Bundesgerichtshof

BGH, Urteil vom 1. 9. 1994 – 4 StR 259/94; LG Rostock (lexetius.com/1994,314)

[1] I. 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 10. Dezember 1993 a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des Subventionsbetrugs in drei Fällen schuldig ist; b) in den Aussprüchen über die im Fall II. A. der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe und die Gesamtstrafe aufgehoben.
[2] 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
[3] II. Die Revision des Angeklagten wird verworfen.
[4] Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
[5] Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Subventionsbetrugs in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
[6] Gegen das Urteil des Landgerichts richten sich die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft. Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren. Die Staatsanwaltschaft erhebt mit ihrem auf die Verurteilung im Fall II. A. der Urteilsgründe beschränkten Rechtsmittel die Sachrüge und beanstandet insbesondere, daß der Angeklagte in diesem Fall nur wegen einer Tat verurteilt worden ist.
[7] A. I. Im Fall II. A. der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten wegen Subventionsbetruges zu einer Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
[8] 1. Nach den Feststellungen betätigte sich der Angeklagte im Frühjahr 1991 in Rostock mit der B. Gruppe unternehmerisch. Er trat als Generalbevollmächtigter der B. AG auf und war alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer mehrerer zu dieser Unternehmensgruppe gehörender Gesellschaften mit beschränkter Haftung, unter anderem der B. GmbH und der MTN GmbH. Die MTN GmbH sollte sich mit der Produktion von Klärcontainern beschäftigen. Zu diesem Zwecke sollte sie einen Betriebsteil der D. GmbH (DSR GmbH) mit Namen M. T. N. übernehmen.
[9] Am 30. April 1991 beantragte der Angeklagte als Generalbevollmächtigter der "B. AG" beim Wirtschaftsministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern öffentliche Finanzierungshilfen für die "B. GmbH" und die "MTN GmbH i. G." In dem Antrag war als Investitionsvorhaben die Errichtung zweier Betriebsstätten der "B. GmbH" und der "MTN GmbH" in Rostock angegeben. Die Gesamtinvestitionen waren mit 42.515.000 DM veranschlagt. Der davon auf gebrauchte – und deswegen nicht förderungsfähige – Wirtschaftsgüter entfallende Betrag war, wie der Angeklagte wußte, wahrheitswidrig mit (nur) 875.000 DM ausgewiesen; tatsächlich belief er sich auf 6, 3 Millionen US $.
[10] Mit Zuwendungsbescheid vom 14. Juni 1991 gewährte das Wirtschaftsministerium für die Errichtung beider Betriebsstätten einen Investitionszuschuß in Höhe von 7.898.000 DM. Gemäß den dem Bescheid beigefügten Nebenbestimmungen war "der Zuwendungsempfänger verpflichtet, unverzüglich der Bewilligungsbehörde anzuzeigen, wenn sich herausstellt, daß der Zuwendungszweck nicht oder nicht mit der bewilligten Zuwendung zu erreichen ist."
[11] Auf Antrag des Angeklagten leistete das Wirtschaftsministerium im Oktober 1991 einen Investitionszuschuß in Höhe von 2.684.110 DM; aufgrund der wahrheitswidrigen Angaben zu dem Wert der gebrauchten Wirtschaftsgüter war dieser Betrag um 2.334.500 DM überhöht. Eine weitere Auszahlung über 2.040.780 DM erfolgte im Dezember 1991.
[12] Im Februar 1992 waren – so die Feststellungen zu II. A. 8. – die Verhandlungen mit der DSR GmbH über den Erwerb des Betriebsteils MTN dieses Unternehmens endgültig gescheitert. Eine Betriebsstätte der MTN GmbH zum beabsichtigten Bau von Klärcontainern wurde nicht errichtet. Die in Aussicht genommenen Investitionen in Höhe von 4.941.890 DM wurden – bis auf einen Teilbetrag von 100.000 DM – nicht realisiert. Im Hinblick darauf erwies sich der bereits geleistete Investitionszuschuß in Höhe von 1.113.634 DM als überhöht. Der Angeklagte unterließ es bewußt, das Wirtschaftsministerium von dem Scheitern des Vorhabens in Kenntnis zu setzen.
[13] 2. Wegen der unrichtigen Angaben im Antrag vom 30. April 1991 hat das Landgericht den Angeklagten des Subventionsbetrugs gemäß § 264 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gesprochen. Weiter hat es angenommen, daß er sich im Fall II. A. 8. der Urteilsgründe gemäß § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht hat, indem er entgegen seiner – spätestens ab dem 20. Februar 1992 bestehenden – Verpflichtung dem Wirtschaftsministerium nicht angezeigt hat, daß bezüglich des Vorhabens der MTN GmbH der Subventionszweck nicht mehr erreicht werden konnte. Die beiden Taten hat das Landgericht als eine natürliche Handlungseinheit gewertet.
[14] II. Im Fall II. B. hat das Landgericht den Angeklagten wegen unrichtiger Angaben in einem Antrag auf Investitionszulage vom 24. März 1992 gegenüber dem Finanzamt Rostock des Subventionsbetruges schuldig gesprochen und zu einer Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.
[15] B. I. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts und des Angeklagten ist die Verurteilung im Fall II. A. 8. der Urteilsgründe nicht mangels einer diese Tat erfassenden Anklage rechtlich zu beanstanden.
[16] 1. In der Anklageschrift vom 23. Juni 1993 wird der Angeklagte, soweit es die unter II. A. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen betrifft, des fortgesetzten Subventionsbetrugs beschuldigt. Der Anklagesatz schildert das Geschehen beginnend mit dem Bewilligungsantrag vom 30. April 1991 bis zur Auszahlung der Investitionszuschüsse weitgehend so wie von der Strafkammer im Urteil festgestellt. Daß das Vorhaben der MTN GmbH, in Rostock eine Betriebsstätte zu errichten, sich bereits im Februar 1992 als gescheitert erwiesen hatte, läßt sich weder dem Anklagesatz noch dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnehmen. Hinsichtlich des Investitionszuschusses für dieses Unternehmen wird dem Angeklagten aber zur Last gelegt, daß er es pflichtwidrig unterlassen habe, "dem Wirtschaftsminister die im September 1992 erfolgte Verlagerung der Betriebsstätte der Containerproduktion (MTN GmbH) nach Oranienburg (Brandenburg) mitzuteilen".
[17] 2. Damit war die im Fall II. A. 8. der Urteilsgründe festgestellte und als Vergehen gemäß § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB bewertete Tat von der zugelassenen Anklage erfaßt.
[18] a) Gegenstand der Urteilsfindung ist gemäß § 264 Abs. 1 StPO "die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt". In diesem Sinne umfaßt die Tat nicht nur das einzelne in der Anklage und im Eröffnungsbeschluß erwähnte Tun des Angeklagten, sondern den ganzen, nach der Auffassung des Lebens eine Einheit bildenden geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Den Rahmen der Untersuchung bildet zunächst das tatsächliche Geschehen, wie es die Anklage beschreibt. Dazu kommt aber auch das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet, auch wenn diese Umstände in der Anklageschrift nicht ausdrücklich erwähnt sind (vgl. BGHSt 13, 21, 26; 320, 321; 23, 141, 145; 32, 215; BGH, Urteil vom 27. Mai 1992 – 2 StR 94/92 – m. w. N.).
[19] b) Ein solcher Zusammenhang des in der Anklage nicht beschriebenen Geschehens im Fall II. A. 8. – Unterlassen der Mitteilung, daß die MTN GmbH die geplante Betriebsstätte in Rostock nicht errichten kann – besteht allerdings nicht mit den im einzelnen geschilderten Vorgängen der Antragstellung vom 30. April 1991 und der Abrufung der Mittel im Anschluß an den Zuwendungsbescheid vom 14. Juni 1991. Das hat der Generalbundesanwalt zutreffend näher dargelegt.
[20] Nach der Auffassung des Lebens und unter Berücksichtigung der Anschauungen des die Taten prägenden Wirtschaftsverkehrs bildet das Geschehen im Fall II. A. 8. mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang aber im Hinblick darauf eine Einheit, daß die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten auch zur Last gelegt hat, dem Wirtschaftsminister die im September 1992 erfolgte Verlagerung der Betriebsstätte der Containerproduktion durch die MTN GmbH nach Oranienburg (Brandenburg) nicht angezeigt zu haben. Insofern kann bei der rechtlichen Beurteilung nicht unberücksichtigt bleiben, daß Anklage und Urteil dem Angeklagten keine Handlung vorwerfen, für deren Abgrenzung von anderen Handlungen den jeweiligen räumlichen und zeitlichen Bedingungen eine wesentliche Bedeutung zukommen kann, sondern das Unterlassen einer Handlung. Für die Frage, ob ein angeklagtes und ein abgeurteiltes Unterlassen dieselbe Tat sind, ist aber hier nicht so sehr auf die zeitliche Einordnung – ab Februar 1992 (Urteil) und im September 1992 (Anklage) – abzustellen; es kommt vielmehr regelmäßig darauf an, ob zwischen den Situationen, aus denen heraus die Handlungspflicht entsteht, ein enger Zusammenhang besteht.
[21] Ein solcher Zusammenhang ist hier gegeben. Die Pflicht, dem Wirtschaftsministerium als Bewilligungsbehörde unverzüglich mitzuteilen, daß der Zuwendungszweck nicht mehr zu erreichen war, entstand für den Angeklagten, als sich herausstellte, daß die MTN GmbH die geplanten Betriebsstätten in Rostock nicht errichten würde. Insofern sind das Scheitern der Verhandlungen mit der DSR GmbH im Februar 1992 und die Betriebsverlagerung im September 1992 aber nur äußerliche Ereignisse, an denen die Nichterreichbarkeit des Subventionszweckes sichtbar wird. Da sie zudem in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen, kann das zeitliche Auseinanderfallen für die Beurteilung der Tat- (Unterlassens-) Identität nicht im Vordergrund stehen und die Annahme einer Tat im Sinne des § 264 StPO nicht ausschließen.
[22] II. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
[23] 1. Das Landgericht hat zu Unrecht angenommen, daß die Tat gemäß § 264 Abs. 1 Nr. 1 StGB (unrichtige Angaben im Antrag vom 30. April 1991) und das Vergehen gemäß § 264 Abs. 1 Nr. 1 StGB (unterbliebene Mitteilung über das Scheitern des Investitionsvorhabens im Februar 1992) durch eine natürliche Handlungseinheit verbunden sind.
[24] Eine natürliche Handlungseinheit ist anzunehmen, wenn zwischen einer Mehrheit gleichartiger strafrechtlich erheblicher Verhaltensweisen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, daß das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint, und wenn die einzelnen Betätigungen auf einer einzigen Willensentschließung beruhen (st. Rspr.; BGHR StGB vor § 1 natürliche Handlungseinheit Entschluß, einheitlicher 3, 4, 7, 8).
[25] Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Da zwischen den einzelnen Teilakten ein Zeitraum von mehreren Monaten liegt, fehlt bereits der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang. Im übrigen sind sie auch nicht durch einen einheitlichen Willensentschluß miteinander verbunden. Bei der Beantragung der Investitionsbeihilfen im April 1991 ging es dem Angeklagten darum, Zuschüsse – auch für die nicht förderungsfähigen Investitionen in gebrauchte Wirtschaftsgüter – zu erhalten. Den Entschluß, zur Vermeidung von Rückerstattungsansprüchen dem Wirtschaftsministerium nicht anzuzeigen, daß die MTN GmbH keine Betriebsstätten in Rostock errichten würde, faßte er nach den Feststellungen erst, als die Verhandlungen mit der DSR GmbH gescheitert waren. Zu dieser Zeit waren die Zuschüsse aber bereits bewilligt und ausgezahlt. Daß es – worauf das Landgericht abstellt – "für den Angeklagten entscheidend (war), für die von ihm vertretenen Gesellschaften eine möglichst hohe Subvention zu erlangen und diese auch zu behalten", reicht für die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit nicht aus.
[26] 2. Der Rechtsfehler führt zur Änderung des Schuldspruchs dahin, daß der Angeklagte des Subventionsbetruges in drei Fällen (unrichtige Subventionsangaben gegenüber dem Finanzamt – Fall II. B. –, unrichtige Subventionsangaben gegenüber dem Wirtschaftsministerium – Fall II. A. 2. – und unterbliebene Mitteilung von dem Scheitern des Investitionsvorhabens – Fall II. A. 8.) schuldig ist. Der von der Staatsanwaltschaft beantragten Aufhebung des Schuldspruchs und der Zurückverweisung der Sache auch insofern, bedarf es nicht. Das Landgericht hat alle für die rechtliche Beurteilung erheblichen Umstände festgestellt und lediglich das Konkurrenzverhältnis der Taten im Fall II. A. fehlerhaft gewürdigt.
[27] Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung der im Fall II. A. verhängten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe sowie in diesem Umfang die Zurückverweisung der Sache zur Folge.
[28] III. Dagegen hat die Revision des Angeklagten keinen Erfolg.
[29] Sie ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen die Verurteilung im Fall II. B. wendet. Dasselbe gilt, soweit sie hinsichtlich der Verurteilung im Fall II. A. mit einer Verfahrensrüge beanstandet, das Landgericht habe einen Beweisantrag auf Vernehmung des Wirtschaftsministers des Landes Mecklenburg-Vorpommern als Zeugen zu Unrecht zurückgewiesen. Insofern wird auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 20. Mai 1994 verwiesen.
[30] Die Rüge der Verletzung von § 264 Abs. 1 StPO erweist sich aus den unter B. I. dargelegten Erwägungen als unbegründet. Soweit die Revision – was sich den Ausführungen aber nicht deutlich entnehmen läßt – in diesem Zusammenhang auch eine Verletzung von § 265 StPO rügen will, kann dahingestellt bleiben, ob die Formerfordernisse des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erfüllt sind. Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Der in der Hauptverhandlung erteilte Hinweis, daß der Angeklagte "im Fall 2 der Anklage auch deshalb bestraft werden kann, weil dem Wirtschaftsministerium nicht angezeigt wurde, daß die im Abrufantrag vom 5. 12. 1991 genannten Investitionen für die Firma MTN in Höhe von ca. 4, 9 Mio DM nicht getätigt worden sind", genügt den Anforderungen, die nach § 265 StPO an einen Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes zu stellen sind. Daß die Strafkammer den Straftatbestand des § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht erwähnt hat, begründet hier keinen durchgreifenden Mangel (vgl. BGH NStZ 1985, 464, Hürxthal in KK-StPO 3. Aufl. § 265 Rdn. 17).
[31] Die Rüge der Verletzung des § 261 StGB betrifft den aufgehobenen Einzelstrafausspruch im Fall II. A.
[32] Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.