Bundessozialgericht
Krankenversicherung – in der Bundesrepublik Deutschland lebender Rentner – kein Ausschluss der Auffang-Versicherungspflicht bei Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall gegenüber anderem Staat (hier Schweiz)

BSG, Urteil vom 20. 3. 2013 – B 12 KR 8/10 R (lexetius.com/2013,3356)

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23. Februar 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Revisionsverfahren.
[1] Tatbestand: Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin seit 1. 4. 2007 nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versicherungspflichtig ist.
[2] Die 1934 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige und hat ihren Wohnsitz in Deutschland. Sie bezog im Jahr 2007 von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg eine Altersrente in Höhe von 276,66 Euro monatlich sowie – nach ihrem 1982 verstorbenen Ehemann, der bis zu seinem Tod in der Schweiz erwerbstätig war – eine Witwenrente in Höhe von 332,05 Euro monatlich. Aus der Schweiz erhielt sie zu dieser Zeit von der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung außerdem eine monatliche Witwenrente in Höhe von 390 CHF.
[3] Die Klägerin war bis 1979 in der GKV über ihren Ehemann, der Mitglied der beklagten Krankenkasse war, familienversichert. Eine Krankenversicherung bestand seitdem nicht mehr. Wegen der Nichtzahlung von Beiträgen war der Ehemann der Klägerin in der Schweiz nicht krankenversichert. Die Klägerin selbst erfüllte die Voraussetzungen der in Deutschland für Rentner bestehenden Krankenversicherungspflicht im Hinblick auf die geforderte Vorversicherungszeit nicht. Mindestens seit 1992 erhält sie deshalb Krankenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw Hilfen zur Gesundheit nach dem Fünften Kapitel des SGB XII; laufende Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des SGB XII bezog die Klägerin dagegen nicht. Im September 2007 lehnten die Öffentlichen Krankenkassen Schweiz einen Antrag der Klägerin auf Aufnahme in die Obligatorische Krankenpflegeversicherung mit der Begründung ab, sie sei in Deutschland und nicht in der Schweiz krankenversicherungspflichtig.
[4] Im Mai 2007 zeigte die Klägerin der Beklagten das Vorliegen der Voraussetzungen ua der Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V ab 1. 4. 2007 an. Die Beklagte stellte demgegenüber fest, dass die Klägerin als Bezieherin von Renten aus Deutschland und der Schweiz nicht der (deutschen) subsidiären Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V, sondern – im Hinblick auf ihre Rente aus der Schweiz – dem in der Schweiz geltenden Krankenversicherungsrecht unterliege; das ergebe sich aus dem einschlägigen Abkommens- und EG-Recht (Bescheid vom 10. 7. 2007; Widerspruchsbescheid vom 26. 11. 2008).
[5] Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin seit 1. 4. 2007 "bei der Beklagten pflichtversichert" sei. Die Anfechtungsklage sei nicht wegen Verfristung des Widerspruchs bzw fehlenden Vorverfahrens unzulässig, weil die Beklagte über den Widerspruch der Klägerin im Widerspruchsbescheid in der Sache entschieden habe. Die Klägerin unterliege der Auffang-Versicherungspflicht, weil sie zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sei und auch keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall habe. Allein ihr Anspruch auf Hilfen zur Gesundheit nach dem Fünften Kapitel des SGB XII genüge insoweit nicht. Die Klägerin habe auch nicht durch eine Versicherung in der Schweiz eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall. Nach den Vorschriften der Verordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV 1408/71), die auf der Grundlage des zwischen der EG, ihren Mitgliedstaaten und der Schweizerischen Eidgenossenschaft geschlossenen Freizügigkeitsabkommens auch im Verhältnis zur Schweiz anwendbar seien, solle ein Doppelrentner in erster Linie Krankenversicherungsleistungen im (rentengewährenden) Wohnmitgliedstaat beziehen. Ein subsidiärer Anspruch auf Leistungen im Krankheitsfall gegen die Krankenversicherung in der Schweiz bestünde hiernach erst dann, wenn in Deutschland überhaupt kein Anspruch auf Leistungen bei Krankheit vorgesehen wäre. Das sei hier aber nicht der Fall, weil die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V, auch wenn sie (ihrerseits) subsidiär ausgestaltet sei, einer Absicherung in der Krankenversicherung der Schweiz vorgehe; denn die Regelungen des Rechts der EG hätten Vorrang vor den Regelungen des deutschen Sozialversicherungsrechts (Urteil vom 23. 2. 2010).
[6] Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V. Schon der Anspruch der Klägerin auf Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII schließe den Tatbestand der Auffang-Versicherungspflicht aus. Ihr stehe aber auch ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall in der Schweiz zu. Nach Art 28 Abs 1 EWGV 1408/71 richte sich die Krankenversicherung von in Deutschland wohnenden Rentnern, die sowohl eine deutsche als auch eine Rente aus der Schweiz bezögen, soweit sie nicht nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V versicherungspflichtig seien, nach schweizerischem Recht. § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V bewirke keine hiervon abweichende Zuordnung dieser Mehrfachrentenbezieher zur deutschen GKV.
[7] Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23. Februar 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
[8] Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
[9] Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V als nationale Regelung könne die Vorschriften der EWGV 1408/71 als supranationales Recht nicht einschränken oder abändern. Eine kollisionsrechtliche Regelung habe mit § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V nicht geschaffen werden sollen.
[10] Entscheidungsgründe: Der Senat konnte über die Revision der Beklagten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).
[11] Die zulässige Revision der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg. Zutreffend hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 10. 7. 2007 und ihren Widerspruchsbescheid vom 26. 11. 2008 aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin seit 1. 4. 2007 nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V der Versicherungspflicht in der (deutschen) GKV unterliegt. Die Bescheide sind im angefochtenen Umfang rechtswidrig.
[12] 1. Im Rechtsstreit zu überprüfen ist die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nur (noch) insoweit, als darin die Feststellung der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V abgelehnt wurde. Die Klägerin hat ihr Überprüfungsbegehren hinsichtlich der auch die Auffang-Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung betreffenden Bescheide in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 23. 2. 2010 auf die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung beschränkt, nachdem die Beklagte erklärt hat, bei Obsiegen der Klägerin auch eine "Pflichtversicherung in der Pflegeversicherung" festzustellen.
[13] Zu Recht hat das SG die neben der Feststellungsklage erhobene Anfechtungsklage als zulässig angesehen. Im Wege der Auslegung des Widerspruchsbescheides vom 26. 11. 2008 ergibt sich nämlich, dass sich die Beklagte darin nicht (allein) auf eine Verfristung des Widerspruchs der Klägerin berufen, sondern deren Begehren (auch) inhaltlich überprüft und den Widerspruch damit in der Sache beschieden hat. Bedenken gegen eine inhaltliche Prüfung im gerichtlichen Verfahren – etwa wegen eingetretener Bestandskraft des Bescheides vom 10. 7. 2007 oder fehlenden Vorverfahrens gegen einen im Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs 1 SGB X ergangenen Bescheid – ergeben sich daher nicht.
[14] 2. Die Klägerin ist seit 1. 4. 2007 in der GKV nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V (dazu a) versicherungspflichtig, weil sie alle Voraussetzungen dieses Versicherungspflichttatbestandes erfüllte (dazu b); insbesondere war die Auffang-Versicherungspflicht nicht aufgrund eines "anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall" nach schweizerischem Recht tatbestandlich ausgeschlossen (dazu c).
[15] a) Nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V in seiner bis heute unverändert geltenden Fassung (wie die im Folgenden genannten Bestimmungen eingefügt mit Wirkung vom 1. 4. 2007 durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG – vom 26. 3. 2007, BGBl I 378) sind seit 1. 4. 2007 in der GKV versicherungspflichtig Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert (Buchst a) oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, sie gehören zu den in § 5 Abs 5 SGB V genannten hauptberuflich Selbstständigen oder zu den nach § 6 Abs 1 oder 2 SGB V versicherungsfreien Personen oder hätten bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland zu ihnen gehört (Buchst b). Gemäß § 5 Abs 8a SGB V ist nach Absatz 1 Nr 13 nicht versicherungspflichtig, wer nach Absatz 1 Nr 1 bis 12 versicherungspflichtig, freiwilliges Mitglied oder nach § 10 versichert ist (Satz 1); Satz 1 gilt entsprechend für Empfänger laufender Leistungen ua nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des Zwölften Buches (Satz 2). § 186 Abs 11 SGB V regelt den Beginn der Mitgliedschaft bei Personen, die nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V versicherungspflichtig sind. Nach Satz 1 beginnt deren Mitgliedschaft mit dem ersten Tag ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall im Inland. Satz 3 legt fest, dass die Mitgliedschaft für Personen, die am 1. 4. 2007 keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben, an diesem Tage beginnt.
[16] b) Das SG ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass am 1. 4. 2007 – dem insoweit maßgebenden Beurteilungszeitpunkt (vgl BSGE 107, 26 = SozR 4—2500 § 5 Nr 12, RdNr 16) – die Voraussetzungen der Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V vorlagen.
[17] So war die Klägerin nach den Feststellungen des SG iS des § 5 Abs 1 Nr 13 Buchst a SGB V zuletzt – bis 1979 als Familienversicherte – gesetzlich krankenversichert. Wie der Senat bereits mit seinen Urteilen vom 12. 1. 2011 (BSGE 107, 177 = SozR 4—2500 § 5 Nr 13, RdNr 14 ff) und 21. 12. 2011 (BSG SozR 4—2500 § 5 Nr 15 RdNr 16 ff) ausgeführt hat, besteht eine Auffang-Versicherungspflicht – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – nämlich auch dann, wenn dieser eine Absicherung in der GKV nicht unmittelbar voranging. Auch war eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V nicht nach § 5 Abs 8a S 1 SGB V wegen einer Krankenversicherungspflicht gemäß § 5 Abs 1 Nr 1 bis 12 SGB V tatbestandlich ausgeschlossen; wie das SG festgestellt hat, bestand – mangels Erfüllung des Erfordernisses der Vorversicherungszeit – insbesondere keine Versicherungspflicht der Klägerin als Rentnerin unter den besonderen Voraussetzungen des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V. Die Klägerin erfüllte schließlich nicht die den Tatbestand des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V ausschließende Voraussetzung des "Empfangs" laufender Leistungen nach dem SGB XII. Der alleinige "Empfang" von Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII durch die Klägerin am 1. 4. 2007 genügt für die Annahme eines Ausschlusses der Auffang-Versicherungspflicht nicht. Insoweit hat der Senat wiederholt entschieden, dass einzig der "Empfang" von Hilfen zur Gesundheit nach dem Fünften Kapitel des SGB XII bzw eine Übernahme der Krankenbehandlung nach § 264 Abs 2 SGB V – ohne den gleichzeitigen "Empfang" laufender Leistungen – nach der inhaltlichen Änderung des Entwurfs des § 5 Abs 8a S 2 SGB V im Gesetzgebungsverfahren einen eigenständigen Ausschlusstatbestand für den Eintritt der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V nicht (mehr) darstellen kann (vgl BSG SozR 4—2500 § 5 Nr 15 RdNr 13 f; BSGE 107, 26 = SozR 4—2500 § 5 Nr 12, RdNr 28).
[18] c) Ein "anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall" – und damit ein Ausschluss der Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V – ergibt sich vor allem nicht unter Hinweis auf einen Krankenversicherungsschutz der Klägerin in der Schweiz.
[19] Zwar zählen zu solchen Ansprüchen auf Absicherung im Krankheitsfall unter systematischen und teleologischen Gesichtspunkten grundsätzlich auch Leistungsansprüche gegen ausländische Krankenversicherungen bzw Ansprüche auf Sachleistungen aufgrund über- und zwischenstaatlichen Rechts (vgl Senatsurteil vom 20. 3. 2013 – B 12 KR 14/11 R – zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Jedoch könnte die Klägerin in Bezug auf ihre (deutsche) Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V auf einen einschlägigen Krankenversicherungsschutz nach schweizerischem Recht (als vermeintlich vorrangig) nicht verwiesen werden. Ein solcher Anspruch stand ihr unter Berücksichtigung des höher- und damit vorrangigen Rechts der EG nicht zu. Ob ab 1. 4. 2007 (tatsächlich) ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen bei Krankheit nach dem (nationalen) Recht der Schweiz bestand (und sie diesen zunächst durchsetzen musste), kann daher – wie das SG zu Recht angenommen hat – offenbleiben.
[20] Zutreffend haben das SG und die Klägerin dargelegt, dass einer Annahme, die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V sei aufgrund eines "anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall" nach schweizerischem Recht (bereits) tatbestandlich ausgeschlossen, vorrangiges Gemeinschaftsrecht entgegensteht. Eine Auslegung des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V dahin, dass bei Personen wie der Klägerin auch ein Anspruch auf Leistungen bei Krankheit nach dem Recht der Schweiz diesen Versicherungspflichttatbestand "verdrängen" kann, würde die zwingenden kollisionsrechtlichen Regelungen der Art 27, 28 Abs 1 EWGV 1408/71 über die anzuwendenden Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats als des primär (endgültig) zuständigen und kostentragungspflichtigen Trägers für Leistungen im Falle von Krankheit verletzen. Auf der Grundlage des am 1. 6. 2002 in Kraft getretenen "Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit" vom 21. 6. 1999 (ABl EG L 114/6 vom 30. 4. 2002; BGBl II 2001, 810; vgl dessen Art 8 über die "Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit" iVm Anhang II Art 1 Abschn A Nr 1; dazu im Einzelnen Bergmann, NZS 2003, 175, 181 ff), das kraft eines Zusatzprotokolls (ABl EG L 89/30 vom 28. 3. 2006) mit Wirkung vom 1. 4. 2006 auf die am 1. 5. 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten erweitert wurde, und im Hinblick auf die hier maßgebende Beurteilungszeit sind diese Vorschriften vorliegend (noch) anwendbar (vgl auch § 30 Abs 2 SGB I, § 6 SGB IV).
[21] Zwar war – soweit ersichtlich – die Frage, ob die Anordnung eines Nachrangs von Krankenversicherungspflicht auf der Ebene des mitgliedstaatlichen Rechts bei Doppelrentnern, die kollisionsrechtlich zu einer "Verlagerung" der primären (endgültigen) Leistungszuständigkeit und Kostentragungspflicht vom Wohnmitgliedstaat auf den Mitgliedstaat der weiteren Rente führen würde, gegen Art 27, 28 Abs 1 EWGV 1408/71 verstoßen kann, noch nicht unmittelbar Gegenstand der Rechtsprechung des EuGH. Im Hinblick auf bereits vorliegende – im Folgenden näher benannte – Rechtsprechung des EuGH zu diesen Vorschriften ist jedoch offenkundig, dass eine Auslegung des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V, wie sie die Beklagte vornimmt, zu den kollisionsrechtlichen Vorschriften der EWGV 1408/71 im Widerspruch steht. Insoweit ist der erkennende Senat davon überzeugt, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den EuGH die gleiche Gewissheit besteht. Zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nach Art 267 Abs 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ex Art 234 EGV) ist er deshalb nicht verpflichtet. Auch die nationalen Gerichte, deren Entscheidungen mit Rechtsmitteln nicht mehr angefochten werden können, sind zur Vorlage an den EuGH nicht verpflichtet, wenn an der Richtigkeit der gewonnenen Auslegung keine vernünftigen Zweifel (mehr) bestehen (stRspr, vgl zB EuGHE 1982, 3415 LS = NJW 1983, 1257). Das ist etwa dann der Fall, wenn die Anwendung entscheidungserheblicher Normen durch die Rechtsprechung des EuGH bereits geklärt ist (EuGH, ebenda; BSGE 70, 206, 215 = SozR 3—4100 § 4 Nr 3 S 21 mwN; BSG SozR 3—6050 Art 71 Nr 8 S 48).
[22] aa) Art 27 EWGV 1408/71 bestimmt für Personen mit Renten aus mehreren Mitgliedstaaten (Doppelrentner oder Mehrfachrentner) den Wohnmitgliedstaat als primären kollisionsrechtlichen Anknüpfungspunkt und den dort zuständigen Träger als primär (endgültig) leistungszuständig und kostentragungspflichtig, soweit (auch) nach dessen Rechtsvorschriften ein Anspruch auf Leistungen im Fall von Krankheit besteht (vgl Schuler, in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Art 27 EWGV 1408/71 RdNr 1). Nur wenn ein Anspruch auf Leistungen bei Krankheit nach dem Recht des Wohnmitgliedstaats nicht gegeben ist, wohl aber nach den Rechtsvorschriften des oder der weiteren rentengewährenden Mitgliedstaaten, findet Art 28 EWGV 1408/71 Anwendung. Primär (endgültig) leistungszuständig und kostentragungspflichtig ist dann dieser Mitgliedstaat bzw sind dann diese Mitgliedstaaten (vgl Art 28 Abs 1 EWGV 1408/71). Voraussetzung für die primäre (endgültige) Leistungszuständigkeit und Kostentragungspflicht des (rentengewährenden) Wohnmitgliedstaats ist nach Art 27 EWGV 1408/71, dass der Rentenbezieher nach den Rechtsvorschriften dieses Staates (allgemein) einen konkreten – also nicht nur dem Grunde nach bestehenden – Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit im Rahmen eines gesetzlichen Sicherungssystems für den Fall der Krankheit hat (vgl Schuler, aaO, Art 27 EWGV 1408/71 RdNr 3); unerheblich ist dabei, an welchen (Anlass) Tatbestand (Rentenbezug, bloß fehlende Absicherung im Krankheitsfall, usw) das Recht des Wohnmitgliedstaats den Krankenversicherungsschutz für Rentner knüpft. Einen solchen Anspruch haben Personen wie die Klägerin seit 1. 4. 2007. Nach Art 27 EWGV 1408/71 ist seit diesem Zeitpunkt der Wohn (mitglied) staat Deutschland kollisionsrechtlich ausschließlich (endgültig) leistungszuständig und kostentragungspflichtig. Art 27 EWGV 1408/71 weicht dabei für die Gewährung von Sachleistungen bei Krankheit an Rentner, die in dem zur Zahlung der Rente verpflichteten Mitgliedstaat wohnen, nicht von der allgemeinen – für Personen, die endgültig jede Berufstätigkeit aufgegeben haben (vgl Urteil des EuGH vom 11. 6. 1998, C-275/96 – Kuusijärvi, EuGHE I-3443, 3456 RdNr 39 f; Urteil vom 11. 11. 2004, C-372/02 – Adanez-Vega, EuGHE I-10796 = SozR 4—6050 Art 71 Nr 4, RdNr 24), geltenden – Kollisionsnorm des Art 13 Abs 2 Buchst f EWGV 1408/71 ab (vgl zum Verhältnis der allgemeinen Kollisionsnormen in Titel II der EWGV 1408/71 zu den besonderen Kollisionsnormen für die einzelnen Leistungsarten, die Titel III bilden, stellvertretend EuGH Urteil vom 11. 11. 2004, C-372/02 – Adanez-Vega, EuGHE I-10796 = SozR 4—6050 Art 71 Nr 4, RdNr 19 f).
[23] bb) Grundsätzlich sind die Mitgliedstaaten nach dem Gemeinschaftsrecht befugt, Ansprüche auf Sachleistungen bei Krankheit im Rahmen ihrer gesetzlichen Sicherungssysteme für den Fall der Krankheit an Bedingungen zu knüpfen. Das gilt auch und vor allem, soweit solche Leistungsansprüche grundsätzlich und in aller Regel von dem Bestehen von Krankenversicherungspflicht abhängen und der einzelne Mitgliedstaat deren Eintritt (einschränkenden) Voraussetzungen unterwirft.
[24] (1) Den Mitgliedstaaten bleibt es nach dem Gemeinschaftsrecht überlassen, die Sozialversicherungspflicht selbst zu regeln. So betont der EuGH in ständiger Rechtsprechung, dass das Gemeinschaftsrecht die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt lässt, ihre Systeme der sozialen Sicherheit auszugestalten (vgl Urteil vom 11. 1. 2007, C-208/05 – ITC, EuGHE I-213 = SozR 4—6035 Art 39 Nr 2, RdNr 39, 61; Urteil vom 17. 6. 1997, C-70/95 – Sodemare SA, EuGHE I-3422, 3433 RdNr 27; Urteil vom 17. 2. 1993, C-159/91 und C-160/91 – Poucet, EuGHE I-664, 667 RdNr 6; Urteil vom 7. 2. 1984, C-238/82 – Duphar, EuGHE I-523, 540 f RdNr 16). Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Entscheidung des nationalen Parlamentsgesetzgebers über die Einbeziehung und Nichteinbeziehung bestimmter Personengruppen in die Systeme der sozialen Sicherheit. Die Existenz nationaler Sozialrechtsordnungen bleibt insoweit unberührt, deren Unterschiede bleiben bestehen (stRspr; vgl etwa EuGH Urteil vom 15. 1. 1986, 41/84 – Pinna, EuGHE I-17, 24 f RdNr 20 f = SozR 6050 Art 73 Nr 9). Soweit gemeinschaftsrechtliche Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen fehlen, geht der EuGH außerdem stets davon aus, dass dem nationalen Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht (vgl etwa EuGH Urteil vom 19. 3. 2002, C-393/99 und C-394/99 – Hervein, EuGHE, I-2862, 2882 RdNr 50 f, 2884 f RdNr 58 = SozR 3—6050 Art 14c Nr 2). Nachteile, die in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen, insbesondere auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, entstehen, sind deshalb hinzunehmen, soweit sie unterschiedslos angewendet werden, geeignet sind, das angestrebte Ziel zu erreichen, und dem Grundsatz der Erforderlichkeit genügen (vgl nur EuGH Urteil vom 19. 3. 2002, C-393/99 und C-394/99 Hervein, aaO, 2882 RdNr 50 f, 2884 f RdNr 58 = SozR 3—6050 Art 14c Nr 2). Nationale Vorschriften über die Einbeziehung von Personen in die Krankenversicherungspflicht bzw ihre Freistellung hiervon sind deshalb grundsätzlich nicht gemeinschaftsrechtswidrig.
[25] (2) Entsprechend verfügte die von der Klägerin repräsentierte Personengruppe bis zum 1. 4. 2007 im Wohn (mitglied) staat Deutschland nicht über einen konkreten Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit im Rahmen der (deutschen) GKV. Denn dieser Personenkreis hatte zu der für Rentner bestehenden Krankenversicherung nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V wegen Fehlens der Vorversicherungszeit (regelmäßig) keinen Zugang. Ebenso wenig konnten sie der GKV nach § 9 SGB V (freiwillig) beitreten oder die freiwillige Mitgliedschaft hatte wegen Beitragsrückständen nach § 191 S 1 Nr 3 SGB V aF geendet. Dieser Befund war am Maßstab der kollisionsrechtlichen Regelungen der Art 27, 28 Abs 1 EWGV 1408/71 hinzunehmen und führte dazu, dass sich für Bezieher einer deutschen Rente und einer Rente nach dem Recht der Schweiz – gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden – eine primäre (endgültige) Leistungszuständigkeit und Kostentragungspflicht deutscher Krankenversicherungsträger nicht ergab.
[26] cc) Seit dem 1. 4. 2007 ordnet das Recht der (deutschen) GKV indessen mit § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V eine Auffang-Versicherungspflicht für Unversicherte an und verschafft dieser Personengruppe damit unter den dort genannten Voraussetzungen konkrete Ansprüche auf Sachleistungen bei Krankheit. Grundsätzlich mit Krankenversicherungsschutz ausgestattet sind damit seit dem 1. 4. 2007 auch Personen in der Situation der Klägerin. Soweit das deutsche Krankenversicherungsrecht die Erfüllung dieses (neuen) Versicherungspflichttatbestandes – als (Grund) Voraussetzung eines konkreten Anspruchs auf Sachleistungen bei Krankheit – ebenso wie die Erfüllung anderer Krankenversicherungspflichttatbestände vom Eintritt (einschränkender) Bedingungen abhängig macht, ist das – wie bereits erörtert – am Maßstab der kollisionsrechtlichen Regelungen der Art 27, 28 Abs 1 EWGV 1408/71 grundsätzlich nicht zu beanstanden. Das gilt so auch für die (negative) Voraussetzung, dass es für das Entstehen dieser Versicherungspflicht allgemein an einem anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall fehlen muss bzw bei prinzipiellem Bestehen anderweitiger Absicherung ein bestimmtes, vergleichbares Leistungsniveau nicht erreicht wird. Allerdings darf das Entstehen von Krankenversicherungspflicht und damit ein konkreter Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit im Rahmen eines gesetzlichen Sicherungssystems für den Fall der Krankheit nicht an solche Bedingungen geknüpft werden, die mit der im vorrangigen Gemeinschaftsrecht festgelegten kollisionsrechtlichen Zuordnung der primären (endgültigen) Leistungszuständigkeit und Kostentragungspflicht an den Wohn (mitglied) staat Deutschland im Widerspruch stehen. Das wäre aber bei einer Auslegung des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V, wie sie die Beklagte befürwortet, der Fall.
[27] (1) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH bilden die Vorschriften der EWGV 1408/71, nach denen sich die anzuwendenden Rechtsvorschriften bestimmen, ein geschlossenes System von Kollisionsnormen, das den nationalen Gesetzgebern die Befugnis nimmt, in diesem Bereich den Geltungsbereich und die Anwendungsvoraussetzungen ihrer nationalen Rechtsvorschriften im Hinblick darauf zu bestimmen, welche Personen ihnen unterliegen und in welchem Gebiet sie ihre Wirkung entfalten sollen (stRspr; grundlegend EuGH Urteil vom 12. 6. 1986, 302/84 – Ten Holder, EuGHE I-1827 RdNr 21 = SozR 6050 Art 13 Nr 8; ferner Urteil vom 10. 7. 1986, 60/85 – Luijten, EuGHE I-2368 RdNr 14 = SozR 6050 Art 13 Nr 9; Urteil vom 11. 11. 2004, C-372/02 – Adanez-Vega, EuGHE I-10796 = SozR 4—6050 Art 71 Nr 4, RdNr 18; zuletzt Urteil vom 14. 10. 2010, C-345/09 – van Delft, EuGHE I-9912 RdNr 51). Wie der EuGH bereits in seinen Urteilen vom 23. 9. 1982 (276/81 – Kuijpers, EuGHE I-3027 = SozR 6050 Art 14 Nr 2, und 275/81 – Koks, EuGHE I-3013 = SozR 6050 Art 13 Nr 4) entschieden hat, können "die Mitgliedstaaten nicht auch bestimmen …, inwieweit ihre eigenen Rechtsvorschriften oder die eines anderen Mitgliedstaats anwendbar sind", da sie "verpflichtet sind, die geltenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu beachten". Weil die Kollisionsnormen der EWGV 1408/71 danach für die Mitgliedstaaten zwingend sind, kann es nicht zugelassen werden, dass die Mitgliedstaaten oder die Sozialversicherten (selbst), die vom Geltungsbereich dieser Normen erfasst werden, deren Wirkungen "aushebeln" können, indem es ihnen freisteht, sich ihnen zu entziehen; insoweit hängt die Anwendung der Kollisionsnormen der EWGV 1408/71 nämlich ausschließlich von der "objektiven Lage" ab (vgl EuGH Urteil vom 14. 10. 2010, C-345/09 – van Delft, EuGHE I-9912 RdNr 52, mwN aus seiner früheren Rechtsprechung). Räumen die Kollisionsnormen der EWGV 1408/71 also nicht (ihrerseits) ausdrücklich ein Wahlrecht hinsichtlich der anzuwendenden Rechtsvorschriften ein, so werden diese "ohne Angebot einer Alternative" nach objektiven Kriterien durch das Kollisionsrecht (selbst) – unter Berücksichtigung der jeweiligen Anknüpfungen an die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats – bestimmt (vgl Urteil vom 14. 10. 2010, C-345/09 – van Delft, EuGHE I-9912 RdNr 54, 57).
[28] (2) Hiervon ausgehend widerspräche es einer an der "objektiven Lage" orientierten kollisionsrechtlichen Anordnung der primären (endgültigen) Leistungszuständigkeit und Kostentragungspflicht des (rentengewährenden) Wohn (mitglied) staats bei Doppelrentnern nach Art 27 EWGV 1408/71, dürfte der Wohn (mitglied) staat (hier: Deutschland) bei der Einbeziehung von Rentnern wie der Klägerin in die allgemeine Krankenversicherungspflicht das Entstehen der Krankenversicherungspflicht – und damit einen konkreten Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit – davon abhängig machen, dass der Staat der weiteren Rente (hier: Schweiz) keine (ausreichende) anderweitige Absicherung im Krankheitsfall vorhält. Die Regelung eines solchen Nachrangs der Krankenversicherungspflicht auf der Ebene des nationalen mitgliedstaatlichen Rechts durch den Wohn (mitglied) staat würde, wäre sie auch im Kollisionsrecht maßgebend, nämlich zu einer unzulässigen "Verlagerung" der durch die kollisionsrechtlichen Regelungen der Art 27, 28 Abs 1 EWGV 1408/71 zwingend angeordneten primären (endgültigen) Leistungszuständigkeit und Kostentragungspflicht des Wohn (mitglied) staats auf den Staat der weiteren Rente führen. Wäre ein solcher, im mitgliedstaatlichen Recht angeordneter Nachrang zu berücksichtigen, würde der kollisionsrechtlich bestimmte Vorrang des krankenversicherungsrechtlichen Statuts des Wohn (mitglied) staats (gerade) umgangen und bei eigentlich gegebenem kollisionsrechtlichen Nachrang des krankenversicherungsrechtlichen Statuts des Staates der weiteren Rente ein kollisionsrechtlicher Vorrang des Statuts dieses Staates geschaffen. Dieser Widerspruch zum kollisionsrechtlichen Grundverständnis der Art 27, 28 Abs 1 EWGV 1408/71 steht einer Auslegung des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V entgegen, nach der – in Fällen wie dem vorliegenden – ein die Auffang-Versicherungspflicht ausschließender "anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall" auch dann vorliegen soll, wenn dieser Anspruch im Staat der weiteren Rente besteht.
[29] (3) Der aus den vorstehend genannten Gründen des Gemeinschaftsrechts gebotenen (einschränkenden) Auslegung des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V kann nicht etwa entgegengehalten werden, Art 27 und Art 28 Abs 1 EWGV 1408/71 hätten lediglich leistungsrechtlichen Charakter und legten allein fest, welche nationalen Rechtsvorschriften für die Leistungszuständigkeit und die Kostentragungspflicht gelten, enthielten aber keine Aussage dazu, unter welchen Voraussetzungen – auf der Ebene des mitgliedstaatlichen Rechts – Rentner dem Kreis der gesetzlich Krankenversicherten zugehören oder nicht; im vorliegenden Rechtsstreit werde aber (gerade) allein um die Feststellung von Krankenversicherungspflicht gestritten. Dagegen spricht, dass es der Klägerin der Sache nach darum geht, dass ihr als Versicherter Leistungen der GKV zur Verfügung gestellt werden. In einer Situation wie dieser hat der EuGH (auch) schon in der Vergangenheit durch seine Auslegung der EWGV 1408/71 Personen den Zugang zu einem System der sozialen Sicherheit "eröffnet", wenn es der Versicherungszugehörigkeit als (Grund) Voraussetzung für einen Leistungsanspruch bedurfte (vgl zuletzt Urteil vom 30. 6. 2011, C-388/09 – da Silva Martins, EuGHE I-5761 RdNr 50 ff = SozR 4—6050 Art 15 Nr 2 = ZESAR 2012, 32: Ermöglichung der freiwilligen Weiterversicherung in der [deutschen] sozialen Pflegeversicherung, damit Pflegegeld in Anspruch genommen werden kann). Für die Anwendung von Art 27 EWGV 1408/71 ist der Umstand, dass § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V eine Regelung der Krankenversicherungspflicht enthält und keine solche des Leistungsrechts der GKV, danach ohne Bedeutung.
[30] (4) Die von der Beklagten befürwortete Auslegung des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V entspräche schließlich nicht (doch) ausnahmsweise den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts, wenn die Schweiz, ohne nach den Kollisionsregeln der EWGV 1408/71 für die Leistungsgewährung zuständiger Staat zu sein, für den von der Klägerin repräsentierten Personenkreis (gleichwohl) einen entsprechenden Krankenversicherungsschutz bereithielte. Im besonderen Zusammenhang von Familienleistungen für Arbeitnehmer und Selbstständige bzw deren Familienangehörige hat der EuGH unter Hinweis auf die Anforderungen des Primärrechts entschieden, dass ein auf der Grundlage von Art 13 ff EWGV 1408/71 nicht zuständiger Mitgliedstaat gemeinschaftsrechtlich (jedenfalls) nicht gehindert sei, einen weitergehenden sozialen Schutz zu gewähren, als er sich aus der Anwendung der EWGV 1408/71 ergibt (vgl EuGH Urteil vom 12. 6. 2012, C-611/10 und 612/10 – Hudzinski ua, ZESAR 2012, 475 RdNr 55 = DStRE 2012, 999, und Urteil vom 16. 7. 2009, C-208/07 – von Chamier-Glisczinski, EuGHE I-6120 = SozR 4—6050 Art 19 Nr 3, RdNr 56, jeweils unter Hinweis auf EuGH Urteil vom 20. 5. 2008, C-352/06 – Bosman, EuGHE I-3848 RdNr 28 ff, 33). Ein solcher Mitgliedstaat könne grundsätzlich darüber entscheiden, ob und in welcher Weise er den Umstand berücksichtigen wolle, dass in dem zuständigen Mitgliedstaat ein Anspruch auf eine vergleichbare Leistung bestehe (vgl Urteil vom 12. 6. 2012, C-611/10 und 612/10 – Hudzinski ua, aaO, RdNr 70). Verpflichte er sich (gleichwohl) tatsächlich zur Leistungsgewährung, werde das durch die Rechtsvorschriften der EWGV 1408/71 nicht ausgeschlossen (grundlegend insoweit EuGH Urteil vom 20. 5. 2008, C-352/06 – Bosmann, EuGHE I-3848 RdNr 28 ff, 33). Diese Entscheidungen des EuGH ändern an der rechtlichen Beurteilung im vorliegenden Fall bereits deshalb nichts, weil der EuGH darin (nationale) Nachrangregelungen eines nach den Kollisionsvorschriften der EWGV 1408/71 (gerade) nicht zuständigen und nicht – wie hier – des zuständigen Staats zu beurteilen hatte, sodass diese Entscheidungen deshalb nicht einschlägig sind. Darüber hinaus können (nationale) Nachrangregelungen im Bereich kollisionsrechtlicher Zuweisungen nach der EWGV 1408/71 ganz allgemein keine "Prioritätenumkehr" mit gemeinschaftsrechtlicher Wirkung zugunsten (bzw zulasten) der Anwendung von nationalen Rechtsvorschriften des für die Leistungsgewährung nicht zuständigen Staats bewirken. Ob schweizerisches Recht Personen wie der Klägerin möglicherweise einen weitergehenden Krankenversicherungsschutz gewährt, ist im vorliegenden Revisionsverfahren daher nicht zu prüfen; auch in diesem kollisionsrechtlichen Zusammenhang bedarf es – entgegen der vom SG vertretenen Auffassung – einer Befassung mit dem (nationalen) Krankenversicherungsrecht der Schweiz also nicht (vgl schon oben c).
[31] 3. Nach allem war die Revision der Beklagten zurückzuweisen und das Urteil des SG zu bestätigen. Für die Klägerin besteht seit 1. 4. 2007 Versicherungspflicht in der (deutschen) GKV nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V.
[32] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.