Bundesgerichtshof
GWB § 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 3, 32 (F: 26. 08. 1998)
a) Die Preisspaltung i. S. v. § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB begründet die Vermutung, daß das marktbeherrschende Unternehmen seine Stellung mißbräuchlich ausnutzt. Bei der Feststellung, ob der Preisunterschied durch sachliche Gründe gerechtfertigt und die indizielle Bedeutung der Preisspaltung damit ausgeräumt ist, trifft das Unternehmen eine gesteigerte Mitwirkungspflicht.
b) Kann das marktbeherrschende Unternehmen auf dem beherrschten Markt (hier: Flugstrecke Frankfurt/Berlin) auch mit den höheren Entgelten nicht einmal seine objektiven Kosten decken, bietet die Preisspaltung allein keinen hinreichenden Anhaltspunkt für einen Mißbrauch. Bei der Prüfung des Bestehens einer Verlustsituation finden die Kosten keine Berücksichtigung, die ausschließlich auf unternehmensindividuelle Entscheidungen zurückzuführen sind, bei anderen Anbietern auf demselben Markt aber nicht in gleicher Weise anfallen würden.

BGH, Beschluss vom 22. 7. 1999 – KVR 12/98 – Flugpreisspaltung; Kammergericht (lexetius.com/1999,1034)

[1] Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juli 1999 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofes Geiß und die Richter Dr. Melullis, Prof. Dr. Goette, Ball und Dr. Bornkamm beschlossen:
[2] Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts wird der Beschluß des Kartellsenats des Kammergerichts vom 26. November 1997 aufgehoben.
[3] Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
[4] Der Wert des Gegenstandes des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 20 Mio. DM.
[5] Gründe: A. Das Bundeskartellamt hat der Betroffenen, der Deutschen Lufthansa AG (DLH), durch Beschluß vom 19. Februar 1997 untersagt, auf der Flugstrecke zwischen Berlin und Frankfurt am Main für die Passagierbeförderung (einfacher Flug) von ihren Abnehmern ein Entgelt zu fordern, das um mehr als 10, – DM über dem Preis liegt, den sie für gleichartige Flüge zwischen den Städten Berlin und München von ihren Kunden verlangt. Diesen Beschluß hat das Kammergericht auf die Beschwerde der DLH aufgehoben (WuW/E DE – R 124). Hiergegen richtet sich die – zugelassene – Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamtes.
[6] Der Lufthansa-Konzern, der national und international Luftverkehr mit Passagieren und Fracht betreibt und dessen Holding-Gesellschaft DLH ist, hat 1996 einen Umsatz von 20, 9 Mrd. DM und einen Gewinn vor Steuern von
[7] 686 Mio. DM erzielt. Der innerdeutsche Verkehr ist nach Angabe der DLH defizitär. Für die Strecke Berlin/Frankfurt hat sie eine Deckungslücke von 9, 432 Mio. DM (Jahr 1995) bzw. von 2, 711 Mio. DM (Jahr 1996) und für die in dem Beschluß des Bundeskartellamtes herangezogene Vergleichsstrecke Berlin/München von 23, 272 Mio. DM bzw. von 20, 748 Mio. DM geltend gemacht. Mit Inkrafttreten des Winterflugplanes 1995/96 führte DLH ein neues Tarifsystem ein. Es enthält mehrere Tarifklassen, deren Flugpreis um so höher ist, je flexibler der Kunde buchen kann. Dem seinerzeit für alle innerdeutschen Strecken einheitlichen "Super Spar-Tarif", der u. a. eine längere Vorausbuchungsfrist vorsieht und Umbuchungen ausschließt, steht als anderes Extrem der voll flexible, vor allem gebührenfrei umbuchbare "Business" -Tarif gegenüber. Die beiden anderen – später durch einen weiteren "Pex" -Tarif ergänzten – Tarifklassen ("Economy" bzw. "Economy Spar") sind preisgünstiger als der "Business" -Tarif, enthalten aber größere Einschränkungen hinsichtlich der Flexibilität für den Kunden (Kosten der Umbuchung, Mindestaufenthalt, Vorausbuchungsfrist).
[8] In den beiden teureren Klassen "Business" und "Economy" differiert der Flugpreis für die einzelnen Strecken. Auf der um 25 Meilen längeren Strecke zwischen Berlin und München forderte DLH (Stand November 1997) hier für den Hin- und Rückflug 250, – DM bzw. 220, – DM weniger als auf der Strecke Berlin/Frankfurt. Auf der zuletzt genannten, von allen innerdeutschen Strecken am besten ausgelasteten Route bietet DLH täglich 16 Flüge in beiden Richtungen an und hat im Jahr 1996 mit 1, 242 Mio. Fluggästen mehr als doppelt so viele Passagiere befördert wie auf der von dem Bundeskartellamt herangezogenen Vergleichsstrecke Berlin/München (0, 606 Mio.). Der Anteil der Fluggäste, für die die innerdeutsche Flugstrecke Zubringer- oder Anschlußverkehr für internationale Flugreisen ist, liegt auf der Strecke Berlin/Frankfurt deutlich höher als auf der Vergleichsstrecke; 1995 betrug das Verhältnis 33 % zu knapp 18 %.
[9] Bei Erlaß des Beschlusses des Bundeskartellamtes und noch bis einschließlich April 1997 war DLH auf der Strecke Berlin/Frankfurt der einzige Anbieter. Seit Mai 1997 befliegt auch Eurowings (EW) diese Route mit zunächst vier, seit dem Winterflugplan 1997 mit acht Flügen in jede Richtung und hat dabei mit ihren die Preise von DLH unterschreitenden Tarifen einen Anteil von rund 11 % am Passagieraufkommen erreicht. Auf der München-Strecke steht DLH bereits seit 1993 im Wettbewerb mit der Fluggesellschaft Deutsche BA (DBA). Deren Flugpreise liegen unter denjenigen von DLH und sind nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes nicht kostendeckend; die Verluste trägt die Muttergesellschaft der DBA, die British Airways (BA). Zusammengefaßt ergibt sich nach dem Stand von November 1997 für die beiden Strecken folgendes Tarifbild, wobei jeweils die Preise für den Hin- und Rückflug angegeben sind; einfache Flüge sind nur im "Business" -Tarif buchbar: …
[10] DLH hat demgegenüber ein mißbräuchliches Verhalten in Abrede gestellt und darauf verwiesen, daß nach den von ihr angestellten Berechnungen auf beiden Strecken Verluste eingeflogen würden. Auf der München-Strecke sei sie wegen des aggressiven, ohne Rücksicht auf die eintretenden Verluste geführten Preiskampfes von DBA gezwungen, ihrerseits höhere Verluste in Kauf zu nehmen, wolle sie nicht aus dem Markt verdrängt werden. Die München-Route scheide deswegen als Vergleichsmarkt von vornherein aus.
[11] B. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückverweisung der Sache an das Kammergericht.
[12] I. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung, die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamtes aufzuheben, im wesentlichen mit zwei Erwägungen begründet: Zum einen sei für eine preismißbrauchsaufsichtliche Verfügung dann kein Raum, wenn das preisspaltende Unternehmen – wie hier – auf keinem der beiden Märkte kostendeckende Preise erziele. Dieser allgemein geltende und von ihm bereits früher angewandte Grundsatz (KG WuW/E OLG 2617, 2619 – Regional unterschiedliche Tankstellenpreise) beanspruche in besonderem Maße für den innereuropäischen Luftverkehr Beachtung. Denn nach den lufttarifrechtlichen Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft hätten die zuständigen Behörden im Interesse der Sicherheit des Flugverkehrs dafür Sorge zu tragen, daß die von den Fluggesellschaften geforderten Entgelte die Erzielung angemessener Gewinne ermöglichten. Zum anderen – so hat das Kammergericht ausgeführt – müsse die Verfügung wegen einer unzureichenden Ausübung des Eingreifermessens aufgehoben werden. Dies hält nicht in jeder Hinsicht der rechtlichen Prüfung stand.
[13] II. Bei der Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen der von dem Bundeskartellamt herangezogenen Eingriffsnorm (§ 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB = § 22 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 GWB a. F.) hat das Kammergericht im Ansatz zutreffend den sachlich und räumlich relevanten Markt bestimmt und angenommen, daß die von der Betroffenen vorgenommene Preisspaltung Leistungen betrifft, welche auf vergleichbaren Märkten erbracht werden.
[14] 1. Sachlich relevanter Markt ist entgegen der nicht näher begründeten Annahme der Rechtsbeschwerdegegnerin der Flugverkehr. Er stellt einen eigenständigen Markt dar, zu dem landgebundene Verkehrsträger – das gilt auch für die Beförderung von Reisenden mit ICE-Zügen – keine Alternative bieten. Für den Zubringer- und Anschlußverkehr liegt dies auf der Hand. Dasselbe trifft wegen des vom Beschwerdegericht festgestellten und auch von DLH nicht in Abrede gestellten Schnelligkeitsvorsprungs des Flugverkehrs auch für alle die Reisenden zu, die darauf angewiesen sind, die Strecke in möglichst kurzer Frist zu bewältigen, weil sie z. B. noch an demselben Tag zurückreisen müssen. Diese vor allem aus Geschäftsreisenden bestehende Gruppe macht die weit überwiegende Zahl der Reisenden aus.
[15] 2. In räumlicher Hinsicht hat das Kammergericht zutreffend auf die einzelne Flugstrecke und nicht etwa auf das gesamte von einer Fluggesellschaft bediente Netz abgestellt. Das entspricht nicht nur der Sichtweise von Art. 6 Abs. 1 lit. b der EG-FlugpreisVO (Nr. 2409/92 v. 23. 07. 1992, ABl. Nr. L 240/15), sondern ist auch unter dem Gesichtspunkt der funktionellen Austauschbarkeit der allein sachgerechte Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wettbewerbssituation und für die Prüfung, ob die einzelnen Anbieter die Wettbewerbsregeln einhalten.
[16] 3. Zu Unrecht zieht die Betroffene in Zweifel, daß es sich bei den Luftverkehrsstrecken Berlin/Frankfurt und Berlin/München um vergleichbare Märkte handelt. Ihrer Struktur nach haben beide Routen große Ähnlichkeit miteinander: Es geht um den flexibel zu gestaltenden Betrieb von Linienflugverkehr auf innerdeutschen Strecken von und nach Berlin, die Entfernungen sind ebenso wie der Auslastungsgrad (sog. Sitzladefaktor) nicht wesentlich verschieden und sowohl Frankfurt wie München sind Flughäfen, die Ausgangs- oder Endpunkt für internationale Flüge sind, mag auch der Anteil des Zubringer- und Anschlußverkehrs differieren. Soweit aufgrund objektiver Gegebenheiten Unterschiede bestehen – außer dem Umsteigerverkehr kommen dafür z. B. die Bodenstandzeiten, die Höhe der Lande- und Startgebühren, die Kosten für die Flugsicherung oder für den Treibstoff in Betracht –, berührt dies nicht die Vergleichbarkeit i. S. v. § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB; diesen Abweichungen ist vielmehr im Rahmen der Prüfung der sachlichen Rechtfertigung des Preisunterschiedes Rechnung zu tragen.
[17] 4. Die von dem Bundeskartellamt seiner Untersagungsverfügung zugrundegelegte, auf die alleinige Anbietereigenschaft gestützte marktbeherrschende Stellung von DLH auf der Frankfurt-Strecke wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß während des Beschwerdeverfahrens EW den Flugbetrieb auf dieser Route aufgenommen hat. Auch nach dem Hinzutreten dieses neuen Anbieters hat DLH nach den der Entscheidung des Senats zugrundezulegenden Feststellungen des Kammergerichts immer noch etwa 89 % der Reisenden auf der Frankfurt-Strecke befördert und liegt damit weit oberhalb der Schwelle, die § 19 Abs. 3 Satz 1 GWB für eine Marktbeherrschung fordert. Unabhängig davon beherrscht sie nach den schon im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen den Flugreisemarkt auf der Frankfurt-Strecke auch deswegen, weil sie anders als ihre Wettbewerber über eine große Zahl von Start- und Landefenstern ("slots") in Frankfurt verfügt, die sich über den ganzen Tag verteilen, einen besonders effizienten Flugbetrieb ermöglichen und nach der bisher befolgten Übung als sog. "grandfather rights" DLH auf Dauer zugewiesen sind.
[18] III. Nach den bisher getroffenen Feststellungen entfällt entgegen der Annahme des Beschwerdegerichts die indizielle Wirkung des preisspaltenden Vorgehens der Betroffenen nicht.
[19] 1. Nach § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB begründet das preisspaltende Vorgehen der auf der Frankfurt-Strecke marktbeherrschenden DLH die Vermutung (Baur/Weyer in Frankfurter Kommentar zum GWB, 3. Aufl., § 22 Rdn. 642; Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl., § 22 Rdn. 170; zu Art. 86 EGV vgl. EuGH, Urt. v. 13. 07. 1989 – Rs. 395/87, Slg. 2565, 2577 – Tournier; in diese Richtung auch Monopolkommission Hauptgutachten 1980/81 Tz. 510 und 1996/97 Tz. 318), daß sie bei dieser Preisgestaltung ihre marktbeherrschende Stellung ausnutzt. Mit Rücksicht auf die Vergleichbarkeit der beiden Märkte unterstellt das Gesetz dabei, daß der höhere Preis allein wegen des Versagens der Wettbewerbskräfte auf dem beherrschten Markt zu Lasten der Kunden durchgesetzt werden kann, während das Unternehmen auf dem vergleichbaren Markt durch den hier bestehenden Wettbewerbsdruck zur Zurückhaltung bei der Ausübung seiner Marktmacht gezwungen ist. Diese Vermutung der mißbräuchlichen Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung ist allein dann ausgeräumt, wenn sachlich gerechtfertigte Gründe für den Preisunterschied festzustellen sind. Angesichts der auch im Wortlaut ("es sei denn, daß.") zum Ausdruck gebrachten Struktur der Vorschrift trifft das marktbeherrschende Unternehmen eine gesteigerte Mitwirkungspflicht bei der Feststellung von Gründen, die die Preisspaltung sachlich rechtfertigen (sog. materielle Beweislast, vgl. Baur, Der Mißbrauch im Deutschen Kartellrecht, 1972, S. 235, 240; Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht, 8. Aufl., § 22 GWB Rdn. 83; Baur/Weyer aaO § 22 GWB Rdn. 642, 655; für Art. 86 EGV vgl. EuGH Slg. 2565, 2577 – Tournier).
[20] 2. a) Eine sachliche Rechtfertigung des Preisunterschiedes in diesem Sinn mit der Folge, daß die Preisspaltung ihre indizielle Bedeutung verliert und auf § 32 GWB gestützte Maßnahmen der Preismißbrauchsaufsicht ausscheiden, kann u. a. darin liegen, daß auch das höhere Entgelt nicht einmal die Selbstkosten des marktbeherrschenden Unternehmens deckt, dieses vielmehr Verluste erleidet, welche in anderer Weise ausgeglichen werden müssen. Gegen diesen vom Kammergericht seiner Entscheidung im Ansatz zugrundegelegten Grundsatz wendet sich die Rechtsbeschwerde vergebens. Er ergibt sich bereits aus dem nationalen Recht (vgl. BGHZ 41, 271, 281 f. – Werkmilchabzug; BGHZ 68, 23, 36 – Valium I; BGHZ 76, 142, 149 f. – Valium II; Baur aaO S. 234 ff.; Baur/Weyer aaO § 22 GWB Rdn. 640, 655; Bechtold, GWB, 2. Aufl., § 19 Rdn. 75, 76; Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht, 7. Aufl., § 22 GWB Rdn. 83, 86, ohne Stellungnahme aber ders. 8. Aufl. § 22 GWB Rdn. 83 a. E.; ferner v. Gamm, Kartellrecht, 2. Aufl., § 22 GWB Rdn. 48; im Grundsatz ebenso, aber mit der Forderung nach differenzierter Prüfung im Einzelfall Möschel aaO § 22 GWB Rdn. 170; vgl. ferner zu Art. 86 EGV Koch in Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, 9. Erg. Lfg. 1995, Rdn. 61, 66; dem BKartA im Ausgangspunkt zustimmend jedoch Monopolkommission Hauptgutachten 1996/97 Tz. 317), ohne daß es – wie das Beschwerdegericht angenommen hat – der Heranziehung der luftfahrtrechtlichen Bestimmungen der Europäischen Gemeinschaft bedürfte, über deren Auslegung und Tragweite die Verfahrensbeteiligten streiten.
[21] b) Nach § 19 Abs. 1 GWB ist die mißbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung verboten. Sie setzt, soweit es um den in § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB eigens geregelten Anwendungsfall der als Ausbeutungsmißbrauch (vgl. z. B. Möschel aaO § 22 GWB Rdn. 168; Baur/Weyer aaO § 22 GWB Rdn. 652; Schultz in Langen/Bunte 8. Aufl. aaO § 22 GWB Rdn. 75 ff.) zu qualifizierenden Preisspaltung geht, voraus, daß das betroffene Unternehmen seine starke Stellung zu Lasten der Marktgegenseite in einer Weise ausnutzt, die ihm nur deswegen eröffnet ist, weil es wegen seiner marktbeherrschenden Stellung auf die Interessen seiner Abnehmer keine Rücksicht (vgl. Baur/Weyer aaO § 22 GWB Rdn. 652; zu Art. 86 EGV vgl. Koch aaO Rdn. 44 f.) nehmen muß, vor allem auch keinem durch Wettbewerber verursachten Rationalisierungsdruck ausgesetzt ist. Dieses Unwerturteil (Sen. Beschl. v. 09. 11. 1982 – KVR 9/81, WuW/E 1965 f. – Gemeinsamer Anzeigenteil; v. Gamm aaO § 22 GWB Rdn. 32 m. w. N.) ist jedenfalls dann nicht gerechtfertigt, wenn das marktbeherrschende Unternehmen auch bei ordnungsgemäßer Zuordnung der bei ihm entstehenden Kosten und bei Ausschöpfung etwaiger Rationalisierungsreserven (vgl. dazu Monopolkommission Hauptgutachten 1980/81 Tz. 510) lediglich Einnahmen erzielt, die die Selbstkosten nicht decken. Denn auch ein marktbeherrschendes Unternehmen kann im Wege der Preismißbrauchsaufsicht nicht dazu gezwungen werden, entweder seine Leistung zu nicht einmal kostendeckenden Preisen anzubieten oder sich aus dem Wettbewerb gänzlich zurückzuziehen (vgl. Baur aaO S. 232).
[22] Dies aber wäre die Folge der Auffassung des Bundeskartellamtes, das die Aufgabe der Preismißbrauchsaufsicht darin sieht, das marktbeherrschende Unternehmen – ohne Rücksicht auf dessen jeweilige Kostensituation – an Stelle des auf dem beherrschten Markt nicht wirkenden Preiswettbewerbs zu einer Effizienzsteigerung und Angebotsverbesserung zu zwingen; soweit Rationalisierungsreserven ausgeschöpft sind und – z. B. wegen der begrenzten Zahl der Start- und Landerechte im innerdeutschen Flugverkehr – eine Verbesserung des Angebots nicht durchführbar ist, fehlt es an der "Ausbeutung der gefangenen Abnehmer", in deren Interesse die Wettbewerbsbehörde von ihren Untersagungsbefugnissen Gebrauch machen will. Das Bundeskartellamt gelangt nur deswegen zu einer anderen Beurteilung, weil es die Möglichkeit ausschließt, daß Leistungen in einzelnen Sparten des Angebots eines marktbeherrschenden Unternehmens auch zu nicht kostendeckenden Entgelten angeboten werden können (so zutreffend Paschke/Kersten in Frankfurter Kommentar zum GWB aaO § 22 Rdn. 45; vgl. ferner BGHZ 129, 37, 45 – Weiterverteiler), sondern weil es ohne Differenzierung als selbstverständlich davon ausgeht, daß ein solches Unternehmen stets von seiner Marktmacht solange zu Lasten der Marktgegenseite Gebrauch macht, wie es nicht durch Wettbewerb daran gehindert wird.
[23] 3. Die Annahme des Beschwerdegerichts, daß die Betroffene auf der Frankfurt-Strecke, auf der sie den Markt beherrscht, durch die hier geforderten höheren Entgelte nicht einmal die durch den Flugbetrieb auf dieser Route entstehenden Kosten decken kann, wird nicht durch tatrichterliche Feststellungen getragen. Die bloße Behauptung des marktbeherrschenden Unternehmens, die festgestellte Preisspaltung stelle kein mißbräuchliches Verhalten dar, weil auch das auf dem beherrschten Markt geforderte höhere Entgelt die eigenen Kosten nicht decke, reicht nicht aus. Das betroffene Unternehmen ist bereits bei der näheren Darlegung der Kostenstruktur seiner auf den beiden Märkten erbrachten Leistungen mitwirkungspflichtig, weil nur so der vom Bundeskartellamt (zustimmend Monopolkommission Hauptgutachten 1996/97 Tz. 317 f.) mit Recht angeführten Gefahr begegnet werden kann, daß Kostenüberhöhungstendenzen in die Beurteilung einfließen und die für den beherrschten Markt ausgewiesenen Verluste nicht auf objektiven, für jeden anderen Anbieter gleichermaßen wirksam werdenden, sondern auf in diesem Zusammenhang unbeachtlichen (BGHZ 59, 42, 46 – Stromtarif; BGHZ 68, 23, 33 – Valium I; Sen. Beschl. v. 21. 10. 1986 – KVR 7/85, WuW/E 2309, 2311 – Glockenheide; BGHZ 129, 37, 46 – Weiterverteiler; Möschel aaO § 22 GWB Rdn. 162; Schultz aaO § 22 GWB Rdn. 83) unternehmensindividuellen Umständen beruhen.
[24] DLH hat zwar auf die verschiedenen Auskunftsverlangen des Bundeskartellamtes hin einzelne Angaben gemacht und Berechnungen vorgelegt, die für die Frankfurt-Strecke eine Verlustsituation belegen sollen. Das Beschwerdegericht hätte dieses Zahlenwerk aber nicht als richtig unterstellen und seiner Entscheidung zugrundelegen dürfen. Vielmehr war es gehalten, die nach dem Inhalt der Amtsakten gebotenen Feststellungen selbst zu treffen und die erforderlichen ergänzenden Ermittlungen über das Vorhandensein einer im Rahmen des § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB beachtlichen Verlustsituation anzustellen (§ 70 GWB).
[25] Das Bundeskartellamt hatte zu näherer Aufklärung des Sachverhalts keine Veranlassung, weil nach seinem abweichenden – allerdings nicht zu billigenden – Rechtsstandpunkt preismißbrauchsaufsichtliche Maßnahmen ohne Rücksicht auf den Kostendeckungsgrad der geforderten Entgelte allein deswegen zulässig sind, weil das marktbeherrschende Unternehmen die Preise spaltet. Dem Beschwerdegericht jedoch – das zutreffend einen Preismißbrauch verneinen will, soweit auch die höheren auf dem beherrschten Markt erzielten Einnahmen nicht einmal kostendeckend sind – hätte sich aus den von der Betroffenen auf Anforderung des Bundeskartellamtes vorgelegten Unterlagen aufdrängen müssen, daß die für die teurere Strecke Frankfurt/Berlin aufgeführten Verluste des Unternehmens möglicherweise nicht allein auf objektiven, jeden Mitbewerber gleichermaßen treffenden Umständen (vgl. BGHZ 59, 42, 46 – Stromtarif; BGHZ 68, 23, 33 – Valium I; Sen. Beschl. v. 21. 10. 1986 – KVR 7/85, WuW/E 2309, 2311 – Glockenheide; Möschel aaO § 22 GWB Rdn. 162; Schultz aaO § 22 GWB Rdn. 83) – z. B. auf den Bodenstandzeiten, den Landegebühren oder den Abfertigungsentgelten – beruhen, sondern auf die von der Betroffenen in Verfolgung ihrer unternehmerischen Ziele getroffenen Entschließungen zurückzuführen sind (vgl. dazu Anh. III Nr. 4 der Entscheidung der Kommission v. 06. 07. 1992 – 92/398/EWG, ABl. Nr. L 220/40). Das gilt nicht allein für die Entscheidung, welche Flugzeugtypen sie im Pendelverkehr auf der Frankfurt-Route, die 1995 insgesamt mit einem Sitzladefaktor in Höhe von 62 % ausgelastet war, eingesetzt hat und in welcher zeitlichen Folge die Strecke beflogen wurde, sondern vor allem hinsichtlich der Behandlung des sog. Umsteigerverkehrs. Während ein Drittel der auf dieser Flugstrecke beförderten Passagiere zu der Gruppe der Umsteiger gehörte, entfiel nur ein Viertel des Erlöses (64.969.874 DM) auf diesen Teil der Passagiere; hätte DLH nicht auf einen Teil des Erlöses dieses Zubringerverkehrs verzichtet, hätte sie – legt man ihr trotz des Auskunftverlangens des Bundeskartellamtes nicht näher differenziertes Zahlenwerk für 1995 zugrunde – ein annähernd 22 Mio. DM höheres Reiseentgelt eingenommen und damit den von ihr errechneten Verlust von gut 9, 4 Mio. DM mehr als ausgleichen können. Diese Umstände hätte das Beschwerdegericht in seine Erwägungen einbeziehen müssen, statt das Ergebnis der von DLH vorgenommenen Berechnungen ohne weiteres als richtig zu übernehmen und seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
[26] 4. Von seinem Standpunkt aus folgerichtig hat das Beschwerdegericht ferner nicht geprüft, ob und ggfs. in welcher Höhe der Unterschied der Preise auf den beiden vergleichbaren Strecken deswegen sachlich gerechtfertigt ist, weil DLH sich hier – wie sie geltend gemacht hat – einer Verlustpreisstrategie von DBA ausgesetzt sehe, die zur Folge habe, daß das auf der München-Strecke bestehende Preisniveau als Maßstab des wettbewerbsanalogen Preises auf der Frankfurt-Route ausscheidet. Wenn und soweit dieser Vortrag von DLH sich als richtig erweist, könnte der von DLH vorgenommenen Preisspaltung die nach § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB an sich gegebene indizielle Bedeutung, daß sie auf der Frankfurt-Strecke ihre Marktmacht mißbraucht, genommen sein. In diesem Zusammenhang kann bedeutsam sein, daß nach den von DLH vorgelegten Zahlen der durchschnittlich auf beiden verglichenen Strecken erzielte Ertrag je Passagier bei rund 200, – DM liegt, wenn die auf der München-Strecke erwirtschafteten Verluste – ihre ordnungsgemäße Zuordnung zu diesem Verkehr unterstellt – von durchschnittlich je 35,86 DM je Ticket dem tatsächlich erzielten Ertrag hinzugerechnet werden.
[27] 5. Im Rahmen der Prüfung der sachlichen Rechtfertigung des Preisunterschiedes auf den beiden aus dem Gesamtangebot von DLH herausgegriffenen Teilmärkten ist ferner zu beachten, daß nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BGHZ 68, 23, 33 – Valium I; vgl. ferner v. Gamm aaO § 22 GWB Rdn. 48; Baur/Weyer aaO § 22 GWB Rdn. 631 f.) nicht bereits jeder Preisunterschied auf vergleichbaren Märkten Ausdruck einer mißbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung ist, es vielmehr – unabhängig von einem mit Rücksicht auf die Unwägbarkeiten der Feststellung der maßgeblichen Tatsachen ggfs. anzusetzenden Sicherheitszuschlag (vgl. Baur/Weyer aaO § 22 GWB Rdn. 630, 654; v. Gamm aaO § 22 GWB Rdn. 45) – eines deutlichen Abstandes zwischen den Preisen auf den beiden Märkten bedarf, um einen mit einem Unwerturteil verbundenen Mißbrauch zu bejahen. Dies gilt abweichend von der Auffassung des Bundeskartellamtes auch im vorliegenden Fall. Die Grundsätze, die der Senat früher im Rahmen des § 103 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 GWB a. F. für die leitungsgebundene Energieversorgung aufgestellt hat (BGHZ 129, 37, 49 f. – Weiterverteiler), sind durch die Besonderheiten der seinerzeit bestehenden, durch Demarkations- und Leitungsrechte abgesicherten Monopolstellung der Versorgungsbetriebe bedingt. Dort, wo der Preis – wie dies jedenfalls mit dem Hinzutreten des Anbieters EW selbst auf der Frankfurt-Strecke der Fall ist – im Wettbewerb gebildet wird, ist die Rechtfertigung dafür nicht gegeben, bereits jede Forderung ungünstigerer Preise als mißbräuchlich anzusehen, die der Senat allein wegen des in der freistellungsbedingten Monopolsituation fehlenden Wettbewerbs und der dadurch für die Verbraucher auftretenden Gefahren gefunden hat.
[28] Kann nur ein deutlicher Abstand zwischen den beiden Preisen – seine Feststellung ist zunächst Sache des die Umstände des konkreten Falles bewertenden Tatrichters – das Unwerturteil eines Mißbrauchs der marktbeherrschenden Stellung begründen, wird je nach den tatsächlichen Verhältnissen auf den vergleichbaren Märkten zugleich gewährleistet, daß das betroffene Unternehmen nicht nur seine Kosten auf dem beherrschten Markt decken, sondern einen gewissen Gewinn erzielen kann, ohne daß ihm dies durch preismißbrauchsaufsichtliches Einschreiten verwehrt wird.
[29] Auch in diesem Zusammenhang kann bedeutsam sein, daß – wie oben (unter III. 4.) ausgeführt – der durchschnittliche Ertrag auf beiden Strecken u. U. etwa gleich hoch sein kann, falls die auf der München-Strecke erwirtschafteten Verluste auf das einzelne Ticket umgelegt werden.
[30] IV. Die Sache bedarf danach weiterer tatrichterlicher Klärung. Entgegen der Ansicht der Betroffenen ist die Zurückverweisung an das Kammergericht nicht wegen eines Fehlers in der der Untersagungsverfügung vorangehenden Ermessensausübung entbehrlich. Aus den Amtsakten ergibt sich zweifelsfrei, daß das Bundeskartellamt sich während des gesamten Verfahrens der Notwendigkeit einer Ermessensausübung bewußt gewesen ist und dieses Ermessen in der Weise ausgeübt hat, daß es ein Einschreiten für erforderlich gehalten hat, um die Verbraucher, die auf der Frankfurt-Strecke die Dienste von DLH in Anspruch nehmen, vor überhöhten Entgeltforderungen zu schützen. Soweit – was nach dem zuvor Ausgeführten noch zu klären ist – eine Preisspaltung i. S. v. § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB vorliegen sollte, läge in der Ausübung des nach § 32 GWB bestehenden Ermessens kein Fehler zum Nachteil der Betroffenen.