Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines Talk-Show-Moderators gegen Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld

BVerfG, Mitteilung vom 25. 11. 1997 – 100/97 (lexetius.com/1997,553)

[1] Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat auf die Verfassungsbeschwerde eines Fernsehmoderators gegen seine rechtskräftige Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld das angegriffene Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht (LG) zurückverwiesen. Der Verurteilung lag eine Äußerung des Beschwerdeführers über seinen Talk-Showgast Prinzessin Erna von Sachsen zugrunde.
[2] I. Der Beschwerdeführer moderierte die "RTL-Nacht-Show". Im Juni 1994 war Prinzessin Erna von Sachsen Gast in seiner Show. Die Prinzessin hat ihren Titel durch Heirat erworben. Im Gespräch zwischen dem Beschwerdeführer und der Prinzessin, die früher Numismatikerin war und ihren Ehemann auf einer Münzentagung kennengelernt hatte, ging es in erster Linie um die im Anschluß daran erfolgte Einheirat in den sächsischen Adel. Im Verlaufe des Gesprächs äußerte der Beschwerdeführer u. a., es sei ihm aus dem Publikum zugerufen worden, die Prinzessin habe "auch den Namen "Münzen-Erna" gehabt".
[3] Wegen dieser Äußerung verurteilte ihn in der Berufungsinstanz das LG auf die Klage der Prinzessin zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 3. 000, – DM. Der Beschwerdeführer habe das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Prinzessin widerrechtlich verletzt. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde und rügte eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit) und Art. 5 Abs. 3 GG (Kunstfreiheit).
[4] II. Die 1. Kammer des Ersten Senats hat dem Beschwerdeführer recht gegeben. Das angegriffene Urteil verletzt sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit.
[5] Zur Begründung heißt es u. a.:
[6] 1. Die vom Beschwerdeführer moderierte Talk-Show und die vom LG beanstandete Bezeichnung sind durch satirische Verfremdung geprägt. Bei der Anwendung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit muß der satirische Charakter der einzelnen Meinungskundgabe berücksichtigt werden. Es ist ein wesensmäßiges Merkmal der Satire, mit Verfremdungen, Verzerrungen und Übertreibungen zu arbeiten. Die rechtliche Beurteilung von Satire erfordert die "Entkleidung" des "in Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes", um ihren eigentlichen Inhalt zu ermitteln. Der so ermittelte Aussagekern einerseits und seine Einkleidung andererseits sind sodann gesondert darauf hin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Mißachtung gegenüber der betroffenen Person enthalten.
[7] 2. Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab ist Art. 5 Abs. 1 GG verletzt. Der Begründung des LG läßt sich nicht entnehmen, daß es bei seiner Beurteilung Maßstäbe angelegt hat, die dem satirischen Gehalt der Äußerung des Beschwerdeführers und damit der Bedeutung und dem Gewicht seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit gerecht werden.
[8] Die Kammer des BVerfG legt dar, daß das LG den satirischen Charakter der Sendung nicht verkannt habe. Das angegriffene Urteil läßt jedoch nicht erkennen, daß diese Prägung auf die Äußerung des Beschwerdeführers erstreckt worden und im Rahmen der Abwägung der betroffenen Grundrechtspositionen des Beschwerdeführers und der Prinzessin berücksichtigt worden ist. Das Gericht argumentiert nur einseitig zu Lasten einer Persönlichkeitsverletzung der Prinzessin. Dabei wird nicht erkennbar beachtet, daß in mehrfacher Hinsicht Umstände angesprochen werden, die für eine Charakterisierung der Äußerung als Satire sprechen und unter diesem Blickwinkel zu würdigen waren. Dabei ist offenbar übersehen worden, daß es der Satire wesenseigen ist, Personen und Vorgänge zu überzeichnen, daß sie mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen arbeitet, auch um dadurch beim Zuhörer und Zuschauer Lacheffekte hervorzurufen.
[9] Das angegriffene Urteil genügt darüber hinaus auch nicht dem Erfordernis, den Aussagekern der Satire und ihre Einkleidung gesondert darauf hin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Mißachtung der betroffenen Person enthalten. Es trifft zwar Aussagen, die dahin verstanden werden können, das LG habe den Aussagekern des gesamten Gesprächs wie speziell den der angegriffenen Bezeichnung "MünzenErna" darin gesehen, daß die Klägerin "aus finanziellen Gründen in den Adel eingeheiratet habe". Es fehlt aber auch hier eine Würdigung und Auseinandersetzung mit den aufgezeigten Elementen der Satire. Diese Elemente könnten gegen die Annahme sprechen, es liege eine Persönlichkeitsrechtsverletzung der Prinzessin vor, zumal eine von solcher Schwere, daß sie des Ausgleichs durch Zubilligung eines Schmerzensgeldes bedarf.
[10] Da bereits ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 GG vorliegt, kann dahingestellt bleiben, ob die angegriffene Äußerung auch den Schutz der Kunstfreiheit genießt.
[11] Das LG hat die Sache nochmals unter Beachtung der von der Kammer aufgezeigten Beanstandungen zu verhandeln und zu entscheiden.
BVerfG, Beschluss vom 12. 11. 1997 – 1 BvR 2000/96