Bundesfinanzhof
Keine Steuerfreiheit von pauschal gezahlten Zuschlägen für Sonntagsarbeit, Feiertagsarbeit oder Nachtarbeit – Grundsätzlich kein Verzicht auf Einzelabrechnung
1. Pauschale Zuschläge, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf die Höhe der tatsächlich erbrachten Sonntagsarbeit, Feiertagsarbeit oder Nachtarbeit an den Arbeitnehmer leistet, sind nur dann nach § 3b EStG begünstigt, wenn sie nach dem übereinstimmenden Willen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Abschlagszahlungen oder Vorschüsse auf eine spätere Einzelabrechnung gemäß § 41b EStG geleistet werden.
2. Diese Einzelabrechnung zum jährlichen Abschluss des Lohnkontos ist grundsätzlich unverzichtbar.
3. Auf sie kann im Einzelfall nur verzichtet werden, wenn die Arbeitsleistungen fast ausschließlich zur Nachtzeit zu erbringen und die pauschal geleisteten Zuschläge so bemessen sind, dass sie auch unter Einbeziehung von Urlaub und sonstigen Fehlzeiten – aufs Jahr bezogen – die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllen.

BFH, Urteil vom 8. 12. 2011 – VI R 18/11 (lexetius.com/2011,7048)

[1] Gründe: I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Lohnsteuerhaftungsbescheids.
[2] Gemäß Prüfungsanordnung vom 15. Januar 2009 wurde im Zeitraum Februar bis September 2009 bei der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) eine Lohnsteuer-Außenprüfung für den Prüfungszeitraum 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2008 durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt – FA -) durchgeführt. Dabei stellte der Lohnsteuer-Außenprüfer u. a. fest, dass die Klägerin ihren Arbeitnehmern tarifliche Zuschläge für geleistete Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit gewährte. Die Arbeitnehmer der Klägerin erhielten hierfür monatlich gleichbleibende Zahlungen. Wegen fehlender Aufzeichnungen erkannte der Lohnsteuerprüfer die Steuerfreistellung dieser pauschalen Zahlungen nicht an. Das FA machte sich auch diese Feststellungen zu eigen und erließ unter dem Datum 22. Oktober 2009 einen Haftungsbescheid u. a. wegen Lohnsteuer. In den Erläuterungen zum Haftungsbescheid wies das FA darauf hin, dass die Klägerin als Haftende anstelle der Arbeitnehmer in Anspruch genommen werde, weil ein Haftungsausschluss nicht vorliege und die Klägerin sich damit einverstanden erklärt habe.
[3] Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1555 veröffentlichten Gründen ab.
[4] Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
[5] Die Klägerin beantragt, das Urteil des Niedersächsischen FG vom 17. Dezember 2010 11 K 15/10 und den Haftungsbescheid vom 22. Oktober 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Januar 2010, soweit er noch Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, aufzuheben.
[6] Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[7] II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Denn das FG hat zutreffend darauf erkannt, dass die streitigen Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit der Lohnversteuerung unterliegen.
[8] 1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat. Die Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge führten im Streitfall zu steuerpflichtigem Arbeitslohn. Deshalb war die Klägerin verpflichtet, insoweit Lohnsteuer einzubehalten.
[9] 2. Nach § 3b Abs. 1 EStG i. d. F. der Streitjahre sind neben dem Grundlohn gewährte Zuschläge nur dann steuerfrei, wenn sie für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt werden. Nach Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift ist Grundlohn der laufende Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht; er ist in einen Stundenlohn umzurechnen.
[10] a) Die Steuerbefreiung tritt allerdings nur ein, wenn die neben dem Grundlohn gewährten Zuschläge für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt worden sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 26. Oktober 1984 VI R 199/80, BFHE 142, 146, BStBl II 1985, 57), und setzt grundsätzlich Einzelaufstellungen der tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden an Sonntagen, Feiertagen oder zur Nachtzeit voraus (BFH-Urteil vom 28. November 1990 VI R 90/87, BFHE 163, 73, BStBl II 1991, 293). Dadurch soll von vornherein gewährleistet werden, dass nur Zuschläge steuerfrei bleiben, bei denen betragsmäßig genau feststeht, dass sie nur für die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt werden und keine allgemeinen Gegenleistungen für die Arbeitsleistung darstellen. Hieran fehlt es jedoch, wenn die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit nur allgemein pauschaliert abgegolten wird, da hierdurch weder eine Zurechnung der Sache nach (tatsächlich geleistete Arbeit während begünstigter Zeiten) noch der Höhe nach (Steuerfreistellung nur nach %-Sätzen des Grundlohns) möglich ist.
[11] b) Demgegenüber sind pauschale Zuwendungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf die Höhe der tatsächlich erbrachten Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit an den Arbeitnehmer leistet, nur dann nach § 3b EStG begünstigt, wenn sie nach dem übereinstimmenden Willen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Abschlagszahlungen oder Vorschüsse auf eine spätere Einzelabrechnung geleistet werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteile vom 23. Oktober 1992 VI R 55/91, BFHE 169, 515, BStBl II 1993, 314, und vom 25. Mai 2005 IX R 72/02, BFHE 210, 113, BStBl II 2005, 725).
[12] c) Solche pauschalen Zuschläge sind allerdings nur dann und insoweit steuerfrei, als sie den im einzelnen ermittelten Zuschlägen für tatsächlich geleistete Stunden zu den nach § 3b Abs. 2 EStG begünstigten Zeiten entsprechen; die Zuschläge sind jeweils vor Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung, somit regelmäßig spätestens zum Ende des Kalenderjahres bzw. beim Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Dienstverhältnis, zu errechnen. Dabei ist für die Ermittlung der im Einzelnen nachzuweisenden Zuschläge auf das Kalenderjahr oder, im Fall des Ausscheidens aus dem Dienstverhältnis, auf den Zeitraum vom Beginn des Kalenderjahres bis zum Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis abzustellen. Stimmt die Summe der Pauschalzahlungen mit der Summe der für den in Betracht kommenden Zeitraum ermittelten steuerfreien Zuschläge nicht überein und hat der Arbeitnehmer weniger zuschlagspflichtige Stunden geleistet, als durch die Pauschalzahlungen abgegolten sind, so ist die Differenz zwischen der Pauschale und dem sich bei der Einzelberechnung ergebenden Betrag steuerpflichtiger Arbeitslohn (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 16. Dezember 2010 VI R 27/10, BFHE 232, 174, m. w. N.).
[13] d) Eine jährliche Abrechnung gemäß § 41b Abs. 1 Satz 1 EStG ist grundsätzlich unverzichtbar (BFH-Entscheidungen in BFHE 169, 515, BStBl II 1993, 314; in BFHE 210, 113, BStBl II 2005, 725; vom 18. Mai 2005 IX B 178/04, BFH/NV 2005, 1553; vom 18. November 2003 VI B 123/03, BFH/NV 2004, 335), es sei denn, die Pauschalzahlungen werden für tatsächlich erbrachte Arbeitsstunden zur Nachtzeit geleistet und sind so bemessen, dass sie auch unter Einbeziehung von Urlaub und sonstigen Fehlzeiten – aufs Jahr bezogen – die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllen (BFH-Urteil vom 22. Oktober 2009 VI R 16/08, BFH/NV 2010, 201).
[14] 3. Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze hat das FA die von der Klägerin geleisteten Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit zu Recht dem Lohnsteuerabzug unterworfen. Denn die Voraussetzungen der Steuerbefreiung sind nicht gegeben.
[15] a) Zwar sind die streitigen Zuschläge nach den Feststellungen des FG, die vom FA nicht angegriffen wurden und an die der Senat daher gebunden ist, neben dem Grundlohn bezogen worden. Diese waren danach nicht Teil einer einheitlichen Entlohnung für die gesamte, auch zu den nach § 3b Abs. 2 EStG begünstigten Zeiten geleistete Tätigkeit (s. dazu Moritz in Herrmann/Heuer/Raupach, § 3b EStG Rz 21).
[16] b) Allerdings hat die Klägerin ausweislich des Revisionsvorbringens die streitigen Zuschläge pauschal ohne Ansehung der von den Arbeitnehmern im Einzelnen tatsächlich zu den nach § 3b Abs. 2 EStG begünstigten Zeiten geleisteten Arbeitsstunden gewährt. Die Zuschläge sind jedoch weder zum Ende der Kalenderjahre errechnet noch sind Einzelabrechnungen bis zum jährlichen Abschluss der Lohnkonten am jeweiligen Jahresende vorgenommen worden. Pauschale Zuschläge, wie sie im Streitfall gezahlt worden sind, können – wie dargelegt – aber nur dann nach § 3b EStG steuerbefreit sein, wenn sie – anders als im Streitfall – durch Einzelabrechnung der tatsächlich geleisteten Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit zugeordnet werden.
[17] c) Vorliegend kann auf die jährliche Abrechnung auch nicht ausnahmsweise verzichtet werden. Denn die Arbeitnehmer der Klägerin waren nicht nur fast ausschließlich zur Nachtzeit (§ 3b Abs. 2 Satz 2 EStG) tätig (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 201). Damit fehlt es im Streitfall an einer mit dem Verfahren VI R 16/08 vergleichbaren Ausnahmesituation. Damit ist ohne Belang, ob die streitigen Zuschläge – wie von der Klägerin vorgetragen – aufgrund von Erfahrungswerten so bemessen waren, dass sie auch unter Einbeziehung von Urlaub und sonstigen Fehlzeiten – aufs Jahr bezogen – die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllten. Die von der Klägerin hierzu angebotenen Zeugen hat das FG daher zu Recht nicht gehört.
[18] d) Ein Widerspruch zu dem BFH-Urteil vom 28. November 1990 VI R 56/90 (BFHE 163, 83, BStBl II 1991, 298) ist darin nicht zu erblicken. Die Klägerin berücksichtigt nicht, dass dort keine Vereinbarung über die Zahlung eines pauschalen Zuschlags für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit vorlag, sondern eine bestimmte Stundenzahl monatlich für solche Arbeit vereinbart war. Dort war nicht der Zusammenhang von pauschalen Zuschlägen und tatsächlich geleisteter Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit, sondern die Frage streitig, ob die vereinbarte Stundenzahl tatsächlich gearbeitet worden war. Dieser Nachweis kann auch in anderer Weise als durch Abrechnung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Jahresschluss – durch Einvernahme von Zeugen – erbracht werden. Eine erforderliche Abrechnung als solche kann jedoch durch ein anderes Beweismittel nicht ersetzt werden.
[19] 4. Dass das FA die streitbefangene Lohnsteuer nebst Annexsteuern – ungeachtet der Frage der Steuerfreiheit der Pauschalzahlungen gemäß § 3b EStG – durch einen Haftungsbescheid festsetzen durfte, ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig. Ebenfalls zu Recht streiten die Beteiligten nicht um die Bemessung der Haftungsschuld.