Freispruch von Monika Böttcher (geschiedene Weimar) vom Vorwurf des Mordes aufgehoben

BGH, Mitteilung vom 6. 11. 1998 – 77/98 (lexetius.com/1998,1139)

[1] Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des als Nebenkläger auftretenden früheren Ehemannes der Angeklagten das Urteil des Landgerichts Gießen vom 24. April 1997 aufgehoben, durch das sie vom Vorwurf des Mordes an ihren beiden Kindern freigesprochen worden war.
[2] Die Angeklagte war zunächst durch das Urteil des Landgerichts Fulda vom 8. Januar 1988, das der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs am 15. Februar 1989 bestätigt hatte, wegen Mordes in zwei Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt worden. Am 4. Dezember 1995 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten der Angeklagten und die Erneuerung der Hauptverhandlung angeordnet. Das nunmehr zuständige Landgericht Gießen hat am 24. April 1997 die Angeklagte vom Vorwurf des Mordes an ihren Kindern freigesprochen. So wie der Sachverhalt sich dem Landgericht darstellte, sind die Kinder – die damals siebenjährige Melanie und die fünfjährige Karola – entweder in der Nacht von 3. zum 4. August 1986 von Reinhard Weimar, dem damaligen Ehemann der Angeklagten, oder am Vormittag des 4. August 1986 von ihr selbst getötet worden. Entscheidend war daher, ob die Kinder am Vormittag des 4. August 1986 noch gelebt haben. Freigesprochen hat das Landgericht die Angeklagte, weil es sich von dieser Tatsache nicht zu überzeugen vermochte, zumal nach seiner Ansicht früher als Beweis dienende Umstände nicht mehr als erwiesen oder aussagekräftig angesehen werden konnten (z. B. ein Faserspurengutachten). Das Landgericht sah zwar gewichtige, die Angeklagte belastende Verdachtsmomente als gegeben an. Auch unter Berücksichtigung der an sich glaubhaften Angaben von zwei Zeugen, die die Kinder am 4. August 1986 noch lebend gesehen haben wollen, sah sich die Schwurgerichtskammer nicht in der Lage, den Tathergang mit letzter Sicherheit zu klären. Es konnte zudem kein Motiv für die Tötung der Kinder durch die
[3] Angeklagte feststellen und kam auch – sachverständig beraten – zu dem Schluß, daß ihr Verhalten nach dem Tod der Kinder "psychologisch nachvollziehbar und mit der Persönlichkeit der Angeklagten vereinbar sei".
[4] Der Bundesgerichtshof hat diese Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft beanstandet. Als Revisionsgericht hatte er nicht zu entscheiden, ob die Angeklagte schuldig ist oder nicht. Seine Prüfungsbefugnis erstreckte sich nur darauf, ob das Urteil Rechtsfehler aufweist. Das hat der 2. Strafsenat bejaht. Seiner Meinung nach ist das Urteil insoweit widersprüchlich, als es davon ausgegangen ist, es sei "kaum vorstellbar", es gebe "keinen ernsthaften Anhalt", "keine greifbaren Anhaltspunkte" dafür, daß die einen "schwerwiegenden Tatverdacht begründenden" Bekundungen der Zeugen, die die Kinder noch am Vormittag des 4. August 1986 gesehen haben wollen, nicht zutreffend seien, andererseits aber diese Bekundungen seiner Entscheidung nicht zugrundegelegt hat, weil diese Bekundungen "nicht mehr neben zahlreichen anderen nicht zu erschütternden Indizien" stünden. Wenn das Gericht von der Richtigkeit der Aussagen dieser Zeugen, wofür auch eine Reihe anderer gewichtiger Beweisgründe sprachen, überzeugt war, ergab sich konsequenterweise daraus, daß die Kinder am Morgen des 4. August 1986 noch gelebt hatten. Dann aber konnte – entsprechend der anfangs festgestellten Ausgangssituation – nur die Angeklagte als Täterin in Betracht kommen. Das Schwurgericht durfte nicht allein wegen des Fehlens anderer Belastungsmomente den gewichtigen Beweiswert der Bekundungen dieser Zeugen außer acht lassen.
[5] Der 2. Strafsenat hat die Sache nunmehr an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurückverwiesen, wo die Sache erneut in vollem Umfang verhandelt werden muß.
BGH, Urteil vom 6. 11. 1998 – 2 StR 636/97