Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 28. 3. 2013 – AnwZ (Brfg) 40/12; AGH Hamm (lexetius.com/2013,1035)

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richterinnen Roggenbuck und Lohmann sowie die Rechtsanwälte Dr. Frey und Dr. Martini am 28. März 2013 beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 27. April 2012 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Der Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe für den Antrag auf Zulassung der Berufung und für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.
[1] Gründe: I. Der Kläger, der seit Dezember 1982 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen war, beging in den Jahren 1995 bis 2002 Vermögensstraftaten zum Nachteil von Mandanten. Im Jahre 1998 wurde gegen ihn wegen Untreue ein Strafbefehl über 120 Tagessätze zu je 100 DM erlassen. Mit Urteil vom 10. April 2003 wurde er wegen Untreue in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zwei weitere Ermittlungsverfahren wurden nach § 154 StPO eingestellt.
[2] Mit Bescheid vom 17. März 2003 (rechtskräftig seit dem 23. April 2004 durch Rücknahme des Antrags auf gerichtliche Entscheidung) widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers wegen Vermögensverfalls. Am 11. Juli 2006 wurde die Gesamtfreiheitsstrafe nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen. Der Kläger beantragte am 15. August 2007, wieder zur Anwaltschaft zugelassen zu werden. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 2. Februar 2009 wegen Unwürdigkeit sowie deshalb abgelehnt, weil das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers noch nicht abgeschlossen war. Am 28. Oktober 2011 beantragte der Kläger erneut die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29. November 2011 wegen Unwürdigkeit ab. Die Klage gegen diesen Bescheid ist erfolglos geblieben. Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs sowie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines jetzigen Prozessbevollmächtigten.
[3] II. Der Antrag des Klägers ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft. Er bleibt jedoch ohne Erfolg. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
[4] 1. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), auf welchen der Kläger sich in seiner vorläufigen Begründung beruft, setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2011 – AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 3; BVerfGE 110, 77, 83; BVerfG, NVwZ 2000, 1163, 1164; NVwZ-RR 2008, 1; NJW 2009, 3642; vgl. ferner BVerwG, NVwZ-RR 2004, 542, 543; Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 112e BRAO Rn. 77).
[5] 2. Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben.
[6] a) Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Bewerber ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Auch ein schwerwiegendes berufsunwürdiges Verhalten kann nach einer mehr oder minder langen Zeit durch Wohlverhalten oder andere Umstände so sehr an Bedeutung verlieren, dass es die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr hindert. Feste Fristen gibt es nicht; vielmehr sind alle für und gegen den jeweiligen Bewerber sprechenden Umstände einzelfallbezogen zu gewichten. Bei gravierenden Straftaten im Kernbereich der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts, insbesondere bei Untreue und Betrug zum Nachteil von Mandanten, hält der Senat in ständiger Rechtsprechung einen zeitlichen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich.
[7] Im Hinblick auf die mit der Versagung der Zulassung verbundene Einschränkung der Berufswahlfreiheit bei der im jeweiligen Einzelfall zu treffenden Entscheidung nach § 7 Nr. 5 BRAO muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strikt beachtet und gewahrt werden (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 10. Oktober 2011 – AnwZ (Brfg) 10/10, Rn. 12 ff. m. w. N.).
[8] b) Seit dem 15. Februar 2002, als der Kläger letztmals einen für einen Mandanten bestimmten Scheck seinem eigenen Konto hat gutschreiben lassen, sind mehr als 11 Jahre vergangen. Der Kläger hat den von ihm angerichteten Schaden im Rahmen seiner Möglichkeiten teilweise ausgeglichen. Seit der letzten Straftat ist er nicht erneut straffällig geworden. Die Verurteilungen sind nicht mehr in ein Führungszeugnis aufzunehmen; mit Ablauf des 10. April 2013 tritt Tilgungsreife im Bundeszentralregister ein (§ 45 Abs. 1 und 2, § 46 Abs. 1 Nr. 2b BZRG). Hinzu kommt, dass er sich auch in den ersten Jahren seiner anwaltlichen Tätigkeit, nämlich von 1983 bis 1994, straffrei geführt hat. Der Kläger ist 62 Jahre alt; er wird den Rechtsanwaltsberuf nicht mehr lange ausüben können, falls er wieder zugelassen werden sollte. Gleichwohl überwiegen (noch) die gegen eine Wiederzulassung sprechenden Umstände. Die Straftaten, welche der Kläger begangen hat, betrafen den Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit, und nicht einmal der Strafbefehl im Jahre 1998 hat den Kläger auf Dauer davon abgehalten, sich an den ihm anvertrauten Geldern zu vergreifen. Über einen Zeitraum von sieben Jahren hat er immer wieder Fremdgeld für eigene Zwecke verwandt. Das zeigt auch der im angefochtenen Urteil wiedergegebene Auszug aus der Insolvenztabelle, die sieben angemeldete und festgestellte Forderungen wegen veruntreuter Mandantengelder, Fremdgeld, überzahlten Gerichtskosten oder Unterschlagungen ausweist. Wie sich aus den Namen der Forderungsinhaber ergibt, handelte es sich nicht um diejenigen Vorgänge, die Gegenstand der Strafverfahren waren. Angesichts dessen kann die vom Senat in ständiger Rechtsprechung angenommene Sperrfrist im Fall des Klägers nicht wesentlich unterschritten werden.
[9] III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
[10] IV. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe war zurückzuweisen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 166 VwGO, § 114 Satz 1 ZPO).