 – zu B I 1 der Gründe, BAGE 100, 130; 26. Juli 1995 – 5 AZR 216/94 – zu II 1 der Gründe, AP BGB § 157 Nr. 7 = EzA BGB § 133 Nr. 19).
[31] b) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Parteien keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen haben. Bei seiner weiteren Würdigung, es liege auch keine stillschweigende Wahl algerischen Rechts vor, hat es jedoch nicht alle wesentlichen Umstände ausreichend in Betracht gezogen. In Ziff. VI des Arbeitsvertrags haben die Parteien die Zuständigkeit der algerischen Gerichtsbarkeit vereinbart. Dies kann ein gewichtiger Hinweis darauf sein, dass auch das materielle Recht Algeriens angewendet werden sollte. Im Allgemeinen dürfte dem Willen der Vertragsparteien eine Rechtswahl fernliegen, nach der ein ausländisches Gericht materielles deutsches Recht anwenden soll. Das materielle Recht und das Prozessrecht stehen regelmäßig in einer engen Wechselwirkung, was im Fall des deutschen Arbeitsrechts ganz besonders greifbar ist. Außerdem dürfte die Sicherheit in der Anwendung des materiellen Rechts eines ausländischen Staates bei den Gerichten geringer sein als bei der Anwendung des jeweiligen eigenen, innerstaatlichen Rechts. Nimmt man im Streitfall die Vertragssprache, die Herkunft des Klägers und dessen Tätigkeit im öffentlichen Dienst der Beklagten hinzu, so sprechen gewichtige Anhaltspunkte für eine stillschweigend getroffene Wahl algerischen Rechts. Gegebenenfalls muss das Landesarbeitsgericht darauf hinwirken, dass die Parteien zur Vertragspraxis Vortrag halten. Dass die Erfüllung der beiderseitigen Vertragspflichten nur in Deutschland möglich war und die Bezahlung in Euro erfolgte, liegt in der Natur der Sache und dürfte wenig Aussagekraft für die Rechtswahl haben. Der Umstand, dass der Kläger der deutschen Sozialversicherung unterlag und die Steuerschuld in Deutschland anfiel, betrifft nicht den arbeitsrechtlichen Kern des vertraglichen Pflichtengefüges.
[32] c) Haben die Parteien algerisches Recht vereinbart, so ist noch zu prüfen, ob diese Rechtswahl den in Art. 30 EGBGB niedergelegten Anforderungen entspricht. Hier wird ggfs. in Betracht zu ziehen sein, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht engere Verbindungen zum algerischen Staat als zu Deutschland aufweist (Art. 30 Abs. 2 EGBGB).
[33] d) Die Anwendung deutschen Kündigungsrechts ergibt sich jedenfalls nicht aus Art. 34 EGBGB. Die Vorschriften der §§ 1 – 14 KSchG stellen keine "Eingriffsnormen" iSd. Art. 34 EGBGB dar. Nach Art. 9 Abs. 1 Rom-I-VO, die zwar auf den Streitfall noch nicht anwendbar ist, aber zur Orientierung insoweit herangezogen werden kann, sind "Eingriffsnormen" zwingende Vorschriften, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation angesehen wird, dass sie auf alle in Betracht kommenden Sachverhalte angewendet werden müssen. Hierher gehören im Arbeitsrecht etwa die Beschäftigungsverbote für werdende Mütter, die Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung uÄ. Es muss sich um Regelungen handeln, die nicht nur zwingendes Recht darstellen, sondern darüber hinaus in besonderer Weise das allgemeine Wohl betreffen; häufig werden es Regeln sein, über deren Einhaltung staatliche Stellen wachen. Diese Voraussetzungen liegen bei den Vorschriften des allgemeinen Kündigungsschutzes nicht vor. Sie dienen nach dem individualrechtlichen Konzept des deutschen Kündigungsschutzrechts in erster Linie dem Ausgleich eines Konflikts zwischen Privatleuten und nur mittelbar sozialpolitischen Zwecksetzungen (Senat 24. August 1989 – 2 AZR 3/89BAGE 63, 17; ErfK/Schlachter 10. Aufl. Art. 27 – 34 EGBGB Rn. 16; Palandt/Thorn BGB 68. Aufl. Art. 34 EGBGB Rn. 3b; Junker in jurisPK/BGB 4. Aufl. Art. 34 EGBGB Rn. 35; HWK/Tillmanns 4. Aufl. Art. 3, 8, 9 ROM-I-VO Rn. 33 ff.; Deinert RdA 2009, 144).