Wiederholter Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen sexueller Belästigung

BAG, Mitteilung vom 17. 9. 1999 – 60/99 (lexetius.com/1999,2206)

[1] Die antragstellende Arbeitgeberin ist ein Einzelhandelsunternehmen mit einer Vielzahl von Filialen. Sie beschuldigt den Vorsitzenden des bei ihr gebildeten Betriebsrats, einen 1945 geborenen und seit 1972 bei ihr als Kraftfahrer beschäftigten Arbeitnehmer, der sexuellen Belästigung mehrerer ihrer Mitarbeiterinnen. In einem deshalb bereits 1995 betriebenen Verfahren wies das Landesarbeitsgericht Düsseldorf nach umfangreicher Beweisaufnahme den Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden mit der Begründung zurück, die erhobenen Vorwürfe seien nicht bewiesen. Der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 24. Juni 1996 wurde rechtskräftig.
[2] Im November 1997 verurteilte das Amtsgericht Wipperfürth den Betriebsratsvorsitzenden wegen sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen der Arbeitgeberin in drei minderschweren Fällen zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 110,00 DM. Das Landgericht Köln wies mit Urteil vom 17. Juni 1998 die Berufung des Angeklagten zurück. Seine hiergegen eingereichte Revision wurde mittlerweile durch Beschluß des Oberlandesgerichts Köln vom 27. November 1998 verworfen, die Verurteilung des Betriebsratsvorsitzenden ist somit rechtskräftig.
[3] Nach dem Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth leitete die Arbeitgeberin wegen der Vorfälle aus dem Jahr 1995 ein neues Zustimmungs- bzw. Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG ein. Der Betriebsrat und der betroffene Arbeitnehmer haben die Auffassung vertreten, dem neuerlichen Antrag der Arbeitgeberin stehe die rechtskräftige Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf aus dem Jahre 1996 entgegen.
[4] Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben den Antrag der Arbeitgeberin zurückgewiesen.
[5] Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin blieb erfolglos. Sie hat in beiden Zustimmungsersetzungsverfahren nicht etwa eine Verdachts-, sondern eine Tatkündigung angestrebt. Die nicht rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des Betriebsratsvorsitzenden stellt insoweit keine neue Tatsache dar, die bei unveränderten Tatvorwürfen eine von dem rechtskräftigen Beschluß im ersten Zustimmungsersetzungsverfahren abweichende Entscheidung zulassen würde, zumal im Strafverfahren bis zur rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK) zu beachten ist. Als neue Tatsache, die eine abweichende Beurteilung des Sachverhalts zuließe, kommt zwar ein rechtskräftiges Strafurteil in Betracht. Auf die während des Rechtsbeschwerdeverfahrens eingetretene Rechtskraft des Strafurteils konnte sich die Arbeitgeberin jedoch nicht mehr stützen, weil s ie deshalb bereits ein weiteres Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet hatte, in dem erstinstanzlich die Zustimmung des Betriebsrats zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung ersetzt wurde, das aber noch nicht abgeschlossen ist. In diesem andren Verfahren wird das Landesarbeitsgericht das rechtskräftige Strafurteil als neue Tatsache zu berücksichtigen haben. Der Einführung auch in das vorliegende Verfahren stand die anderweitige Rechtshängigkeit entgegen.
BAG, Beschluss vom 16. 9. 1999 – 2 ABR 68/98; LAG Düsseldorf