Bundessozialgericht
Soziale Pflegeversicherung – Pflegebedarf – Grundpflege – Verrichtung der Nahrungsaufnahme – Hilfe bei der parenteralen Ernährung – krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen – Behandlungspflege – häusliche Krankenpflege
BSG, Urteil vom 8. 10. 2014 – B 3 P 4/13 R (lexetius.com/2014,4296)
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. August 2013 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
[1] Tatbestand: Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für die Zeit ab Januar 2010 Pflegegeld der Pflegestufe II statt der zuerkannten Pflegestufe I zusteht.
[2] Der am 11. 8. 2000 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert und erhält seit 16. 12. 2009 Pflegegeld nach der Pflegestufe I. Nach einer schweren Darmnekrose im Alter von vier Jahren mit mehrfachen Operationen leidet er an einem schweren Kurzdarm-Syndrom. Ein Versuch mit Sondenkosternährung musste wegen zu geringer Resorptionsmenge aufgegeben werden. Der Kläger nimmt ca 8 bis 12 kleine Mahlzeiten täglich zu sich und wird daneben intravenös über Broviac-Katheter ernährt (parenterale Ernährung). Die Stoffwechsellage ist weiter instabil, es kommt zu intermittierenden Azidosen und Unterzuckerungszuständen.
[3] Eine am 5. 1. 2010 beantragte Höherstufung auf Geldleistungen nach der Pflegestufe II lehnte die Beklagte nach Einholung eines sozialmedizinischen Pflegegutachtens, in dem ein Zeitbedarf für die Grundpflege von 53 Minuten täglich festgestellt worden war, ab (Bescheid vom 26. 1. 2010). Auf den Widerspruch der Mutter des Klägers bestätigte die Gutachterin des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) einen durch die zwei bis drei Mal wöchentlich auftretenden Azidosen verursachten pflegerischen Mehraufwand von ca 10 Minuten täglich, lies aber den Zeitaufwand für die parenterale Ernährung weiter unberücksichtigt. Auf dieser Grundlage wies der Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 31. 5. 2010).
[4] Klage und Berufungsverfahren sind erfolglos geblieben (Urteil des SG Trier vom 28. 9. 2012; Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 19. 8. 2013). Das LSG hat ausgeführt: Die parenterale Ernährung gehöre nicht zur Verrichtung der Nahrungsaufnahme (§ 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI), die grundsätzlich über den Mund erfolge. Deshalb werde das "mundgerechte Zubereiten der Nahrung" zur Grundpflege gerechnet (§ 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI). Nahrung seien dabei alle festen und flüssigen Stoffe, die der Mensch zu seiner Ernährung zu sich nehme. Die Ernährung über Sonden mit ausschließlich flüssigen Nahrungsmitteln sei nach den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch des Sozialgesetzbuches – Begutachtungsrichtlinien (D. 4. 2. 9.) von der Nahrungszufuhr umfasst. Bei der parenteralen Ernährung werde dagegen nicht nur der Mund, sondern auch der Magendarmtrakt mit der dortigen Verarbeitung der Nahrung umgangen. Hilfeleistungen bei der parenteralen Ernährung gehörten daher nicht zur Grundpflege, sondern zu den im Rahmen der häuslichen Krankenpflege verordnungsfähigen Leistungen der Behandlungspflege iS des § 37 Abs 2 SGB V iVm Nr 16 der Anlage der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 und Abs 7 SGB V. Da die parenterale Ernährung über den Broviac-Katheter in der Nacht erfolge und kein unmittelbarer zeitlicher oder sachlicher Zusammenhang mit der oralen Nahrungsaufnahme bestehe, handele es sich nicht um eine verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme.
[5] Mit der Revision macht der Kläger geltend, der für die Pflegestufe II erforderliche Hilfebedarf von 120 Minuten für die Grundpflege werde unter Berücksichtigung des für die parenterale Ernährung erforderlichen Hilfebedarfs erreicht. Die Verrichtung der Nahrungsaufnahme beschränke sich nach Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck des § 14 Abs 4 Ziffer 2 SGB XI weder allein auf eine Nahrungsaufnahme mit dem Mund, noch sei eine Verarbeitung der Nahrung im Magendarmtrakt notwendig. Schon nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 12/5262, S 96, 97), die die Sondennahrung mit ausschließlich flüssigen Nahrungsmitteln als eine Form der künstlichen Ernährung beispielhaft aufführe, könne es auf eine Aufnahme der Nahrung in den Mund jedenfalls nicht ankommen. Unter Nahrungsaufnahme sei die Zufuhr aller zur Erhaltung des Lebens, dh des Betriebs- und Baustoffwechsels, notwendigen Flüssigkeiten und festen Nährstoffe zu verstehen (Definition der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, www. gbe-bund. de). Auch wenn die parenterale Ernährung eine behandlungspflegerische Leistung im Sinne des SGB V sei, müsse sie als untrennbarer Bestandteil der Verrichtung der Nahrungsaufnahme der Grundpflege zugerechnet werden, weil sie eine Maßnahme der Grundpflege vollständig ersetze.
[6] Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß, die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. 8. 2013 und des Sozialgerichts Trier vom 28. 9. 2012 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 26. 1. 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. 5. 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Pflegegeld ab 1. 1. 2010 nach der Pflegestufe II unter Anrechnung bereits geleisteten Pflegegeldes zu zahlen; hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. 8. 2013 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
[7] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[8] Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, die parenterale Ernährung könne auch schon deshalb nicht den Grundpflegeverrichtungen zugerechnet werden, weil die Komplikationsrate durch die periphere Venenverweilkanüle oder einen zentralen Venenkatheter erheblich höher sei als bei der Sondenernährung.
[9] Entscheidungsgründe: Der Senat konnte trotz der fehlenden Vertretung des Klägers im Termin (einseitig) mündlich verhandeln und entscheiden, weil der Kläger in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist und keine erheblichen Gründe iS der §§ 202 SGG, 227 ZPO für eine Vertagung vorlagen.
[10] Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht begründet. Der Zeitaufwand, den eine Pflegeperson für die erforderlichen Hilfeleistungen zur parenteralen Ernährung benötigt, ist für die Zuordnung zu einer Pflegestufe zu berücksichtigen (hierzu 1.). Da weder dieser noch im Übrigen der für die Zuordnung des Klägers zu einer Pflegestufe erforderliche Zeitaufwand insgesamt hinreichend festgestellt wurde (hierzu 2.), kann der Senat nicht entscheiden, ob die Voraussetzungen der Pflegestufe II vorliegen.
[11] 1. Für die Gewährung von Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) sind nach § 15 SGB XI (idF durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung – GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG vom 26. 3. 2007, BGBl I S 378) pflegebedürftige Personen iS des § 14 SGB XI einer der drei Pflegestufen zuzuordnen:
1. Pflegebedürftige der Stufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
2. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
3. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
[12] Bei Kindern ist für die Zuordnung der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend (§ 15 Abs 2 SGB XI). Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss nach § 15 Abs 3 SGB XI wöchentlich im Tagesdurchschnitt
1. in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen,
2. in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen,
3. in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen.
[13] Bei der Feststellung des Zeitaufwandes ist nach § 15 Abs 3 Satz 2 SGB XI ein Zeitaufwand für erforderliche verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen zu berücksichtigen; dies gilt auch dann, wenn der Hilfebedarf zu Leistungen nach dem Fünften Buch führt. Verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen sind nach § 15 Abs 3 Satz 3 SGB XI Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung nach § 14 Abs 4 SGB XI ist oder mit einer solchen Verrichtung notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht.
[14] Nach Maßgabe dieser Vorschriften ist die parenterale Ernährung eine verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme und der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die hierzu erforderlichen Hilfeleistungen benötigt, ist für die Bestimmung der Pflegestufe zu berücksichtigen. Denn die parenterale Ernährung ist untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung nach § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI, nämlich der Nahrungsaufnahme.
[15] a) Behandlungspflege, die als krankenpflegerische Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nach Maßgabe der §§ 37 ff SGB V gewährt wird, und die von der Pflegeversicherung umfasste Grundpflege sind im Einzelfall nicht immer klar gegeneinander abzugrenzen. Unter der Behandlungspflege werden die krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen erfasst, das heißt solche, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Heilberufe oder auch von Laien erbracht werden (BSG SozR 3—3300 § 14 Nr 2, 9, 11 und 18). Im Rahmen der Krankenhausersatzpflege nach § 37 Abs 1 Satz 1 und Satz 3 SGB V umfasst die häusliche Krankenpflege neben der Behandlungspflege auch die im Einzelfall erforderliche Grundpflege sowie die hauswirtschaftliche Versorgung, sodass zeitgleich Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nicht in Betracht kommen. Demgegenüber wird nach § 37 Abs 2 SGB V als häusliche Krankenpflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung lediglich Behandlungspflege gewährt. Zwar umfasst dieser Anspruch auch verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen (und zwar auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14, 15 des Elften Buches zu berücksichtigen ist), Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung sind aber unter diesen Voraussetzungen grundsätzlich nicht Aufgabe der Kranken- sondern der Pflegeversicherung. Im Rahmen der daher erforderlichen Abgrenzung zwischen Behandlungspflege und Grundpflege ist zu berücksichtigen, dass es Überschneidungsbereiche gibt, in denen die Grundpflege gleichzeitig Krankenpflege ist und umgekehrt. Das ist dann der Fall, wenn die Hilfe untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung aus dem Katalog grundpflegerischer Verrichtungen des § 14 Abs 4 SGB XI ist oder jedenfalls mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht. Das BSG hat für solche Pflegemaßnahmen den Begriff der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahme geprägt (BSG SozR 3—2500 § 37 Nr 3; vgl auch BSG Urteil vom 16. 7. 2014 – B 3 KR 2/13 R – vorgesehen für SozR 4—2500 § 37 Nr 12 – Gilchristverband).
[16] b) Bei der Zuordnung dieser Pflegemaßnahmen zum Aufgabenkreis der Kranken- und/oder Pflegeversicherung sind vorrangig die unterschiedlichen Ziele dieser Gesetze zu berücksichtigen. Die Pflegeversicherung ist insbesondere mit dem Ziel geschaffen worden, die Bereitschaft von Angehörigen und sonstigen ehrenamtlichen Pflegekräften zur häuslichen Pflege zu unterstützen und zu fördern. Demgegenüber besteht ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs 1 und Abs 2 SGB V nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken nicht in dem erforderlichen Umfang pflegen und versorgen kann (§ 37 Abs 3 SGB V). Die gesetzliche Krankenversicherung wird auf diese Weise durch die familiäre Hilfe entlastet. Für Kinder besteht daher in aller Regel kein Anspruch auf häusliche Krankenpflege, wenn die Pflegemaßnahmen keine Fachkunde erfordern. Unter diesem Gesichtspunkt hat die Rechtsprechung schon sehr früh festgestellt, dass eine Zuordnung der Behandlungspflege zu den Leistungen der Krankenversicherung insbesondere dann geboten ist, wenn die Behandlungspflege von fachlich qualifizierten Krankenpflegekräften zu erbringen ist (vgl BSG SozR 3—2500 § 53 Nr 10). Demgegenüber besteht kein Grund, Behandlungspflege, die keine Fachkunde erfordert und bei denen eine Hilfeleistung im Zusammenhang mit den Katalogtätigkeiten erforderlich wird, bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit unberücksichtigt zu lassen. Denn die Einbeziehung krankheitsspezifischer Pflegemaßnahmen in die Bemessung des Pflegebedarfs entspricht dem mit der Einführung der Pflegeversicherung verbundenen gesetzgeberischen Ziel, durch die Förderung der Bereitschaft zur häuslichen Pflege die kostenintensive stationäre Pflege zurückzudrängen (BT-Drucks 11/2237, S 148, 182 in Bezug auf die Einführung der §§ 53 ff SGB V zum 1. 1. 1989; BT-Drucks 12/5262, S 61 ff in Bezug auf die Einführung des SGB XI zum 1. 1. 1995). Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs besteht die Aufgabe der Pflegeversicherung insbesondere darin, denjenigen Pflegebedürftigen Hilfen zur Verfügung zu stellen, die aufgrund des Ausmaßes ihrer Pflegebedürftigkeit in einer Weise belastet sind, dass ein Eintreten der Solidargemeinschaft notwendig wird, um eine Überforderung der Leistungskraft des Pflegebedürftigen und seiner Familie zu verhindern (so zum Ausdruck gekommen in § 1 Abs 4 SGB XI; vgl BT-Drucks 12/5262 S 89). Hilfeleistungen, durch welche die Angehörigen erheblich belastet werden und die zugleich im Rahmen der Katalogverrichtungen des § 14 Abs 4 SGB XI für die existenzielle Lebensführung des Pflegebedürftigen unverzichtbar sind, sind daher konsequenterweise bei der Bemessung des Pflegebedarfs für den Leistungsanspruch in der Pflegeversicherung zu berücksichtigen.
[17] c) Vor diesem Hintergrund hat das BSG die verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen zunächst in die ausschließliche Zuständigkeit der Pflegeversicherung verwiesen. Daraufhin hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz [GMG] vom 14. 11. 2003, BGBl I S 2190) dem § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V einen Halbsatz hinzugefügt, nach welchem das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse 2 vom Anspruch auf häusliche Krankenpflege auch dann erfasst wurde, wenn dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI zu berücksichtigen war. Dadurch hat der Gesetzgeber eine Doppelzuständigkeit von Kranken- und Pflegeversicherung geschaffen. Um aufgrund dieser doppelten Zuständigkeit für dieselben Leistungen Doppelleistungen zu vermeiden, hat die Rechtsprechung anschließend den Versicherten ein Wahlrecht zugestanden, ob sie die Maßnahme als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der Behandlungssicherungspflege beanspruchen oder eine Berücksichtigung im Rahmen von Leistungen der Pflegeversicherung vorziehen. Sie hat dieses Wahlrecht auf alle verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen ausgeweitet (BSG SozR 4—2500 § 37 Nr 3 RdNr 28 ff = BSGE 94, 192 RdNr 31 ff). Dieses Wahlrecht der Versicherten hat der Gesetzgeber zum 1. 4. 2007 durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG vom 26. 3. 2007, BGBl I S 378) wieder beseitigt, die Regelung gleichzeitig aber entsprechend der Rechtsprechung auf sämtliche verrichtungsbezogene Maßnahmen der Behandlungspflege ausgeweitet (vgl dazu BT-Drucks 16/3100 insbes Nr 22 b S 104 ff). Zugleich hat er die damit korrespondierende Regelung in § 15 Abs 3 Satz 2 SGB XI geschaffen und damit klargestellt, dass der Bedarf an verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen sowohl in der Krankenversicherung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege als auch in der Pflegeversicherung bei der Pflegebegutachtung Berücksichtigung findet. Die Parallelität und Gleichrangigkeit der Ansprüche gegen die Krankenkasse und die Pflegekasse kommt auch in der Vorschrift des § 13 Abs 2 SGB XI zum Ausdruck, wonach die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V unberührt bleiben (vgl auch BSG Urteil vom 16. 7. 2014 – B 3 KR 2/13 R – vorgesehen für SozR 4—2500 § 37 Nr 12 – Gilchristverband).
[18] Aufgrund dieser Rechtsentwicklung kann nicht mehr zweifelhaft sein, dass Behandlungspflege und Grundpflege nicht streng gegeneinander abgrenzbare Pflegemaßnahmen sind, sondern die verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen einen Überschneidungsbereich grund- und behandlungspflegerischer Maßnahmen bilden, die sowohl in der Krankenversicherung bei der häuslichen Krankenpflege als auch in der Pflegeversicherung bei des Pflegebegutachtung zu berücksichtigen sind. Es besteht insbesondere kein Grund, eine bestimmte Maßnahme der Hilfe bei den Verrichtungen des § 14 Abs 4 SGB V bei der Bemessung des Pflegebedarfs für den Leistungsanspruch in der Pflegeversicherung unberücksichtigt zu lassen, nur weil diese Maßnahme zugleich der Krankenbehandlung dient. Um eine diesem Überschneidungsbereich zuzurechnende Pflegemaßnahme handelt es sich bei krankheitsspezifischer Pflege daher dann, wenn die Hilfe untrennbarer Bestandteil einer grundpflegerischen Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs 4 SGB XI ist oder jedenfalls mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht (vgl zum Ganzen auch BSGE 106, 173 = SozR 4—2500 § 37 Nr 11).
[19] d) Der in § 14 Abs 4 SGB XI enthaltene Katalog der für die Zuordnung zu einer Pflegestufe maßgebenden Kriterien ist – wie die Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergibt – abschließend. Damit hat der Gesetzgeber eindeutig angeordnet, dass nur auf die dort genannten Verrichtungen im Bereich der Grundpflege bzw der hauswirtschaftlichen Versorgung abzustellen ist (vgl schon BSGE 82, 27 = SozR 3—3300 § 14 Nr 2; BSG SozR 4—3300 § 14 Nr 3 mwN). Daher werden nicht ausnahmslos alle speziellen krankheitsbedingten Hilfeleistungen, die täglich anfallen, vom Verrichtungsbegriff erfasst. Dennoch orientiert sich die Auslegung der einzelnen Katalogverrichtungen des § 14 SGB XI wiederum an der oben dargelegten Zielrichtung der Pflegeversicherung, nämlich der Förderung und Unterstützung der häuslichen Pflege durch Angehörige und sonstige ehrenamtliche Pflegekräfte. Insbesondere aufgrund der Schwierigkeiten, Pflegemaßnahmen, die von Familienangehörigen erbracht werden können, im Rahmen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu berücksichtigen, legt das BSG in ständiger Rechtsprechung die einzelnen Verrichtungen des Katalogs in § 14 Abs 4 SGB XI weit aus (vgl BSGE 82, 27 = SozR 3—3300 § 14 Nr 2; BSG SozR 4—3300 § 14 Nr 3). Die Grenze bildet der Wortlaut. So wird zB von der Verrichtung der "Blasenentleerung" die Abführung der in den Nieren produzierten Körperflüssigkeit auch dann umfasst, wenn sie sich nicht in der natürlichen Harnblase, sondern – wie bei der Katheterisierung – in einem Blasenersatz mit künstlich geschaffenem Harnausgang gesammelt hat (BSG Urteil vom 22. 8. 2001 – B 3 P 23/00 R – Juris RdNr 15). Von einer "Blasenentleerung" kann hingegen auch bei weiter Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals im Fall einer Peritonealdialyse (Bauchfelldialyse) nicht mehr gesprochen werden, sodass die Hilfestellung bei dieser Maßnahme nicht der Grundpflege zuzurechnen ist (BSG SozR 4—3300 § 14 Nr 3).
[20] e) Bei Anwendung dieser Maßstäbe ist die parenterale Ernährung als untrennbarer Bestandteil der in § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI aufgeführten Verrichtung der Nahrungsaufnahme bei der Bemessung des Pflegebedarfs des Klägers zu berücksichtigen.
[21] Die Rechtsprechung geht von einem untrennbaren Zusammenhang mit einer Verrichtung der Grundpflege aus, wenn diese durch eine Maßnahme der Behandlungspflege ersetzt wird. So wird etwa bei der Sondenernährung (stRspr, zuletzt BSGE 106, 173 = SozR 4—2500 § 37 Nr 11 RdNr 34) die übliche Nahrungsaufnahme, bei der Stomaversorgung zur Darmentleerung (vgl BSG SozR 3—2500 § 37 Nr 3 S 24f = Juris RdNr 18) das Ausscheiden oder bei der Katheterisierung die Blasenentleerung (BSG Urteil vom 22. 8. 2001 – B 3 P 23/00 R – Juris RdNr 15) jeweils durch eine Maßnahme der Behandlungspflege ersetzt. Das Ersetzen einer Katalogverrichtung durch eine Behandlungsmaßnahme macht besonders deutlich, dass die dabei erforderlichen Hilfeleistungen untrennbarer Bestandteil der Hilfe für die Katalogverrichtungen sind (BSG SozR 4—2500 § 37 Nr 3, insbes RdNr 8 = Juris RdNr 16 – Medikamentengabe).
[22] Beim Kläger wird die Nahrungsaufnahme teilweise durch die parenterale Ernährung, die intravenös über den Broviac-Katheter erfolgt, ersetzt. Deshalb kommt es nicht darauf an, zu welcher Tageszeit die parenterale Ernährung erfolgt. Denn auf einen unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang ist nur abzustellen, wenn die Maßnahme nicht schon untrennbarer Bestandteil einer Katalogverrichtung ist, weil sie diese ersetzt.
[23] Zur Nahrungsaufnahme gehören alle Verrichtungen, die unmittelbar zur Aufnahme von Nahrung in den Körper führen (vgl BSG SozR 4—2500 § 37 Nr 3, insbes RdNr 11 = Juris RdNr 19 – Medikamentengabe; BSGE 82, 27, 28 f = SozR 3—3300 § 14 Nr 2 S 3 = Juris RdNr 13). Eine Einschränkung auf die orale Nahrungsaufnahme ist bei der gebotenen weiten Auslegung der Verrichtungen des Katalogs in § 14 Abs 4 SGB XI nicht gerechtfertigt. Insbesondere lässt sich eine solche Einschränkung nicht daraus ableiten, dass eine andere Verrichtung im Bereich der Ernährung auf die "mundgerechte" Zubereitung der Nahrung beschränkt ist. Bei den Verrichtungen handelt es sich um eine Aufzählung der gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Handlungen, die gesunde Menschen im täglichen Ablauf durchführen. Ein weiterer innerer Zusammenhang, der Rückschlüsse von einer auf die andere Verrichtung zuließe, ist – wie bereits die Entscheidungen, die Gesetzesbegründung und die Begutachtungsrichtlinien zur Sondenernährung zeigen (stRspr, zuletzt BSGE 106, 173 = SozR 4—2500 § 37 Nr 11 RdNr 34, vgl auch BT-Drucks 12/5262 S 96 f; sowie Begutachtungsrichtlinien unter: D. 4. 2. 9.) – nicht erkennbar. Dem Gesetz kann auch kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, die Nahrung müsse den Magen-Darm-Trakt oder den Verdauungsprozess oder Teile davon durchlaufen haben. Der Begriff der Nahrungsaufnahme setzt weder eine bestimmte Form der Nahrung voraus, noch schließt er die Zufuhr besonders aufbereiteter Nährstoffe, wie sie zur parenteralen Ernährung verwendet werden, aus. Denn trotz ihrer besonderen Aufbereitung handelt es sich doch letztlich um Nahrung, die dem Körper zur Erhaltung des notwendigen Stoffwechsels und der Energieversorgung zugeführt wird, und nicht etwa um Medikamente (vgl BSG SozR 4—2500 § 37 Nr 3, insbes RdNr 11 = Juris RdNr 19 – Medikamentengabe).
[24] Schließlich trifft die Auffassung der Beklagten nicht zu, die parenterale Ernährung könne wegen ihrer hohen Komplikationsrate und dem daraus resultierenden Erfordernis einer engmaschigen Überwachung nicht den grundpflegerischen Verrichtungen zugerechnet werden. Für die Bemessung der Pflegestufe ist nach § 15 Abs 3 SGB XI nur der Zeitaufwand zu berücksichtigen, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegefachkraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Die zur parenteralen Ernährung erforderlichen Maßnahmen, die eine fachlich qualifizierte Behandlung erfordern und nur von entsprechend qualifizierten Krankenpflegekräften oder Ärzten erbracht werden können, sind daher nicht zu berücksichtigen. Für solche Hilfeleistungen ist dem Kläger ggf zusätzlich häusliche Krankenpflege bzw ärztliche Behandlung zu gewähren.
[25] Der Kläger begehrt im Rahmen der vorliegenden Klage aber lediglich die Berücksichtigung des Zeitaufwandes, den seine Mutter für Hilfeleistungen im Rahmen seiner parenteralen Ernährung tatsächlich benötigt. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Maßnahmen nur durch qualifizierte Pflegekräfte erbracht werden können, zumal die Mutter des Klägers die Hilfe nunmehr seit Jahren täglich ohne besondere Probleme erbringt, und auch im Rahmen der nach § 37 Abs 3 SGB XI abzurufenden Beratungseinsätze die hinreichende und qualitätsgerechte Sicherstellung der Pflege des Klägers bisher offensichtlich nicht beanstandet wurde.
[26] 2. Der Senat kann wegen fehlender Tatsachenfeststellungen nicht entscheiden, ob die Voraussetzungen der Pflegestufe II vorliegen.
[27] a) Das Berufungsgericht hat – auf Basis seiner Auffassung konsequent – keine Feststellungen zum Hilfebedarf des Klägers bei der parenteralen Ernährung getroffen. Zwar hat seine Mutter als Pflegeperson hierzu ausführlich vorgetragen und der MDK hat ausdrücklich den so beschriebenen Hilfebedarf bestätigt. Unklar ist aber insbesondere, ob auch der in diesen Aufzeichnungen der Mutter angegebene Zeitbedarf für die einzelnen Schritte der Hilfeleistung vom MDK als angemessen angesehen wird. Abgesehen davon, dass im Urteil des LSG hierzu jegliche Feststellungen fehlen, kann vorliegend auch nicht ohne Weiteres von einem vollständig ausermittelten Sachverhalt ausgegangen werden.
[28] b) Das gleiche gilt für den übrigen Hilfebedarf des Klägers. Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Zeitaufwand für Leistungen der Grundpflege belaufe sich – wie von der Beklagten zuletzt festgestellt – weiterhin auf durchschnittlich 63 Minuten pro Tag. Ein während des gesamten Verfahrens unverändert gebliebener Hilfebedarf des Klägers ist aber nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Denn bei Kindern ist nach § 15 Abs 2 SGB XI nur der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend. Die Gutachten des MDK setzen sich in keiner Weise mit dem Hilfebedarf für ein gesundes gleichaltriges Kind auseinander. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass in den Gutachten dennoch bei den einzelnen Verrichtungen jeweils der Hilfebedarf für ein gesundes gleichaltriges Kind vom konkreten Hilfebedarf des Klägers in Abzug gebracht worden ist und damit nur der zusätzliche Hilfebedarf des Klägers Berücksichtigung gefunden hat, hätte nach den Begutachtungsrichtlinien ein je nach Lebensalter unterschiedlicher Pflegeaufwand für ein gesundes Kind in Abzug gebracht werden müssen. Denn der Kläger war zur Zeit der Begutachtung im Januar 2010 neun und bei der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 19. 8. 2013 14 Jahre alt. So werden beispielsweise für gesunde Kinder im Alter von acht bis neun Jahren für den Bereich der Körperpflege noch vier Minuten, für neun- bis zehnjährige Kinder zwei Minuten und danach kein Hilfebedarf mehr für die Körperpflege berücksichtigt. Ähnliches gilt auch für andere Verrichtungen. Ein unverändert gebliebener berücksichtigungsfähiger Zeitaufwand würde also voraussetzen, dass der Kläger früher einen insgesamt höheren Pflegebedarf hatte.
[29] Das Berufungsgericht ist bezüglich des notwendigen Zeitaufwandes zu keiner abschließenden Überzeugung gelangt. Seine Überzeugungsbildung bezieht sich ausschließlich darauf, dass die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe II nicht in Betracht kommt, wenn die für die parenterale Ernährung erforderliche Hilfeleistung keine Berücksichtigung findet. Es wird sich nunmehr auch unter diesen Gesichtspunkten mit dem Pflegebedarf des Klägers auseinanderzusetzen haben.
[30] 3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.