Kammerentscheidung zur richterlichen Unabhängigkeit

BVerfG, Mitteilung vom 19. 3. 1996 – 15/96 (lexetius.com/1996,502)

[1] Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat beschlossen, die Verfassungsbeschwerde eines Verwaltungsgerichtspräsidenten gegen seine vorläufige Dienstenthebung mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung anzunehmen. I. Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, er habe in drei Fällen sog. Einzelrichterentscheidungen von Proberichtern ohne deren Einwilligung inhaltlich durch Streichungen verändert. Es ist deshalb wegen des Verdachts des unzulässigen Eingriffs in die richterliche Unabhängigkeit ein förmliches Disziplinarverfahren ren gegen ihn eingeleitet worden. Das zuständige Dienstgericht hatte im September 1995 entschieden, daß der Beschwerdeführer bis zur endgültigen Entscheidung als Richter zum Verwaltungsgerichtshof abzuordnen sei.
[2] Die hiergegen vom Beschwerdeführer eingelegte Beschwerde ist von der nächst höheren Instanz, dem Dienstgerichtshof, im November 1995 zurückgewiesen worden. Auf die Beschwerde des Justizministeriums hatte der Dienstgerichtshof entschieden, den Beschwerdeführer vorläufig des Dienstes zu entheben. II. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen und zur Begründung u. a. folgendes ausgeführt:
[3] 1. Eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit sei bei dem Beschwerdeführer weder in persönlicher noch in sachlicher Hinsicht festzustellen. Die verfassungsrechtliche Garantie der persönlichen Unabhängigkeit stehe nach Artikel 97 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) unter dem Vorbehalt richterlicher Entscheidung, die wiederum einer gesetzlich bestimmten Grundlage bedürfe. Letztere sei hier mit den Vorschriften des Landesrichtergesetzes, der Landesdisziplinarordnung und des Landesbeamtengesetzes gegeben. Die auf diese Vorschriften gestützte Annahme der Fachgerichte, die vom Beschwerührer unstreitig vorgenommenen Änderungen und Streichungen stellten einen Eingriff in die sachliche Unabhängigkeit (vgl. Art. 97 Abs. 1 GG) der als Einzelrichter allein zur Entscheidung berufenen Proberichter dar, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Damit wird klargestellt, daß die Garantie der sachlichen Unabhängigkeit der Richter auch innerhalb der Gerichtsbarkeit und im Innenverhältnis eines Kollegialgerichts Wirkung entfaltet. Jedenfalls schütze die sachliche Unabhängigkeit vor solchen internen Eingriffen, für die es an einer Ermächtigung zur Wahrnehmung richterlicher Funktionen nach jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt fehle.
[4] 2. Die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung durch den Dienstgerichtshof verletze auch nicht den aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei insbesondere die Auffassung des Dienstgerichtshofs, die Suspendierung des Beschwerdeführers sei möglich, auch wenn mit einer endgültigen Entfernung aus dem Dienst im Rahmen des förmlichen Disziplinarverfahrens nicht zu rechnen sei. Eine solche Prognose sei nur dann erforderlich, wenn die vorläufige Dienstenthebung eine über die Nichtausübung des Dienstes hinausgehende Wirkung habe. Derartigen zusätzlichen Belastungen sei der Beschwerdeführer nicht ausgesetzt.
BVerfG, Beschluss vom 29. 2. 1996 – 2 BvR 136/96