Bundesgerichtshof

BGH, Urteil vom 6. 9. 2017 – 2 StR 280/17 (lexetius.com/2017,2981)

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. September 2017, an der teilgenommen haben: Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Wimmer, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube, Schmidt, Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 14. Februar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) im Fall II. 1. der Urteilsgründe und
b) im Gesamtstrafenausspruch.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu erneuter Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
[1] Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
[2] Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die sich ausschließlich gegen die Verurteilung des Angeklagten zu Ziffer II. 1. der Urteilsgründe und den Gesamtstrafenausspruch richtet, hat in vollem Umfang Erfolg.
[3] I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
[4] 1. a) Am 8. September 2016 wurde bei einer Polizeikontrolle in dem vom Angeklagten gesteuerten Mercedes Sprinter in einem auf der Fahrerseite im Bereich der Tachoeinheit abgelegten Brillenetui eine Plastiktüte mit 48, 3 Gramm "Crystal" (Methamphetamin mit einem Mindestgehalt von 61, 64 % (S) Methamphetaminbase, mithin einer Mindestmenge an S-Methamphetaminbase von 29, 77 Gramm) sichergestellt. In seiner Gürteltasche wurden zwei Tütchen mit 0, 49 Gramm "Crystal" (Methamphetamin mit einem Mindestgehalt von 67, 69 % S-Methamphetaminbase, mithin eine Mindestmenge an S-Methamphetaminbase von 0, 33 Gramm) und weitere 0, 11 Gramm "Crystal" gefunden. Darüber hinaus befand sich in der Gürteltasche ein so genanntes "Einhandmesser", mithin ein Messer mit einhändig feststellbarer Klinge, welches der Angeklagte als Angelzubehör regelmäßig mit sich führte.
[5] Das sichergestellte Methamphetamin hatte der Angeklagte zuvor von dem gesondert verfolgten M. zu einem Einkaufspreis von 60 Euro pro Gramm zum gewinnbringenden Weiterverkauf erworben.
[6] b) Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt, spätestens im August oder September 2015 hatte der Angeklagte von einem nicht näher bekannten Verkäufer mindestens 21 Gramm "Crystal" (Methamphetamin) erworben, um dieses gewinnbringend weiterzuverkaufen.
[7] Tatsächlich veräußerte er bis zum 7. September 2016 aus diesem Vorrat an die Zeugin S. in 21 Fällen jeweils ein Gramm "Crystal" (Methamphetamin) gewinnbringend zu je 80 Euro.
[8] 2. Das Landgericht hat den Sachverhalt rechtlich als zwei tatmehrheitliche Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittel in nicht geringer Menge gemäß §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BtMG, 53 StGB gewertet. Eine Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG erfolgte im Fall II. 1. der Urteilsgründe nicht, da sich das Landgericht keine Überzeugung davon bilden konnte, dass das bei dem Angeklagten aufgefundene "Einhandmesser" zur Verletzung von Personen bestimmt war. Nach der Wertung des Landgerichts hat der Angeklagte das Messer erlaubt im Sinne des § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 WaffG geführt, da er es für seinen Angelsport benötige, womit ein berechtigtes Interesse vorliege.
[9] II. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
[10] 1. Das Rechtsmittel ist zulässig.
[11] Zwar hat die Staatsanwaltschaft entgegen § 344 Abs. 1 StPO innerhalb der Revisionsbegründungsfrist keinen Revisionsantrag gestellt. Eines solchen bedarf es jedoch dann nicht, wenn sich der Umfang der Anfechtung aus der Begründung der Revision ersehen lässt (BGH, Beschluss vom 10. Februar 1988 – 3 StR 556/87, BGHR StPO, § 344 Abs. 1 Antrag 1).
[12] Dies ist vorliegend gegeben. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revisionsbegründungsschrift, das Gericht habe bezogen auf den Fall II. 1. zu Unrecht die Voraussetzungen für eine Verurteilung des Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verneint. Im Übrigen greift sie das Urteil nicht an. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV, wonach der Staatsanwalt seine Revision stets so rechtfertigen soll, dass klar ersichtlich ist, in welchen Ausführungen des angefochtenen Urteils er seine Rechtsverletzung erblickt und auf welche Gründe er seine Rechtsauffassung stützt, ist das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft daher dahingehend auszulegen, dass die Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 1. und der Gesamtstrafenausspruch angegriffen werden (vgl. dazu Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285; BGH, Urteil vom 22. Februar 2017 – 5 StR 545/16, zitiert nach juris, dort Rn. 10; Senat, Urteile vom 26. April 2017 – 2 StR 47/17, NStZ- RR 2017, 201; vom 10. Mai 2017 – 2 StR 427/16, zitiert nach juris, dort Rn. 11; BGH, Urteil vom 22. Juni 2017 – 4 StR 151/17, zitiert nach juris, dort Rn. 6, jeweils mwN).
[13] 2. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die Beweiswürdigung und rechtliche Würdigung des Landgerichts zu Fall II. 1. der Urteilsgründe begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
[14] Der Tatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt voraus, dass der Täter den bei der Tat mit sich geführten Gegenstand, wenn es sich bei diesem wie hier – nicht um eine Schusswaffe handelt, zur Verletzung von Personen bestimmt hat. Um dieses Qualifikationsmerkmal zu verwirklichen, bedarf es einer darauf gerichteten Zweckbestimmung des Täters (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – 1 StR 78/14, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Waffe 2 – Einhandmesser mwN). Eine solche Zweckbestimmung muss grundsätzlich vom Tatrichter näher festgestellt und begründet werden.
[15] Die Feststellungen des Landgerichts erschöpfen sich in der Bezeichnung des von dem Angeklagten mitgeführten Gegenstandes als "Einhandmesser".
[16] Diese Bezeichnung hätte die Prüfung nahe gelegt, ob es sich bei dem Messer um eine gekorene Waffe im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG handelt. Sämtliche der in Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 2. 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG erfassten Messertypen als gekorene Waffe können als "Einhandmesser" bezeichnet werden. Der Ausdruck "Einhandmesser" bildet den Oberbegriff für alle Messer, soweit diese – gleich auf welche Weise – mit einer Hand geöffnet und festgestellt werden können (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – 1 StR 78/14, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Waffe 2 Einhandmesser; Gade/Stoppa, WaffG, § 42a Rn. 15). Da das Landgericht über die Bezeichnung als "Einhandmesser" hinaus keine nähere Bestimmung der Beschaffenheit des Messers vorgenommen, das bei dem Angeklagten aufgefundene Messer vielmehr lediglich als ein Messer mit einer einhändig feststellbaren Klinge beschrieben hat, ist nicht zu erkennen, ob es sich um einen Messertyp gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG i. V. m. Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 2. 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG und damit um gekorene Waffen handelt. In diesem Fall hätte es näherer Feststellungen zur Zweckbestimmung durch den Täter nicht bedurft, da bei gekorenen Waffen die Zweckbestimmung zur Verletzung von Personen regelmäßig ohne Weiteres auf der Hand liegt (Senat, Beschluss vom 6. November 2012 – 2 StR 394/12, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Gegenstand 6 – Klappmesser; BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 1 StR 78/14 BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Waffe 2 – Einhandmesser).
[17] Dies hat das Landgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung, die sich insoweit als lückenhaft erweist, nicht berücksichtigt.
[18] Der Wegfall der Einzelstrafe führt zur Aufhebung der Gesamtstrafe.
[19] III. Der Senat weist für die neue Verhandlung und Entscheidung auf Nachfolgendes hin:
[20] Sollte der neue Tatrichter zu dem Ergebnis kommen, das bei dem Angeklagten aufgefundene Messer stelle keine gekorene Waffe im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG i. V. m. Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 2. 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG dar, wird er eine umfassende Prüfung vorzunehmen haben, ob das Messer durch den Angeklagten zur Verletzung von Personen bestimmt war. Der Ausnahmetatbestand des § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 WaffG kann im Rahmen dieser Prüfung relevant sein. Die Anwendung des § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WaffG setzt jedoch voraus, dass zwischen der Sportausübung und dem Führen des Messers ein innerer Zusammenhang besteht. Der hierfür erforderliche sachliche wie zeitlich-räumliche Bezug zur Sportausübung kann insbesondere auf dem Hin- bzw. Rückweg zur Sportausübung gegeben sein (vgl. Gade/Stoppa, WaffG, § 42a Rn. 26). Hierzu hat das Landgericht bislang keine näheren Feststellungen getroffen. Allein die Feststellung, der Angeklagte führe das Messer immer bei sich, weil er es häufig für seinen Angelsport benötige, ist insoweit nicht ausreichend.