Bundesarbeitsgericht
Schwerbehindertenvertretung – Wahlanfechtung – rechtzeitige Bekanntgabe von Wahlhandlungen
BAG, Beschluss vom 10. 7. 2013 – 7 ABR 83/11 (lexetius.com/2013,3395)
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 4. und der Beteiligten zu 5. gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 12. Oktober 2011 – 11 TaBV 29/11 – wird zurückgewiesen.
[1] Gründe: A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Wahl zur Schwerbehindertenvertretung.
[2] Im B-Werk R beschäftigte die Arbeitgeberin 813 zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung berechtigte Arbeitnehmer, ua. die an diesem Verfahren zu 1. bis 3. beteiligten Antragsteller. Der Beteiligte zu 4. wurde zur Vertrauensperson gewählt. Beteiligte zu 5. ist die erste stellvertretende Vertrauensperson. Bei dem Beteiligten zu 2., der zugleich Antragsteller ist, handelt es sich um die zweite stellvertretende Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen.
[3] Mit dem Wahlausschreiben vom 7. September 2010 leitete der Wahlvorstand das Verfahren zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung ein. Darin heißt es auszugsweise:
"7. Der Wahlvorstand hat schriftliche Stimmabgabe beschlossen.
Die Unterlagen zur Briefwahl werden den Wahlberechtigten an die Heimatadresse geschickt und müssen bis spätestens 26. Oktober 2010, um 12. 00 Uhr an den Wahlvorstand zurückgesendet bzw. übergeben werden. Die Zusendung der Wahlunterlagen entbindet den Wähler aber nicht von der Möglichkeit, sollte er keine Unterlagen erhalten, diese beim Wahlvorstand zu beantragen.
8. Die öffentliche Sitzung des Wahlvorstandes zur Auszählung der Stimmen und Feststellung des Wahlergebnisses findet am 26. Oktober 2010, 13. 00 Uhr im B AG Werk 6. 1, Geb. 10. 0 OG (R-B, Besprechungsraum) statt."
[4] Der Wahlvorstand fasste in seiner Sitzung vom 29. September 2010 ua. folgenden Beschluss:
"4. Briefwahl
Die Briefwahlunterlagen werden in der KW 40 erstellt und an alle Wahlberechtigten verschickt.
Einstimmiger Beschluss
Die Briefwahlunterlagen (Freiumschläge) werden am 26. 10. 2010 unmittelbar vor Wahlabschluss geöffnet. Der Wahlvorstand sowie die eingeteilten Wahlhelfer, L und R treffen sich dazu am 26. 10. 2010 um 11. 00 Uhr im Besprechungsraum des Betriebsrats. Dieser ist bereits reserviert.
Einstimmiger Beschluss"
[5] Die Freiumschläge wurden am 26. Oktober 2010 in der Zeit von 11: 00 Uhr bis 12: 45 Uhr bei offen stehender Tür im Besprechungsraum des Betriebsrats geöffnet.
[6] Nach Öffnung der Freiumschläge prüfte der Wahlvorstand die schriftlichen Erklärungen auf Vollständigkeit, vermerkte die Stimmabgabe in der elektronischen Wählerliste und warf die verschlossenen Wahlumschläge in die mit einem Vorhängeschloss gesicherte Wahlurne ein. Danach wurde der Raum für die Zeit zwischen 12: 45 Uhr und 13: 00 Uhr verschlossen. Um 13: 00 Uhr wurde die Wahlurne in Anwesenheit von vier Wahlvorstandsmitgliedern, zwei Wahlhelfern und weiteren Personen, ua. dem Beteiligten zu 2., geöffnet. Am 27. Oktober 2010 machte der Wahlvorstand das Wahlergebnis durch Aushang bekannt.
[7] Mit am 9. November 2010 beim Arbeitsgericht eingegangener Antragsschrift haben die Beteiligten zu 1. bis 3. die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung angefochten. Sie haben die Auffassung vertreten, die Öffnung der Freiumschläge am 26. Oktober 2010 in der Zeit bis 12: 45 Uhr sei entgegen § 12 Abs. 1 Satz 1 Wahlordnung Schwerbehindertenvertretung (SchwbVWO) nicht öffentlich erfolgt, weil Ort und Zeit für diese Handlungen des Wahlvorstands nicht öffentlich bekannt gemacht worden seien. Wahlöffentlichkeit und Wahltransparenz seien wesentliche Prinzipien einer jeden Wahl, um Fehler und Manipulationsmöglichkeiten weitgehend auszuschließen. Eine Sitzung sei nicht bereits deshalb öffentlich iSv. § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO, weil zufällig Personen anwesend seien oder durch entsprechende Nachforschungen Ort und Zeitpunkt des Öffnens der Freiumschläge ermitteln könnten.
[8] Die Antragsteller haben beantragt, die Wahl der Schwerbehindertenvertretung bei der B AG im Werk 6, R, vom 26. Oktober 2010 für unwirksam zu erklären.
[9] Die Beteiligten zu 4. und 5. sowie die Arbeitgeberin haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie haben die Ansicht vertreten, die Öffentlichkeit der Sitzung sei beim Öffnen der Freiumschläge gewährleistet gewesen. Die Tür zum Besprechungsraum, in dem die Freiumschläge geöffnet worden seien, habe jederzeit offen gestanden, so dass jeder Interessierte den Wahlvorstand habe kontrollieren können. Ein Bekanntmachungserfordernis bestehe nicht. § 5 SchwbVWO enthalte keine Bestimmung, wonach bei schriftlicher Stimmabgabe Ort, Tag und Zeit der Behandlung der Freiumschläge in das Wahlausschreiben aufzunehmen seien. Ort und Zeit der Behandlung der Freiumschläge hätten im Büro des Wahlvorstands erfragt werden können.
[10] Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 4. und 5. war erfolglos. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Beteiligten zu 4. und 5. weiter die Abweisung des Antrags, während die Antragsteller die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde begehren.
[11] B. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben dem Wahlanfechtungsantrag zu Recht entsprochen. Die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung ist nach § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX, § 19 Abs. 1 BetrVG, § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO unwirksam.
[13] 1. Die Antragsteller sind nach § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt. Sie sind in dem Betrieb wahlberechtigte schwerbehinderte Menschen iSd. § 94 Abs. 2 SGB IX.
[14] 2. Die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung ist rechtzeitig binnen zwei Wochen angefochten worden, nachdem das endgültige Wahlergebnis durch Aushang am 27. Oktober 2010 bekannt gegeben wurde, § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Die Antragsschrift ist beim Arbeitsgericht am 9. November 2010 eingegangen.
[15] II. Der Antrag ist begründet. Die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung ist nach § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Danach kann die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen erfüllt. Die Öffnung der Freiumschläge erfolgte nicht in einer öffentlichen Sitzung iSd. § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO. Darin liegt ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren. Dieser Verstoß war geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
[16] 1. Der Wahlvorstand hat gegen eine wesentliche Wahlvorschrift verstoßen, indem er die Freiumschläge nicht, wie nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO geboten, in öffentlicher Sitzung geöffnet hat. Die danach erforderliche Öffentlichkeit setzt bei einer ausschließlich schriftlichen Stimmabgabe voraus, dass Ort und Zeit sämtlicher in § 12 Abs. 1 SchwbVWO genannten Handlungen vorher rechtzeitig bekannt gemacht werden. Dies war hier nicht der Fall.
[17] a) Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO öffnet der Wahlvorstand unmittelbar vor Abschluss der Wahl in öffentlicher Sitzung die bis zu diesem Zeitpunkt eingegangenen Freiumschläge und entnimmt ihnen die Wahlumschläge sowie die vorgedruckten Erklärungen. Ist die schriftliche Stimmabgabe ordnungsgemäß erfolgt (§ 11 SchwbVWO), legt der Wahlvorstand die Wahlumschläge nach Vermerk der Stimmabgabe in der Liste der Wahlberechtigten ungeöffnet in die Wahlurne.
[18] aa) Öffentlichkeit iSd. § 12 Abs. 1 SchwbVWO ist dabei nicht die allgemeine Öffentlichkeit, sondern die Betriebsöffentlichkeit. Es soll denjenigen die Teilnahme ermöglicht werden, die ein berechtigtes Interesse an der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung und ihrem Ausgang haben. Die Öffentlichkeit der Wahl ist Grundvoraussetzung für eine demokratische Willensbildung (vgl. für politische Wahlen BVerfG 3. März 2009 – 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 – Rn. 106, BVerfGE 123, 39). Sie sichert die Ordnungsgemäßheit und Nachvollziehbarkeit der Wahlvorgänge und schafft damit eine wesentliche Voraussetzung für begründetes Vertrauen der Wähler in den korrekten Ablauf der Wahl. Die grundsätzlich gebotene Öffentlichkeit im Wahlverfahren umfasst das Wahlvorschlagsverfahren, die Wahlhandlung – in Bezug auf die Stimmabgabe durchbrochen durch das Wahlgeheimnis – und die Ermittlung des Wahlergebnisses (vgl. für politische Wahlen BVerfG 3. März 2009 – 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 – aaO). Durch das Gebot der Öffentlichkeit sollen interessierte Personen die Möglichkeit erhalten, die Ordnungsmäßigkeit der Feststellung des Wahlergebnisses beobachten zu können, damit der Verdacht von Wahlmanipulationen "hinter verschlossenen Türen" nicht aufkommen kann (vgl. zur Stimmenauszählung nach § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG BAG 15. November 2000 – 7 ABR 53/99 – zu B II 2 der Gründe, BAGE 96, 233). Zur Herstellung dieser Beobachtungsmöglichkeit ist es erforderlich, dass Ort und Zeit sämtlicher öffentlicher Kontrolle unterliegender Vorgänge im Wahlverfahren rechtzeitig vorher bekannt gegeben werden. Es genügt nicht, dass ein Interessierter dies durch eigene Nachfrage beim Wahlvorstand erfahren kann. Das Erfordernis, selbst aktiv zu werden und sich nach dem Bestehen einer Teilnahmemöglichkeit sowie nach Ort und Zeit von öffentlich vorzunehmenden Handlungen des Wahlvorstands zu erkundigen, ist vielmehr geeignet, Zugangsberechtigte von vornherein von der Teilnahme auszuschließen. Müssen interessierte Personen den Wunsch, ihr Kontrollrecht wahrzunehmen, gerade gegenüber den zu kontrollierenden Personen im Vorfeld offenbaren, um Ort und Zeitpunkt ihrer Kontrollmöglichkeit zu erfahren, gibt dies vermeidbaren Anlass zu Misstrauen bzw. Missdeutungen. Diese werden durch eine jederzeit und ohne Ankündigung mögliche Kontrolle wirkungsvoll verhindert (vgl. zur Stimmenauszählung nach § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG BAG 15. November 2000 – 7 ABR 53/99 – aaO).
[19] bb) Bei der schriftlichen Stimmabgabe ist die Kontrollmöglichkeit der Vorgänge nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO von besonderer Bedeutung. Bei der persönlichen Stimmabgabe händigt der Wähler oder die Wählerin nach § 10 Abs. 3 Satz 1 SchwbVWO den Wahlumschlag, in den der Stimmzettel eingelegt ist, dem mit der Entgegennahme der Wahlumschläge betrauten Mitglied des Wahlvorstands aus, wobei der Name des Wählers oder der Wählerin angegeben wird. Sodann ist nach § 10 Abs. 3 Satz 2 SchwbVWO der Wahlumschlag in Gegenwart des Wählers oder der Wählerin in die Wahlurne einzuwerfen, nachdem die Stimmabgabe in der Liste der Wahlberechtigten vermerkt worden ist. Bei der persönlichen Stimmabgabe kann daher der Wähler unmittelbar beobachten und kontrollieren, ob mit der von ihm abgegebenen Stimme korrekt verfahren wird. Diese unmittelbare Beobachtungsmöglichkeit hat der Briefwähler bei der schriftlichen Stimmabgabe nicht. Die Kontrollmöglichkeit trägt hier in besonderem Maße dazu bei, dass gar nicht erst der Verdacht aufkommen kann, es habe bei der Behandlung der Briefwahlstimmen zu Unregelmäßigkeiten kommen können. Auch wird dadurch das Wahlgeheimnis des Briefwählers geschützt. Könnte der Wahlvorstand ohne eine mögliche Kontrolle durch die Öffentlichkeit die Freiumschläge der Briefwähler öffnen und die Wahlumschläge entnehmen, wäre die Gefahr nicht auszuschließen, dass er in die Wahlumschläge Einblick nimmt, um festzustellen, wie der betreffende Wähler seine Stimme abgegeben hat.
[20] cc) Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO hat die Öffnung der Freiumschläge "unmittelbar vor Abschluss der Wahl" zu erfolgen. Erfolgt eine Wahl im Wege der persönlichen Stimmabgabe und werden nur den an der persönlichen Stimmabgabe verhinderten Wahlberechtigten nach § 11 Abs. 1 SchwbVWO Briefwahlunterlagen übersandt, haben die nach § 12 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SchwbVWO vom Wahlvorstand vorzunehmenden Handlungen unmittelbar vor dem Abschluss des in § 10 SchwbVWO näher beschriebenen Wahlvorgangs zu erfolgen (vgl. zu § 26 WO Kreutz GK-BetrVG 9. Aufl. § 26 WO Rn. 2; Fitting 26. Aufl. § 26 WO 2001 Rn. 3). Wenn der Wahlvorstand nach § 11 Abs. 2 SchwbVWO die allgemeine schriftliche Stimmabgabe beschließt, entfällt der Wahlvorgang nach § 10 SchwbVWO. Das ändert jedoch nichts daran, dass die in § 12 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SchwbVWO beschriebenen Vorgänge in öffentlicher Sitzung zu erfolgen haben. Da es aber in einem solchen Fall an einer persönlichen Stimmabgabe fehlt, deren Ort, Tag und Zeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SchwbVWO mitzuteilen wäre, muss der Wahlvorstand, um dem Erfordernis der Öffentlichkeit zu genügen, rechtzeitig Ort und Zeit der in § 12 Abs. 1 SchwbVWO geregelten Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen bekannt geben. Dabei muss der Hinweis nicht notwendig bereits im Wahlausschreiben enthalten sein, sondern kann auch auf andere Weise erfolgen (vgl. dazu auch BAG 15. November 2000 – 7 ABR 53/99 – zu B II 2 der Gründe, BAGE 96, 233).
[21] dd) § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO ist eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren, deren Verletzung nach § 19 Abs. 1 BetrVG iVm. § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX geeignet ist, die Anfechtung der Wahl zu rechtfertigen (vgl. zu § 26 Abs. 1 WO Kreutz GK-BetrVG 9. Aufl. § 26 WO Rn. 2 mwN).
[22] b) Hier hat der Wahlvorstand gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO verstoßen. Nachdem er nach § 11 Abs. 2 SchwbVWO die generelle schriftliche Stimmabgabe beschlossen hatte, hätte er rechtzeitig bekannt machen müssen, wann und wo die in § 12 Abs. 1 SchwbVWO vorgeschriebene Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen stattfinden wird. Dies hat er nicht getan. Die Öffnung der Freiumschläge erfolgte nicht in der im Wahlausschreiben angekündigten Sitzung am 26. Oktober 2010 um 13: 00 Uhr, sondern am selben Tage bereits in der Zeit zwischen 11: 00 Uhr bis 12: 45 Uhr. Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 4. und 5. genügt es zur Herstellung der Öffentlichkeit nicht, dass die Tür zu dem Besprechungsraum offen stand, in dem die Freiumschläge geöffnet wurden. Auch der Umstand, dass jeder Interessierte auf Nachfrage beim Wahlvorstand erfahren hätte, wann und wo die Freiumschläge geöffnet werden, machte die rechtzeitige Bekanntmachung von Zeit und Ort der Öffnung der Freiumschläge und der daran sich anschließenden Handlungen nicht entbehrlich.
[23] 2. Der Verfahrensverstoß war geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
[24] a) Nach § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dabei ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Wahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Ergebnis erzielt worden wäre. Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (st. Rspr. BAG 18. Juli 2012 – 7 ABR 21/11 – Rn. 30 mwN).
[25] b) In diesem Sinne war der Verstoß gegen § 12 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SchwbVWO geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es bei dem Öffnen der Freiumschläge, bei der Bewertung, ob die Stimmabgabe iSv. § 11 SchwbVWO ordnungsgemäß war, bei dem Vermerk der Stimmabgabe oder bei dem Einwurf der Wahlumschläge in die Wahlurne zu Fehlern gekommen ist, die bei einer Öffnung der Freiumschläge in öffentlicher Sitzung nicht unterlaufen wären. Es kommt nicht darauf an, ob tatsächliche objektive Anhaltspunkte für solche Fehler vorliegen. Die Vorschrift soll der Minderung abstrakter Gefährdungen dienen (vgl. zu § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG BAG 15. November 2000 – 7 ABR 53/99 – zu B II 3 und 4 der Gründe, BAGE 96, 233).