Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 5. 9. 2017 – 3 StR 329/17 (lexetius.com/2017,2984)

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 22. Februar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
[1] Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat auf die Sachrüge entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
[2] 1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
[3] 2. Die auf die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat hinsichtlich der festgestellten rechtswidrigen Taten keinen Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten ergeben.
[4] 3. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält hingegen revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
[5] Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt, dass "bereits die Beurteilung der Schuldfähigkeit von Rechts wegen zu beanstanden ist.
[6] Die Unterbringung nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Umstand beruht. Dazu ist eine konkrete Darlegung erforderlich, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st Rspr; Senat NStZ-RR 2008, 39; BGH, Beschluss vom 4. August 2016 – 4 StR 230/16; Beschluss vom 29. März 2017 – 4 StR 619/16). Eine nähere Darlegung des Einflusses des beim Angeklagten diagnostizierten Störungsbildes auf dessen Handlungsmöglichkeiten in den konkreten Tatsituationen betreffend die rechtswidrigen Anlasstaten II. 4—6 ist gänzlich unterblieben (UA S. 8 f.). Hierauf kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn – wie hier – bei dem Täter eine Schizophrenie diagnostiziert worden ist. Die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich allein genommen nicht zur Feststellung einer – generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden – Schuldunfähigkeit (Senat aaO).
[7] Dass sich der Angeklagte bei allen drei Taten, die zwar zeitlich nahe beieinander liegen, jeweils in einem akuten Schub der Krankheit befunden hätte (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 16. Mai 2007 – 2 StR 96/07), lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Allein die Umstände, dass sich beim Angeklagten seit dem Jahr 2011 psychotische Symptome manifestieren und die Krankheit zu wiederholten unkontrollierten Impulsdurchbrüchen bei deutlich abgesenkter Frustrationstoleranz führte (UA S. 8), sind hierfür nicht ausreichend. Auch lässt sich weder aus den Taten selbst noch aus dem Vor- oder Nachtatgeschehen, das im Urteil nicht näher mitgeteilt wird, schließen, dass der Angeklagte sich bei den Anlasstaten in einem akut psychotischen Zustand befand. Zudem wurde er am 11. Dezember 2014 wegen gefährlicher und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen sowie am 27. März 2015 wegen Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt (UA S. 5). Die jeweiligen Tatzeitpunkte werden im Urteil zwar nicht mitgeteilt, gleichwohl sprechen diese Verurteilungen gegen einen dauerhaften Zustand der Schuldunfähigkeit beim Angeklagten.
[8] Auch die Gefährlichkeitsprognose hält für sich genommen wegen Darlegungsmängeln revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Vergleichbar knapp und damit angesichts des erheblichen Eingriffs, der mit der Unterbringung nach § 63 StGB verbunden ist, ebenfalls nicht ausreichend hat das Landgericht seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Angeklagten begründet (UA S. 11—14). Zwar hat die Strafkammer gesehen, dass bei – wie hier – vorliegenden geringfügigen Anlasstaten nach § 63 Satz 2 StGB besondere Umstände die Annahme der Begehung künftiger schwerwiegender Straftaten nach § 63 Satz 1 StGB rechtfertigen müssen (UA S. 11). Jedoch bedarf die Gefährlichkeitsprognose für diesen Fall besonders sorgfältiger Darlegung (BT-Drucks. 18/7244, S. 22 mwN). Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Letztlich kommt es auf eine Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Tat an, die eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unerlässlich machen muss (BT-Drucks. aaO, S. 23 mwN). Vorliegend lässt das Urteil eine ausführliche Auseinandersetzung damit vermissen, warum vom Angeklagten, obwohl er in den vergangenen sechs Jahren auch über längere Phasen straffrei lebte, zukünftig gewichtigere, nämlich erhebliche Taten im Sinne des § 63 Satz 1 StGB zu erwarten sind. Allein die Feststellung, dass von ihm aufgrund des Vorhandenseins hartnäckiger über weite Strecken persistierender Zwangsgedanken, die mit der Vorstellung einhergehen, andere zu verletzen oder gar umzubringen, die Gefahr künftiger gefährlicher Körperverletzungs- und Tötungsdelikte ausgeht (UA S. 13 f.), ist als Begründung nicht ausreichend. Soweit das Landgericht insofern auch darauf abstellt, dass er während seiner Zeit im Haus Dülken, einem offenen Wohnheim für psychisch Kranke (UA S. 4), immer wieder impulsives aggressives Verhalten zeigte (UA S. 13), wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass Verhaltensweisen innerhalb einer Betreuungseinrichtung gegenüber dem Betreuungspersonal nicht ohne weiteres den Handlungen gleichzusetzen sind, die außerhalb der Einrichtung begangen werden (Senat NStZ-RR 2009, 169; BGH, Beschluss vom 25. April 2012 – 4 StR 81/12 mwN). Nähere Feststellungen zu einzelnen aggressiven Verhaltensweisen in der Einrichtung fehlen im angefochtenen Urteil jedoch gänzlich.
[9] Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO sind trotz des Umstandes, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, auch die Freisprüche aufzuheben (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13; Senat, Beschluss vom 5. August 2014 – 3 StR 271/14).
[10] Da die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten auf einer mangelfreien Beweiswürdigung beruhen und von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen sind, können diese bestehen bleiben, § 353 Abs. 2 StPO."
[11] Dem schließt sich der Senat an und bemerkt ergänzend, dass mit Blick auf den schwerwiegenden Eingriff, der mit der – grundsätzlich unbefristeten – Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verbunden ist, auf eine sorgfältige Prüfung und Darlegung aller Unterbringungsvoraussetzungen auch dann nicht verzichtet werden kann, wenn der Betroffene – wie hier der Angeklagte – unter besonders abstrusen Zwangsdanken leidet, die die Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten nicht fernliegend erscheinen lassen.
[12] 4. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO an ein zu demselben Land gehörendes anderes Landgericht zurückzuverweisen.