Bundesverfassungsgericht

BVerfG, Beschluss vom 16. 3. 1999 – 1 BvR 734/98 (lexetius.com/1999,1776)

[1] In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn K … – Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Franz Walter Henrich, Cappelstraße 46, Lippstadt – gegen a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Februar 1998 – 4 Ss 1115/97 –, b) das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 16. Juni 1997 – 3 Ns 26 Js 288/94 – AK 27/97 –, c) das Urteil des Amtsgerichts Lippstadt vom 7. November 1996 – 20 Ds 26 Js 288/94 (498/94) – hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Grimm, Hömig am 16. März 1999 einstimmig beschlossen:
[2] Der Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Februar 1998 – 4 Ss 1115/97 –, das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 16. Juni 1997 – 3 Ns 26 Js 288/94 – AK 27/97 – und das Urteil des Amtsgerichts Lippstadt vom 7. November 1996 – 20 Ds 26 Js 288/94 (498/94) – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.
[3] Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
[4] Gründe: Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beleidigungsdelikten.
[5] I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Ende 1993 fungierte er als Verteidiger in einem Ermittlungsverfahren, das einen Verstoß gegen das Urhebergesetz durch unerlaubten Vertrieb von Computerprogrammen zum Gegenstand hatte. Im Zuge der Ermittlungen hatte die Staatsanwaltschaft die Computeranlage des Mandanten des Beschwerdeführers beschlagnahmt. Der von der Staatsanwaltschaft beigezogene Sachverständige fand jedoch keine Programme auf der Festplatte.
[6] Daraufhin stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren ein. Der Staatsanwalt M., der die Einstellungsverfügung veranlaßt hatte, unterrichtete den Beschwerdeführer telefonisch über die Einstellung und teilte ihm dabei mit, daß der Sachverständige keine Programme auf der Festplatte des Computers des Beschuldigten gefunden habe. Der Beschwerdeführer holte daraufhin die Computeranlage seines Mandanten ab und übergab sie diesem.
[7] Noch am selben Tag befaßte sich der in Computerkriminalität besonders erfahrene Staatsanwalt H. mit dem Fall. Staatsanwalt H. vermutete, daß der Sachverständige nur infolge einer Manipulation der Festplatte die gesuchten Dateien nicht gefunden habe. Er versuchte, die Aushändigung des freigegebenen Computers zu verhindern. Als er feststellte, daß dieser bereits abgeholt war, beantragte er beim Amtsgericht Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse für eine Durchsuchung der Kanzlei des Beschwerdeführers sowie der Wohnung des Beschuldigten. In seinem Antrag führte er unter anderem aus, der Tatverdacht ergebe sich aus "den Ermittlungsakten, insbesondere aus den Feststellungen eines Sachverständigen, polizeilicher Spurensicherung und anderen Indizien".
[8] Das Amtsgericht erließ am darauffolgenden Tag die beantragten Durchsuchungsbeschlüsse. Zur Begründung bezog es sich wörtlich auf den Antrag des Staatsanwalts. Unmittelbar danach beschlagnahmte Staatsanwalt H. die Computeranlage in der Wohnung des Beschuldigten. In der Folgezeit kam es zwischen dem Beschwerdeführer und Staatsanwalt H. sowie dem zuständigen Oberstaatsanwalt zu Gesprächen über die Durchsuchungsmaßnahmen. Dabei wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, eine neue Bewertung des Sachverständigengutachtens habe zu dem erneuten Tatverdacht geführt.
[9] Der Beschwerdeführer legte Beschwerde gegen die Durchsuchungsbeschlüsse ein. Zur Begründung führte er unter anderem aus, die Behauptung, der Tatverdacht gegen seinen Mandanten beruhe auch auf einem Sachverständigengutachten, stehe in Widerspruch zu den Feststellungen des Staatsanwalts M., wonach der Sachverständige seinen Mandanten gerade entlastet habe. Die beiden letzten Absätze der Beschwerdebegründung lauten:
[10] "Nach den Ausführungen in den angefochtenen Beschlüssen muß davon ausgegangen werden, daß die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Amtsgericht Lippstadt die behaupteten Tatsachen vorgetäuscht hat und das Amtsgericht den Behauptungen leider Glauben geschenkt hat. Es wird hier lediglich mit Vermutungen gearbeitet und es liegt der Verdacht nahe, daß hier Rivalitäten unter Staatsanwälten auf dem Rücken des Beschuldigten ausgetragen werden."
[11] 2. Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer wegen der Äußerungen in den zitierten Absätzen aus der Beschwerdebegründung wegen Beleidigung (§ 185 StGB) zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 160 DM verurteilt. Es beeinträchtige die Ehre eines Staatsanwalts, wenn er der Verletzung von Dienstpflichten bezichtigt werde. Das sei hier geschehen. Die inkriminierten Äußerungen seien sachlich falsch. Die Bezugnahme des Untersuchungsbeschlusses auf die "Feststellungen eines Sachverständigen" sei zutreffend gewesen. Denn Staatsanwalt H. habe gerade aus der Feststellung des Sachverständigen, auf dem Computer seien keine Daten gespeichert, den Verdacht gegen den Mandanten des Beschwerdeführers geschöpft.
[12] Allerdings sei zu berücksichtigen, daß sich der Beschwerdeführer als Verteidiger im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens geäußert habe. Die dadurch bedingte parteiliche Stellung rechtfertige eine pointierte Ausdrucksweise. Die Formulierungen des Beschwerdeführers hätten jedoch die Grenze statthaften Parteivortrags überschritten. Die umstrittenen Äußerungen vermittelten dem Leser den Eindruck, Staatsanwalt H. habe der Wahrheit zuwider Tatsachen behauptet und mittels Täuschung die Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme erreicht. Ein solches Verhalten wäre ein Verbrechen nach § 344 Abs. 1 StGB. Es sei keinesfalls mehr durch die besondere Stellung eines Strafverteidigers gedeckt, andere ohne entsprechende Erkenntnis eines Verbrechens zu beschuldigen.
[13] 3. Das Landgericht hat die Berufung des Beschwerdeführers mit der Maßgabe verworfen, daß dieser wegen übler Nachrede (§ 186 StGB) zu verurteilen sei. Die Äußerung des Beschwerdeführers sei eine Tatsachenbehauptung. Sie beinhalte die Aussage, der Staatsanwalt habe gegenüber dem Amtsgericht bewußt wahrheitswidrig vorgetäuscht, Beweismittel in Händen zu haben. Damit werde ein Verhalten behauptet, das den Staatsanwalt als in hohem Grad minderwertig und unwürdig erscheinen lasse, zumal der Beschwerdeführer den Verdacht aufwerfe, Hintergrund des Verhaltens des Staatsanwalts H. seien "Rivalitäten unter Staatsanwälten" und somit persönliche und sachfremde Motive.
[14] Die Behauptung des Beschwerdeführers sei – wie die Beweisaufnahme ergeben habe – unzutreffend. Der Staatsanwalt habe das Gutachten des Sachverständigen als wesentliche Grundlage für einen Tatverdacht gegen den Mandanten des Beschwerdeführers ansehen dürfen. Tatsächlich habe sich der Tatverdacht im nachhinein auch bestätigt. Zwar sei die bloße Bezugnahme auf ein "Sachverständigengutachten" mißverständlich gewesen. Gleichwohl könne von einer Täuschung des Gerichts durch den Staatsanwalt keine Rede sein.
[15] Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf § 193 StGB berufen. Zwar seien Rechtsanwälte berechtigt, im Rahmen ihrer Verteidigertätigkeit auch Behauptungen ohne eine vollständig sichere Grundlage aufzustellen und in prägnanter und auch überspitzter Weise zu formulieren. Im vorliegenden Fall habe sich der Beschwerdeführer zudem nicht nur gegen eine Durchsuchung der Räume seines Mandanten, sondern auch seiner eigenen Kanzlei gewehrt. Eine Rechtfertigung der ehrkränkenden Äußerung unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen komme aber nur dann in Betracht, wenn die umstrittene Äußerung zumindest im Ansatz geeignet sei, der Rechtswahrung des Betroffenen zu dienen und dessen Rechtsstellung zu verbessern. Schon daran fehle es, weil die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse allein von dem objektiven Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts abhängig gewesen sei.
[16] Darüber hinaus sei es auch einem Rechtsanwalt verwehrt, ehrenrührige Behauptungen leichtfertig aufzustellen. Leichtfertig handele, wer bei gewissenhafter, ihm möglicher und zumutbarer Prüfung hätte erkennen müssen, daß die Belege für seine Behauptungen unzulänglich seien. Der Beschwerdeführer hätte bei nur einigermaßen gewissenhafter Prüfung die Unrichtigkeit seiner Äußerung unschwer erkennen können. Er hätte sich nicht allein auf die telefonische Information des Staatsanwalts M. verlassen dürfen. Er habe es versäumt, sich im einzelnen nach der Neubewertung des Sachverständigengutachtens zu erkundigen. Die Informationsbasis des Beschwerdeführers für die inkriminierte Behauptung sei völlig unzureichend gewesen.
[17] 4. Das Oberlandesgericht hat die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen. Die Äußerung des Beschwerdeführers habe zwar Bezug zu seiner Verteidigertätigkeit gehabt und könne als Hinweis an das Beschwerdegericht, die Stichhaltigkeit der Verdachtsmomente gegen seinen Mandanten zu überprüfen, verstanden werden. Im "Kampf um das Recht" seien auch eindringliche und unter Umständen drastische Worte zulässig. Gleichwohl seien die in Rede stehenden ehrenrührigen Äußerungen nicht gemäß § 193 StGB gerechtfertigt.
[18] Auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen könne sich nicht berufen, wer eine unwahre Tatsachenbehauptung leichtfertig aufstelle. Für den Umfang der Prüfungspflicht seien vor allem die Schwere des Ehrvorwurfs und die Erreichbarkeit sicherer Informationen von Belang. Nach den Feststellungen des Landgerichts habe der Beschwerdeführer die inkriminierten Äußerungen ungeachtet der Hinweise der Staatsanwaltschaft auf neue Erkenntnisse und ohne den Versuch, sich durch Einsicht in die Ermittlungsakten über den wahren Sachstand zu informieren, lediglich aufgrund haltloser Vermutungen erhoben.
[19] Die Verurteilung verletze keine Grundrechte. Art. 5 GG sei schon deshalb nicht verletzt, weil es sich bei der Feststellung der in Rede stehenden ehrverletzenden Äußerung nicht um die Äußerung einer Meinung oder eines Werturteils, sondern um die Kundgabe einer Tatsachenbehauptung gehandelt habe.
[20] 5. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde im wesentlichen eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.
[21] Die Einstufung der Äußerung als Tatsachenbehauptung verletze Art. 5 GG. Seine Äußerung könne zwar als Behauptung einer Täuschungshandlung, also einer Tatsache, gesehen werden, erschöpfe sich darin jedoch nicht. Er habe zum Ausdruck bringen wollen, daß die Staatsanwaltschaft bei der Beantragung der Durchsuchungsbeschlüsse mit unangemessenem Eifer vorgegangen sei. Der Zusammenhang zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil komme in dem zweiten Absatz der inkriminierten Passage zum Ausdruck. Hier begründe er seinen Täuschungsvorwurf mit dem Verdacht, es würden auf dem Rücken des Beschuldigten staatsanwaltschaftliche Rivalitäten ausgetragen.
[22] Als Rechtsanwalt habe er die Interessen seines Mandanten mit Nachdruck vertreten dürfen. Beim "Kampf um das Recht" sei es erlaubt, eindringliche und drastische Formulierungen zu verwenden. Das Oberlandesgericht habe ihm zu Unrecht vorgeworfen, sich leichtfertig geäußert zu haben. Die Gerichte hätten die Anforderungen an seine anwaltliche Aufklärungspflicht überspannt. Die Verteidigung in Strafsachen dürfe nicht von einer vielfach erst im nachhinein zu beurteilenden Richtigkeit der tatsächlichen Annahmen abhängen. Andernfalls trete eine Zensur des Verteidigervorbringens ein, die im Licht von Art. 103 Abs. 1 GG keinen Bestand haben könne.
[23] Die Deutung des Oberlandesgerichts, er habe Staatsanwalt H. der Verfolgung Unschuldiger bezichtigen wollen, sei nicht haltbar. Bei einer solchen Interpretation sei praktisch jeder Angriff eines Verteidigers gegen tatsächliche Behauptungen oder rechtliche Positionen der Staatsanwaltschaft im Rahmen von Strafverfolgungsgmaßnahmen als Vorwurf des Verbrechens gemäß § 344 StGB anzusehen. Ein Verteidiger bewege sich dann ständig in der Gefahr strafrechtlich relevanten Verhaltens. Tatsächlich habe er lediglich vorgetragen, daß die Durchsuchungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft mit einer falschen Sachverhaltsdarstellung erwirkt worden seien.
[24] 6. Das Ministerium für Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen.
[25] II. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c BVerfGG). Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen der Reichweite von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. nur BVerfGE 93, 266 [292 ff.]).
[26] 1. Die inkriminierten Äußerungen unterfallen dem Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Grundrecht gewährleistet jedem das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Bei Werturteilen handelt es sich stets um Meinungsäußerungen. Der Grundrechtsschutz ist darauf aber nicht beschränkt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genießen auch Tatsachenbehauptungen, jedenfalls, wenn sie meinungsbezogen sind, den Schutz des Grundrechts (vgl. BVerfGE 61, 1 [7]; 85, 23 [31]). Dabei unterscheiden sich Tatsachenbehauptungen von Werturteilen dadurch, daß bei diesen die subjektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit im Vordergrund steht, während für jene die objektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Äußerung charakteristisch ist (vgl. BVerfGE 94, 1 [8]).
[27] In der inkriminierten Passage aus der Beschwerdebegründung des Beschwerdeführers durchdringen die tatsächlichen und wertenden Elemente einander. Soweit sie tatsächliche Behauptungen enthält, sind diese auf die wertende Gesamtaussage, wonach die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlaß der Durchsuchungsbeschlüsse nicht vorlagen, bezogen.
[28] 2. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gilt allerdings nicht vorbehaltlos. Es findet in Art. 5 Abs. 2 GG unter anderem eine Schranke in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die ehrschützenden Bestimmungen der §§ 185 ff. StGB gehören. Die Auslegung und Anwendung der Strafvorschriften ist grundsätzlich Sache der Strafgerichte. Dabei haben sie jedoch Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 [208 f.]; 93, 266 [292]).
[29] Die Ausstrahlungswirkung des Grundrechts verlangt bei der Anwendung der strafrechtlichen Norm regelmäßig eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der persönlichen Ehre von der umstrittenen Äußerung auf der einen und der Meinungsfreiheit von einer Verurteilung auf der anderen Seite droht. Dabei sind alle wesentlichen Umstände zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 97, 391 [401]). Das Ergebnis der Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht es aber mit dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG nicht in Einklang, wenn das Fachgericht fälschlich Umstände annimmt, die dazu führen, daß eine Abwägung von vornherein unterbleibt (vgl. BVerfGE 93, 266 [294]).
[30] Zu den wesentlichen Abwägungsgesichtspunkten gehört auch die Funktion, in welcher der sich Äußernde seine ehrkränkende Behauptung aufgestellt hat. Dies hat das Bundesverfassungsgericht für Äußerungen eines Rechtsanwalts in einem berufsrechtlichen Zusammenhang ausdrücklich anerkannt. Im strafrechtlichen Zusammenhang gilt nichts anderes. Danach darf ein Rechtsanwalt im Rahmen seiner Berufsausübung auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen und sogar "ad personam" argumentieren (vgl. BVerfGE 76, 171 [192]).
[31] 3. Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben tragen die angegriffenen Entscheidungen nicht hinreichend Rechnung.
[32] a) Das Oberlandesgericht hat bereits den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG verkannt. Es hat ausgeführt, das Grundrecht sei schon deshalb nicht verletzt, weil der Beschwerdeführer keine Meinungen oder Werturteile geäußert, sondern eine Tatsache behauptet habe. Der Schutz von Tatsachenbehauptungen endet aber erst dort, wo sie zur Meinungsbildung nichts beitragen können. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst dann der Fall, wenn eine bewußt oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung in Frage steht (vgl. BVerfGE 90, 241 [247]). Davon sind die Gerichte im Ausgangsverfahren aber nicht ausgegangen. Vielmehr wirft das Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer lediglich vor, er habe seine Äußerung "leichtfertig" aufgestellt. Wer eine Behauptung "leichtfertig" aufstellt, bringt damit aber bei weitem noch nicht das Maß an Sorglosigkeit im Umgang mit der Wahrheit zum Ausdruck, das allein die prinzipielle Versagung des grundrechtlichen Schutzes aus Art. 5 Abs. 1 GG rechtfertigen könnte.
[33] Ebensowenig ist es verfassungsrechtlich hinzunehmen, daß das Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer die Berufung auf den Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB allein deshalb versagt, weil dieser die umstrittene Äußerung "leichtfertig" aufgestellt habe. § 193 StGB steht mit seiner offenen Formulierung einer Berücksichtigung der Belange der Meinungsfreiheit in besonderer Weise offen und ist deshalb vor jeder Verurteilung nach § 185 StGB zu beachten (vgl. BVerfGE 93, 266 [291]). Das hat das Oberlandesgericht verkannt. Es entspricht zwar der wohl herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, daß "leichtfertig" aufgestellte unwahre Tatsachenbehauptungen ehrenrühriger Art zum Ausschluß des § 193 StGB führen (vgl. OLG Hamburg, MDR 1980, S. 953; Tröndle, StGB, 48. Aufl., 1997, § 193 Rz. 13). Doch diese Auffassung kann wegen ihrer die Belange der Meinungsfreiheit regelmäßig verdrängenden Wirkung vor Art. 5 Abs. 1 GG nur dann Bestand haben, wenn das Merkmal der "Leichtfertigkeit" nicht über Gebühr ausgedehnt wird.
[34] Die Verfassungsbeschwerde zwingt das Bundesverfassungsgericht nicht dazu, generell festzulegen, unter welchen Umständen die Gerichte anwaltliche ehrkränkende Äußerungen als "leichtfertig" einstufen dürfen, mit der Folge, daß eine Rechtfertigung der Äußerung durch § 193 StGB von vornherein ausscheidet. Hier sprechen die konkreten Umstände des Falls gegen eine solche Einstufung. Denn jedenfalls im maßgeblichen Äußerungszeitpunkt wußte der Beschwerdeführer nicht und brauchte auch nicht zu vermuten, daß der Kern seiner Äußerung, wonach sich die Staatsanwaltschaft zu Unrecht auf das Sachverständigengutachten bezogen habe, falsch war.
[35] Das Oberlandesgericht hätte vielmehr berücksichtigen müssen, daß das Ermittlungsverfahren gegen den Mandanten des Beschwerdeführers gerade erst eine Woche vor der Abfassung der Beschwerdeschrift eingestellt worden war, weil das Sachverständigengutachten den Beschuldigten nach der Auskunft des zunächst sachbearbeitenden Staatsanwalts M. entlastet hatte. Es hätte ferner berücksichtigen müssen, daß die Durchsuchungsbeschlüsse selbst keine Begründung dafür enthielten, warum das Sachverständigengutachten nunmehr einen Tatverdacht begründen sollte. Auch die mündlichen Begründungen für die Durchsuchungsbeschlüsse, die der Beschwerdeführer von Staatsanwalt H. und dem zuständigen Oberstaatsanwalt erhielt, blieben nach den Feststellungen des Landgerichts pauschal. Vor diesem Hintergrund unklarer, augenscheinlich einander widersprechender Auskünfte verschiedener Staatsanwälte über den Gehalt und die Bewertung des Sachverständigengutachtens durfte der Beschwerdeführer im Interesse seines Mandanten davon ausgehen, daß die entlastende Darstellung des Staatsanwalts M. zutreffend war. Ihn traf keine weitere Aufklärungspflicht, bevor er im Vertrauen auf die Auskunft des Staatsanwalts M. davon ausging, daß das Sachverständigengutachten zu dem Tatverdacht gegen seinen Mandanten nichts beitragen konnte.
[36] Demgegenüber überspannt die Forderung des Oberlandesgerichts, der Beschwerdeführer hätte vor Abfassung der Beschwerdeschrift durch Einsicht in die Ermittlungsakten den wahren Sachstand in Erfahrung bringen müssen, die Anforderungen an die anwaltliche Erkundungspflicht in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise. Dies gilt zumal deshalb, weil der Beschwerdeführer im Interesse des Beschuldigten – wie regelmäßig in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren – die Beschwerde so schnell wie möglich zu erheben hatte.
[37] b) Das Landgericht hat dem Beschwerdeführer die Berufung auf § 193 StGB ebenfalls allein deshalb versagt, weil er die inkriminierte Behauptung "leichtfertig" aufgestellt habe. Sein Urteil leidet mithin an den gleichen verfassungsrechtlichen Mängeln wie der oberlandesgerichtliche Beschluß.
[38] c) Schließlich genügt auch das amtsgerichtliche Urteil den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG nicht. Das Amtsgericht hat dem Beschwerdeführer – anders als Land- und Oberlandesgericht – die Berufung auf § 193 StGB zwar nicht von vornherein versagt. Wesentliche Abwägungsgesichtspunkte hat es jedoch nicht hinreichend gewürdigt. Dazu gehört vor allem der Umstand, daß der Beschwerdeführer sich als Verteidiger im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens geäußert und einander widersprechende Auskünfte der Staatsanwaltschaft über das Sachverständigengutachten erhalten hatte.
[39] d) Es ist nicht ausgeschlossen, daß die angegriffenen Entscheidungen auf den verfassungsrechtlichen Fehlern beruhen. Im Rahmen der Abwägung werden die Gerichte vor allem den Umstand, daß der Beschwerdeführer einander widersprechende Informationen von der Staatsanwaltschaft erhalten hatte, sowie die Funktion, in der er sich geäußert hatte, zu berücksichtigen haben.
[40] 4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
[41] Diese Entscheidung ist unanfechtbar.